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Peter Evers * 1939

Langenhorner Chaussee 560 (Hamburg-Nord, Langenhorn)


ERMORDET IN DER
"KINDERFACHABTEILUNG"
DER HEIL- UND PFLEGEANSTALT
LANGENHORN

PETER EVERS
GEB. 23.10.1939
ERMORDET 30.11.1941

Weitere Stolpersteine in Langenhorner Chaussee 560:
Gerda Behrmann, Uwe Diekwisch, Elke Gosch, Claus Grimm, Werner Hammerich, Marianne Harms, Hillene Hellmers, Helga Heuer, Waltraud Imbach, Inge Kersebaum, Hella Körper, Dieter Kullak, Helga Liebschner, Theo Lorenzen, Jutta Müller, Ingrid Neuhaus, Traudel Passburg, Edda Purwin, Angela Quast, Erwin Sänger, Hermann Scheel, Gottfried Simon, Monika Ziemer

Peter Evers, geb. am 23. Oktober 1939 in Hamburg, getötet am 30. November 1941 in der "Kinderfachabteilung der Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn”

Asklepios-Klinik Nord-Ochsenzoll, Henny-Schütz-Allee, Gedenkort Haus 25

Peter August Evers kam am 23. Oktober 1939 in Hamburg-Horn als Sohn von Johanna Elisabeth Elsbeth Evers, geschiedene Müller, und dem Graphiker August Wicht zur Welt.

Die Schwangerschaft war normal verlaufen. Jedoch hatten die Ärzte im Altonaer Krankenhaus wegen früherer Fehlgeburten und einer nach eigenen Aussagen angeborenen Lues (Syphilis) eine Salvarsan-Wismutbehandlung eingeleitet und bis zur Entbindung drei bis vier "spezifische" Kuren durchgeführt.

Aus Peters Vorgeschichte ist überliefert, dass sein Zustand bei der Geburt als "schwer asphyktisch und cyanotisch” (verringerte oder aufgehobene Atmung, bläulich gefärbte Haut etc. infolge der "Blausucht") galt: "Wurde nur wenige Tage genährt. Entwickelte sich überhaupt nicht, schielte schon bei der Geburt, hatte schrägstehende Lidspalten. Im Wesen freundlich und gutmütig. Kann jetzt noch kaum sitzen, spricht nicht, zeigt nur sinnlose Freudekundgebungen”, notierte Dr. Knigge später bei seiner Aufnahme in der "Kinderfachabteilung" in Langenhorn.

Peter blieb nach der Geburt zunächst bei seiner Mutter, die mit ihrer vorehelich geborenen Tochter und seinem Vater August Wicht in häuslicher Gemeinschaft in Hamburg-Horn, Heinz-Brands-Straße 19 (heute Grosseweg), zusammenlebte. Peter wurde nicht getauft, seine Mutter ist in der Krankenakte als "gottgläubig" geführt. Nach wenigen Wochen bemerkte sie einen Unterschied zu anderen Kindern. Peters geistige Entwicklung erschien ihr zu langsam. Arzt und Fürsorge konstatierten, dass er zurückgeblieben sei.

Es folgten mehrere Krankenhausaufenthalte: Im Alter von zehn Monaten kam Peter am 7. September 1940 wegen einer Lungenentzündung in das Allgemeine Krankenhaus St. Georg, Abtl. Baustraße. Nach einem Monat sollte er wieder zurück nach Hause entlassen werden: "Da das Kind fieberfrei ist und gut gedeiht, kann es mit der mässigen Bronchitis am 6.10.40 gebessert zum Kassenarzt entlassen werden."

Am 19. Juni 1941 wurde Peter im Alter von einem Jahr und 8 Monaten im Kinderkrankenhaus Rothenburgsort aufgenommen. In der dortigen Krankenakte ist festgehalten: "Das Kind greift und spielt, reagiert aber nicht auf die Umgebung. Er sitzt und steht nicht. Der Appetit ist gut, das Kind nimmt aber nur gesüsste Nahrung zu sich, am liebsten Citronensaft. Ruhiges vergnügtes Kind. Schläft viel."

Elf Tage später, am 30. Juni 1941, kam er zur Beurteilung in das Altonaer Kinderhospital. Dieses erstattete Meldung über "einen Fall von mongoloider Idiotie” (Down-Syndrom) an den "Reichsausschuß zur wissenschaftlichen Erfassung von erb- und anlagebedingten schweren Leiden", wie das Gremium hieß, das in Berlin aus der Ferne über Leben und Tod von Kindern mit Behinderungen entschied. Anschließend erfolgte Peters Entlassung nach Hause.

Nach drei Monaten, kurz vor seinem zweiten Geburtstag, brachte die Mutter den kleinen Peter mit einem Einweisungsschein des Gesundheitsamtes mit der vorangegangenen Diagnose "Idiotie" am 11. Oktober 1941 in die "Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn”. Für den Arzt Knigge waren "Merkmale einer schweren mongoloiden Idiotie unverkennbar. Zu den bekannten Merkmalen hinzu kamen die überlange Zunge und das Festhalten des Kopfes mit den Füßen." Zudem diagnostizierte er eine angeborene "Tabes" (syphilitische Rückenmarkserkrankung).

Während dieser Zeit fand eine zusätzliche Untersuchung in der Universitäts-Augenklinik Eppendorf statt. Der Arzt Umland schrieb am 28. Oktober 1941 dazu an Knigge: Der "Fundus" sei ohne Narkose nicht einzusehen gewesen, es habe sich ein unliebsamer Zwischenfall bei der Narkose ereignet, die daraufhin vorzeitig unterbrochen werden musste. Lediglich sei festgestellt worden, dass die Papillen (Schreibfehler, richtig: Pupillen) normal seien, Macula und Peripherie seien nicht eingesehen worden.

Am 5. November 1941 schrieb W. Bayer, Leiter des Kinderkrankenhauses Rothenburgsort, einen Brief an Knigge: "Anbei die Abschrift meines Schreibens an den Reichsausschuss betreffend das Kind Peter Evers. Es interessiert mich lebhaft, dass Sie bei dem Kind eine Tabes annehmen. Ich wäre ihnen für eine gelegentliche Überlassung des Krankenblattes – sobald der Fall geregelt ist – dankbar.”

Mit der Meldung an den Reichsausschuss in Berlin war Peters Schicksal entschieden, denn mit diesem Krankheitsbild gehörte er zu den Kindern, die nach Meinung der Ausschussmitglieder in einer der dafür eigens geschaffenen "Kinderfachabteilungen" getötet werden sollten.

Sieben Wochen nach seiner Einlieferung wurde Peter in der "Kinderfachabteilung der Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn” getötet. Am 30. November 1941 protokollierte Knigge: "Hatte einige Tage Fieber. Exitus letalis" (Tödlicher Ausgang). "Diagnose: Mongoloide Idiotie, Tabes infantilis". (kindliche syphilitische Rückenmarkserkrankung).

Peter verstarb am 30. November 1941 um 21:30 in der "Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn" in der Frauenabteilung II, Haus M 10.

Knigge notierte im Protokoll wie in der Todesbescheinigung als Todesursache "Mongoloide Idiotie, Tabes infantilis congenita, Bronchopneumonie”. Knigge tötete mit Luminalinjektionen, einem Schlafmittel. Fieber und Lungenentzündung waren die Folge; die Kinder erlitten einen langsamen und qualvollen Tod. In den meisten Todesbescheinigungen, wie bei Peter, deutet der Zusatz "Bronchopneumonie" auf diese Tötungsart hin.

Eine Krankenschwester benachrichtigte am nächsten Morgen um 9:00 Uhr Peters Vater von dessen Ableben.

Peter wurde 2 Jahre, 1 Monat und 7 Tage alt.

Seine Bestattung fand fünf Tage später am 5. Dezember 1941 auf dem Friedhof der Ev.-Luth. Kirchengemeinde in Schiffbek, Schiffbeker Weg 144, statt, Grablage: Feld IX Nr. 278. Seine Grabstelle ist nicht mehr erhalten.

Epilog:
Zwei Monate später brachte seine Mutter einen gesunden Sohn zur Welt.

Nach dem Krieg liefen Ermittlungen wegen Mordes gegen Friedrich Knigge u. a. Der Angeschuldigte Knigge sagte am 15. Januar 1946 vor dem Untersuchungsrichter im Landgericht Hamburg aus, Peters Mutter sei mit der "Behandlung" einverstanden gewesen, "weil ihre anderen Kinder durch das Aussehen und das Verhalten dieses Kindes erschreckend geängstigt wurden", und weil sie wieder schwanger gewesen sei.

Bei der Zeugenvernehmung der Eltern am 15. Januar 1948 gab die Mutter Johanna Wicht, geb. Evers, zu Protokoll: "Ich war in jener Zeit schwanger und als ich die Fürsorgerin traf, meinte sie, daß das Kind doch stören könne und veranlaßte mich wieder auf das Gesundheitsamt zu gehen, da ich das Kind in ein Heim geben wollte. Auf dem Gesundheitsamt erhielt ich nun einen Aufnahmeschein für das Krankenhaus Langenhorn. Auch dieses Mal hat der Amtsarzt nichts weiter zu mir gesagt. Ich bin dann mit dem Kind nach Langenhorn gegangen. Dort hat Dr. Knigge mich eingehend nach der Krankengeschichte von Peter gefragt. Dr. Knigge sagte mir, daß (richtig: das) Kind sei mongoloid. Er erklärte dann, er werde eine Behandlung mit einem Präparat versuchen. Er könne aber nicht sagen, ob es gelingen werde. Die Behandlung könne dem Kind gut tun, es könne aber auch etwas schiefgehen." "Ich sagte Dr. Knigge, er solle dem Kind nur etwas Gutes tun, damit das Kind gesund werde. Dr. Knigge entgegnete darauf, daß ich mich darauf gefaßt machen müsste, daß ich das Kind nicht wiederbekomme. Ich habe daraufhin kein Wort mehr gesagt sondern bin ganz kurz aufgestanden und habe die Tür zugeknallt. Draußen vor der Sprechzimmertür von Dr. Knigge traf ich eine Schwester, die mich fragte, was mit mir los sei, da ich so verstört aussehe. Ich sagte daraufhin zu ihr: "Tun Sie mir einen Gefallen und behandeln Sie mein Kind gut." Ich erhielt daraufhin die Antwort von der Schwester, deren Namen ich nicht weiß, die Antwort, daß meinem Kind hier nichts geschehe. Mein Mann erhielt dann nach der Seewarte einen Anruf des Krankenhauses Langenhorn, daß das Kind gestorben sei. Ich sagte sofort als die Todesnachricht kam zu meinem Mann, daß sie unseren Peter totgemacht haben. Mit Dr. Knigge oder den Schwestern habe ich nach dem Tode meines Kindes nicht mehr gesprochen."

Stand: August 2020
© Margot Löhr

Quellen: Standesamt Hamburg 5a, Geburtsregister Nr.782/1939 Peter Evers; StaH 213-12 Staatsanwaltschaft, 0013 Bd. 060, S. 309-363; StaH 213-12, 0017 Bd. 001 Bayer Dr. Wilhelm u.a., S. 69; S.134, S.152, S.160/161; StaH 332-5 Standesämter, Sterberegister 9926 u. 689/1941 Peter Evers; StaH 332-5 Standesämter, Sterbefallsammelakten 64155 u. 689/1941 Peter Evers; StaH 352-5 Todesbescheinigungen, 1941 Sta 1b Nr. 689 Peter Evers; StaH 352-8/7 Staatskrankenanstalt Langenhorn, Abl. 2000/01, 64 UA 3, Akte 29095; Grabregister 1941 Friedhof der Ev.-Luth. Kirchengemeinde in Schiffbek, Auskünfte 01.07.2020.

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