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Bereits verlegte Stolpersteine



Adolf Ziebarth, 1939
© Archiv Evangelische Stiftung Alsterdorf

Adolf Gustav Ziebarth * 1871

Schulterblatt 24 (Altona, Sternschanze)


HIER WOHNTE
ADOLF GUSTAV
ZIEBARTH
JG. 1871
EINGEWIESEN 1935
ALSTERDORFER ANSTALTEN
"VERLEGT" 7.8.1943
HEILANSTALT EICHBERG
ERMORDET 28.9.1943

Weitere Stolpersteine in Schulterblatt 24:
Lina Friedmann, Bruno Niemann

Adolf Gustav Ziebarth, geb. am 23.11.1871 in Schitomir (damals Russland), aufgenommen in den damaligen Alsterdorfer Anstalten (heute Evangelische Stiftung Alsterdorf) am 29.3.1935, "verlegt" am 7.8.1943 in die "Heil- und Pflegeanstalt" Eichberg, gestorben am 28.9.1943

Schulterblatt 24, Sternschanze

Als Gustav Ziebarth am 23.11.1871 in Schitomir (Schytomyr), Kreis Rowno (Równo) geboren wurde, lebten seine Eltern in der deutschen Siedlungskolonie Friedrichsdorf (Solomka) im damaligen Russischen Zarenreich (heute Ukraine). Sie gehörten dem evangelisch-lutherischen Glauben an und betrieben vermutlich, wie die meisten der deutschen Siedler im Gouvernement Wolhynien, Landwirtschaft.

Wir wissen nicht, aus welchem Grunde sich Gustav Ziebarths Familie in Mecklenburg niederließ. Nach seinen eigenen Angaben könnte dies 1887 gewesen sein. Der Vater, Peter Ziebarth, lebte zuletzt als "Arbeitsmann" in Levetzow (heute ein Ortsteil der Gemeinde Lübow bei Wismar). Über ihn, seine Ehefrau Johanna, geb. Ruechert, und über andere Familienmitglieder ist Weiteres nicht bekannt.

Gustav Ziebarth berichtete bei seiner späteren Aufnahme in der Staatskrankenanstalt Friedrichsberg, er sei als Sechzehnjähriger in Mecklenburg zunächst als "Hofegänger" (Tagelöhner auf einem Gut), später bis 1903 als Knecht (landwirtschaftlicher Arbeiter) tätig gewesen. Am 30. Dezember 1902 hatte er in Vietlübbe, Amt Gadebusch (22 Kilometer nordweststlich von Schwerin gelegen) geheiratet, seine Braut war das Dienstmädchen Dora Rosa Frieda Jörns, geb. am 28.11.1882 in Geesthacht. Beide wohnten in Dragun, einer Gemeinde im heutigen Landkreis Nordwestmecklenburg.

1905 siedelte das Ehepaar nach Hamburg über. Gustav Ziebarth fand Arbeit bei Blohm & Voss und später auf anderen Werften. Bis 1917 wohnten sie in Hafennähe, erst in der Erichstraße 37, dann zogen sie ein paar Häuser weiter in die Nr. 49. Von 1918 bis 1923 lebten sie in der Kielerstraße 49 (heute Clemens-Schultz-Straße), kurz darauf im heutigen Schanzenviertel, Schulterblatt 24, Haus 4.

1927 verlor Gustav Ziebarth sine Arbeitsstelle. Seine Ehe war bereits im Jahr zuvor geschieden worden. Am 3. März 1928 wurde Gustav Ziebarth wegen andauernden Alkoholmissbrauchs unter die Aufsicht der städtischen "Trinkerfürsorge" gestellt. Es ist nicht bekannt, wovon er nun seinen Lebensunterhalt bestritt, denn er erhielt weder Erwerbslosen- noch Wohlfahrtsunterstützung.

Am 8. November 1929 erschien Gustav Ziebarth verwirrt und mit einer blutenden Wunde auf einer Polizeiwache in St. Pauli und wurde zunächst ins Hafenkrankenhaus gebracht. Er soll "irre geredet" und später behauptet haben, sein Vermieter habe ihn zu Boden geschlagen. Mit der Diagnose "alkoholische Demenz" überwies ihn der Krankenhausarzt Brokate am 13. November 1929 in die "Staatskrankenanstalt Friedrichsberg".

Bei seiner Aufnahme in Friedrichsberg litt Gustav Ziebarth laut Patientenakte unter schweren Gedächtnisstörungen, zeitweise sei er desorientiert gewesen. Seine Gedächtnislücken habe er durch erfundene Geschichten ersetzt. Die Ärzte beschrieben das Krankheitsbild als Korsakow-Syndrom, eine schwere Erkrankung des Gehirns durch jahrelangen Alkoholmissbrauch. Gustav Ziebarths Gesundheitszustand besserte sich zunächst nicht, er äußerte "Vergiftungsideen" und wurde als antriebs- und interesselos beschrieben. Am 18. Oktober 1930 wurde er entmündigt.

Ein Eintrag in die Patientenakte vom August 1931 lautete, dass Gustav Ziebarth ständig "skandalierte" (Lärm machte) und zur Ruhigstellung "eingebettet" wurde (Methode zur Ruhigstellung durch zwangsweise Fixierung im Bett). Anscheinend besserte sich sein Zustand jedoch in der Folgezeit, denn im Mai 1932 wurde in seiner Krankenakte notiert: "Besorgt sich allein" und "Unterhält sich mit anderen verträglich".

Schon bald nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten begannen in Hamburg intensive Untersuchungen, wie bei der Unterbringung und Versorgung von Menschen mit geistigen Behinderungen und psychischen Erkrankungen Kostensenkungen erreicht werden könnten, die zum "Langenhorn-Friedrichsberger Plan" führten: 1934 beschloss der Hamburger Senat, dass "heilbare Kranke" bestmöglich versorgt, "unheilbar Kranke" hingegen in Bewahrung genommen und ihre medizinische Betreuung auf ein Mindestmaß herabgesetzt werden sollte. Zur Realisierung dieses Vorhabens wurden 1935/1936 von den 1700 Friedrichsberger Patientinnen und Patienten 1366 in andere Anstalten verlegt, darunter 389 in die Alsterdorfer Anstalten.

Zu ihnen gehörte Gustav Ziebarth, der am 29. Mai 1935 Patient der damaligen Alsterdorfer Anstalten wurde (heute Evangelische Stiftung Alsterdorf). Ende 1937 berichtete der Leitende Oberarzt der Alsterdorfer Anstalten, Gerhard Kreyenberg, der Hamburger Fürsorgebehörde, Gustav Ziebarth sei hochgradig urteils- und auffassungsschwach, führe oft wirre und zusammenhangslose Reden und zerkratze sich fast täglich das Gesicht. Er sei zu keiner Arbeit zu verwenden und bedürfe weiterhin der Anstaltspflege.

Gegen Ende seines achtjährigen Aufenthaltes in Alsterdorf – so gibt die Patientenakte Auskunft – habe er sich dort wohl und geborgen gefühlt. In Folge seines Alters, mittlerweile war er 71 Jahre alt, sei er hinfällig und bettlägerig geworden.

Während der schweren Luftangriffe auf Hamburg im Sommer 1943 ("Operation Gomorrha") erlitten auch die Alsterdorfer Anstalten Schäden, zunächst in der Nacht vom 29./30. Juli 1943 und dann noch einmal vom 3./4. August 1943. Der Anstaltsleiter, Pastor Friedrich Lensch, bat die Gesundheitsbehörde um Zustimmung zur Verlegung von 750 Patientinnen und Patienten, angeblich um Platz für Verwundete und Bombengeschädigte zu schaffen. Mit vier Transporten zwischen dem 7. und dem 16. August wurden insgesamt 468 Mädchen und Frauen, Jungen und Männer in die "Heil- und Pflegeanstalt Eichberg" in der Nähe von Wiesbaden, in die "Heil- und Pflegeanstalt Kalmenhof" bei Idstein im Rheingau, in die "Heil- und Pflegeanstalt Mainkofen" bei Passau und in die "Wagner von Jauregg – Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien" verlegt.

Gustav Ziebarth gehörte zu den 76 Männern und Kindern, die am 7. August 1943 in die "Heil- und Pflegeanstalt Eichberg" gebracht wurden. Der letzte Eintrag in seiner Krankenakte lautete: "Verlegt, da die Alsterdorfer Anstalten zerstört sind."

Die "Heil- und Pflegeanstalt Eichberg" hatte in der "Aktion T4" als Zwischenanstalt für die Tötungsanstalt Hadamar gedient. "Aktion-T4" war eine Tarnbezeichnung für das "Euthanasie"-Programm der Nationalsozialisten, so genannt nach dem Sitz der Berliner Euthanasiezentrale in der Tiergartenstraße 4. Nach dem offiziellen Stopp des "Euthanasie-Programms" im August 1941 wurde weiter gemordet, und zwar durch systematische Unterernährung oder überdosierte Medikamente in Verbindung mit pflegerischer Vernachlässigung – auch in Eichberg selbst.

Gustav Ziebarth überlebte seine Ankunft in Eichberg nur sechs Wochen. Er starb am 28. September 1943. Als offizielle Todesursache wurde auf dem Sterberegistereintrag des Standesamtes "Siechtum u. Herzschwäche bei (Spaltungs[irresein]) Geisteskrankheit" angegeben.

Stand: August 2020
© Susanne Rosendahl

Quellen: Archiv Evangelische Stiftung Alsterdorf, Sonderakte V 001, Gustav Ziebarth; Standesamt Erbach/Rheingau Nr. 575/1943 Sterberegistereintrag Gustav Ziebart; Michael Wunder, Ingrid Genkel, Harald Jenner, Auf dieser schiefen Ebene gibt es kein Halten mehr. Die Alsterdorfer Anstalten im Nationalsozialismus, 3. Aufl. Stuttgart 2016, S. 168 f., 283 ff, insbesondere S. 299 ff.; Herbert Diercks, "Euthanasie". Die Morde an Menschen mit Behinderung und psychischen Erkrankungen in Hamburg im Nationalsozialismus. Hrg.: KZ-Gedenkstätte Neuengamme, 2014; www.ancestry.de Kirchenbuchduplikat Mecklenburg, Heiratsregister Adolf Gustav Ziebarth und Dora Rosa Frieda Jörns (Zugriff 2.7.2020); www.ancestry.de Volkszählung 1900 in Mecklenburg-Schwerin (Gustav Ziebarth, Zugriff 2.7.2020); https://chort.square7.ch/FB/D0659.html (Zugriff 2.7.2020).

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