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Bereits verlegte Stolpersteine



Gusti Zucker * 1891

Schäferkampsallee 41 (Eimsbüttel, Eimsbüttel)


HIER WOHNTE
GUSTI ZUCKER
JG. 1891
DEPORTIERT 1941
LODZ / LITZMANNSTADT
ERMORDET 26.6.1944
CHELMNO / KULMHOF

Weitere Stolpersteine in Schäferkampsallee 41:
Walter Löwenthal, Helene Löwenthal, Anna Zucker

Gusti Zucker, geb. am 26.9.1891 in Galatz (Rumänien), am 25.10.1941 deportiert nach Lodz, am 26.6.1944 in Chelmno ermordet
Anna (Annetta) Zucker, geb. am 25.6.1894 in Galatz (Rumänien), am 25.10.1941 deportiert nach Lodz, am 26.6.1944 in Chelmno ermordet

Schäferkampsallee 41

Gusti und Anna Zucker wurden in Rumänien als Töchter von Henriette Zucker, geb. Zucker, und Joseph Zucker geboren. 1905 kamen sie mit ihrer verwitweten Mutter und ihrer älteren Schwester Eva über Österreich nach Altona. Hier und in Hamburg wohnten schon mehrere Angehörige der miteinander verschwägerten Familien Zucker und Wellmann. Im ersten Jahr in Altona war Henriette Zucker als Untermieterin bei Wellmann gemeldet. Sie verdiente ihren Lebensunterhalt als Näherin. Da Anna erst elf Jahre alt war, ging sie noch in Altona zur Schule, die 14-jährige Gusti begann eine Lehre. Über das Schicksal der Schwester Eva wissen wir nichts.

Gusti und Anna erhielten eine solide Berufsausbildung. Anna wurde Kontoristin und arbeitete in der Ausgabestelle der Wohlfahrtseinrichtungen in Hamburg, also als Angestellte der Stadt. Gusti legte die Meisterprüfung als Schneiderin ab, bekam eine Stelle als Direktrice im Modehaus der Brüder Robinsohn am Neuen Wall und bildete u. a. die Schneiderlehrlinge aus.

Die Schwestern wohnten in der Kleinen Gärtnerstraße in Altona, zunächst noch mit ihrer Mutter, bis diese verstarb. 1932 zogen Gusti und Anna nach Hamburg. Beide zahlten schon seit 1923 ihre Kultussteuerabgaben an die Hamburger Jüdische Gemeinde. In Hamburg wohnten sie zuerst in der Kleiststraße, dann in der Weidenallee, 1936 richteten sie sich eine Zweizimmerwohnung in der Schäferkampsallee 41 ein. Zu dieser Zeit war Anna bereits arbeitslos. Sie hatte ihre Anstellung im Zuge des "Berufsbeamtengesetzes" 1933 verloren und war nun auf die Unterstützung ihrer Schwester angewiesen. Gusti verdiente in ihrer führenden Position 400 Reichsmark (RM) im Monat.

Am 3. August 1938 beantragte die Firma Robinsohn über die Industrie- und Handelskammer für Gusti Zucker ein Visum zur Einreise nach Frankreich. Wahrscheinlich sollte sie dort Einkäufe für das Modehaus tätigen. Der Antrag wurde von der Kammer befürwortet, mit der Auflage, dass Gusti Zucker bis zum 25. August wieder einreiste. Der Oberfinanzpräsident forderte am 9. August wegen "Kapitalfluchtverdacht" vom Polizeipräsidenten eine genaue Auskunft über Gusti Zuckers Vermögensverhältnisse an, mit der Bitte "unauffällig festzustellen, ob Auswanderungsabsicht" vorlag. Erst am 29. September ging die Antwort ein: Die Überprüfung hatte ergeben, dass keine Auswanderungsabsichten zu befürchten seien. Es bleibt offen, ob Gusti Zucker die Gelegenheit nutzen konnte und tatsächlich nach Frankreich fuhr.

Drei Monate später verlor sie ihre gute Stellung. Als sie am 10. November zu ihrem gewohnten Arbeitsplatz wollte, fand sie ihn nicht mehr vor. Wie der Novemberpogrom im Modehaus Robinsohn gewütet hatte, schilderte Hans Robinsohn, Sohn eines der Chefs und "Betriebsführer" der Firma: "Erdgeschoss und erster Stock sahen wie nach einer Beschießung aus. Sämtliche Fenster waren eingeschlagen. Im Lichthof waren schwere Schränke und Tische vom ersten Stock in das Parterre geworfen worden. Schreibmaschinen waren mit Brecheisen auseinander gebrochen, sämtliche Kardexkartothekzüge verbogen, alle Schaufensterpuppen durch die Fenster in den hinter den Häusern gelegenen Alsterkanal geworfen, große Stoffballen denselben Weg gegangen. Alle Glastische und -schränke waren zerstört. In einem Trep­penhaus waren systematisch sämtliche Toilettenanlagen in Scherben geschlagen worden. Die Glas- und Holzsplitter lagen so hoch, dass wir zwei Verbandsstationen einrichteten, in denen den aufräumenden Mitarbeitern Wunden an Füßen, Beinen, Händen und Armen verbunden wurden."

Es folgte die "Arisierung" der Firma Robinsohn und so verlor Gusti Zucker ihre Arbeitsstelle. Von den Brüdern Robinsohn erhielt sie eine Abfindung von 1.260 RM.
Sofort leiteten die Schwestern ihre Auswanderung in die Wege: Sie wollten ihren beiden Cousins zweiten Grades, den Ärzten Albert Zucker und Jaques Wellmann, über Frankreich in die USA folgen. Am 3. Januar 1939 antwortete das Finanzamt St.Pauli-Eimsbüttel auf eine Anfrage der Geheimen Staatspolizei, dass "nach Aktenlage kein Vermögen" vorhanden sei. Anlass für die Anfrage war, dass die Schwestern die "Unbedenklichkeitsbescheinigung" für die Auswanderung beantragt hatten. Am 16. Januar stand fest, dass keine "Sicherungsanordnung" erfolgen musste. Gusti Zucker besaß nur 1.200 RM, also die Abfindung von den Brüdern Robinsohn. Die Wohnung war zum 31. Januar 1939 gekündigt. Am 20. Januar schickten die Schwestern eine Liste des Umzugsguts an die Devisenstelle beim Oberfinanzpräsidenten. Ihr gesamtes Eigentum war angeführt: die solide Einrichtung einer Zweizimmerwohnung, außerdem Handwerkszeug für die Schneiderin. Abendkleid und Opernglas lassen darauf schließen, dass die Schwestern am kulturellen Leben in der Stadt teilnahmen. Das Wertvollste war eine goldene Armbanduhr, ein Geschenk der Firma an Gusti zu ihrem Jubiläum. Da keine Einwände gegen die Ausfuhr des Umzugsgutes erhoben wurden, keine Steuerrückstände vorlagen und das einzige Kapital die Abfindung der Firma war, bekamen die Schwestern die "Unbedenklichkeitsbescheinigung", gültig bis zum 31. März 1939. Darüber, warum es nicht zur Auswanderung kam, kann man nur spekulieren. Der letzte Eintrag in der Auswanderungsakte vermeldet auf Nachfrage der Oberfinanzdirektion, dass Anna und Gusti Zucker nicht ausgewandert, sondern seit dem 12. Februar in der Weidenallee 6 gemeldet seien. Dort kamen die beiden nur kurze Zeit unter. Im September 1939 zogen sie in die Hansastraße 21, und wiederum ein Jahr später, im Sommer 1940 in die Isestraße 39, ihre letzte Adresse in Hamburg. Sie wohnten bei der wohlhabenden Witwe Paula Meyer (siehe Band "Stolpersteine in der Hamburger Isestraße", S. 121).

Hier erhielten sie den Befehl, sich zur "Abwanderung", wie die NS-Dienststellen die Deportation umschrieben, im Logenhaus an der Moorweide einzufinden. Der Zug ging am 25. Oktober 1941 nach Lodz. Dort trafen die "Westjuden" aus Deutschland, Österreich und der Tschechoslowakei auf ein mit einheimischen Juden überfülltes Getto. Erst einige Tage nach ihrer Ankunft wurden sie aus schnell zusammengezimmerten Notunterkünften in vorhandenen Häusern untergebracht. Anna und Gusti Zuckers Adresse lautete "Gänsegasse 16". Die "normale" Adresse bedeutete keineswegs eine normale Unterkunft, die primitive Wohnung in einem Holzhaus, meist ohne Wasseranschluss und -abfluss, musste mit anderen Gefangenen geteilt werden. Hunger, eisige Kälte und harte Arbeit erwarteten die Neuankömmlinge. Es gab im Getto 96 Werkstätten, in denen unter mörderischen Bedingungen für die deutsche Wirtschaft und die Wehrmacht produziert wurde. Mindestens zehn davon waren Schneidereien; es ist erwiesen, dass dort auch für das "Alsterhaus" in Hamburg produziert wurde. Gusti Zucker fand als Schneidermeisterin in einem dieser Betriebe Arbeit und nahm als "Gruppenführerin" eine herausgehobene Stellung ein. Aus heutiger Sicht drängt sich die Frage auf, ob sie wohlmöglich für das Kaufhaus produzieren musste, dass nur wenige Schritte entfernt von ihrer alten Arbeitsstelle liegt.

Ende April 1942 breitete sich Unruhe im Getto aus. Eine neue "Evakuierung" drohte den "Neueingesiedelten", das heißt den Juden, die im Oktober/November 1941 aus dem Westen angekommen waren. Sie erhielten keine Auskunft, wohin die Reise gehen sollte, befürchteten aber einen noch härteren Arbeitseinsatz. Viele versuchten in letzten verzweifelten Bitten, von der Ausweisung befreit zu werden. Wenn sie schrieben, wie schlecht es ihnen nach dem harten Winter ging – viele klagten über offene Wunden nach Frost an Händen und Füssen – und dass sie nicht arbeiten könnten, bedeutete das genau das Gegenteil von dem, was sie erreichen wollten. Es ging nämlich nicht zu einem Arbeitseinsatz, sondern die Züge fuhren ins etwa 70 km entfernte Chelmno, wo die Ahnungslosen auf einem ehemaligen Gutshof in Gaswagen ermordet wurden. Eine Chance, diesem Schicksal zu entgehen, hatten diejenigen, die eine Kriegsauszeichnung aus dem Ersten Weltkrieg vorweisen konnten und solche, die bei Kräften waren und Arbeit hatten.

Gusti und Anna Zucker erhielten die "Ausreiseaufforderung" für den ersten von zehn Transporten, daraufhin besorgte Gusti Zucker sich eine Bestätigung über ihre Tätigkeit und reichte das auf Polnisch verfasste Schreiben mit ihrem Antrag an das "Amt für Neueingesiedelte" ein. Sie schrieb: "Wie aus beiliegender Bestätigung ersichtlich, bin ich als Gruppenführerin im Schneider-Ressort in Marysin tätig und ist die Leitung sehr mit mir zufrieden, so dass ihr daran gelegen ist, mich gern zu behalten. Ich bitte darum höflich um Befreiung von der Aussiedelung, gleichzeitig für meine Schwester Annetta Zucker, da wir schon immer eine Hausgemeinschaft geführt haben und uns nicht trennen möchten. Annetta Z. besitzt gute Schneiderkenntnisse und ist bemüht, im Schneiderressort unterzukommen. Wir besitzen ein gemeinsames Verrechnungsbuch, so dass ich für ihren Unterhalt jederzeit aufkommen würde. Ich bitte daher höflichst um Gewährung meiner Bitte und wäre Ihnen für einen [unleserlich] diesbezüglichen Bescheid sehr verbunden."

Auf diesen Brief erfolgte eine Zurückstellung bis zum 6. Mai. Am 4. Mai bekam Gusti Zucker eine Bescheinigung über ihre Arbeit auch auf Deutsch und schrieb einen zweiten Brief mit der Bitte, die Ausweisung für sie und ihre Schwester zurückzuziehen. Jetzt erhielt sie den Stempel "UWZGLEDNIONE", das bedeutet "berücksichtigt".

Zwölf Züge fuhren vom 4. bis zum 15. Mai 1942 in Richtung Chelmno, 10993 Menschen fuhren in den Tod.

Anna und Gusti Zucker lebten noch zwei Jahre im Getto Lodz. Ab Januar 1943 wurden Arbeitspässe, so genannte Legitimations-Karten, ausgegeben. Annas Dokument blieb als eines von wenigen erhalten, daher wissen wir, dass auch sie Arbeit gefunden hatte, wahrscheinlich als Stenotypistin. Ihre Karte wurde im Namen des berüchtigten Leiters der deutschen Getto-Verwaltung, Hans Biebow, ausgestellt. Er wurde nach dem Krieg an Polen ausgeliefert, in Lodz zum Tode verurteilt und am 23.6.1947 hingerichtet.

Fast genau drei Jahre vorher wurden Anna und Gusti Zucker in Chelmno ermordet. Das ursprüngliche Vernichtungslager auf dem Gutshof war dort im Frühjahr 1943 aufgelöst und alle Spuren sorgfältig verwischt worden. Ein Jahr später wurde jedoch ein neues Mordlager im Wald bei Chelmno errichtet – Juden aus dem Getto mussten beim Bau von zwei Baracken und zwei großen Öfen aus Schamottesteinen helfen.

Im Sommer 1944 begann die Auflösung des Gettos. Die Juden wurden in verschiedene Vernichtungslager deportiert, 10 Transporte gingen vom 23. Juni bis 14. Juli 1943 ins neu errichtete Lager Chelmno. 7176 Juden wurden in dieser Zeit dort ermordet. In der Chronik des Gettos hieß es am 23. Juni, als der erste Transport abfuhr: "An den Koffern ist oft ein deutscher Name und eine deutsche Stadt zu lesen. Sie gehören Juden, welche im Herbst 1941 in Litzmannstadt eingesiedelt wurden und jetzt den Ausreisebefehl erhalten haben …"

Der Gestapo-Kommissar Fuchs sprach an die "ausreisenden Personen einige beruhigende Worte. Er erklärte, dass es nunmehr auf Arbeit ins Reich gehe und für anständige Verpflegung gesorgt sein wird." Das Gepäck wurde ihnen allerdings sofort abgenommen; es hieß, es würde in einem anderen Zugteil befördert. Sie selbst mussten in Güterwagen reisen, deren Boden mit Stroh ausgelegt war.

Der zweite Transport ging am 26. Juni ab. Unter den 912 "Fahrgästen" befanden sich Anna und Gusti Zucker. An diesem Tag lautete die Eintragung in der Chronik: "Die Verladung erfolgte in der gleichen Zuggarnitur, unter denselben Umständen wie das erste Mal. Auch diesmal sprach der Gestapo-Kommissar Fuchs einige Worte an die Leute. Mit diesem Transport ging eine größere Anzahl von jüngeren, darunter mehreren freiwilligen Personen, die das Getto guten Mutes verließen. Dagegen waren aber auch recht viele schwache und kränk­liche Personen dabei." Es war ein Tag nach Anna Zuckers 50. Geburtstag. Ganz gewiss fuhren sie und ihre Schwester nicht "guten Mutes", denn schon am Tag nach dem ersten Transport hatte sich im Lager Panik ausgebreitet, weil der Zug, wie schon bei den großen Transporten zwei Jahre zuvor, sehr schnell wieder an den Abfahrtbahnhof Radegast zurückgekehrt war.

Er war nur die etwa 70 km lange Strecke nach Warthbrücken, heute wieder Kolo, gefahren, dort mussten die Menschen in eine Kleinbahn umsteigen, die sie in den Todeswald von Chelmno brachte.

Stand: August 2013
© Christa Fladhammer

Quellen: 1; 2; 5; 8; StAH 332-Meldewesen K 7407; AB Altona 1920 und 1929; FZH 11/R36 (Hans Robinson, Manuskripte); USHMM, RG 3949, M 302/1115-1118; USHMM JewishGen, Reel 676 pages 0108/0109; Die Chronik des Gettos Lodz/Litzmannstadt, Bd. 4/1944 S. 389f., S. 498; Peter Klein, Die Gettoverwaltung Litzmannstadt, S. 569ff.; Linde Apel, In den Tod geschickt, S. 99; Auskunft per E-mail von Fritz Neubauer, Universität Bielefeld am 17. und 18.11.2009.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen"

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