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Bereits verlegte Stolpersteine



Irmgard und Karl Posner
© Archiv KZ Gedenkstätte Neuengamme

Karl Posner * 1904

Rappstraße 13 (Eimsbüttel, Rotherbaum)

1941 Minsk
weiterdeportiert KZ Flossenbürg ???

Weitere Stolpersteine in Rappstraße 13:
Ruth Bieber, Hans-Adolf Frankenthal, Siegfried Frankenthal, Hans Hoffmann, Frieda Hoffmann, Walter Hoffmann, Heimann Horwitz, Minna Lazarus, Hanna Offenburg, Nathan Hirsch Offenburg, Irmgard Posner

Irmgard Posner, geb. Ditze, geb. am 22.3.1904 in Hamburg, deportiert nach Minsk am 8.11.1941, dort ermordet

Karl Posner, geb. am 6.3.1904 in Hamburg, deportiert nach Minsk am 8.11.1941, weiterdeportiert in das KZ Flossenbürg am 4.8.1944, dort ermordet

Ismar Posner, geb. am 20.11.1870 in Breslau, deportiert nach Theresienstadt am 15.7.1942, dort gestorben am 10.10.1942 (Stolperstein geplant)

Rappstraße 13 (Eimsbüttel, Rotherbaum)

"Liebe Mama! … Ich schreibe Dir heute in einer großen Unruhe. Wir befinden uns im Aufbruch zu unserer zwangsmäßigen Evakuierung nach Russland. Ursprünglich war vorgesehen, dass mein Mann und mein Schwiegervater bereits morgen abtransportiert werden sollten. Ich kann es Dir nicht schildern, durch welche Hölle von Aufregungen wir in den letzten 48 Stunden gegangen sind. In letzter Minute wurde die Abreisefrist um acht Tage verlängert, so dass es mir nun gottlob möglich sein wird, die notwendigste Ausrüstung zu beschaffen und den Haushalt ordnungsgemäß abzuwickeln. Theo und ich bitten Dich beide herzlich, nach Hamburg überzusiedeln, die Leitung des Haushalts und die Pflege für Michael und Peter zu übernehmen. Liebe Mama, ganz besonders ich bitte Dich um diesen Dienst, denn die Sorge um unser Kind ist das Schwerste an dem ganzen Unglück….Ich grüße Dich herzlich. Es wird mir kaum vergönnt sein, Dich selbst noch einmal zu sehen. Ich danke Dir für alles, was Du uns Gutes getan hast und wünsche, dass Ihr glücklich und zufrieden leben mögt. Deine Irmgard"

Diese flehentlichen Worte schrieb Irmgard Amanda Posner am 30. Oktober 1941, wenige Tage vor ihrer Deportation aus Hamburg nach Minsk (8.11.1941), an Martha Rosenberg, die Mutter von Theo Rosenberg, Irmgards erstem Ehemann. Von ihm war sie seit zwei Jahren geschieden. Der im Brief erwähnte Michael, um dessen Behütung "Mama" gebeten wird, stammte aus dieser Ehe. Am 29.10.1934 geboren, stand er also einen Tag vor seinem siebten Geburtstag. In zweiter Ehe war Irmgard Amanda seit dem 2. Juni 1940 verheiratet mit Karl Posner, der in den ersten Zeilen des Briefes "mein Mann" genannt wird. Auch er wurde am 8.11.1941 nach Minsk deportiert. Mit dem "Schwiegervater" ist Ismar Posner gemeint, Karls Vater.

Peter, mit Familiennamen Glück, der der "Mama" in dem Brief ebenfalls ans Herz gelegt wurde, war das uneheliche Kind (*14.11.1925 in Hamburg) der Jüdin Erna Glück (*1898 in Berlin) und galt in der NS-Terminologie als "Volljude". Irmgard Posner hatte den jungen Mann in der Jüdischen Gemeinde kennen gelernt, seine schwierige Situation erkannt und ihn unter ihre Fittiche genommen. Er, und auch seine Schwester Ellen Glück (*1924 in Hamburg), wurden am 19.7.1942 nach Theresienstadt deportiert, dann weiter nach Auschwitz. Dort wurden sie am 28.9.1942 bzw. am 6.10.1944 ermordet. (An Peter Glück, siehe www.stolpersteine-hamburg.de, erinnert ein Stolperstein in der Kielortallee 24).

"Mama" Martha Rosenberg reagierte sofort auf Irmgards Bitten. Sie löste die Wohnung in Frankfurt auf und traf am 5. November morgens um 5 Uhr am Bahnhof Dammtor ein. Wie es Irmgard gewünscht hatte, übernahm sie den Haushalt und die Mutterrolle in der Wohnung Theo Rosenbergs in der Rappstraße 13, 3. Stock.

Irmgard Amanda Posner geb. Ditze war am 22.3.1904 in Hamburg geboren worden. Ihr Vater war der Kaufmann Oswald Josef Ditze, der am 5.1.1866 in Guttwitz/ Oberschlesien (heute zu Polen gehörend) zur Welt gekommen war. Sein Vater war Landwirt, die Familie war katholisch. Oswald Ditzes Ehefrau Rebecca, geb. Tuerk, Irmgards Mutter, war am 14.8.1871 in Berlin geboren worden. Ihre Eltern waren beide Juden. Der Vater, Heimann Tuerk, war Cantor; die Mutter Ernestine war eine geborene Schapiro.

Rebecca, Irmgards Mutter, hatte zur Zeit der Eheschließung (15.4.1896) in der 2. Marienstraße in der Hamburger Neustadt gelebt und als Buchhalterin gearbeitet. Oswald, in der Heiratsurkunde noch als "Commis" bezeichnet, also Büroangestellter, hatte im Brockmannsweg im Stadtteil Rotherbaum gewohnt. Er hatte sich bald im Handel mit Jutesäcken selbständig gemacht, die in einer Handels- und Hafenstadt damals noch unverzichtbar waren. Später stieg er als Teilhaber in die Firma J. C. Gustav Schmidt/Einzel- und Großhandel für Säcke, Sackleinen und Juteartikel ein, von 1930 bis zu seinem Tod am 13. März 1933 gehörte ihm dieses Unternehmen. Die Geschäfte scheinen nicht schlecht gelaufen zu sein, denn um 1910 erwarb er ein stattliches Haus in der Löwenstraße 9a (heute Rantzowstraße) in Wandsbek-Marienthal. (Das Haus existiert heute nicht mehr.)

Hier wuchsen die vier Kinder auf: Paula (*8.3.1897), Irmgard (*22.3.1904), Karl Heinz (*28.8.1906) und Eva (*8.1.1915). Alle Vier waren evangelisch getauft. Sie absolvierten eine gute Ausbildung und kamen beruflich voran: Irmgard wurde Anwaltsgehilfin, Paula Chemielaborantin, Karl Heinz ein sehr erfolgreicher Kaufmann, Eva schlug nach Kriegsende eine akademische Laufbahn ein.

Irmgard Ditze verheiratete sich in erster Ehe 1934 mit Theodor Heinz Rosenberg (29.11.1907 – 3.11.1976), einem Dreher und Maschinenbauer. Am 29.10.1934 kam der gemeinsame Sohn Michael Rosenberg zur Welt. Theodor war der Sohn der Hamburger Schauspielerin und Chor-Sängerin Martha Petersen (1877 – 1968), der Tochter eines Goldschmiedes, und des in Hamburg und in Lodz/Polen tätigen Kaufmanns Carl Rosenberg, einem deutschen Juden. In Lodz hatten sich die Beiden während eines Gastspiels der Staatsoper Hamburg kennengelernt. Carl Rosenberg war im Wollhandel wohlhabend geworden.

Als die Nationalsozialisten an die Macht kamen und ihre Rassenideologie zur Staatsdoktrin erhoben, galten Theodor Rosenberg wie auch seine Ehefrau Irmgard als "Mischlinge ersten Grades" und hatten von nun an stets mit Schwierigkeiten zu rechnen.

Die junge Familie lebte in einer 3 ½ - Zimmer-Wohnung in der Rappstraße 13, im 3. Stock, also mitten im Grindelviertel, ganz in der Nähe der Talmud-Tora-Schule, der Synagoge am Bornplatz und dem Zentrum der Deutsch-Israelitischen Gemeinde zu Hamburg in der Beneckestraße.

Die Ehe von Theodor und Irmgard Rosenberg hielt nicht lange. Irmgard verließ ihren Mann, die Ehe wurde am 25.12.1939 geschieden. Sie zog mit dem vierjährigen Michael zunächst in die Straße Ophagen, eine Seitenstraße der Kieler Straße in Altona-Nord, dann zu ihrer Mutter in den Droopweg 16 im Stadtteil Hamm-Mitte. Die freundschaftliche Beziehung zu Theodor, dem Vater ihres Kindes, und vor allem zu "Mama" Martha hielt Irmgard jedoch aufrecht. So lebte Michael wie vereinbart zeitweilig bei ihr, zeitweilig bei seinem Vater.

Diese guten Kontakte sollten sich noch als sehr hilfreich erweisen.

Irmgard hatte unterdessen einen neuen Lebensgefährten gefunden, Karl Posner.

Karl Posner war am 6.3.1904 in Hamburg geboren worden, hatte die Oberrealschule am Holstentor besucht, Jura studiert und arbeitete als Prokurist bei den Norddeutschen Metallwerken/ Manufactur von Fahrrädern von Goldschmidt und Mindus (Verwaltungszentrale Hohe Bleichen 32). Karl war Jude und seit 1926 Mitglied der Jüdischen Gemeinde. Er verdiente sehr gut, wie die Eintragungen in seiner Kultussteuerkarte zeigen und bezahlte stets den festgesetzten Betrag: In den 19-dreißiger Jahren waren dies jährlich rund 120 RM, 1940 sogar 144 RM. Er wohnte zu dieser Zeit zusammen mit seinem Vater Ismar Posner (*20.11.1870 in Breslau), einem Handelsvertreter, in der Heimhuder Straße 66 im Stadtteil Rotherbaum. Seine Mutter, Emilie Posner geb. Halberstadt (*25.3.1872 in Hamburg), war bereits 1927 gestorben. Sie stammte aus einer alten Hamburger jüdischen Familie. Ihr Vater war der Händler Wolff Levin, genannt Halberstadt; die Mutter war Bela, genannt Bertha, geborene Nussbaum. Die Familie lebte im Neuen Steinweg 57 in der Neustadt, also in einer jener Straßen, die bis Ende des 19. Jahrhunderts das Haupt-Wohngebiet der Hamburger Juden waren, bevor das gehobenere Viertel Rotherbaum, speziell das Grindelviertel, an die erste Stelle rückte.

Die sich nach der nationalsozialistischen Machtübernahme radikalisierende antisemitische Politik bedrängte auch Karl und Ismar Posner immer mehr. Letzterer verlor nach und nach seine Kunden. Eine Eintragung in seiner Kultussteuerkarte lautet bereits für 1935: "Wird von seinem Sohn Karl erhalten."

Am 31.10.1938 aber wurde die Metallwaren-Manufactur Goldschmidt und Mindus "arisiert" und Karl entlassen. Die große Wohnung in der Heimhuder Straße konnte die Familie nicht mehr halten. Vater und Sohn zogen zur jüdischen Familie Wertheimer in die Wagnerstraße 1b, 2. Stock, in Bahrenfeld (heute Von-Sauer-Straße). Karl Posner ernährte sich und seinen Vater zunächst von seinem Lohn als Arbeiter in einer Transportfirma, dann als Malergehilfe. Er scheint auch in der Jüdischen Gemeinde etwas hinzuverdient zu haben.

Am 7. Juni 1940 heirateten Irmgard Rosenberg und Karl Posner nach jüdischem Ritus in der Neuen Synagoge am Dammtor. (Dies war die letzte noch benutzbare Synagoge Hamburgs in der NS-Zeit. Sie lag wenige Schritte entfernt von der bereits 1938/39 beschädigten und dann abgerissenen Hauptsynagoge am Bornplatz, auf dem heutigen Campus der Universität.)

Nach den Ausführungsbestimmungen der "Nürnberger Rassegesetze" von 1935 änderte sich Irmgards "rassische Einstufung" von einer Minute zur nächsten: Heiratete ein "Mischling ersten Grades" wie sie einen "Volljuden" wie ihren Verlobten, galt dies als jüdische Ehe. Sie wurde fortan als Jüdin behandelt, musste den zusätzlichen Vornamen Sara tragen (standesamtliche Eintragung vom 15.7.1940) und unterlag von jetzt an allen Bestimmungen der antisemitischen Verfolgung. Sie scheint zumindest bis Herbst 1940 eine Arbeitsstelle gehabt zu haben, denn in einem ihrer Briefe zu jener Zeit schrieb sie, dass sie "täglich sofort nach Büroschluss nach Haus ins Bett rase, weil ich immer sehr abgespannt bin." Sicher ist, dass sie in der Jüdischen Gemeinde ehrenamtlich soziale Arbeit leistete.

Eine Wohnung zu finden war dem jüdischen Ehepaar unmöglich. Die gute Beziehung zum Ex-Gatten Theo half aus der Notlage: Er hatte Platz in der großen Wohnung, und er sprang über den eigenen Schatten und nahm die beiden und Michael in der Rappstraße 13 auf. Zugleich zog Karls Vater Ismar Posner ein.

Irmgard Posner muss eine mutige und zupackende Frau gewesen sein. Als sie zum Beispiel ihren Sohn Michael im Sommer 1940 in der Jahnschule an der Bogenstraße anmeldete, "habe ich sofort mit dem Direktor klar und ohne Umschweife gesprochen. Er ist ein fabelhaft netter älterer Mann, der für meine Sorgen absolutes Verständnis hatte und mir versicherte, dass dem Kind nichts geschehen würde, und dass ich jederzeit das Recht hätte, bei ihm Beschwerde zu führen, falls er einmal irgendwie geneckt, gehänselt oder gar angegriffen würde." Dies ist ein Auszug aus einem Brief, den sie im Oktober 1940 an Peter Glück schrieb, ihren eingangs erwähnten Schützling aus der Jüdischen Gemeinde.

Darüber hinaus wandte sie sich an die Klassenlehrerin ihres Sohnes und bat sie inständig, ihren Sohn irgendwie mit auf die Liste für die Kinderlandverschickung (KLV) zu bringen, falls es wieder einmal so weit sei, gerade weil sie wisse, dass Michael als Kind einer Jüdin grundsätzlich davon ausgeschlossen sei. Die Lehrerin, "Frl." Brüllau, hatte auch nach zwei Jahren Irmgards Bitte nicht vergessen. Im Sommer 1942 – Irmgard war schon seit Monaten deportiert und vielleicht schon nicht mehr am Leben – wurde an der Schule wieder eine KLV-Gruppe zusammengestellt und "Frl." Brüllau fügte an den Schluss der Liste – und das sicherlich in Absprache mit dem Schulleiter G. Grimmelmann – handschriftlich einen Namen hinzu: Michael Rosenberg. Als am Ziel der Reise in Techow in der Ost-Prignitz (Brandenburg) den wartenden Gasteltern ihre Schützlinge übergeben wurden, blieb Michael übrig. Er war als Eingeschmuggelter nicht verplant. Das war vielleicht sein Glück: Eine Frau, die der Verteilung zugesehen hatte, rief: "Dann nehme ich ihn! Familie Pfennig, Richard und Anna Pfennig!"

Pfennigs waren "arme Leute, doch reich an Herzen", wie Michael Rosenberg noch heute sagt. Sie waren Tagelöhner und Saisonarbeiter in der Landwirtschaft, er arbeitete zusätzlich in einem Sägewerk und sie putzte im nahegelegenen Kloster Stift zum Heiligengrabe, einem vornehmen Damenstift. Sie war befreundet mit der Äbtissin Armgard von Alvensleben und der Stiftsdame Frau von Witzleben, der Schwester von Generalfeldmarschall Erwin von Witzleben (14.12.1881-8.8.1944), dem späteren Mitverschwörer vom 20. Juli 1944. Pfennigs Sohn Bruno Erwin (*15.1.1923) war bereits als Jugendlicher zur Armee eingezogen worden und in Italien stationiert.

Michael bekam sein Zimmerchen und wurde in den nächsten beiden Jahren, bis die Kinder im Winter 1944/45 in die Region Scharbeutz an der Ostsee verlegt wurden, wie das eigene Kind versorgt, mit Geburtstagsfest, Weihnachtsbescherung, Ausflügen und mit viel alltäglicher Zuwendung. Und wenn auch nicht darüber gesprochen wurde, Pfennigs wussten natürlich, wie es um den Jungen und seine Mutter stand. Sie waren Nazi-Gegner. Dies wurde durch eine Denunziation offenbar. Die Gestapo zitierte Richard Pfennig Anfang November 1944 zum Verhör nach Berlin, er geriet vermutlich in Panik und erhängte sich während der Zugfahrt.

Wenige Tage später wurde Anna Pfennig die nächste Schreckensnachricht überbracht: Bruno Erwin, ihr einziges Kind, war in Italien ums Leben gekommen. Postum erhielt er das EK I (Eiserne Kreuz Erster Klasse) zugeteilt.

Unterdessen hatten in Hamburg Irmgard und Karl Posner den Deportationsbefehl für den Transport am 8. November 1941 in das Getto Minsk erhalten, dem sie Folge leisten mussten.

Michael Rosenberg erinnert sich: Eines Tages sei seltsame Unruhe in der Wohnung gewesen, Leute gekommen und gegangen, mehr als sonst, aber man habe ihm nichts erklärt. Dann, als es dunkel geworden sei, habe ihn seine Mutter ins Bett geschickt. Er habe nicht schlafen können, sei schließlich aufgestanden und habe die Mutter gesucht, Karl gesucht, vergeblich. Der Vater, Theo Rosenberg, habe ihm endlich die Abreise der Mutter und Karls gestanden, dann seien sie, nach langem Bitten und Flehen noch in der Nacht zum Logenhaus an der Moorweidenstraße, dem Sammelplatz, gegangen und er habe unter den vielen Menschen, die da schweigend wartend herumstanden, nach seiner Mutter gesucht und gerufen, aber er habe sie nicht gefunden, es sei kaum etwas zu sehen gewesen, es gab keine Straßenbeleuchtung, es war tiefe dunkle Nacht.
Wie Irmgard und Karl Posner im Getto Minsk lebten, wissen wir nicht sicher. In einem Brief an "Mama" Martha Rosenberg vom 4. Juni 1941, noch aus Hamburg, schrieb Irmgard, dass sie sich "auf die Geburt eines Kindes Anfang des kommenden Jahres" freue. Das heißt: Das Kind hätte in Minsk zur Welt kommen müssen. Vielleicht bezog sich der Minsk-Überlebenden Karl Löwenstein darauf, wenn er später berichtete, im Januar habe eine Hamburgerin ein Kind geboren, sie habe es aber nicht ernähren können und es sei gestorben. "Das ganze Lager hat mit ihr getrauert", erinnerte er sich.

Nach anderen Aussagen soll Irmgard in einer Krankenstation tätig gewesen sein. Sie sei von der SS mit Genickschuss getötet worden. Als ihr amtliches Todesdatum gilt der 31.7.1942.

Belegt ist, dass Karl am 4. August 1944 in das KZ Flossenbürg (Oberpfalz) als Vorbeugehäftling Nr. 15 809 eingeliefert wurde. Am 15. Oktober durfte er auf vorbereitetem Briefbogen knapp 20 zensierte Zeilen an Angehörige senden. Karl schrieb an Theo, dessen neue Ehefrau und Michael. In diesem mit Bleistift geschrieben Brief steht unter anderem: "Ich bin hier seit Anfang August und bin glücklich, Euch nach langer Zeit jetzt schreiben zu dürfen. Es geht mir verhältnismäßig gut, und die Hoffnung auf ein Wiedersehen hält mich aufrecht. Zu einem Paket mit Lebensmitteln – Brot usw. – würde ich mich schrecklich freuen. Besten Dank im Voraus. Viele Grüße und Küsse, Euer Karl."

Es ist das letzte Lebenszeichen Karls. Wie er zu Tode gekommen ist, verhungert, durch Arbeit im Steinbruch (Deutsche Erd- und Steinwerke/DEST) oder für die Rüstungsindustrie (Flugzeug Messerschmidt) vernichtet, auf dem Todesmarsch aus Flossenbürg im April 1945 wie Tausende andere zusammengebrochen, von SS-Leuten erschossen, aus Laune ermordet – wir wissen es nicht. Als sein amtliches Todesdatum gilt der 8.5.1945.

Auch Karls Vater Ismar Posner überlebte die NS-Verfolgung nicht. Am 27. Mai 1942 hatte er auf Anordnung der Polizeibehörde die Rappstraße 13 zu verlassen und in das sogenannte Judenhaus in der Kielortallee 22 zu ziehen, der überfüllten Zwangsunterkunft für Juden, deren Deportation bereits in Planung war. Hier waren ihm noch kaum zwei Monate vergönnt. Seine Kultussteuerkarte vermerkt verharmlosend "Abwanderung 15.7.1942". An diesem Tag wurden 925 Hamburger Jüdinnen und Juden, die sich in der Volksschule an der Sternschanze hatten versammeln müssen, nach Theresienstadt verschleppt. Nummer 711 war Ismar Posner. Er lebte noch ein Vierteljahr. Die Todesfallanzeige nennt als Todesdatum den 10.11.42, als Todesursache gaben die dortigen jüdischen Ärzte "Pneumonie/Lungenentzündung" an.

Irmgards Mutter Rebecca Ditze überlebte. Nach den schweren Bombenangriffen auf Hamburg im Juli 1943 wurde auch ihre Wohnung in Hamm-Mitte zerstört, Rebecca erkannte ihre Chance und tauchte unter. Sie fand ein Versteck in Uetersen bei ihrer Tochter Paula und deren Ehemann Georg Bolte, einem angesehenen und unverdächtigen praktischen Arzt. Sie schafften es, Rebecca durch den Krieg zu bringen, zu ernähren, zu versorgen. Als die Jüdische Gemeinde in Hamburg wieder gegründet war, kehrte sie nach Hamburg zurück, wurde am 10.10.1947 wieder Mitglied und zog in das Pflege- und Altenheim der jungen Gemeinde in der Sedanstraße 23 im Grindelviertel. Sie starb am 19.3.1958 im Israelitischen Krankenhaus an Kreislaufstörungen und Elephantiasis (Vergrößerung von Körperteilen).

Verbrecherisches wurde auch Irmgards Schwester Eva (*8.1.1915) angetan: In dem Wahn von der Reinerhaltung der "arischen Rasse" wurde Eva zwangssterilisiert. Sie überlebte die NS-Zeit, heiratete nach Kriegsende den amerikanischen Offizier Stanley Miller und zog mit ihm in die USA.

Irmgards Bruder Karl Ditze (28.8.1906 –9.1.1993) machte erstaunlicherweise bereits in der NS-Zeit unbehelligt eine erfolgreiche Karriere als international tätiger Kaufmann mit Aufenthalten in England und Australien. Nach dem Krieg brachte er es bis auf den Chefposten der Unternehmensgruppe Rotring, dem Hamburger Schreibwarenhersteller. Er hinterließ die K. H. Ditze-Stiftung, die verschiedene Hamburger Hochschulen sowie karitative Einrichtungen noch heute mit beachtlichen Beträgen unterstützt. Er war u.a. Ehrensenator der Fachhochschule Hamburg und Träger des Großen Verdienstkreuzes des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland.

Karl Posner hatte eine Schwester, Ellen, geboren am 22.8.1907 in Hamburg. Sie besuchte zwischen 1918 und 1924 das Emilie-Wüstenfeld-Lyzeum, stets mit guten und sehr guten Zeugnissen, dann die Grone-Handelsschule und wurde Stenotypistin und Buchhalterin. Von 1933 bis 1936 arbeitete sie als Buchhalterin der Zionistischen Vereinigung Hamburg. 1937 machte sie eine landwirtschaftliche Ausbildung, mit dem Plan nach Palästina auszuwandern (Hachscharah). Sie war zugleich sehr aktiv in der Organisation und Leitung des jüdischen Sportvereins Bar Kochba. Noch 1937 verließ sie Deutschland und kam über Holland nach Kenia (1939), das damals noch britische Kolonie war. Sie verheiratete sich dort 1946 mit dem aus Österreich geflohenen Juden B. Switzer. Das Leben in Kenia war extrem hart, da von den Kolonialbehörden eine reguläre Arbeitsaufnahme untersagt war. 1947 emigrierten beide nach Kanada und schließlich nach England (1954). Ellen war dem Nazi-Terror entkommen, aber sie war sehr krank geworden und litt während ihres weiteren Lebens an Angstzuständen und wurde gequält "von dem schlechtem Gewissen, den Vater verlassen zu haben."

Michael Rosenberg (*1934), Irmgards Sohn, gelang es ohne häusliche Unterstützung auf eigene Faust mit verschiedenen Jobs durch die schwierigen Nachkriegsjahre zu kommen, eine Kaufmannslehre abzuschließen und schließlich einen leitenden Posten in der EDV-Entwicklung der Lufthansa zu erreichen. Er lebt in Hamburg.

Unter den Hinterlassenschaften seiner Mutter war ein Koffer, den Michael Rosenberg nach langem Zögern öffnete und zu sichten wagte. Es kamen Fotoalben und Dokumente zum Vorschein und eine Sammlung von Irmgards Korrespondenz. Sie hatte ihre Briefe mit der Schreibmaschine geschrieben und die Durchschläge abgeheftet. Diesen Schatz übereignete Michael Rosenberg 2015 der Gedenkstätte Neuengamme, wo er im Archiv gehütet wird. Dieser Koffer lieferte wesentliche Informationen für diesen Text.

Stand: September 2020
© Johannes Grossmann

Quellen: StaH 351-11 AfW 28792 (Irmgard Amanda Posner); StaH 213-13 AfW 13557 (Karl Posner/Ellen Switzer-Posner); StaH 351-11 AfW 32464 (Ellen Switzer); StaH 314-15 OFP R 1941/0210 (Karl Posner); StaH 213-13 AfW 13558 (Ismar Posner); StaH 213-13 AfW 25459 (Irmgard Posner); 351-11 AfW 1810 (Rebecca Ditze); StaH 351-11 AfW 53612 (Karl Ditze); StaH 332-5 Standesämter 14224/588 (1904); StaH 332-5_2867 (1896); StaH 332-5_8120 (1933); 332-5_6196; 332-5_8073 (1872); StaH 332-5_2033 (1882); StaH 332-5_9131 (1897); StaH 332-5_8059; StaH 332-5_8073 (1923); 522-1 Jüdische Gemeinden, 992b Kultussteuerkarten Rebecca Ditze, Ismar Posner, Karl Posner; StaH 522-1 Deportationslisten 992e1 Band 6 Theresienstadt 15.7.1942 sowie 992e1 Band 2, Minsk 11.8.1941; Todesanzeigen Hamburger Abendblatt vom 15.1.1993 (Karl Ditze); Ditze-Stiftung, Link: http://ditze-stiftung.de/portrait_ditze.html; Adressbücher Hamburg 1923 – 1943; Adressbücher Wandsbek 1896 – 1930; Amtliches Fernsprechbuch der Oberpostdirektion Kiel, 1941 Bereich Uetersen; Auskunft Standesamt Heiligengrabe (zu Bruno Pfennig), 17.9.2020; Archiv KZ-Gedenkstätte Neuengamme, Exponatesammlung, F.079; KZ-Gedenkstätte Neuengamme: Interviews von Sandra Wachtel mit Michael Rosenberg am 7.4.2015 und 19.5.2015; Claims Conference/ Vladimir Bokun Studio/Minsk, belarussischer Videofilm über Deportationen aus Deutschland und Österreich nach Minsk (in englischer Sprache), https://www.dropbox.com/s/xn2yd4pudmmi32w/%D0%97%D0%9E%D0%9D%D0%94%D0%95%D0%A0%D0%93%D0%95% D0%A2%D0%A2%D0%9E%2B%20engl%20R%202019.mp4?dl=0; KZ Flossenbürg, Link: https://www.gedenkstaette-flossenbuerg.de/de; Hörspielstolpersteine: Link: https://hoerstolpersteine.net/irmgard-und-karl-posner; https://; Link Bericht über den Koffer: www.kz-gedenkstaette-neuengamme.de/nachrichten/news/ein-bewegendes-konvolut-an-briefen-und-erinnerungsstuecken/; Peter Petersen, Durchgemogelt/Die Memoiren von Peter Petersen, Hamburg 2012; Heinz Rosenberg, Jahre des Schreckens/…und ich blieb übrig, dass ich Dir’s ansage, Göttingen 1992; Beate Meyer (Hrsg.), Die Verfolgung und Ermordung der Hamburger Juden 1933-1945, Hamburg 2006; Beate Meyer, "Jüdische Mischlinge", Rassenpolitik und Verfolgungserfahrung 1933-1945, Hamburg 1999; Beate Meyer, Bremer und Hamburger Juden im Ghetto Minsk, Vortrag, 2017; Johannes Grossmann, Gespräche mit Michael Rosenberg am 2.3.2020 und 10.8.2020 sowie weitere telefonische und Mail-Kontakte.

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