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Bereits verlegte Stolpersteine



Robert Martin Levy * 1891

Großneumarkt 56 (Hamburg-Mitte, Neustadt)


HIER WOHNTE
ROBERT MARTIN LEVY
JG. 1891
EINGEWIESEN 1937
HEILANSTALT LANGENHORN
"VERLEGT" 23.9.1940
BRANDENBURG
ERMORDET 23.9.1940
"AKTION T4"

Weitere Stolpersteine in Großneumarkt 56:
Sella Cohen, Bertha Cohen, A(h)ron Albert Cohn, Thekla Daltrop, David Elias, Theresia Elias, Louisa(e) Elias, Helene Martha Fernich, Martha Minna Fernich, Camilla Fuchs, Siegmund Josephi, Hertha Liebermann, Fritz Mainzer, Elsa Nathan, Ruth Nathan, Siegfried Neumann, Fanny Neumann, Lieselotte Neumann, Mirjam Neumann, Max Leo Neumann, Therese Neumann, Bela Neumann, Josef Polack, Bertha Polack, Eva Samuel, Rosa Therese Weil, Bernhard Weil, Rosa Weinberg, Siegfried Weinberg

Robert Martin Levy, geb. am 1.8.1891 in Hamburg, ermordet am 23.9.1940 in der Tötungsanstalt Brandenburg an der Havel

Stolperstein Hamburg-Neustadt, Großneumarkt 56

Robert Martin Levy wurde am 1. August 1891 in der Straße Bei den Hütten 46 in der Hamburger Neustadt geboren. Sein Vater Martin Levy, geboren am 7. November 1864 in Hamburg, und seine Mutter Rosa, geborene Cohn, geboren am 30. Juni 1862 in Altona, hatten am 19. Dezember 1889 geheiratet. Das Ehepaar bekannte sich zur jüdischen Religion. Es hatte außer Robert Martin zwei weitere Söhne: Louis, geboren am 23. Juli 1890, gestorben am 24. Februar 1891, und Bernhard, geboren am 6. April 1893.

Martin Levy arbeitete um 1890 als Hausknecht, später als Butterhändler. Seine Ehefrau Rosa starb am 17. Oktober 1904 im Israelitischen Krankenhaus in Hamburg. Im Juli 1905 ging Martin Levy mit Therese Wagener geboren am 22. Juli 1875, eine zweite Ehe ein. Er wohnte zu dieser Zeit am Großneumarkt 56.

Robert Martin war dreizehn, als er seine Mutter verlor. Er hatte als Schüler Probleme, dem Unterricht zu folgen. Während der Pubertät neigte er, wie es in der Patientenakte heißt, zu "sexuellen Triebhandlungen", die 1906 – er war fünfzehn Jahre alt – zu seiner Einweisung in die "Irrenanstalt Friedrichsberg” führten. Hier arbeitete er als Maleranlernling fleißig und willig. Gelegentlich soll er streitsüchtig gewesen sein. Insgesamt entwickelte sich Robert so günstig, dass er ab 1921 regelmäßig Stadturlaub erhielt.

Die mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 zur Staatsdoktrin erhobene Erbgesundheitspolitik hatte für Robert Martin schwerwiegende Konsequenzen. Durch das am 14. Juli 1933 beschlossene und am 1. Januar 1934 in Kraft getretene "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" konnte durch chirurgischen Eingriff unfruchtbar gemacht (sterilisiert) werden, "wer erbkrank ist, wenn nach den Erfahrungen der ärztlichen Wissenschaft mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass seine Nachkommen an schweren körperlichen oder geistigen Erbschäden leiden". Bei Robert Martins Aufnahme in Friedrichsberg war festgehalten worden, dass seine Mutter "nicht normal, deren Vater im Irrenhaus verstorben" sei. Das reichte aus, um ihn am 7. März 1935 im Allgemeinen Krankenhaus Barmbek zu sterilisieren. Nach diesem Eingriff wurde Robert Martin Levy entlassen, im Frühjahr 1936 jedoch erneut Patient der Anstalt Friedrichsberg. Der Grund dafür ist nicht bekannt. Zwei Jahre später, am 13. Juli 1937, wurde Robert Martin Levy "im Sammeltransport" in die Staatskrankenanstalt Langenhorn verlegt. Bei seiner Aufnahme konnte er Wissensfragen logisch und richtig beantworten. Er arbeitete auch dort in den Malerwerkstätten. Man schilderte ihn als ruhig, fleißig und anstellig, so dass er auch in Langenhorn regelmäßig auf Stadturlaub gehen durfte.

Wahrscheinlich führte die Bewertung als fleißiger und anstelliger Arbeiter am 18. August 1939 zu Robert Martins Verlegung in das Gut Düssin. Die Stadt Hamburg hatte das spätere Außenlager des Konzentrationslagers Neuengamme Ende 1938 gekauft. Dort wurden vorübergehend 220 Menschen mit einer geistigen Behinderung oder psychischen Erkrankung untergebracht. Die zunächst geplante Einrichtung einer großen Anstalt für Menschen mit einer geistigen Behinderung oder psychischen Erkrankung wurde nicht verwirklicht. Wie die anderen Frauen und Männer aus Langenhorn wurden neben Robert Martin Levy auch zwei Frauen und vier Männer jüdischer Abstammung in Düssin zur Landarbeit herangezogen.

Die Rückführung der jüdischen Patienten aus Düssin nach Langenhorn war Teil einer seit dem Frühjahr/Sommer 1940 von der Planungs- und Verwaltungszentrale für die NS-Krankenmorde in der Berliner Tiergartenstraße 4 und dem Reichsinnenministerium vorbereiteten reichsweiten Aktion gegen Juden in öffentlichen und privaten Heil- und Pflegeanstalten. Sie ließ die dort lebenden jüdischen Menschen erfassen und in sogenannten Sammelanstalten zusammenziehen. Die Heil- und Pflegeanstalt Hamburg-Langenhorn wurde zur norddeutschen Sammelanstalt bestimmt. Alle Einrichtungen in Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg wurden angewiesen, die in ihren Anstalten lebenden Juden bis zum 18. September 1940 dorthin zu verlegen.

Robert Martin Levy kam am 14. September 1940 in Langenhorn an. Nachdem alle jüdischen Patienten aus den norddeutschen Anstalten dort eingetroffen waren, wurden sie gemeinsam mit den bereits länger in Langenhorn lebenden jüdischen Patienten am 23. September 1940 nach Brandenburg an der Havel transportiert. Noch am selben Tag wurden sie in dem zur Gasmordanstalt umgebauten Teil des ehemaligen Zuchthauses mit Kohlenmonoxyd getötet. Nur eine Patientin, Ilse Herta Zachmann, entkam diesem Schicksal zunächst (siehe dort).

Es ist nicht bekannt, ob und ggf. wann Angehörige Kenntnis von Robert Martin Levys Tod erhielten. Auf seinem Geburtsregistereintrag wurde notiert, dass das Standesamt Chelm II seinen Tod unter der Nummer 574/1940 registriert hat. In allen dokumentierten Mitteilungen wurde behauptet, dass der oder die Betroffene in Chelm (polnisch) oder Cholm (deutsch) verstorben sei. Die in Brandenburg Ermordeten waren jedoch nie in Chelm/Cholm, einer Stadt östlich von Lublin. Die dort früher existierende polnische Heilanstalt bestand nicht mehr, nachdem SS-Einheiten fast alle Patienten am 12. Januar 1940 ermordet hatten. Auch gab es in Chelm kein deutsches Standesamt. Dessen Erfindung und die Verwendung späterer als der tatsächlichen Sterbedaten dienten dazu, die Mordaktion zu verschleiern und zugleich entsprechend länger Verpflegungskosten einfordern zu können.

Robert Martin Levys Vater starb am 28. Mai 1941 im Krankenhaus Johnsallee 68. Seine zweite Ehefrau Therese war bereits am 11. Februar 1939 verstorben. Bernhard, der jüngste der drei Levy-Brüder, war mit der evangelischen Martha Drögmöller verheiratet. Diese Ehe mit einer nichtjüdischen Frau rettete ihm das Leben. Zunächst vor der Deportation geschützt, musste er ab April 1940 bei fünf verschiedenen Unternehmen Zwangsarbeit leisten und war gezwungen, den "Judenstern" zu tragen. Am 14. Februar 1945 gehörte er dann zu der letzten Gruppe jüdischer Menschen in noch existierenden Mischehen, die nach Theresienstadt deportiert wurden. Am 5. Mai 1945 übergab die SS dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz die Verantwortung für Theresienstadt. Die Rote Armee erreichte das Getto am 8. Mai 1945. Bernhard Levy gehörte zu den Überlebenden. Er kehrte nach Hamburg zurück und starb am 2. Januar 1963 in seiner Heimatstadt.

Zur Erinnerung an Robert Martin Levy liegt ein Stolperstein im Gehweg in Hamburg-Neustadt, Großneumarkt 56.


Stand: April 2019
© Ingo Wille

Quellen: 1; 4; 5; 9; AB; StaH 133-1 III Staatsarchiv III, 3171-2/4 U.A. 4, Liste psychisch kranker jüdischer Patientinnen und Patienten der psychiatrischen Anstalt Langenhorn, die aufgrund nationalsozialistischer "Euthanasie"-Maßnahmen ermordet wurden, zusammengestellt von Peter von Rönn, Hamburg (Projektgruppe zur Erforschung des Schicksals psychisch Kranker in Langenhorn), 332-5 Standesämter 293 Sterberegister 476/1891 Louis Levy, 966 Sterberegister Nr. 52/1930 Therese Levy, 2228 Geburtsregister Nr. 2725 Louis Levy, 2258 Geburtsregister Nr. 3273/1891 Robert Martin Levy, 2312 Geburtsregister Nr. 1443/1893 Bernhard Levy, 2745 Heiratsregister Nr. 1467/1889 Martin Levy/Rosa Cohn, 3402 Heiratsregister Nr. 1054/1921 Bernhard Levy/Martha Drögmöller, 8174 Sterberegister Nr. 188/1941 Martin Levy, 8639 Heiratsregister Nr. 200/1905 Martin Levy/Therese Wagener, 10145 Sterberegister Nr. 15/1963 Bernhard Levy; 351-11 Amt für Wiedergutmachung 14870 Bernhard Levy; 352-8/7 Staatskrankenanstalt Langenhorn Abl. 1/1995 Aufnahme-/Abgangsbuch Langenhorn 26.8.1939 bis 27.1.1941; 352-8/7 Staatskrankenanstalt Langenhorn Abl. 2/1995 Krankenakte 24174 Robert Martin Levy; UKE/IGEM, Archiv, Patienten-Karteikarte Robert Martin Levy der Staatskrankenanstalt Friedrichsberg; RGBl. I, S. 529, Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14.7.1933.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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