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Bereits verlegte Stolpersteine



Anton Müller, 1930
© UKE/IGMW

Anton Müller * 1908

Otzenstraße 3 (früher Paulstraße 3) (Altona, St. Pauli)


HIER WOHNTE
ANTON MÜLLER
JG. 1908
EINGEWIESEN 1940
HEILANSTALT LANGENHORN
"VERLEGT" 23.9.1940
BRANDENBURG
ERMORDET 23.9.1940
"AKTION T4"

Weitere Stolpersteine in Otzenstraße 3 (früher Paulstraße 3):
Erna Cohn, Egmont Cohn, Emma Anna Müller

Anton Müller, geb. am 1.7.1908 in Wiesbaden, ermordet am 23.9.1940 in der Tötungsanstalt Brandenburg an der Havel
Emma Müller, geb. Singer, geb. 18.10.1878 in Obererlenbach, deportiert am 8.11.1941 nach Minsk, ermordet
Erna Cohn, geb. Müller, geb. 12.6.1897 in Wiesbaden, deportiert am 6.12.1941 nach Riga, ermordet
Egmont Max Cohn, geb. 17.7.1900 in Altona, deportiert am 6.12.1941 nach Riga, ermordet

Stolpersteine Hamburg-St. Pauli, Otzenstraße 3 (früher Paulstraße 3)

Anton Müllers Eltern ließen sich 1915 in Hamburg nieder. Seine Mutter Emma, geborene Singer, geboren am 18. Oktober 1878, stammte aus Obererlenbach, heute ein Stadtteil von Bad Homburg. Bis zu ihrer Heirat 1896 mit dem zehn Jahre älteren Adolf Müller, geboren am 17. April 1868 in Limbach bei Chemnitz, lebte sie bei ihren Eltern in Wiesbaden in der Ober-Erlenbogengasse.

In Wiesbaden kam am 12. Juni 1897 als ältestes Kind Erna zur Welt, dann folgten Hertha am 25. Oktober 1898 und Anton am 1. Juli 1908. Etwa um 1912 zog die Familie Müller nach Hollerich/Luxemburg. Kurz nach der Geburt von Kurt am 6. Juni 1913 erfolgte die Übersiedlung nach Hamburg-St. Pauli in die Jägerstraße 52 (heute Wohlwillstraße). Unter dieser Adresse betrieb Adolf Müller einen Handel für "Warenhausartikel" bzw. einen Großhandel für Korbmöbel. Durch den Ersten Weltkrieg hatte er viel Geld im Ausland verloren. Er litt unter schweren Depressionen und setzte seinem Leben am 6. Mai 1923 ein Ende. Der Eintrag "Emma Müller, Jägerstraße 52, Vertreterin" im Hamburger Fernsprechbuch von 1931 kann darauf hindeuten, dass Adolf Müllers Witwe nun den Lebensunterhalt der Familie als "Abonnentensammlerin" verdiente. Zum Familieneinkommen trug auch die Untervermietung von zwei Zimmern an ein junges Ehepaar mit einem Kind bei.

Anton Müller beendete zu Ostern 1923 seine Schulausbildung in der Wahnschaffschen Privatschule in der Alten Rabenstraße im Stadtteil Rotherbaum. Sein Abschlusszeugnis enthielt durchschnittliche Zensuren. Er wollte einen Beruf erlernen, musste aber mehrere Lehrstellen wieder verlassen, weil die Lehrherren seine Anfälle von Jähzorn nicht tolerierten. 1924/1925 besuchte er die Allgemeine Fortbildungsschule in der Fuhlentwiete 34 in der Neustadt. Schließlich arbeitete er eine Zeitlang als Bote. Während dieser Zeit lebte Anton Müller im Haushalt seiner Mutter.

Im Juni 1926 fiel Anton Müller der Polizei auf, als er exhibitionistische Handlungen gegenüber einem Jungen beging. Er wurde nun ein Fall für die Öffentliche Jugendfürsorge, die ihn im August 1926 in die Erziehungsanstalt für Knaben in Ohlsdorf, Alsterdorfer Straße 502, einwies. Dort entwickelte sich der schmächtige Anton Müller so positiv, dass er im Juni 1927 probeweise auf einen Bauernhof in Wunstorf gegeben wurde. Doch nach wenigen Wochen musste der Versuch abgebrochen werden. Es folgten verschiedene Arbeitsstellen auf Bauernhöfen, von denen er sich öfter entfernte und wo er wegen seines Jähzorns nicht verträglich mit anderen arbeiten konnte. Schließlich kam er auf das Gut Wulfsdorf. Dort versuchte die Stadt Hamburg, Jugendliche "nutzbringend und in erzieherisch günstigem Sinne" in der Landwirtschaft zu beschäftigen.

Nachdem für Anton die Empfehlung ausgesprochen worden war, ihn zeitlebens in Anstaltsfürsorge unterzubringen, kam er Mitte 1928 in die Jugendfürsorgestelle Calmenhof bei Idstein (Rheingau/Hessen). Auch dort leistete er landwirtschaftliche Arbeit, überwiegend im Kuhstall. Die eher positiven Berichte über Antons Entwicklung standen im Widerspruch zu seinen eigenen Empfindungen. Am 6. November 1929, Anton war inzwischen volljährig, versuchte er sich das Leben zu nehmen. Einen Tag später wurde er in die geschlossene Anstalt Eichberg (unweit Eltville bei Wiesbaden) überstellt. Im Juni 1930 kam er wieder nach Hamburg. Er wurde in die Staatskrankenanstalt Friedrichsberg mit der Diagnose "angeborener Schwachsinn" eingewiesen.

Der Mitte 1932 erneut unternommene Versuch, Anton bei einem Bauern arbeiten zu lassen, wurde nach wenigen Tagen abgebrochen. Trotz problematischer Diagnosen insbesondere wegen seines Jähzorns unternahm die Staatskrankenanstalt Friedrichsberg nichts, um ihn wieder in die Anstalt zurückzuholen, sondern betrachtete ihn als entlassen. Anton Müller lebte nun bei seiner Mutter, die inzwischen in die Schanzenstraße 6 umgezogen war. Am 22 April 1933 erfolgte die erneute Einlieferung in die Staatskrankenanstalt Friedrichsberg, diesmal mit einem Krankenwagen vom Stadthaus, der Hamburger Polizeizentrale. Wie Anton Müller selbst sagte, hatte er sich einem Mädchen unsittlich genähert, um wieder nach Friedrichsberg zu kommen.

Eine strafrechtliche Verurteilung kam nicht in Betracht, weil Anton Müller sich zum Zeitpunkt der Tat in einem Zustand "krankhafter Störung der Geistestätigkeit" befand (Paragraph 51 Strafgesetzbuch alter Fassung). Unter Bezugnahme auf Paragraph 22 des Hamburger Verhältnisgesetzes, der eine Anstaltseinweisung durch die Polizei zum eigenen Schutz oder zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ermöglichte, wurde Anton Müller noch am selben Tag in die Staatskrankenanstalt Langenhorn überführt. Hier wurde ihm im Januar 1935 nahegelegt, seine Kastration zu beantragen, um aus seinen seelischen Nöten infolge des "überstarken Geschlechtstrieb[s]" heraus zu kommen und sich dann "in der Freiheit wieder halten zu können". Laut amtsärztlichem Gutachten vom 27. November 1934 sei die Kastration "unbedingt zu rechtfertigen, zumal ja im Hinblick auf die wiederholten ernsten Suicidversuche des Müller durch die Entfernung der Keimdrüsen die Möglichkeit gegeben ist, ernste Gefahren für das Leben und für die Gesundheit des Müller abzuwenden." Der Eingriff fand am 11. Januar 1935 im Hamburger Hafenkrankenhaus statt.

Obwohl Anton Müller eine Entlassung aus der Anstalt nach dem Eingriff in Aussicht gestellt worden war, wurde er nicht wieder auf freien Fuß gesetzt, sondern blieb in den nächsten Jahren in Langenhorn, bis er am 9. Februar 1939 in die Heilanstalt Strecknitz in Lübeck überstellt wurde. Dorthin wurden aufgrund der überfüllten Hamburger Einrichtungen immer wieder Patientinnen und Patienten verlegt. Emma Müller konnte ihren Sohn noch mehrmals in Strecknitz besuchen. Ihr wurde auch genehmigt, Anton für einen kurzen Urlaub vom 7. bis zum 12. April 1939 nach Hause zu holen.

Am 16. September 1940 wurde Anton Müller zusammen mit anderen Patienten jüdischer Abstammung wieder in die Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn zurückverlegt. Die Rückführung der jüdischen Patienten aus Strecknitz nach Langenhorn war Teil einer von der "Euthanasie"-Zentrale in der Berliner Tiergartenstraße 4 (T4) und dem Reichsinnenministerium im April 1940 begonnenen reichsweiten Aktion. Zunächst wurden alle jüdischen Patienten in Heil-und Pflegeanstalten im Deutschen Reich und in der sogenannten Ostmark (Österreich) erfasst, dann in sogenannten Sammelanstalten zusammengeführt und anschließend in mehreren Tötungsanstalten mit Kohlenmonoxyd ermordet.

Die Heil- und Pflegeanstalt Hamburg-Langenhorn wurde zur norddeutschen Sammelanstalt bestimmt. Alle Einrichtungen in Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg wurden angewiesen, die in ihren Anstalten lebenden Juden bis zum 18. September 1940 dorthin zu verlegen. Nachdem alle jüdischen Patienten aus den norddeutschen Anstalten in Langenhorn eingetroffen waren, wurden sie gemeinsam mit den dort bereits länger lebenden jüdischen Patienten am 23. September 1940 nach Brandenburg an der Havel transportiert. Noch am selben Tag wurden sie in dem zur Gasmordanstalt umgebauten Teil des ehemaligen Zuchthauses mit Kohlenmonoxyd getötet. Nur eine Patientin, Ilse Herta Zachmann, entkam diesem Schicksal zunächst (siehe dort).

Wir wissen nicht, ob und ggf. wann Emma Müller Kenntnis vom Tod ihres Sohnes erhielt. In allen dokumentierten Mitteilungen wurde behauptet, dass der oder die Betroffene in Chelm (polnisch) oder Cholm (deutsch) verstorben sei. Auf dem Geburtsregistereintrag von Anton Müller wurde notiert, dass sein Tod am 4. Dezember 1940 eingetreten sei und das Standesamt Chelm II ihn unter der Nummer 579/1940 registriert hat. Die in Brandenburg Ermordeten waren jedoch nie in Chelm/Cholm, einer Stadt östlich von Lublin. Die dort früher existierende polnische Heilanstalt bestand nicht mehr, nachdem SS-Einheiten am 12. Januar 1940 fast alle Patienten ermordet hatten. Auch gab es in Chelm kein deutsches Standesamt. Dessen Erfindung und die Verwendung späterer als der tatsächlichen Sterbedaten dienten dazu, die Mordaktion zu verschleiern und zugleich entsprechend länger Verpflegungskosten einfordern zu können.

Erna und Egmont Max Cohn wurden dem Transport vom 6. Dezember 1941 nach Riga zugewiesen. Ihr Sohn Walter Adolf Cohn, geboren am 16. Juni 1924 überlebte in England. Wahrscheinlich hatte er Deutschland rechtzeitig mit einem der Kindertransporte verlassen.

Kurt Müller, Emma Müllers jüngerer Sohn, überlebte. Er ließ sich nach seiner Emigration in den USA nieder.

Emma Müllers jüngste Tochter Hertha heiratete den am 1. September 1899 in Hamburg geborenen Siegbert Gumpel. Das Ehepaar siedelte sich 1932 in Berlin an. Mit seinem Sohn Werner, geboren am 5. September 1923 in Hamburg, überlebte die Familie in Ecuador. Siegbert Gumpel remigrierte nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Er starb am 16. Februar 1969 in Berlin.


Stand: November 2017
© Susanne Rosendahl/Ingo Wille

Quellen: 1; 4; 5; 6; 9; AB; StaH 133-1 III Staatsarchiv III, 3171-2/4 U.A. 4, Liste psychisch kranker jüdischer Patientinnen und Patienten der psychiatrischen Anstalt Langenhorn, die aufgrund nationalsozialistischer "Euthanasie"-Maßnahmen ermordet wurden, zusammengestellt von Peter von Rönn, Hamburg (Projektgruppe zur Erforschung des Schicksals psychisch Kranker in Langenhorn); 332-5 Standesämter 5351 Sterberegister Nr. 787/1923 Adolf Müller, 13460 Geburtsregister Nr. 2070 Siegbert Gumpel; 332-8 Meldewesen (Alte Einwohnermeldekartei 1892–1925), 351-11 Amt für Wiedergutmachung 3805 Emma Müller, 6613 Kurt Müller, 181078 Emma Müller; 352-8/7 Staatskrankenanstalt Langenhorn, Abl. 1/1995, 20285 Anton Müller; Standesamt Wiesbaden, Geburtsregister Nr. 1277/1908 Anton Müller; Stadtarchiv Bad Homburg, Geburtsregister Obererlenbach Nr. 18/1878 Emma Singer; UKE/IGEM, Archiv, Patienten-Karteikarte Anton Müller der Staatskrankenanstalt Friedrichsberg; UKE/IGEM, Archiv, Patientenakte Anton Müller der Staatskrankenanstalt Friedrichsberg; IMGWF Lübeck, Archiv, Patientenakte Anton Müller der Heilanstalt Lübeck-Strecknitz. Stadt Ahrensburg (Hrsg.), 750 Jahre Wulfsdorf, Ahrensburg 1988.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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