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Leo Wolfsohn
© Norma van der Walde

Leo Wolfsohn * 1868

Adolphsplatz 1 (Hamburg-Mitte, Hamburg-Altstadt)


LEO WOLFSOHN
JG. 1868
DEPORTIERT 1942
THERESIENSTADT
ERMORDET 16.9.1942

Weitere Stolpersteine in Adolphsplatz 1:
Valentin Burchard, Leopold Cohn, Otto Friedeberg, John Hausmann, Ludwig Moritz Mainz, Heinrich Mayer, Ivan Philip, Franz Max Rappolt, Paul Salomon, Max Stein, Dr. Heinrich Wohlwill, Cäsar Wolf

Leo Wolfsohn, geb. am 30. März 1868 in Graudenz, gestorben am 16.9.1942 in Theresienstadt

Mitglied des Vorstands der Zuckerbörse Dezember 1932–Juli 1933

Leo Wolfsohn stammte aus der Provinz Westpreußen. Am 30. März 1868 wurde er dort in Graudenz (heute Grudziądz/Polen), der damaligen Kreisstadt im Regierungsbezirk Marienwerder, geboren. Seine Eltern waren Moritz Magnus Wolfsohn (1842–1932) und Johanna, geb. Stein (1839–1909). Leo war der zweite in der Reihe von insgesamt sieben Geschwistern. Um die Jahrhundertwende heiratete er in Posen die dort 1879 geborene Jüdin Helene Krombach, genannt Hella (1879–1931), Tochter von Simon Krombach und seiner Frau Eugenia, geb. Badt (1853–1943).

Bald darauf zog das junge Ehepaar nach Hamburg, wo Leo Wolfsohn am 2. Dezember 1905 als Alleinunternehmer die Firma Leo Wolfsohn ins Handelsregister eintragen ließ. Das Geschäft, das Zucker und Melasse importierte, saß bis 1909 nahe des Hauptbahnhofes am Hühnerposten 14 und danach übergangsweise Kuhmühle 25 und Gröningerstraße 13/17. 1912 mietete Leo Wolfsohn dann eine repräsentative 5 ½–Zimmer-Wohnung auf der Uhlenhorst im Hochparterre des 1911 neu errichteten Hauses Schrötteringksweg 9 an. Ausgestattet mit wertvollen Möbeln, Teppichen, Gemälden, Porzellan und den modernsten elektrischen Geräten, wurde sie für ihn und seine Frau auf lange Zeit das Zuhause, von hier aus führte er auch seine Geschäfte. Leo und Hella Wolfsohn bekamen keine Kinder. Der jüdische Leo Wolfsohn wurde in der Kultussteuerkartei der Deutsch-Israelitischen Gemeinde Hamburg unter der Nr. 10382 geführt. Ob und wie er seine mosaische Religion lebte, ist nicht bekannt.

Um 1908 zog auch Leo Wolfsohns älterer Bruder Arthur nach Hamburg. Als Apotheker erwarb er das Haus Spaldingstraße 28, wo er im ersten Stock wohnte und im Erdgeschoss die Mohren-Apotheke betrieb. Ein Cousin von Leo und Arthur, der Pharmazeut Max Wolfsohn, besaß von 1907 bis 1938 die Apotheke "Zum Ritter" in der Langen Reihe 39 in St. Georg. Als Arthur Wolfsohn 1927 verstarb, übernahm sein Sohn Ernst Haus und Apotheke in der Spaldingstraße.

Am 23. März 1914 hatte sich die Firma Leo Wolfsohn in eine Kommanditgesellschaft umgewandelt und Leos Ehefrau Helene war als Kommanditistin eingetreten. Das Unternehmen betätigte sich seitdem auch im Export von Zucker und Melasse. Helene Wolfsohn starb am 3. Dezember 1931 in Hamburg im Marienkrankenhaus. Nachdem auch sein Neffe Ernst 1936 verschieden war, hatte Leo Wolfsohn außer seinem Cousin und seiner Schwiegermutter Eugenie Krombach, die ebenfalls nach Hamburg gezogen war, kaum nähere Verwandte mehr in der Hansestadt. Seine Schwägerin GoldinaKrombach hatte den Hamburger Max Magnus van der Walde geheiratet.

Neben seiner eigenen Firma war Leo Wolfsohn seit dem Januar 1931 in einem weiteren Unternehmen aktiv, der Union Hanseatisch-Baltische Im- und Exportgesellschaft m.b.H. Diese 1921 gegründete Gesellschaft, die sich vor allem mit Kommissionsgeschäften im Handelsverkehr mit den baltischen Ländern befasste, hatte ihn zu einem ihrer drei Geschäftsführer bestellt. Er übte diese Funktion bis Anfang 1935 aus.

Im Dezember 1932 wurde Leo Wolfsohn von der Handelskammer Hamburg für die Abteilung Zucker zum Mitglied des Börsenvorstandes ernannt. Doch diese ehrenvolle Aufgabe währte nicht lange. Denn die Nationalsozialisten richteten bereits kurze Zeit nach Übernahme der Regierungsgewalt im Frühjahr 1933 ihr Augenmerk darauf, jüdische Unternehmer aus der Wirtschaft herauszudrängen und die Organisationen der Wirtschaft von jüdischen Mitgliedern zu "säubern". Anfang April begehrte Hamburgs neuer Bürgermeister Carl Vincent Krogmann von der Handelskammer Maßnahmen, um eine Neugestaltung ihrer Organisation in die Wege zu leiten. Daraufhin forderte die Kammer die Börsenvorstände auf, sich an den politischen Vorgaben zu orientieren und Vorschläge für eine personelle Umbesetzung einzureichen. Am 11. Juli 1933 konnte der Vorstand der Zuckerbörse der Kammer mitteilen: "Das bisherige Mitglied des Vorstandes der Zuckerbörse, Herr Leo Wolfsohn, ist durch Amtsniederlegung am 10.d.M. ausgeschieden". Danach wurde der neue Börsenvorstand durch Regierungsdirektor Köhn, zugleich Staatskommissar bei der Hamburger Börse, genehmigt.

Die Handelskammer, seit Februar 1935 Industrie- und Handelskammer, war ab Mitte 1938 intensiver in die Maßnahmen des Reichsstatthalters zur "Arisierung" jüdischer Handels- und Gewerbebetriebe eingebunden. Zwar leitete sie noch keine Informationen über die "Ariereigenschaft oder Nichteigenschaft von Firmen" weiter. Doch "Nur für den internen Dienstgebrauch" stellte sie eine Liste über sogenannte nichtarische Firmen nach Geschäftszweigen zusammen, auf der sie unter der Rubrik "Zucker" neben den Unternehmen L. Behrens & Söhne und Ivan Philip auch Leo Wolfsohn vermerkte.

Am 18. August 1939 wurde Leo Wolfsohns Firma, die er seit Oktober 1937 wieder als Alleininhaber geführt hatte, im Handelsregister als erloschen eingetragen. Über die Gründe, die zur Auflassung des Geschäfts geführt hatten, kann nur spekuliert werden. Ab November 1937 waren durch einen Erlass des Reichswirtschaftsministeriums die Kontingente für jüdische Firmen gekürzt und damit der Handel für sie außerordentlich erschwert worden. Es scheint fraglich, ob die Firma des 71-Jährigen unter den herrschenden wirtschaftspolitischen Bedingungen noch Gewinne einbrachte, so dass sich der – genehmigungspflichtige – Verkauf an einen nichtjüdischen Unternehmer gelohnt hätte. Das Unternehmen scheint jedoch nicht unter direktem Zwang liquidiert worden zu sein.

Im Verlauf der Verfolgung jüdischer Bürger durch die nationalsozialistischen Behörden wurde auch Leo Wolfsohn spätestens ab 1939 systematisch ausgeplündert. Er musste eine Judenvermögensabgabe von 12.400 RM entrichten, Wertpapiere im Annahmewert von 27.817 RM abliefern sowie Schmuck, Gold- und Silbersachen im Schätzwert von 4.000 RM aushändigen.Ein noch verbliebenes Bankguthaben in Höhe von 1.147 RM wurde ebenfalls eingezogen.

"Abgesehen von den üblichen Restriktionen und Demütigungen während der Zeit des Nationalsozialismus musste Leo Wolfsohn erdulden, dass Teile seiner Wohnung von der SS als Büro konfisziert wurden, bis er endgültig vertrieben wurde." Im August 1941 zog er zu einer Familie Wallach in die Lehnhartzstraße 3 und mit dieser zusammen dann Anfang März 1942 in die Kielortallee 22/24. Dieses Doppelhaus der jüdischen Oppenheimer Stiftung, das ursprünglich Freiwohnungen für in Not geratene Mitglieder der Deutsch-Israelitischen Gemeinde bereit hielt, war 1942 an die Reichsvereinigung der Juden in Deutschland zwangsübereignet worden. Es wurde als eines der sogenannten Judenhäuser genutzt, in denen man jüdische Bürger auf engstem Raum einquartierte und die zugleich als Sammelstelle für Deportationen dienten. Bei der Zwangsumsiedlung musste vermutlich die hochwertige Wohnungseinrichtung aus dem Schötteringksweg 9 mit Stilmöbeln, Gemälden und einem Steinway-Konzertflügel für geringes Geld verschleudert werden. Im Wiedergutmachungsverfahren war auch von einer außerordentlich umfangreichen und wertvollen Briefmarkensammlung die Rede, was sich jedoch nicht belegen ließ.

Am 15. Juli 1942 wurde Leo Wolfsohn mit dem Transport Nr. VI/1 unter der Nr. 917 von Hamburg nach Theresienstadt deportiert. Dort starb er am 16. September 1942. Bei der Totenschau attestierte man arteriosklerotische Demenz und als Todesursache einen Darmkatarrh. Auch sein Bruder Bruno und seine Schwester Greta Rosa, verheiratete Angres, die in Posen beheimatet waren, sowie sein Cousin Max Wolfsohn wurden im Konzentrationslager ums Leben gebracht.

In den 1950/60er Jahren erstritten die Nachkommen seiner überlebenden Geschwister für die Schäden, die Leo Wolfsohn durch erzwungene Sonderabgaben, Entziehung von Vermögen und Verschleuderung der Wohnungseinrichtung zugefügt wurden, über Rechtsanwälte in Deutschland vor den hiesigen Behörden Wiedergutmachungsleistungen. Sie lebten mittlerweile in London, Paris, den USA, in Kolumbien und Argentinien.

Seit 2014 erinnert vor dem Wohnhaus Schötteringksweg 9 ein Stolperstein an Leo Wolfsohn.


© Text mit freundlicher Genehmigung der Handelskammer Hamburg (Hrsg.) entnommen aus: "Gegen das Vergessen. Opfer totalitärer Verfolgung aus dem Ehren- und Hauptamt der Handelskammer Hamburg". Hamburg 2019


Stand: Oktober 2019
© Dr. Karin Gröwer

Quellen: HK-Archiv 100.B.1.21 (Verzeichnis der jüdischen Betriebe nach Geschäftszweigen); HK-Archiv 100.B.1.29 (Ablehnung von Anträgen und Anregungen, Firmen als nichtarisch zu bezeichnen oder Listen nichtarischer Firmen aufzustellen oder weiterzuleiten); HK-Archiv 53.D.2.2.9 (Ernennung der Mitglieder der Allgemeinen Abteilung des Börsenvorstandes (Börsenkommission) 1926–1934); HK-Archiv 53.D.6.3.10 (Ernennung des Vorstandes der Zuckerbörse 1927–1933); StAHH 213-13_18733 (Landgericht Hamburg, Wiedergutmachung, Leo Wolfsohn); StAHH 231-7_A 1 Band 8 (Handelsregister A 2323); StAHH 231-7_A 2 Band 46 (Handelsregister B 3019); StAHH 231-7_A 3 Band 50 (Handelsregister C 3576); StAHH 332-5_1053 (Standesamt Hamburg 02a, Sterberegister 1936 Nr. 93); StAHH 332-5_7121 (Standesamt Hamburg 21, Sterberegister 1931 Nr. 1054); StAHH 332-5_930 (Standesamt Hamburg 23, Sterberegister 1927 Nr. 245); StAHH 351-11_1309 (Amt für Wiedergutmachung, Erbengemeinschaft Leo Wolfsohn); Bajohr, Frank: "Arisierung" in Hamburg. Die Verdrängung der jüdischen Unternehmer 1933–1945, Hamburg 1997, S. 223ff, 347; Bielfeldt, Hans: Vom Werden Groß-Hamburgs. Citykammer, Gauwirtschaftskammer, Handelskammer. Politik und Personalia im Dritten Reich, (Staat und Wirtschaft. Beiträge zur Geschichte der Handelskammer Hamburg) Hamburg 1980, S. 61, 142; Hamburger Adressbuch; Lohalm, Uwe (Hrsg.): "Schließlich ist es meine Heimat ..." Harry Goldstein und die Jüdische Gemeinde in Hamburg in persönlichen Dokumenten und Fotos, (Veröffentlichung der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg) Hamburg 2002, S. 142; Offizielles Hamburger Börsenadressbuch.

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