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Bereits verlegte Stolpersteine



Kurt Glassmann * 1900

Haynstraße 5 (Hamburg-Nord, Eppendorf)


HIER WOHNTE
KURT GLASSMANN
JG. 1900
EINGEWIESEN 1940
HEILANSTALT LANGENHORN
"VERLEGT" 23.9.1940
BRANDENBURG
ERMORDET 23.9.1940
"AKTION T4"

Weitere Stolpersteine in Haynstraße 5:
Liselotte Brinitzer, Fanny David, Arno Glassmann, Helene Herzberg, Eleonore Holz, Jacob Holz, Antonie Fanny Riess, Helma Wehl, Irma Zancker

Kurt Glassmann, geb. am 21.11.1900 in Ahlbeck in der Ueckermünder Heide, ermordet am 23.9.1940 in der Tötungsanstalt Brandenburg an der Havel
Arno Glassmann, geb. am 4.2.1898 in Ahlbeck, am 8.11.1941 nach Minsk deportiert

Stolperstein Hamburg-Eppendorf, Haynstraße 5

Kurt Glassmann wurde am 21. November 1900 in Ahlbeck geboren. Sein Vater, Moses Hirsch Glassmann, genannt Max, stammte aus einer jüdischen Familie in Ahlbeck in der Ueckermünder Heide. Kurts Mutter Johanna Glassmann, geborene Manasse, kam in Dölitz im Kreis Pyritz in Pommern zur Welt. Auch sie bekannte sich zur jüdischen Religion. Moses Hirsch Glassmann und Johanna Manasse heirateten 1896 in Dölitz.

Als erstes Kind bekamen die Eheleute Glassmann den am 22. Oktober 1896 geborenen Herbert. Ihm folgte am 4. Februar 1898 Arno. Erna, das dritte Kind, starb nur vier Wochen nach seiner Geburt im Juli 1899. Kurt wurde am 21. November 1900 wie seine älteren Geschwister in Ahlbeck geboren. Das jüngste Kind, Edith, kam am 14. Januar 1904 in Arnswalde in der früheren Provinz Pommern (heute: Choszczno in der polnischen Woiwodschaft Westpommern) zur Welt.

Die Familie Glassmann lebte von 1903 bis 1933 in Arnswalde. Dem Kreisadressbuch dieses Ortes ist zu entnehmen, dass "Max Glaßmann" 1925 dort in der Steintorstraße 8 Eigentümer eines Manufaktur- und Konfektionsgeschäftes war, in dem auch Kurz-, Putz- und Schuhwaren angeboten wurden. Max Glassmann gab das Geschäft 1930 auf, als es sich infolge starken Umsatzrückgangs nicht mehr rentierte. Auch Edith Glassmann war in der dortigen Steintorstraße 8 "ohne Beruf" gemeldet. Wir wissen nicht, ob auch die anderen drei Kinder, unter ihnen Kurt Glassmann, in Arnswalde lebten.

Aus "politischen Hintergründen", wie in Johanna Glassmanns Fürsorgeakte vermerkt ist, ließ sich die Familie Glassmann am 20. September 1933 in Hamburg, Grindelberg 33, nieder. Laut Max Glassmanns Kultussteuerkarte trat er der Jüdischen Gemeinde am 15. November 1935 bei. Im Hamburger Adressbuch wurde er erstmalig im Jahre 1935 als Rentner unter der Adresse Grindelberg 33 verzeichnet. Die Familie lebte von den Ersparnissen aus der früheren Geschäftstätigkeit.

Über Kurt Glassmanns Lebensgeschichte ist wenig überliefert. Eine Fürsorgerin berichtete nach einem Besuch bei der Familie im Juli 1935, Kurt habe einen "erbärmlichen Eindruck" gemacht. Die Familie sei mittellos. Sie habe ihr erspartes Vermögen aufgebraucht. Miete und Strom könnten nicht mehr bezahlt werden. Um nicht zu verhungern – so die schwer zuckerkranke Johanna Glassmann –, müsse "die Fürsorge in Anspruch genommen werden".

Max Glassmann starb völlig verarmt am 22. Dezember 1935. Kurz darauf zog Johanna Glassmann zu ihrer Tochter Edith nach Leipzig. Edith war dort mit dem Kaufmann Heinrich Seckel verheiratet und hatte zwei Kinder. Johanna Glassmann starb am 30. November 1937 in Leipzig im Alter von 66 Jahren. Max und Johanna Glassmann wurden nebeneinander auf dem Jüdischen Friedhof Ilandkoppel in Hamburg-Ohlsdorf beigesetzt.

Kurt Glassmann wurde am 15. Januar 1936 wegen einer psychischen Erkrankung in das Allgemeine Krankenhaus Eppendorf eingewiesen. In dem "Vertrauensärztlichen Gutachten" zu dieser Einweisung wird er extrem negativ beschrieben: "Dem Gesichtsausdruck nach hinterlistiger und heimtückischer Pat.[ient]. Der so aussieht, als ob er sich jeden Augenblick auf den untersuchenden Arzt stürzen wollte." Dies dürfte auch damals schon nicht dem ärztlichen Standard entsprochen, sondern eher die Antipathie des Arztes ausgedrückt haben. Von Eppendorf kam Kurt Glassmann am 23. Januar 1936 in die Staatskrankenanstalt Hamburg-Langenhorn.

Dort erhielt er jeden Sonntag Besuch von Frau Poppenberg, der Vermieterin und Betreuerin seiner Mutter. Sie brachte ihm regelmäßig Pakete, wahrscheinlich mit Lebensmitteln. Auch Arno Glassmann besuchte seinen Bruder oft in der Anstalt. Am 30. März 1937 wurde Kurt in das Krankenhaus Eppendorf verlegt und am 5. April 1937 nach Langenhorn zurückverlegt. Während dieses Krankenhausaufenthaltes könnte Kurt Glassmann sterilisiert worden sein.

Im Frühjahr/Sommer 1940 plante die "Euthanasie"-Zentrale in Berlin, Tiergartenstraße 4, eine Sonderaktion gegen Juden in öffentlichen und privaten Heil- und Pflegeanstalten. Sie ließ die in den Anstalten lebenden jüdischen Menschen erfassen und in staatlichen sogenannten Sammelanstalten zusammenziehen. Die Heil- und Pflegeanstalt Hamburg-Langenhorn wurde zur norddeutschen Sammelanstalt bestimmt. Alle Einrichtungen in Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg wurden angewiesen, die in ihren Anstalten lebenden Juden bis zum 18. September 1940 dorthin zu verlegen. Nachdem alle jüdischen Patienten aus den norddeutschen Anstalten in Langenhorn eingetroffen waren, wurden sie gemeinsam mit den dort bereits länger lebenden jüdischen Patienten am 23. September 1940 in einem Transport von insgesamt 136 Menschen nach Brandenburg an der Havel gebracht. Noch am selben Tag wurden sie in dem zur Gasmordanstalt umgebauten Teil des ehemaligen Zuchthauses mit Kohlenmonoxyd getötet. Nur eine Patientin, Ilse Herta Zachmann, entkam diesem Schicksal zunächst (siehe dort).

Wir wissen nicht, ob und ggf. wann Kurt Glassmanns Angehörige Kenntnis von seinem Tod erhielten. Falls Angehörige informiert wurden, erhielten sie falsche Angaben. In allen dokumentierten Sterbemitteilungen wurde behauptet, dass der oder die Betroffene Chelm (polnisch) oder Cholm (deutsch), einer Stadt östlich von Lublin verstorben sei. Die in Brandenburg Ermordeten waren jedoch nie in Chelm/ Cholm. Die dort früher existierende polnische Heilanstalt bestand nicht mehr, nachdem SS-Einheiten am 12. Januar 1940 fast alle Patienten ermordet hatten. Auch gab es in Chelm kein deutsches Standesamt. Dessen Erfindung und die Verwendung späterer als der tatsächlichen Sterbedaten dienten dazu, die Mordaktion zu verschleiern und zugleich entsprechend länger Verpflegungskosten einfordern zu können.

Auch Kurt Glassmanns Brüder kamen im Holocaust ums Leben. Arno Glassmann versuchte seinen Lebensunterhalt durch ambulanten Kleinhandel zu sichern. 1935 und 1936 leistete er Unterstützungsarbeit in Groß Borstel. In seinem Antrag auf Fürsorgeleistungen vom April 1939 bezeichnete er sich als Koch und Diener. Zeitweise wohnte er in der Haynstraße 5 in Hamburg-Eppendorf. Am 8. November 1941 wurde er nach Minsk deportiert und kam wahrscheinlich dort zu Tode. Herbert Glassmann lebte in Berlin-Wilmersdorf. Er wurde am 5. September 1942 von Berlin nach Riga deportiert und starb dort am 8. September 1942. Das Schicksal von Edith Seckel, geborene Glassmann, und ihrer Familie ist nicht bekannt.

An Kurt und Arno Glassmann erinnern Stolpersteine vor dem Wohnhaus Haynstraße 5. Dadurch wird das Gedenken an die ermordeten Mitglieder der Familie Glassmann an einem Ort ermöglicht.

Stand: November 2017
© Ingo Wille

Quellen: 1; 4; 5; 9; AB; StaH 133-1 III Staatsarchiv III, 3171-2/4 U.A. 4, Liste psychisch kranker jüdischer Patientinnen und Patienten der psychiatrischen Anstalt Langenhorn, die aufgrund nationalsozialistischer "Euthanasie"-Maßnahmen ermordet wurden, zusammengestellt von Peter von Rönn, Hamburg (Projektgruppe zur Erforschung des Schicksals psychisch Kranker in Langenhorn); 332-5 Standesämter 8131 Sterberegister Nr. 576/1935 Moses Hirsch (Max) Glassmann; 351-14 Arbeits- und Sozialfürsorge – Sonderakten – 1190 Johanna Glassmann, 1191 Arno Glassmann, 1192 Kurt Glassmann; 352-8/7 Staatskrankenanstalt Langenhorn Abl. 1/1995 Aufnahme-/Abgangsbuch Langenhorn 26.8.1939 bis 27.1.1941; Stadtarchiv Leipzig, Standesamt Leipzig I, Sterberegister Nr. 5072/1937 Johanna Glassmann; Standesamt Eggesin, Nr. 82/1900 Geburtsregister Kurt Glassmann; http://www.genealogienetz.de/reg/BRG/neumark/Arnswalde/kaba_001.htm (Zugriff 18.4.2016).
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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