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Frieda Gelbart (geborene Feigen) * 1892
Eimsbütteler Chaussee 98 (Eimsbüttel, Eimsbüttel)
HIER WOHNTE
FRIEDA GELBART
GEB. FEIGEN
JG. 1892
"POLENAKTION" 1938
BENTSCHEN / ZBASZYN
ERMORDET IM
BESETZTEN POLEN
Weitere Stolpersteine in Eimsbütteler Chaussee 98:
Jakob Jankel Gelbart, Josef Gelbart, Friedrich Oppenheim, Irma Oppenheim, Hermann Oppenheim
Jakob Jankel Gelbart, geb. am 31.3.1894 in Kalisz/Polen, am 16.9.1939 in das KZ Sachsenhausen verbracht, dort am 16.2.1940 gestorben
Frieda Gelbart, geb. Feigen, geb. am 4.7.1892 in Zloczew/Polen, am 28.10.1938 nach Zbaszyn/Polen abgeschoben, 1939 ins Warschauer Getto verbracht, "verschollen" im besetzten Polen
Josef Gelbart, geb. am 28.2.1914 in Altona, am 28.10.1938 nach Zbaszyn/Polen abgeschoben, 1939 ins Warschauer Getto verbracht, "verschollen" im besetzten Polen
Eimsbütteler Chaussee 98 (früher Eimsbütteler Chaussee 100)
Das Ehepaar Jakob (auch Jankel genannt) und Frieda (auch Frejdla genannt) Gelbart war aus dem Osten eingewandert.
Jakob Gelbart war am 31. März 1894 in Kalisz oder dem daneben liegenden Zloczew, einer Kleinstadt in der Nähe von Lodz, geboren worden. Die Gegend gehörte damals zu Kongresspolen, sie wurde faktisch von Russland beherrscht. Jakob besaß daher vermutlich - zumindest zunächst - die russische Staatsangehörigkeit. (Dies geht aus einer Abschrift seiner Aufenthaltsbescheinigung hervor). Über Jakob Gelberts familiären Hintergrund ist nicht viel bekannt. In seinem Umfeld taucht auch ein Wolf Gelbart aus Zloczew auf - vielleicht hatte Jakob Brüder. Wolf und Jakob Gelbart waren beide Schneider.
Auch Frieda Feigen stammte aus Zloczew; sie war am 4. Juli 1892 als Tochter von Abram und Alta Feigen als viertes von acht Kindern geboren worden. Außer ihr und ihrer Schwester Ester wanderten alle Familienmitglieder zu Beginn des 20. Jahrhunderts nach und nach in die USA aus und ließen sich in Illinois nieder.
Frieda Feigen aber emigrierte mit ihrem Mann nach Altona, wo sie von Mai 1913 bis Oktober 1918 eine Wohnung in der Großen Mühlenstraße (heute Amundsenstraße) bewohnten. Diese lag inmitten der engen, armen und vollen damaligen Altonaer Altstadt, in der Slum-ähnliche Verhältnisse herrschten. Dort wurden auch die beiden Söhne geboren, Josef am 28.2.1914 und Bernhard am 16.3.1918.
Dann zog die Familie nach Hamburg in die Eimsbütteler Chaussee 122 um. Damit wechselte auch die Gemeindezugehörigkeit, ab 1920 gehörte die Familie der Deutsch-Israelitischen Gemeinde Hamburgs an.
Jakob Gelbart arbeitete als selbständiger Schneider. Josef besuchte ab 1920 die Talmud-Tora-Realschule, Bernhard folgte 1924 dorthin. Jakob Gelbarts vermutlicher Bruder Wolf lebte 1925 mehrere Monate in der Wohnung der Familie. Auch Friedas Schwester Ester Sroka (siehe www.stolpersteine-hamburg.de) lebte inzwischen mit ihrem Mann Moszek - gleichfalls Schneider - im Großraum Hamburg, und zwar in Harburg.
Im Jahr 1926 veränderte sich das Familienleben dann jäh und einschneidend: Der Vater Jakob verließ die Familie und zog wohl nach Berlin. Frieda musste nun allein für die beiden Söhne sorgen. Nach der Erinnerung ihres Sohnes Bernhard waren dies schwere Zeiten. Zumindest Josef und Frieda mussten zeitweise Fürsorge beantragen. Offensichtlich schickte Jakob nicht regelmäßig Geld aus Berlin, und auch sonst sah es nicht nach einer einvernehmlichen Trennung aus, denn Frieda versuchte über die Vermittlung der Gemeinde-Fürsorgerin und mehrerer Rabbiner, von ihrem Mann die Scheidung zu erlangen. Nach den Unterlagen der Gemeinde-Fürsorgerin blieben ihre Anstrengungen erfolglos, wobei unklar bleibt, ob Jakob sich weigerte oder schlicht in Berlin nicht auffindbar war. Was genau die Eltern ihren Söhnen darüber mitteilten, wissen wir nicht. Da Sohn Bernhard berichtete, sein Vater sei gestorben, als er acht Jahre alt gewesen sei, also 1926, brach der Kontakt vermutlich gänzlich ab.
1934 zog Frieda Gelbart mit den Söhnen um in die Fruchtallee 115; nun ließ sie ihren eigenen Namen im Hamburger Adressbuch eintragen.
Als Schüler gehörten beide Jungen dem Jüdischen Jugendbund an. Diese nach dem Ersten Weltkrieg stark zionistisch ausgerichtete Jugendorganisation vereinte die naturverbundenen Ideen der damaligen allgemeinen Jugendbewegung mit sozialistischen und auf Auswanderung nach Palästina gerichteten Inhalten, die sie in ihren Schulungen vermittelte. Es gibt keine Hinweise darauf, dass Josef auch später noch ein entsprechendes Engagement aufrecht erhalten hat. Aber er wurde überzeugter Zionist, war in seinen Anschauungen der radikalere von beiden, plante jedoch nie konkret seine Auswanderung. Bernhard, der auch nach der Schulzeit politische Jugendarbeit betrieb, begleitete nach dem deutschen Überfall auf Polen 1939 eine Gruppe Jugendlicher nach Palästina und blieb dort.
Josef Gelbart war nicht besonders kräftig und oft krank, er litt zudem unter Schwerhörigkeit. Während seiner 10jährigen Schulzeit in der Talmud-Tora-Schule schwankten seine Leistungen, doch im Betragen erhielt er durchgängig eine 1. 1930 schloss er die Schule ab und begann eine Lehre als Imker. Später arbeitete er in der Kerzen- und Wachsfabrik Stockmar in Kaltenkirchen. Wie lange diese Beschäftigung dauerte, ist unklar. In der Kultussteuerkartei wird Josef Gelbart im Juli 1936 als arbeitslos und Fürsorgeempfänger von der Jüdischen Gemeinde registriert.
Das Verhältnis zwischen dem Firmenchef Hans Stockmar und seiner Familie und Josef, von Stockmars "Jupp" genannt, ging jedenfalls weit über die Beschäftigung hinaus; Stockmar soll wie ein väterlicher Freund für Josef gewesen sein und spätere Briefe lassen auf philosophische Gespräche, gemeinsame verbrachte Nachmittage im Garten und anderen engen Kontakt schließen.
1936 zogen Frieda und Josef Gelbart wieder in die Eimsbütteler Chaussee, diesmal ins Haus Nr. 100. Ob Bernhard noch an diesem Umzug teilnahm, darf bezweifelt werden. Er arbeitete seit seinem Schulabschluss als Jugendredakteur beim Israelitischen Familienblatt und zog, nachdem die Redaktion 1936 nach Berlin verlegt worden war, seinerseits nach Mannheim. Allerdings hielt er Kontakt zur Familie und dürfte diese auch regelmäßig finanziell unterstützt haben.
Ob die Angehörigen der Familie Gelbart eigentlich jemals die polnische Staatsangehörigkeit erworben hatten, ist nicht bekannt. Zloczew, der Heimatort der Eltern, lag seit der Wiedergründung des unabhängigen polnischen Staates 1918 in dessen Staatsgebiet, war aber bei ihrer Auswanderung noch russisch gewesen. Bernhard besaß 1938 einen polnischen Pass, aber ob Frieda und Josef Gelbart jemals Pässe beantragt hatten, ist nicht bekannt. Der Vater Jakob hingegen wurde bei späterer Gelegenheit als "staatenlos" bezeichnet.
Mit vielen hundert anderen polnischstämmigen Hamburgerinnen und Hamburgern wurden Frieda und Josef Gelbart am 28. Oktober 1938 im Rahmen der "Polenaktion" aus ihren Wohnungen geholt und mit der Bahn an die polnische Grenze gefahren. Sie konnten ihre Abreise weder vorbereiten noch außer ihrem Koffer etwas mitnehmen. An der Grenze wurden die Menschen mit Schusswaffen auf das polnische Staatsgebiet getrieben, wo tausende in dem Örtchen Zbaszyn strandeten. Zunächst wurden sie in Ställen, Schuppen und allem, was eine Art Dach über dem Kopf bot, untergebracht.
Nach wenigen Tagen trafen die ersten Hilfslieferungen jüdischer Organisationen aus Warschau ein. In den darauffolgenden Wochen wurde für die Flüchtlinge ein Lager mit gewisser Infrastruktur errichtet. Innerhalb von wenigen Wochen waren alle Menschen notdürftig untergebracht, sogar ein kleines Krankenhaus existierte, Werkstätten für Schneider, Schuster, Zimmerleute, Beratungsstellen für Rechts- und Auswanderungsangelegenheiten, Schulen und Sportvereine etc. entstanden provisorisch.
Hier trafen Frieda und Josef Gelbart auch Bernhard wieder, der kurz vor der "Polenaktion" aus Mannheim nach Warschau gereist war, um die Auswanderung Jugendlicher nach Palästina mit zu organisieren. Er kam nach Zbaszyn und setzte die Arbeit mit dort gestrandeten Jugendlichen fort, die auf die Alijah nach Palästina vorbereitet wurden.
Vermutlich durch Bernhards Kontakte gelang es Josef und seiner Mutter, im Frühjahr 1939 von Zbaszyn nach Otwock, einer Kleinstadt ca. 35 km südöstlich von Warschau, überzusiedeln. Hier erhoffte sich Josef, eine Imkerei zu übernehmen und eine kleine Wachszieherei aufzubauen, während Bernhard im 100 km entfernten Grochow mit Jugendlichen auf einem Lehrbauernhof arbeitete. Der deutsche Überfall am 1. September 1939 zerstörte diesen Plan.
Die nächsten Lebenszeichen von Josef und Frieda Gelbart stammen aus Warschau: Spätestens ab Januar 1940 wohnten sie im Zentrum des später von den Nationalsozialisten errichteten Gettos in der Milastraße Nr. 34, Zimmer 52.
Über den Überlebenskampf und die zunehmende Verelendung von Josef und Frieda Gelbart geben Briefe Auskunft, die Josef bis zum Mai 1942 an seinen ehemaligen Arbeitgeber und väterlichen Freund Hans Stockmar schrieb. Dieser hielt die Verbindung zu Josef auch noch ins Getto und unterstützte ihn mit Post und Paketen, die offensichtlich auch angekommen sind.
Neben Lebensmitteln, Kerzen und Batterien für Josefs Hörgerät schickte Familie Stockmar regelmäßig Kleidung und Textilien an Josef, durch deren Verkauf dieser sich und seine inzwischen an Flecktyphus erkrankte Mutter notdürftig über Wasser halten konnte. Bis Anfang 1941 konnten sie auch mit dem Bruder Bernhard brieflichen Kontakt halten, bis dieser nach Haifa flüchtete und der Kontakt abbrach. Die lebenszermürbenden Umstände im Getto mit Hunger, Kälte und Krankheit zehrten unaufhaltsam an den Kräften von Josef und Frieda. Auch Josef erkrankte an Flecktyphus und seine Mutter musste, so schrieb er Anfang 1942, operiert werden. Die letzte erhaltene Postkarte von Josef Gelbart an Hans Stockmar ist auf den 20. Mai 1942 datiert.
Ob Josef und Frieda Gelbart ihren Krankheiten im Getto erlagen oder in Vernichtungslager Treblinka ermordet wurden, in das ab Juli 1942 die Deportationszüge aus dem Warschauer Getto fuhren, ist nicht bekannt.
Jakob Gelbart, der – wie erwähnt – 1926 nach Berlin gegangen war, wurde wahrscheinlich nicht im Rahmen der "Polenaktion" nach Zbaszyn abgeschoben, obwohl sein Name auf einer entsprechenden Liste der Gestapo auftaucht. Er dürfte sich in Berlin aufgehalten haben, wenn er dort auch nie angemeldet war. Zwar durften einige Abgeschobene wie beispielsweise Frieda Gelbarts Schwager Moszek Sroka vorübergehend nach Deutschland zurückkehren, um ihre Angelegenheiten zu regeln, doch trifft dies vermutlich nicht auf den staatenlosen Jakob Gelbart zu. Wahrscheinlicher ist, dass er sich in Berlin noch einige Monate versteckt halten konnte. Sein letzter Berliner Wohnort war Weinbergsweg 1 bei Kiewe. (Jacob Kiewe, bei dem er dort lebte, wurde im November 1941 nach Lodz deportiert, wo er im März 1942 starb.)
Nach dem Beginn des Zweiten Weltkrieges verhaftete die Gestapo reichsweit polnischstämmige Juden als "feindliche Ausländer" und wies sie in Konzentrationslager ein. Dort lebten sie unter noch erbärmlicheren Umständen als die übrigen Gefangenen, so dass die Todesrate extrem hoch lag. Auch Jakob/Jankel Gelbart wurde am 16. September 1939 unter der Häftlingsnummer 9573 im KZ Sachsenhausen registriert, wo er am 16. 2.1940 starb, angeblich an Darmkatarrh.
Die Urne mit seiner Asche wurde nach Berlin geschickt und einer "arischen Bekannten", Meta Gedatus, übergeben, die die Beisetzung auf dem Jüdischen Friedhof Weissensee veranlasste. Dort, im Kremafeld G7, erinnert eine Stele auch an einen "Jankel Gielbart".
Die Jüdische Kultusvereinigung Berlin vermerkte ohne weitere Zusätze in ihren Unterlagen, dass Jakob/Jankel Gelbart verstorben sei.
Epilog:
1996 veröffentlichte Konrad Plieninger Josef Gelbarts Briefe auszugsweise für das jüdische Museum Göppingen in einer Broschüre unter dem Titel, "Ach, es ist alles ohne Ufer". Diese Broschüre kann beim Jüdischen Museum Göppingen bestellt werden.
Die Briefe hatte das Museum von einer Enkeltochter Hans Stockmars erhalten. Die Originale konnten dem Bruder Bernhard (der sich inzwischen Dan nannte) übergeben werden.
Stand: März 2021
© Carola von Paczensky
Quellen: 1, 2, 5, 8, StaH - 11 Amt für Wiedergutmachung 42162; StaH A 30 Fremdenkartei K6117; StaH 522-1 Geburtsregister Hochdeutsch-Israelitischer Gemeinde Altona, 1914 Nr. 4 und 1918 Nr. 6; StaH 326-6 (741-4 Sa 1244) Talmud-Tora-Schule 5183; StaH 522-1 Jüdische Gemeinden 992 f 3; www.ancestry.com: Feigen Family Tree (letzter Aufruf 8.6.2020); www.holocaustresearchproject.org/holoprelude/Zbaszyn.html (letzter Aufruf 16.6.2020); www.stolpersteine-hamburg.de: Klaus Möller Biografie Ester und Moszek Sroka; Holmer Stahncke: Altona - Geschichte einer Stadt, Hamburg 2014, S. 219f.; Rosa und Koppel Friedfertig: Bericht über ihre Abschiebung aus Hamburg in: Beate Meyer (Hrsg.): Die Verfolgung und Ermordung der Hamburger Juden 1933 - 1945, Hamburg/Göttingen 2006 S.115 – 118; Gerhard Hoch: Gerechter unter den Völkern - Hans Stockmar, Sonderdruck aus dem Heimatkundlichen Jahrbuch für den Kreis Segeberg, Bad Segeberg 2003; Konrad Plieninger: Ach, es ist alles ohne Ufer - Briefe aus dem Warschauer Ghetto, Göppingen, 2. Aufl 2002; Stephan Stockmar: Nur ziehen Sie Ihre Hand in dieser dunklen Stunde nicht zurück, in: Die Drei, 11/2002 (Stuttgart), S. 63; Werkstatt der Erinnerung in der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg, FZH/WdE Interview 402; Auskunft der Gedenkstätte Sachsenhausen vom 27.03.2019; digitales Archiv ITS Bad Arolsen, Teilbestand 1.2.4.1. Dok ID 12654901; Teilbestand 1.1.38.1. Dok ID 4118211 und 4094443; Teilbestand 1.2.1.2 Dok ID 11231979; Hamburger Adressbücher 1921 – 1938; Berliner Adressbuch 1938.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".