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Ida Seligmann (geborene Rosendorff) * 1858
Rutschbahn 7 (Eimsbüttel, Rotherbaum)
HIER WOHNTE
IDA SELIGMANN
GEB. ROSENDORFF
JG. 1858
DEPORTIERT 1943
THERESIENSTADT
ERMORDET 11.7.1943
Weitere Stolpersteine in Rutschbahn 7:
Albert Kaufmann, Herta Kaufmann, Willy Mendel, Helene Streit, Ludwig Streit
Ida Seligmann, geb. Rosendorff, geb. 16.11.1858 in Gartz an der Oder, deportiert am 9.6.1943 nach Theresienstadt, Tod am 11.7.1943
Rutschbahn 7
Ida Seligmann kam am 16. November 1858 als Ido Rosendorff in Gartz an der Oder zur Welt. Dort heiratete sie auch am 3. Juni 1883 den 32 Jahre alten Arzt Michel Seligmann aus Hamburg. Ihre Eltern, der Kaufmann Selig Rosendorff und Philippine, geb. Liebert, waren bereits verstorben. Wann aus "Ido" "Ida" wurde, lässt sich nicht nachvollziehen. Über ihre Familie ist wenig gekannt. Ihr Bruder Hermann, geb. 29.8.1841, starb 1911 in Berlin als Witwer, eine Schwester lebte verarmt in Stolp, wo sie 1927 starb.
Michel Seligmann, geboren am 1. März 1851, stammte aus einer alten jüdischen Hamburger Familie. Die Großeltern, Philipp Seligmann und Frommet oder Fanny, geb. Bruck, lebten vom Handel mit Lumpen und Eisen und außerdem vom Commisions- und Speditionsgeschäft. Ihre Wohnung mit angegliedertem Geschäft am Rödingsmarkt lag am Übergang von der Hamburger Alt- zur Neustadt.
Seine Eltern, Seligmann Philipp Seligmann (geb. 5.6.1811) und Chaje, genannt Hannchen, geb. Reinbach (geb. 22.5.1822), hatten 1846 geheiratet. Am 13. Juni 1851 erhielt Seligmann Philipp Seligmann den Hamburger Bürgerbrief, eine Voraussetzung, als selbstständiger Kaufmann tätig zu werden. Er betrieb eine Lack- und Firnisproduktion, die er ab 1856 als alleiniger Inhaber führte. Aus seiner Ehe gingen fünf uns bekannte Kinder hervor. Michel Seligmann war das zweite Kind. Die Älteste, Gitella, war bei seiner Geburt noch nicht einmal zwei Jahre alt (geb. 12.7.1849). Auf Michel folgte wieder eine Schwester, Bona (geb. 28.4.1853). Am 12.10.1856 kam der zweite Sohn zur Welt, dessen Vorname wie der seines älteren Bruders mit "M" begann, Mardechai, später auch Markus genannt. Schließlich wurde am 2.8.1860 Menachem geboren.
Mit der rechtlichen Gleichstellung der Juden in Hamburg in den 1860er Jahren öffneten sich ihnen neue berufliche und wirtschaftliche Möglichkeiten. Michel Seligmann studierte Medizin und besuchte dazu eine Universität außerhalb Hamburgs, da Hamburg noch keine Universität, geschweige denn eine medizinische Fakultät besaß. Am 17. März 1877 erlangte er mit 26 Jahren in Göttingen die Approbation als "Dr. med. et chir." und wurde am 11. September 1877 vom Hamburger Medizinalkollegium in die Matrikel, das Verzeichnis der in Hamburg zugelassenen Ärzte, aufgenommen. Bis er sich als praktischer Arzt in der Hamburger Neustadt niederließ, wohnte er noch bei seinen Eltern in der Schröderstiftstraße 4 in Hamburg-Rotherbaum.
Nach der Heirat zog Ido/Ida Seligmann zu ihrem Mann nach Hamburg. Die jungen Eheleute wohnten zunächst in der Englischen Planke 16, gegenüber von der St. Michaeliskirche, dem "Hamburger Michel", wo Michel Seligmann auch seine Praxis betrieb. In den folgenden Jahren lebten sie quasi im Schatten des Michel, jeweils fünf Jahre bei der großen und bei der kleinen Michaeliskirche.
Zwei von Michel Seligmanns Geschwistern hatten bereits eine eigene Familie gegründet: Bona, seit ca. 1875 mit dem am 15.7.1843 in Kirberg, Landkreis Limburg-Weilburg geborenen Arzt Herz Hermann Oppenheimer verheiratet, lebte in Frankfurt/Main, wo ihr Ehemann eine Hausarztpraxis führte. Dort kamen ihre drei Kinder zur Welt, Paula (10.4.1876), Meta (1.4.1877) und Max (15.8.1878).
Mardechai, Michel Seligmanns nächster Bruder, wurde am 28. Oktober 1881 getraut. Seine Braut Hanna, geb. Berg (geb. 11.11.1848), stammte aus Kissingen in Bayern, wo ihr Vater in der Synagoge als Vorbeter und Schächter diente. Sie folgte ihrem Ehemann nach Hamburg, der zu der Zeit am Steindamm 17 in St. Georg ein Geschäft mit Holländischen Waren und eine Posamentierwerkstatt betrieb. Dort wurden ihre beiden Kinder geboren, am 18.11.1882 Siegbert und am 24.3.1884 Caroline.
Ido/Ida und Michel Seligmanns einziges Kind, der Sohn Uri Philip Adolf, kam am 15. Februar 1887 zur Welt. Er blieb das jüngste der sechs Enkelkinder Seligmann Philip und Chaje Hannchen Seligmanns.
Am 7. August 1885 schloss Gitella, die älteste der Geschwister Seligmann, die Ehe mit dem Kaufmann Moritz Boley, geb. 16.2.1848 zu Oberschütz, Kreis Fritzlar. Sie lebte noch bei ihren Eltern Grindelhof 23 in Rotherbaum, während ihr Bräutigam am Rödingsmarkt 37/39 bei seinem Betrieb wohnte, einer einträglichen Metall- und Zinkschmelze. Anstelle eines eigenen männlichen Verwandten vertrat sein Schwiegervater Seligmann Philip Seligmann seine Familie als Trauzeuge. Für Gitella fungierte ihr Bruder Michel Seligmann als Trauzeuge. Am 10. Juli 1886 brachte Gitella Boley ihr einziges Kind zur Welt, einen Sohn, der jedoch starb, bevor er einen Namen erhielt. Sein Vater Moritz Boley starb am 29. Juli 1891 mit nur 41 Jahren und hinterließ seine Witwe Gitella schlecht versorgt.
Im selben Jahr starben auch die Eltern, Seligmann Philip Seligmann am 14. Mai 1891 und fünf Monate später Chaje Hannchen Seligmann, am 7. Oktober 1891. Ihr ältester Sohn Michel meldete ihren Tod beim Standesamt.
Seit dem Tod der Eltern lebte Michel Seligmann mit seiner Familie in der Neustädter Fuhlentwiete 42 II. Dort starb auch er mit noch nicht einmal 50 Jahren am 9. Juli 1900. Obwohl seine Brüder lebten, zeigte der Produktenhändler (Einzelhändler von lokalen Waren im Gegensatz zu kolonialen) Joseph Salomon Renner aus der Marienstaße 17, heute Jan-Valkenburg-Straße, den Tod dem Standesamt an. In seiner Todesanzeige wurde er als bekannter Arzt, vor allem für Frauenheilkunde, gewürdigt.
Die verstorbenen Seligmanns wurden alle auf dem erst 1887 von der Jüdischen Gemeinde erworbenen orthodoxen Friedhof in Langenfelde beerdigt, wo inzwischen Mardechai Seligmann, Michels nächst jüngerer Bruder, als Friedhofsinspektor mit seiner Familie wohnte. Er rückte nun zum Familienoberhaupt auf.
Nach dem Tod ihres Ehemannes Michel verließ Ida Seligmann wie so viele andere Juden zu der Zeit die Neustadt und zog mit ihrem dreizehnjährigen Sohn Adolf ins Grindelviertel. Dort mietete sie 1901 in der Rutschbahn 7 III eine Zwei-Zimmer-Teilwohnung in einer Fünf-Zimmer-Wohnung mit "Mädchenzimmer". Sie lebten von dem Vermögen, das ihr verstorbener Mann ihnen hinterlassen hatte.
Über Adolf Seligmanns Werdegang fehlen exakte Angaben. Er erhielt offenbar eine humanistische Schulbildung, die eine Voraussetzung für sein späteres Universitätsstudium war. Seine Mutter finanzierte das Studium, wahrscheinlich Jura, aus dem ererbten Vermögen.
Im Gegensatz zu Ida Seligmann war ihre Schwägerin Gisella Boley auf eine Freiwohnung der jüdischen Gemeinde angewiesen. Sie zog 1907 in das Samuel-Levy-Stift in der Bundesstraße 35, wo sie nach einiger Zeit die Stelle einer Kastellanin (Verwalterin) wahrnahm.
Adolf konvertierte zu einem unbekannten Zeitpunkt zum Christentum. Als getaufter Jude stand ihm der staatliche Dienst offen. Studienort und Datum seiner Rückkehr nach Hamburg ließen sich nicht feststellen. Als sich seine Mutter Ida 1911 in der Deutsch-Israelitischen Gemeinde Hamburgs als Mitglied registrieren ließ, wurde er nicht mehr auf ihrer Steuerkarte verzeichnet. Offenbar war er bereits Assessor und wohnte zur Untermiete im Uhlenhorsterweg 2, später in Nr. 65.
1912 fungierte Adolf Seligmann als Trauzeuge bei der Heirat seines Cousins Siegbert Seligmann, der am 3. April 1912 mit der Christin Alma Adele Goetze getraut wurde. Sie stammte aus Westpreußen, wo sie am 3.4.1886 in Sandhof geboren wurde. Obwohl noch andere männliche Verwandte Siegbert Seligmanns in Hamburg lebten, vertrat Adolf seine Familie als Trauzeuge. Als im selben Jahr sein Onkel Menachem Seligmann eine ebenfalls lutherische Frau, Clara Buder, geboren am 29.9.1859 in Dresden, heiratete, nahm kein Verwandter seiner Familie das Amt des Trauzeugen wahr.
Der Erste Weltkrieg unterbrach Adolf Seligmanns Karriere. Wann er Soldat wurde, ist nicht bekannt. Am 19. August 1916 starb er im Reservelazarett I in Neuenahr (heute Bad Neuenahr) an einer Nierenentzündung im Alter von 29 Jahren. Er wurde dort beerdigt.
Auch Ida Seligmanns Neffen Siegbert Seligmann und Max Oppenheimer nahmen als Bataillonsärzte am Ersten Weltkrieg teil. Max Oppenheimer, Sohn von Idas Schwägerin Bona, starb bereits am 26. September 1915 an einem Artilleriebeschuss bei Smorgon im Nordosten Weißrusslands in einer Schlacht ähnlich der von Verdun. (Er hatte 1908 Caroline Seligmann, Siegberts Schwester, geheiratet.) Die Nachricht vom Tod Max Oppenheimers traf erst sieben Monate später ein.
Am 26. Mai 1916, acht Monate nach dem Tod seines Sohns Max Oppenheimer, starb auch Herz Hermann Oppenheimer. Seine Witwe zog in das Heine Asyl am Holstenwall 18. Nach dem Tod ihres Ehemannes absolvierte Caroline Oppenheimer eine Ausbildung als medizinisch-technische Assistentin in Berlin und blieb dort als Angestellte der AOK.
Ida Seligmanns Lebensunterhalt bestand aus ihrem eigenen Erwerbseinkommen, den ihr testamentarisch vermachten Zinsen aus einer Bremer Stadtanleihe von 50 000 Mark und einer Elternteilrente nach ihrem Sohn. Ohne Berufsausbildung geblieben, konnte sie nur eine gering bezahlte Tätigkeit ausführen. Als das Vermögen aufgebraucht war und die Inflation die Kriegshinterbliebenenrente sowie ihr eigenes Erwerbseinkommen aufgezehrt hatte, verkaufte sie Schmuck und Möbel und wurde zudem von einem Bruder unterstützt. Diese Situation machte sie krank. Sie führte zu anhaltender Erschöpfung und einem Magen-Darm-Leiden.
Das "Mädchenzimmer" ermöglichte ihr die Beschäftigung einer Haushilfe auf der Basis von schlicht um schlicht. Das hieß, die junge Frau Johanna Müller, geb. 2.2.1884 in Bremen, wohnte bei ihr und half im Haushalt, erhielt aber keinen Lohn. Johanna Müller verdiente an anderer Stelle ein wenig und unterstütze damit ihre Wirtin. Später sollte sie aus Ida Seligmanns Nachlass entschädigt werden.
1913 wurde Ida Seligmann erstmals von der Jüdischen Gemeinde zu einem Beitrag von 20 RM veranlagt, den sie jedoch nicht entrichten konnte. 1922, auf dem Höhepunkt der Inflation, zahlte sie zum letzten Mal die Gemeindesteuer von 20 M im Jahr. In ihrer Not wandte sie sich an die Wohlfahrt, die eine Zwangsvermietung eines Zimmers anwies. Die negativen Erfahrungen, die Ida Seligmann damit gemacht hatte, veranlassten sie, um einen Rentenvorschuss als zinslosen Kredit von 2.000 M zu ersuchen, um damit die gesamte Wohnung übernehmen und die Vermietung in ihre eigenen Hände nehmen zu können. (Die deutsche Währung Mark (M) wurde während der Weimarer Zeit nach der Inflation durch die Rentenmark/Reichsmark (RM) ersetzt). Der Kredit wurde ihr gewährt. Bis zu ihrem eigenen Auszug wählte sie nun ihre Mieter selbst aus, erreichte aber nicht immer das dadurch erhoffte Einkommen.
Noch vor Ende des Jahrzehnts starben drei nähere Verwandte Ida Seligmanns, die alle auf dem Langenfelder Friedhof beerdigt wurden. Es begann mit ihrer Schwägerin Hanna Seligmann, Mardechai Seligmanns Frau 1922. Bona Oppenheimer starb 1923 im UKE. Drei Jahre später, 1926, folgte ihre ebenfalls verwitwete Schwägerin Gitella Boley nach einem kurzen Aufenthalt in der Staatskrankenanstalt Friedrichsberg, wo sie wegen Verwirrtheit und Herzschwäche aufgenommen worden war. Aufgrund von Gehirnblutungen verbrachte Mardechai Seligmann sein Lebensende im Altenheim Bahrenfeld, wo er Silvester 1929 starb.
Um Ida Seligmann war es einsam geworden, und auch ihre wirtschaftliche Lage verschlechterte sich. Mit 67 Jahren erreichte sie die Altersgrenze für Erwerbsarbeit. Die Mieteinnahmen fielen geringer aus als erwartet. Ihre Hilfe Johanna Müller verlor die anderweitige Beschäftigung, erhielt aber keine Arbeitslosenunterstützung. Die Bremer Stadtanleihe erbrachte keine Zinsen mehr. So stellte Ida Seligmann am 28. April 1926 einen erneuten Antrag auf Aufnahme in die Fürsorge. Dafür musste sie Angaben zu ihrem Gesundheitszustand und ihrer Arbeitsfähigkeit machen. Das Amt hielt ihr fortgeschrittenes Alter, allgemeine Nervenschwäche, Pflegebedürftigkeit und Erwerbsunfähigkeit fest. Die Fürsorge fragte auch nach Personen, die vielleicht laufende Unterstützung leisten könnten. Unter Ida Seligmanns Angehörigen fand sich niemand.
Aufgrund ihrer festen monatlichen Bezüge von Elternteil- und Zusatzrente erhielt sie erstmals am 5. März 1926 per Postscheckzahlung 3 RM wöchentlich. Diese Zahlungen setzten sich bis zum 17. Dezember 1933 im Wechsel mit 2 RM fort. Zusätzlich erhielt sie Geld für Kohlen, einmalig 1928 für eine Stiefelreparatur, 1930 die Kostenübernahme für eine Zahnbehandlung und 1932 die für eine Brille. Die Kosten für ärztliche Behandlungen und Medikamente wurden nicht übernommen. Der Freund ihres verstorbenen Mannes, Dr. Lesser Lothar Conitzer, behandelte sie unentgeltlich. Hilfe kam aber auch von anderer Seite. Ida Seligmanns in Stolp wohnende Schwester machte ihren Rabbiner auf sie aufmerksam, woraufhin die Israelitische Gemeinde ihr zweimal 30 M zustellte.
Ida Seligmanns monatliche Einnahmen aus der Vermietung betrugen RM 22,75. Mit der Weltwirtschaftskrise sanken diese, weil Mieter nur zahlten, was sie erübrigen konnten und sonst ausgezogen wären.
Im Todesjahr ihres Vaters, am 30. April 1929, kehrte Caroline Oppenheimer von Berlin nach Hamburg zurück und blieb dort weiter bei der AOK beschäftigt. Sie zog zu ihrer Tante Ida Seligmann und richtete sich als Mieterin stilvoll in einer Teilwohnung von 2 ½ Zimmern ein. Ab 1931 wurde sie im Hamburger Adressbuch verzeichnet.
Am 7. April 1933, unmittelbar nach der Machtübertragung auf Adolf Hitler, wurde das "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" verabschiedet. Es diente der Gleichschaltung des öffentlichen Dienstes und der Entlassung von echten oder vermeintlichen Gegnern des NS-Regimes unter ihnen auch getaufte Juden. Caroline Oppenheimer verlor unmittelbar nach dem Erlass des Gesetzes ihre Stellung bei der AOK. Ohne Hoffnung auf eine baldige Normalisierung des Lebens, betrieb sie ihre Auswanderung nach Brasilien, um sich dort eine neue Existenz als Laborantin aufzubauen, ließ aber ihren Haushalt und Wertsachen in der Obhut ihres Bruders Siegbert und eines Vetters zurück. Sie reiste am 8. September 1933 nach Brasilien aus und fand in Minas Geraes Arbeit sowohl in ihrem Beruf als auch als Gesangs- und Sprachlehrerin.
Ida Seligmann vermietete die Wohnung ihrer Nichte neu.
In den 1930er Jahren starben weitere Verwandte, Clara Seligmann 1935 im UKE, ihr Witwer Menachem 1937 im Israelitischen Krankenhaus. Er wurde als einziger aus der Familie Seligmann auf dem Jüdischen Friedhof an der Ilandkoppel in Ohlsdorf begraben.
Im Sommer 1933, Johanna Müller war inzwischen 49 Jahre alt, verlor sie ihre Beschäftigung, war aber zu stolz, selbst Wohlfahrtsunterstützung zu beantragen. Ida Seligmann erlitt am 6. Dezember 1933 einen Schenkelhalsbruch und wurde ins Israelitische Krankenhaus transportiert. Daraufhin nahm Johanna Müller dann doch Arbeitslosenunterstützung in Anspruch und sorgte für die Vermietungen. Als Ida Seligmann schließlich am 9. März 1934 aus dem Krankenhaus entlassen wurde, konnte sie sich nur mühsam mit dem Gehbock fortbewegen. Am 4. November 1935 begann Johanna Müller bei der DAF (Deutsche Arbeitsfront) als Reinmachefrau zu arbeiten. Es dauerte noch zwei Jahre, bis sich Ida Seligmann am Stock fortbewegen konnte. Nach 37 Jahren in der Rutschbahn 7 gab sie ihre Wohnung auf und überließ sie Johanna Müller.
Bis zum 31. Januar 1938 lief die monatliche Wohlfahrtsunterstützung von RM 39 an Ida Seligmann weiter. Mit der Begründung, ihre Einnahmen genügten, wurden sie auf 4 RM reduziert. Gleichzeitig wurde Ida Seligmann an die für Jüdinnen zuständige Sonderdienststelle der Fürsorge verwiesen. Von ihrer Wohnung aus erlebte die sie Verwüstung der Alten und Neuen Klaus, das Lehr- und Studierhaus mit Synagoge im Hinterhaus von Rutschbahn 11, während des Novemberpogroms.
Sechs Jahre nach seiner Schwester wanderte im November 1939 Ida Seligmanns Neffe Siegbert Seligmann-Goetze auch aus (s. Siegbert Goetze www.stolpersteine-hamburg.de). Seine Töchter Liesel und Adelheid hatten sich schon im Ausland in Sicherheit gebracht. Ab da war von allen nahen Verwandten nur noch Adele Goetze am Leben und vor Ort in Hamburg. Auch Ida Seligmanns Bruder Hermann Rosendorff in Berlin (Tod 1911) und die Schwester in Stolp (Tod 1927) waren schon gestorben.
Zunächst blieb Ida Seligmann noch als Untermieterin bei ihrer früheren Haushilfe. 1940 zog sie in die Rutschbahn 25 a, die Minkel Salomon David Kalker-Stiftung für Freiwohnungen. Sie erhielt weiter ihre Hinterbliebenenrente von monatlich 41,80 RM.
Mit zunehmendem Druck auf die jüdische Bevölkerung verringerte sich die jeder Person zugestandene Wohnfläche. Die Jüdische Gemeinde musste für die Unterbringung sorgen. Als pflegebedürftige Frau wurde Ida Seligmann 1942 im ehemaligen Mädchenwaisenhaus "Paulinenstift" Laufgraben 37 untergebracht, das nun als Alten- und Pflegeheim diente, und schließlich in der Beneckestraße 6, ebenfalls ein Not-Altenheim. Ihr von Umzug zu Umzug verkleinerter Haushalt bestand nur noch aus dem Allernötigsten.
Was Ida Seligmann von den seit Oktober 1941 in Abständen laufenden Deportationen erfuhr, ist uns nicht bekannt. Sie selbst wurde am 9. Juni 1943 zusammen mit 35 Mitbewohnerinnen aus dem Altenheim in der Beneckestraße 6 in das sogenannte Altersgetto Theresienstadt abtransportiert.
Der Transport in Güterwagen mit etlichen liegend transportierten Kranken umfasste 81 Personen. Er erreichte Theresienstadt am 11. Juni 1943. Der Judenreferent der Gestapo, Claus Göttsche, nutzte diesen Transport, um sich ein Bild von dem Altersgetto zu machen, wurde aber von der SS schon am Bahnhof Bauschowitz wieder zurück geschickt.
Im Getto gab es aufgrund der Evakuierungstransporte von Tausenden von Bewohnern nach Auschwitz im Vorjahr Platz für die Unterbringung der Neuankömmlinge in Häusern statt auf Dachböden.
Ida Seligmann, altersschwach und krank, starb einen Monat nach ihrer Ankunft am 11. Juli 1943, in Haus L 3 15 neben dem Marktplatz in der Mitte von Theresienstadt.
In der Todesfallanzeige wurden keine Angehörigen eingetragen. Die Zeile "Beisetzung" blieb leer. Wahrscheinlich wurde sie eingeäschert. Sie wurde 84 Jahre alt.
Stand: November 2024
© Hildegard Thevs mit Ruth Goetze
Quellen: 1; 2 Oberfinanzpräsident, F 1902; 3; 4; 5 digital, 7; 9; Hamburger Adressbücher; StaHH 232-3 Testamente, H 13525; 332-5, Personenstandsregister; 351-11 Wiedergutmachung, 6316, 7438; 351-14 Fürsorge, 1798; 352-3 Medizinalcollegium Matrikel, I C 11 Band 1 und Band 4; 552-1 Jüdische Gemeinden, 992 e 2; Medizinhistorisches Institut UKE, Archiv; holocaust.cz, Datenbank der digitalisierten Dokumente - Todesfallanzeige; Deutsch-Jüdische Gesellschaft Hamburg, bearb. W. Mosel, Wegweiser zu ehemaligen jüdischen Stätten in Hamburg, Heft 3, S. 129-139, o.J.; Jüdische Stätten in Hamburg, hrsg. Institut für die Geschichte der deutschen Juden und Landeszentrale für politische Bildung Hamburg, 1995, 4. Aufl. 2002.
Zur Nummerierung häufig benutzter Quellen siehe Link "Recherche" auf www.stolpersteine-hamburg.de.