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Monika Ziemer im Alter von zwei Jahren und vier Monaten in den „Alsterdorfer Anstalten“ vor der Einweisung in die „Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn“
Monika Ziemer im Alter von zwei Jahren und vier Monaten in den "Alsterdorfer Anstalten" vor der Einweisung in die "Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn"
© StaH

Monika Ziemer * 1939

Langenhorner Chaussee 560 (Hamburg-Nord, Langenhorn)


ERMORDET IN DER
"KINDERFACHABTEILUNG"
DER HEIL- UND PFLEGEANSTALT
LANGENHORN

MONIKA ZIEMER
GEB. 12.10.1939
ERMORDET 19.5.1942

Weitere Stolpersteine in Langenhorner Chaussee 560:
Gerda Behrmann, Uwe Diekwisch, Peter Evers, Elke Gosch, Claus Grimm, Werner Hammerich, Marianne Harms, Hillene Hellmers, Helga Heuer, Waltraud Imbach, Inge Kersebaum, Hella Körper, Dieter Kullak, Helga Liebschner, Theo Lorenzen, Jutta Müller, Ingrid Neuhaus, Traudel Passburg, Edda Purwin, Angela Quast, Erwin Sänger, Hermann Scheel, Gottfried Simon

Monika Ziemer, geb. am 12.10.1939 in Hamburg, getötet am 19.5.1942 im Hilfskrankenhaus der "Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn"

Asklepios-Klinik Nord-Ochsenzoll, Henny-Schütz-Allee, Gedenkort Haus 25, Einfahrt Langenhorner Chaussee 560

Monika Ziemer kam am 12. Oktober 1939 in Hamburg zur Welt. Zunächst lebte sie bei ihren Eltern, Edith Emilie Frieda, geb. Grützmacher, und dem Schiffsoffizier Oswald Ziemer, in Hamburg-Eilbek, Hasselbrookstraße 122. Aus Monikas Vorgeschichte ist überliefert, dass die Schwangerschaft ohne Beschwerden verlief, jedoch habe die Mutter im achten Schwangerschaftsmonat acht Tage nach einer Untersuchung Fruchtwasser verloren und Monika sei vorzeitig auf die Welt gekommen. Sie hatte blaue Flecken an Armen und Beinen, soll ansonsten nicht auffällig gewesen sein und wurde mit abgepumpter Muttermilch ernährt. Nach einem Jahr machten sich die Eltern Sorgen über Monikas Entwicklung. Erst Weihnachten 1940 soll sie das erste Mal gelacht haben. Dr. Sievers, Hammerlandstraße, behandelte sie mit Medikamenten.

Im Alter von eineinhalb Jahren kam Monika am 16. April 1941 zur Untersuchung in die Universitäts-Kinderklinik Eppendorf. Es wurde festgestellt, dass sie weder sitzen noch stehen konnte und einen "mikrocephalem [kleinem] Kopf" aufwies. Sie wurde nach einer Woche entlassen: "Entlassung nach rücksichtsloser Aufklärung der sehr verständigen Mutter über die Hoffnungslosigkeit des Zustandes. Rhinitis [Entzündung der Nasenschleimhaut, M.L.] noch unverändert. Klinische Hauptdiagnose: Little [cerebrale Kinderlähmung, M.L.] Nebendiagnose: Rhinitis".
Mit zwei Jahren und vier Monaten wurde Monika am 3. Februar 1942 in der "Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn" mit der Diagnose "Cerebrale Kinderlähmung Idiotie" von Dr. Knigge aufgenommen. In dem Protokoll hielt er fest: "Die Eltern sind mit einer Behandlung des Kindes einverstanden." Danach lebte Monika nur noch sechs Wochen. Sein Bericht nach Berlin an den "Reichsausschuß zur wissenschaftlichen Erfassung von erb- und anlagebedingten schweren Leiden" erfolgte am 6. März 1942. Die letzten Protokolle von Dr. Knigge lauten:
"Temp. am 19. Tage um 40 ° steigt am 26. Tage auf 41.2°
23. IV.42. Wegen Scharlach nach M 5 verlegt.
19.V.42. Hat zum Scharlach noch Rachendiphterie hinzubekommen.
Auf der Kinder-Infektionsabteilung in M 5 gestorben.
Diagnose: Cerebrale Kinderlähmung. Idiotie. Dr. Knigge."

Monika verstarb am 19. Mai 1942 um 12:30 Uhr im "Hilfskrankenhaus Langenhorn" in Haus M 5. In der Todesbescheinigung gab Dr. Sönnichsen die "Littl’sche Krankheit, Idiotie, Scharlach, Rachendiphterie", "Dekubitus Kachexie" (Wundliegen, starker Kräfteverfall) an.

Monika Ziemer wurde in der "Kinderfachabteilung der Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn" vermutlich mit Luminal-Injektionen, einem Schlafmittel, von Dr. Knigge getötet. In den meisten Todesbescheinigungen deutet "Bronchopneumonie" auf diese Tötungsart hin. Hier fehlt diese Angabe. Es kann angenommen werden, dass in diesem Fall das Symptom Fieber auf die Verabreichung von Luminal hindeutet. Ob die Protokollierung "Verlegung auf M 5 wegen Scharlach" und "hat zum Scharlach noch Rachendiphterie hinzubekommen" der Verschleierung diente, kann nicht belegt, aber vermutet werden.

Monika wurde 2 Jahre, 7 Monate und 7 Tage alt.

Sieben Tage später, am 26. Mai 1942 um 15:00 Uhr, fand die Einäscherung von Monika Ziemer und die Trauerfeier zwischen 17:25 und 19:15 "mit Leuchter, Pflanzen, Harmonium- bzw. Orgelmusik und Streichmusik" im Krematorium Ohlsdorf statt. Am 16. Juni 1942 wurde ihre Urne in der Doppelgrabstätte auf dem Friedhof Ohlsdorf, die ihre Großmutter für sich und ihren Ehemann ausgesucht hatte, beigesetzt, Grablage AD 28, Nr. 257/II. Ihr Großvater Paul Emil Grützmacher, eine Woche vor ihr verstorben, war drei Tage vor ihrem Tod, am 16. Mai 1942, dort beerdigt worden. Ihr Grab ist nicht mehr erhalten.

Nach dem Krieg äußerte sich Friedrich Knigge zu den erhobenen Beschuldigungen wegen Mordes bzw. Sterbehilfe in der "Kinderstation" des Krankenhauses Langenhorn. In einem Schreiben vom 13. Juni 1945 an die Kriminalpolizei über Prof. Rudolf Degkwitz, Leitender Beamter der Hamburger Gesundheitsbehörde, gab er lediglich Sterbehilfe bei zehn bis elf "geisteskranken und mißgestalteten" Kindern zu, die er durch die Anordnung des Reichsausschusses für gerechtfertigt hielt. Den Namen von Monika Ziemer verschwieg er.

In einem Schreiben vom 5. November 1947 an den Staatsanwalt befand sich auf einer Liste mit 16 Namen auch Monikas Nachname; Knigge behauptete, diese Kinder habe er nicht getötet, obwohl das Einverständnis der Eltern vorgelegen habe. "Sehr geehrter Herr Staatsanwalt!
Ich möchte Sie höflichst bitten, sich in den Krankenakten zu überzeugen, daß noch weitere 16 Eltern der ‚Behandlung‘ zustimmten und mir damit den Auftrag zur Euthanasie erteilten:
1. Zapf 2. Ziemer 3. Cordes 4. Lorenzen 5. Boehm 6. Diekwisch 7. Gosch 8. Schulz 9. Knudsen 10. Nonnsen 11. Fokuhl 12. Meyer 13. Meibohm 14. Oje 15. Würflinger 16. Groß.
In allen diesen Fällen wurde der Auftrag z.T. zur offensichtlich schweren Enttäuschung der Eltern nicht ausgeführt. Die große Bereitwilligkeit der Eltern mußte bei mir und bei meinem Referat aufder Gesundheitsbehörde den Eindruck verstärken, nicht nur im wahren Sinne des Kindes sozial, sondern auch legal zu handeln."

Stand: Januar 2023
© Margot Löhr

Quellen: StaH, 213-12 Staatsanwaltschaft, 0013 Bd. 059 Sonderakte Bd. 39, Schirbaum u. a. Knigge, S. 32, 0017 Bd. 001, Bayer Dr. Wilhelm, u. a., S. 126 f.; StaH, 332-5 Standesämter, Sterbefallsammelakten, 64217 u. 422/1942 Monika Ziemer; StaH, 332-5 Standesämter, Sterberegister, 9933 u. 422/1942 Monika Ziemer; StaH, 352-5 Standesämter, Todesbescheinigungen, 1942 Sta 1b Nr. 422 Monika Ziemer; StaH, 352-8/7 Staatskrankenanstalt Langenhorn, Abl. 2000/01 Nr. 21 Akte 29440; Standesamt Hamburg 4a, Geburtsregister, Nr. 834/1939; Archiv Friedhof Ohlsdorf, Beerdigungsregister Feuerbestattungen, Nr. F 203 A, Grabbrief 162245/1942.

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