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Bereits verlegte Stolpersteine



Sophie Kasarnowsky * 1894

ohne Hamburger Adresse


ermordet am 23.9.1940 in der Tötungsanstalt Brandenburg an der Havel

Weitere Stolpersteine in ohne Hamburger Adresse :
Dr. Hans Bloch, Felix Cohn, Moraka Farbstein, Erland Walter Friedmann, Richard Guth, Martha Havelland, Albert Hirsch, Auguste Hirschkowitz, Ernestine Levy, Richard Levy, Hannchen Lewin, Bronislawa Luise Dorothea Mattersdorf, Karl Friedrich Michael, Lucie Rothschild, Dorothea Dorthy Silberberg, Wilhelm Süsser, Anna Luise (Louise Hedwig) Weimann, Salo Weinberg

Sophie Kasarnowsky, geb. 1894 (?) in Brovari/Brovary (heute Ukraine), ermordet am 23.9.1940 in der Tötungsanstalt Brandenburg an der Havel

Ohne Stolperstein

Sophie Kasarnowsky stammt wahrscheinlich aus Brovary, damals zu Russland gehörend. Sie wurde etwa 1894 geboren und gehörte wahrscheinlich dem jüdischen Glauben an. Im April/Mai 1923 wurde sie wegen einer "Geisteskrankheit" in der Staatskrankenanstalt Friedrichsberg aufgenommen. Das Aufnahmedatum ergibt sich aus der noch vorhandenen Patienten-Karteikarte, auf der als Vorname "Schifre" notiert wurde.

Anscheinend hatte Sophie Kasarnowsky Anfang der 1920er Jahre versucht, von Hamburg aus in die USA auszuwandern. Hamburg war neben Bremen im 19. und im 20. Jahrhundert einer der großen Auswandererhäfen. Die Emigranten kamen aus Deutschland und vielen Ländern Osteuropas. Die meisten wollten die USA in New York betreten. Sie mussten aber zunächst auf Ellis Island eine Kontrollprozedur ertragen, mit der ihre Eignung für das neue Land geprüft wurde. Die Einwanderungsbeamten ließen nur leistungsfähige Menschen ins Land, die voraussichtlich ihren Lebensunterhalt würden selbst verdienen können. Zu diesem Zweck wurden die Einwanderer einer "Muskelprüfung" unterzogen. Wer den Beamten als psychisch oder physisch ungeeignet erschien, wurde zurückgewiesen. Menschen, die diese Einreisekontrollen nicht bestanden, wurden rigoros an der Einreise gehindert und in den Herkunftshafen zurückgeschickt. Der Reeder musste die Rückreisekosten für die fast immer mittellosen Menschen übernehmen. In Hamburg angekommen, wurden die "Rückwanderer" zunächst meistens im Hafenkrankenhaus aufgenommen und bei geistiger Behinderung oder psychischer Erkrankung der "Irrenanstalt Friedrichsberg” (ab 1918/1919 "Staatskrankenanstalt Friedrichsberg") zugeführt. Zu ihnen gehörte wahrscheinlich auch Sophie Kasarnowsky. Die Hapag hatte ihre Rückreisekosten übernommen und musste ihren Klinikaufenthalt in Hamburg finanzieren. Anscheinend fanden die Behörden keinen Heimatort, in den man Sophie Kasarnowsky hätte abschieben können, denn sie wurde am 4. September 1926 in die Staatskrankenanstalt Hamburg-Langenhorn verlegt und blieb dort bis zum 23. September 1940.

Im Frühjahr/Sommer 1940 plante die "Euthanasie"-Zentrale in Berlin, Tiergartenstraße 4, eine Sonderaktion gegen Juden in öffentlichen und privaten Heil- und Pflegeanstalten. Sie ließ die in den Anstalten lebenden jüdischen Menschen erfassen und in sogenannten Sammelanstalten zusammenziehen. Die Heil- und Pflegeanstalt Hamburg-Langenhorn wurde zur norddeutschen Sammelanstalt bestimmt. Alle Einrichtungen in Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg wurden angewiesen, die in ihren Anstalten lebenden Juden bis zum 18. September 1940 dorthin zu verlegen. Nachdem alle jüdischen Patienten aus den norddeutschen Anstalten in Langenhorn eingetroffen waren, wurden sie gemeinsam mit den dort bereits länger lebenden jüdischen Patienten am 23. September 1940 in einem Transport von insgesamt 136 Menschen nach Brandenburg an der Havel gebracht. Noch am selben Tag wurden sie in dem zur Gasmordanstalt umgebauten Teil des ehemaligen Zuchthauses mit Kohlenmonoxyd getötet. Nur eine Patientin, Ilse Herta Zachmann, entkam diesem Schicksal zunächst (siehe dort).

Es ist nicht bekannt, ob und ggf. wann Angehörige Kenntnis von ihrem Tod erhielten. In allen dokumentierten Mitteilungen wurde behauptet, dass der oder die Betroffene in Chelm (polnisch) oder Cholm (deutsch) verstorben sei. Die in Brandenburg Ermordeten waren jedoch nie in Chelm/Cholm, einer Stadt östlich von Lublin. Die dort früher existierende polnische Heilanstalt bestand nicht mehr, nachdem SS-Einheiten am 12. Januar 1940 fast alle Patienten ermordet hatten. Auch gab es in Chelm kein deutsches Standesamt. Dessen Erfindung und die Verwendung späterer als der tatsächlichen Sterbedaten dienten dazu, die Mordaktion zu verschleiern und zugleich entsprechend länger Verpflegungskosten einfordern zu können.

Sophie Kasarnowsky hatte nach den bisherigen Recherchen keine persönliche Adresse in Hamburg, so dass kein individueller Ort besteht, an dem ihrer mit einem Stolperstein gedacht werden könnte.

Stand: November 2017
© Ingo Wille

Quellen: 4; 5; StaH 133-1 III Staatsarchiv III, 3171-2/4 U.A. 4, Liste psychisch kranker jüdischer Patientinnen und Patienten der psychiatrischen Anstalt Langenhorn, die aufgrund nationalsozialistischer "Euthanasie"-Maßnahmen ermordet wurden, zusammengestellt von Peter von Rönn, Hamburg (Projektgruppe zur Erforschung des Schicksals psychisch Kranker in Langenhorn); 352-8/7 Staatskrankenanstalt Langenhorn Abl. 1/1995 Aufnahme-/Abgangsbuch Langenhorn 26.8.1939 bis 27.1.1941; UKE/IGEM, Archiv, Patienten-Karteikarte Sophie Kasarnowsky der Staatskrankenanstalt Friedrichsberg. Hess, Volker/Schmiedebach, Heinz-Peter (Hrsg.), Am Rande des Wahnsinns. Schwellenräume einer urbanen Moderne, Wien 2012; http://www.european-emigration.com/de/hamburger-passagierlisten.html (Zugriff 5.6.2016).
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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