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Gertrud Ruppin (geborene Windmüller) * 1885

Hegestraße 39 (Hamburg-Nord, Eppendorf)

1941 Riga

Weitere Stolpersteine in Hegestraße 39:
Ernst Goldschmidt, Henriette Meidner, Julia Alice (Egele) Windmüller, Franz Wolff, Luise Wolff

Gertrud Adele Ruppin, geb. Windmüller, geb. 27.2.1885 in Hamburg, am 6.12.1941 nach Riga deportiert

Hegestraße 39

Gertrud Ruppin wuchs mit ihrer älteren Schwester Julia Windmüller (s. dort) in finanziell sehr guten Verhältnissen auf. Ihr Vater, Salomon Siegmund, genannt Siegmund Philipp Windmüller, war Kaufmann in Hamburg. Die Töchter wurden evangelisch erzogen, obwohl auch die Mutter, Helene Windmüller, geb. Elias, von Geburt Jüdin war. Die Eltern waren außerordentlich kunst- und musikliebend und standen mit vielen Schauspielern, Musikern und Komponisten in freundschaftlichem Kontakt.

1910 heiratete Gertrud den gut situierten Kaufmann Carl Moritz Ruppin, der am 25. Juni 1875 in Leipzig geboren worden war. Dieser war anfänglich als Prokurist, seit 1912 als persönlich haftender Gesellschafter in der Firma seines Schwagers Moritz Simonis tätig. Die offene Handelsgesellschaft Herm. Simonis, Neuer Wall 10, gehörte zu den bekanntesten und angesehensten Häusern der Futtermittelbranche in ganz Deutschland. Carl Ruppin war viele Jahre Mitglied des Vorstandes des Vereins der Getreide- und Futtermittelhändler in Hamburg und als Obmann sowie als Schiedsrichter in den Schiedsgerichten des Vereins tätig. Darüber hinaus wurde er als ehrenamtlicher Handelsrichter eingesetzt.

Im Januar 1912 wurde dem Ehepaar die erste Tochter, Helene Marie, geboren, 1913 folgte ein Sohn, Hans Karl, und im Oktober 1918 eine weitere Tochter, Charlotte Gertrud. Die Familie wohnte in der Werderstraße in Hamburg-Harvestehude. Von hier aus besuchten die Töchter das angesehene private Firgau-Liceum in der Sierichstraße 53 und wechselten nach sechs Jahren auf das Realgymnasium für Mädchen an der Curschmannstraße.

Carl Ruppins beruflicher Erfolg führte 1929 zum Umzug aus der Werderstraße in eine herrschaftliche Zehnzimmerwohnung mit großen Gesellschaftsräumen in der Haynstraße Nr. 1. Eine Schulfreundin der Tochter Helene Marie berichtete später: "Den Zuschnitt des Hausstandes kann man daraus ersehen, dass an Personal ständig eine Köchin, ein Kleinmädchen und eine Aufwartefrau beschäftigt waren … Herr Ruppin hatte eine Bibliothek mit ca. 1500 Büchern."

Als das schöne, großbürgerliche Haus in der Haynstraße 1 wegen grundlegender Umbauten geräumt wurde, wechselten Ruppins in das dem gleichen Besitzer gehörende Nachbarhaus in der Hegestraße 39, das ebenfalls über sehr schöne, geräumige Wohnungen verfügte.

Obwohl sich die wirtschaftlichen Verhältnisse nach 1933 infolge der Verdrängung jüdischer Firmen aus dem Handel sowie staatlicher Schikanen und der Verweigerung von Einfuhrgenehmigungen zusehends verschlechterten, feierten Gertrud und Carl Ruppin 1935 mit Freunden und der Familie Silberhochzeit in großem Stil. "Der große Esstisch war bedeckt mit den schönsten Geschenken aller Art", berichtete die bereits erwähnte Freundin von Helene Marie.

Knapp ein Jahr später musste Carl Ruppin die Firma Herm. Simonis, in der er seit dem Ausscheiden des Mitinhabers F.H. Friedländer Alleininhaber war, mangels Umsatz einstellen. Nun wurde die Situation der Familie dramatisch.

Carl Ruppin starb an den Folgen einer Herzkrankheit am 12. August 1939. Seine Firma wurde im Dezember 1939 von Amts wegen gelöscht.

Im Dezember 1937 war der jüngeren Tochter, Charlotte Gertrud, die Auswanderung nach London gelungen. Als Jüdin war sie vom Gymnasium verwiesen worden, das geplante Medizinstudium wurde damit unmöglich, und in Deutschland boten sich ihr auch keine anderweitigen Ausbildungsmöglichkeiten. Glücklicherweise hatte ein Komitee-Mitglied ihre Aufnahme in das Radcliffe Infirmary, Oxford, garantiert und damit für sie die Einreise-Erlaubnis nach England erwirkt. Im Februar 1939 konnte Tochter Helene Marie nach Schottland entkommen. Auch der Sohn Hans Karl, der in Hamburg eine kaufmännische Lehre absolviert hatte und die väterliche Firma eines Tages hätte übernehmen sollen, konnte Deutschland noch rechtzeitig verlassen und die britische Staatsangehörigkeit erlangen.

Zurück blieben Gertrud und ihre unverheiratete Schwester Julia, die 1937 zu Schwester und Schwager in die Hegestraße 39 gezogen war, nachdem ihr als Jüdin die Erwerbsmöglichkeiten sowohl als Klavierlehrerin als auch als Inhaberin einer Schreibstube verwehrt worden waren. Auch für ihre schriftstellerischen Arbeiten bestanden keine Veröffentlichungsmöglichkeiten mehr.

Nachdem Julia Windmüller am 22. Oktober 1941 einen Deportationsbefehl nach Lodz erhalten hatte, fand Gertrud Ruppin ihre Schwester am Morgen des 24. Oktober bewusstlos im Bett. Am Tage darauf starb sie im Israelitischen Krankenhaus, Johnsallee 68.

Nur sechs Wochen später, am 6. Dezember 1941, wurde Gertrud Ruppin nach Riga deportiert. Eine Freundin, die noch am Tag vor ihrer Deportation bei ihr gewesen war, berichtete, dass schon am folgenden Tag die gesamte Wohnung leer geräumt war. Am 10. Februar 1942 gingen (wahrscheinlich aus dem Erlös der in der Wohnung vorgefundenen Wertgegenstände) 3955,50 RM auf den Namen Gertrud Ruppin bei der Oberfinanzkasse ein und wurden unverzüglich konfisziert.

© Lore Wieprecht

Quellen: 1; 4; 5; 8; AfW 030111 Swingler, Helene; AfW 071018 Ruppin, Charlotte; StaH 522-1 Jüd. Gemeinden, 992e2 Band 3.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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