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Irmgard Meggers
Irmgard Meggers
© Archiv Evangelische Stiftung Alsterdorf

Irmgard Meggers * 1907

Borner Stieg 34 (Hamburg-Nord, Langenhorn)


HIER WOHNTE
IRMGARD MEGGERS
JG. 1907
EINGEWIESEN 1933
ALSTERDORFER ANSTALTEN
"VERLEGT" 16.8.1943
HEILANSTALT
AM STEINHOF, WIEN
ERMORDET 30.3.1944

Irmgard Brunhilde Meggers, geb. am 13.9.1907 in Hamburg, aufgenommen in den damaligen Alsterdorfer Anstalten (heute: Evangelische Stiftung Alsterdorf) am 25.6.1933, verlegt am 16.8.1943 nach Wien in die "Wagner von Jauregg-Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien", gestorben am 30.3.1944 in Wien

Borner Stieg 34 (Langenhorn)

Irmgard Brunhilde Meggers wurde am 13.9.1907 als ältestes von sechs Kindern der Eheleute Meggers geboren. Die Eltern, Frieda Margareta Johanne, geb. Grill, geboren am 29.4.1880 in Albersdorf in Süderdithmarschen, und Heinrich Klaus Johann Meggers, geboren am 22.1.1872 in Geltorf, Kreis Schleswig, hatten am 3. Oktober 1905 in Hamburg geheiratet.

Sie wohnten zur Zeit von Irmgards Geburt in der Beethovenstraße 13 in Barmbek-Süd. Heinrich Meggers gab seinen Beruf bei der Eheschließung als "Rhedereibeamter" an. Später nannte er sich "Privatbeamter". (Beamte sind nach heutigem Verständnis ausschließlich Bedienstete des Staates mit einer besonderen Treuepflicht gegenüber ihrem Dienstherrn. Bis in die Zeit der Weimarer Republik wurden jedoch auch mit Leitungs- und Verwaltungsfunktionen betraute Gehaltsempfänger privater Unternehmen als "Beamte" bezeichnet. Sie standen in einem besonderen Vertrauensverhältnis zur Firma und waren in ihren Rechten und Pflichten den Staatsbeamten angeglichen.)

Irmgard Meggers‘ Eltern gehörten beide der lutherischen Kirche an. Sie waren, wie später auch ihre Kinder, tief gläubig und verstanden und akzeptierten die geistige Behinderung von zweien ihrer Kinder als eine Prüfung Gottes.

Irmgard Meggers stürzte im Alter von sechs Jahren eine Treppe hinunter. Danach erlitt sie einen ersten Anfall mit Krämpfen und wurde bewusstlos. Dies wiederholte sich von Zeit zu Zeit. Sie besuchte zunächst die Volksschule und später die für Kinder mit Lernschwierigkeiten bestehende "Hilfsschule". ("Hilfsschule" war ein heute nicht mehr verwendeter Name für eigenständige sonderpädagogische oder heilpädagogische Schulen für Kinder, die man aus unterschiedlichen Gründen als nicht fähig zum Volksschulbesuch betrachtete). Doch "Erregungszustände" führten zwischen Oktober 1920 und Ende Februar 1921 zu zwei Aufenthalten in der damaligen Staatskrankenanstalt Friedrichsberg.

Am 5. April 1921 wurde Irmgard Meggers in der Staatskrankenanstalt Langenhorn aufgenommen. Ihrer Krankengeschichte zufolge litt sie dort zeitweise an Krampfanfällen, starken Erregungszuständen und Bewusstseinstrübungen. Am 15. November 1927 wurde die inzwischen zwanzig Jahre alte Frau auf eigenen Wunsch als "gebessert" entlassen. Ein Vierteljahr später, währenddessen sie bei ihren Eltern gelebt hatte, wurde sie auf Veranlassung des Wohlfahrtsamtes Hamburg am 18. Februar 1928 Bewohnerin und Patientin der Diakonischen Heim- und Pflegeanstalten in Kropp südlich von Schleswig.

In der Anstalt in Kropp lebte bereits Irmgards jüngerer Bruder Heinrich Friedrich, geboren am 30.6.1919. Die Aufnahme von Irmgard Meggers in der Anstalt erschien "vom ärztlichen Standpunkt aus notwendig im persönlichen, familiären und öffentlichen Interesse". In Kropp wurde Irmgard Meggers am 7. April 1929 konfirmiert. Die Eltern waren sehr um Irmgard besorgt. Es ist überliefert, dass sie Weihnachten 1929 bei den Eltern verbrachte und ihre Eltern auch zu vielen anderen Zeiten "auf Urlaub" besuchte.

Am 11. Dezember 1931 wurde Irmgard Meggers‘ Bruder Heinrich Friedrich in den Alsterdorfer Anstalten aufgenommen. Der Grund für seinen Wechsel ist nicht überliefert. Am 25. Juni 1933 wurde auch Irmgard Meggers Bewohnerin der Alsterdorfer Anstalten. Die Geschwister lebten nun in derselben Einrichtung und konnten sich dort öfter treffen. Zudem war die Betreuung durch die Eltern nun einfacher als Besuche in zwei weit voneinander entfernten Anstalten.

Am 7. November 1933 meldeten die Alsterdorfer Anstalten der Polizei, Irmgard Meggers sei aus der Einrichtung entwichen. Sie wurde gegenüber der Polizei als "auffallend lang und schlank, 176 cm", bekleidet mit einem blauen Waschkleid, einer Schürze, einem roten Pullover und einer Strickjacke, beschrieben. Noch am selben Tag erschien sie bei ihren Eltern in Henstedt. Irmgards Vater benachrichtigte die Alsterdorfer Anstalten: "Unsere Tochter Irmgard ist heute zu Hause angekommen und wir wollen, wenn sie sich beruhigt hat, in Güte nachsuchen, sie wieder nach dort zurückzubringen. Einstweilen behalten wir sie als beurlaubt hier. Gott zum Gruß! Gez. Heinr. Meggers".

Tags darauf richtete Heinrich Meggers ein ausführliches Schreiben an die Direktion der Alsterdorfer Anstalten: "Nach ihren Erzählungen hat sie wieder einem Mädchen ins Gesicht geschlagen. Aus Angst vor den Folgen dieser unüberlegten Handlung ist sie dann über das Gitter geklettert und entwichen. Irmgard ist wieder in einer Seelenverfassung, die ein längeres Verweilen im Elternhause unmöglich macht. Wir wollen versuchen, sie kurze Zeit zu tragen und hoffen dann, durch gütliche Überredung sie zu bewegen, in die Alsterdorfer Anstalten zurückzukehren. Ich bitte aber höflichst möglichst schon jetzt Vorkehrungen zu treffen, dass Irmgard dann in eine Anstalt gebracht wird, aus der ein Entweichen unmöglich ist, denn auch aus der Kropper Anstalt ist sie unter ähnlichen Umständen am 28.9.1932 entwichen und zu Hause angekommen. Wir haben seit vielen Jahren es immer und immer wieder versucht, Irmgard zu helfen und zurückzubringen. Unzählige Gebete haben wir für sie zum Throne Gottes emporgesandt. Aber es ist mit ihr immer noch das alte Lied, dass eine Beschäftigung im Eßsaal der Angestellten ihr besonders gut zusagen würde. Wenn in dieser Hinsicht mit ihr noch einmal ein Versuch gemacht werden könnte, möchte ich herzlichst bitten, es zu tun, ohne dass drakonische Maßnahmen angewandt werden, die eine völlige Auflösung bewirken würden. […] Es begrüßen Sie im Namen Jesu Christi mit dankerfüllten Herzen herzlichst
Ihr Heinrich Meggers und Frau und Irmgard."

Wie sehr sich Irmgard Meggers ihrer psychischen Krankheit bewusst war und unter ihr litt, wird aus einem Brief deutlich, den sie während ihrer Abwesenheit von Alsterdorf an eine Schwester Elisabeth in der Anstalt schrieb: "Trotz aller Aufregungen die ich gehabt habe, bin ich doch wieder zur Ruhe gekommen. Grüßen Sie bitte Schwester Maria Lüth und Schwester Selma von mir. Gott möge sie alle beide wirklich segnen, da sie so viel Geduld mit mir gehabt haben. Ich komme so Gott will und wir leben, am Sonnabend […] mit meiner Mutter wieder zurück, die Sie gerne, wenn es irgend angehen könnte, mal sprechen möchte. Hoffentlich werde ich nicht eingesperrt, da ich Ihnen diesen Kummer des Weglaufens bereitet habe. Meine jungen Jahre sind schon durch seelische trübe Zeiten gegangen. Möge Gott nach langen Jahren endlich eine Änderung mir schicken. Aber ich muss mich, da es mir nicht anders übrig bleibt, unter seinem Kreuze beugen und stille werden im Gebet. Es grüßt Sie recht herzlich liebe Schwester Elisabeth und dem Herrn befohlen deine dich liebende Irmgard."

Inzwischen hatten die Nationalsozialisten die Macht in Deutschland übernommen und schickten sich an, ihre eugenischen, rassehygienischen und rassepolitischen Vorstellungen zu verwirklichen. Nach dem am 1. Januar 1934 in Kraft getretenen "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" konnte, "wer erbkrank ist, durch chirurgischen Eingriff unfruchtbar (sterilisiert) werden, wenn nach den Erfahrungen der ärztlichen Wissenschaft mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass seine Nachkommen an schweren körperlichen und geistigen Erbschäden leiden werden."
Die Alsterdorfer Anstalten beantragten eine Vielzahl von Sterilisationen bei dem dafür eingerichteten "Erbgesundheitsgericht", offenbar auch für Irmgard Meggers. Im Juli 1934 forderte das "Erbgesundheitsgericht" Irmgard Meggers‘ Krankheitsgeschichte an und entschied, dass sie zu sterilisieren sei. Sie musste einen Urlaub bei den Eltern am 25. September 1934 vorzeitig beenden, weil der Eingriff im Allgemeinen Krankenhaus Barmbek terminiert war. Irmgard Meggers‘ Patientenakte enthält zwar den Hinweis, dass ihre Eltern über die bevorstehende Operation informiert gewesen seien, jedoch keinen Hinweis darauf, wie sie auf diese staatliche Zwangsmaßnahme reagiert hatten.

In den folgenden Jahren beantragten Irmgards Eltern oft gemeinsamen Urlaub für ihre Tochter und deren Bruder Heinrich. Beide fuhren dann selbständig mit der U-Bahn bis zum Bahnhof Ochsenzoll und von dort mit dem Bus nach Henstedt. Anfang 1937 zog das Ehepaar Meggers zurück nach Hamburg, und zwar in die Pagenfelderstraße 13 in Horn. Irmgards Vater starb wenig später am 30. Mai 1937 im Alter von 65 Jahren.

Frieda Meggers, Irmgards Mutter, war weiterhin um ihren Sohn und ihre Tochter in Alsterdorf und den Familienzusammenhalt bemüht. So beantragte sie beispielsweise für einen Sonntag im September 1937 für beide Urlaub, um das Grab des Vaters in Ohlsdorf aufzusuchen. Auch der älteste Sohn Wolfgang besuchte seine Geschwister und erbat für sie des Öfteren Familienurlaub.

Am 9. März 1941 richtete Irmgard Meggers‘ Mutter ein Schreiben an die Alsterdorfer Anstalten: "Sehr geehrter Herr Pastor! Meine Irmgard ist heute und morgen bei mir auf Urlaub. Sie erzählte mir hocherfreut, dass Herr Juhtow sie gefragt hätte, ob sie wohl Lust hätte, der lieben Familie Traute Olsen in Tangstedt, die wir ja schon kennen gelernt haben, behilflich zu sein. Irmgard liebt ganz besonders Gottes freie Natur, die da draußen in Tangstedt ganz besonders schön ist. Denn das Pflichtgefühl mit helfen zu können, würde für Irmgard befriedigend sein. Auch wäre es für Heini sehr schön, wenn Irmgard ihn ab und zu mal treffen könnte. Da der Arme ja leider nicht schreiben kann, und so leidet er anscheinend manchmal an Heimweh. Ich bin ja Gott, und Ihnen, lieber Herr Pastor, so dankbar, dass beide Kinder in ihrer Anstalt wohl verwahrt weilen dürfen, vor allen Dingen unter Gottes Wort kommen, da können sie immer mehr genesen an Leib und Seele. Für mich ist es ein großer Trost unseren Heiland zu haben, hilft ER mir doch mein Kreuz, welches ER mir auferlegt hat, (zu meinem Besten) tragen. Nun, lieber Herr Pastor, werde ich alles in Gottes Hand legen. ER wird es schon recht führen. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, recht bald Näheres zu hören. Gott befohlen! Mit freundlichen Grüßen auch von Irmgard verbleibe ich
Ihre Frau Frieder Meggers
Hamburg 34
Horner Stieg 9"

Doch zu der gewünschten Beschäftigung ihrer Tochter in einer Privatfamilie kam es anscheinend nicht.

Während der schweren Luftangriffe auf Hamburg Ende Juli/Anfang August 1943 ("Operation Gomorrha") erlitten auch die Alsterdorfer Anstalten Bombenschäden. Die Anstaltsleitung nutzte die Gelegenheit, nach Rücksprache mit der Gesundheitsbehörde einen Teil der Bewohnerinnen und Bewohner, die als "arbeitsschwach, pflegeaufwendig oder als besonders schwierig" galten, in andere Heil- und Pflegeanstalten zu verlegen. Am 16. August 1943 ging ein Transport mit 228 Frauen und Mädchen aus Alsterdorf sowie 72 Mädchen und Frauen aus der Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn in die "Wagner von Jauregg-Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien" in Wien (auch bekannt als Anstalt "Am Steinhof") ab. Unter ihnen befand sich Irmgard Meggers.

Während der "Aktion-T4" (Tarnbezeichnung für das "Euthanasie"-Programm der Nationalsozialisten, so genannt nach dem Sitz der Berliner Euthanasiezentrale in der Tiergartenstraße 4) war die Anstalt in Wien Zwischenanstalt für die Tötungsanstalt Hartheim bei Linz gewesen. Nach dem offiziellen Ende der Gasmorde in den Tötungsanstalten im August 1941wurde massenhaft in der Wiener Anstalt selbst gemordet: durch Überdosierung von Medikamenten und Nichtbehandlung von Krankheit, vor allem aber durch Nahrungsentzug.

Irmgard Meggers starb am 30. März 1944.

Von den 300 Mädchen und Frauen aus Hamburg dort kamen bis Ende 1945 257 ums Leben, davon 196 aus Alsterdorf.

Irmgard Meggers‘ Bruder Heinrich Friedrich starb am 8. März 1944 in den Alsterdorfer Anstalten an Lungentuberkulose.

Stand: Juli 2021
© Ingo Wille

Quellen: Adressbuch Hamburg; StaH 332-5 Standesämter 9951 Sterberegister 375/1944 Heinrich Friedrich Meggers, 5966 Heiratsregister Nr. 995/1905 Heinrich Klaus Johann Meggers/Frieda Margaretha Johanne Grill, 1073 Sterberegister Nr. 348/1937 Heinrich Klaus Johann Meggers; Evangelische Stiftung Alsterdorf, Archiv, Sonderakte V 155 (Irmgard Meggers); Harald Jenner, … ein langer Weg, Kropper Anstalten, Diakonissenanstalt, Diakoniewerk Kropp, Kropp 1990. Privatbeamter: https://de.wikipedia.org/wiki/Beamtentum#Beamte_in_privaten_Betrieben (Zugriff am 13.1.2021).

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