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Bereits verlegte Stolpersteine



Sara Gertrud Theiner (geborene Bauer) * 1872

Curschmannstraße 8 (Hamburg-Nord, Eppendorf)


HIER WOHNTE
SARA GERTRUD
THEINER
GEB. BAUER
JG 1872
GEDEMÜTIGT / ENTRECHTET
FLUCHT IN DEN TOD
6.3.1942

Weitere Stolpersteine in Curschmannstraße 8:
Johanna Allen, Helene Elsa Bauer, Ilse Lippstadt, Iwan von der Walde

Sara Gertrud Theiner, geb. Bauer, geboren am 30.5.1872, gedemütigt/ entrechtet, Flucht in den Tod am 6.3.1942

Curschmannstraße 8

"Wir gehen freiwillig aus dem DASEIN, weil wir in der Zukunft nur Schwierigkeiten und Quälerei sehen mit dem was kommt, so dass wir dieses schützende Dach verlassen. Und dem sind wir nicht mehr gewachsen. Wir wünschen keinesfalls wieder zurückgerufen zu werden in diese feindliche, unfreundliche Welt!
Gez. Sara Gertrud Theiner
Gez. Helene Elsa Bauer"

Die diese Zeilen am 5. März 1942 schrieben, waren die Schwestern Helene Elsa Bauer und Sara Gertrud Theiner, die seit dem 5. Februar 1932 zusammen in der Curschmannstraße 8 im Stadtteil Hoheluft-Ost im 2. Stock wohnten. Sie wählten am 6. März 1942 den Freitod.

Sara Gertrud Bauer war am 30.5.1872 in Hamburg als viertes von sieben Kindern der jüdischen Eheleute Philipp Louis Bauer und Clara Chaje Bauer, geb. Ollendorf, in Hamburg geboren. (Philipp Louis Bauer verstarb am 11. Juni 1894, Clara Chaje Bauer folgte am 10. Oktober 1907. Beide wurden auf dem Jüdischen Friedhof Ilandkoppel beigesetzt.)

Über Sara Gertrud Bauers Kindheit und eine eventuelle Ausbildung ist uns nichts bekannt.

Sie heiratete in Hamburg am 9. Mai 1904, den seit dem 29. September 1900 in Hamburg ansässigen jüdischen Kaufmann Berthold Theiner. Er war am 4.1.1852 in Wotitz (Tschechien) als Kind des Kaufmanns Josef Theiner und seiner Ehefrau Johanna, geb. Kopperl, geboren worden. Auch über seine Kindheit ist uns nichts bekannt.

Berthold Theiner hatte zusammen mit dem jüdischen Kaufmann Richard Janowitzer (geb. 4.10.1870) die Firma Theiner & Janowitzer mit Firmensitz in Rio de Janeiro/ Brasilien gegründet. Die Firma hatte sich auf die Endherstellung von Uhren anderer Firmen spezialisiert. Berthold Theiner und Richard Janowitzer eröffneten am 13. Oktober 1900 auch eine Hamburger Zweigstelle in der Kaiser-Wilhelm-Straße 3-5 in der Neustadt. Von 1904 bis 1907 befand diese sich in der Admiralitätsstraße 33-36 und ab 1908 in der Spitaler Straße 12 in der Altstadt.

Das Ehepaar Bauer hatte parallel zu einer Wohnung in Rio eine solche von 1905 bis 1916 in der Hallerstraße 76 in Harvestehude gemietet. 1916 wechselten sie in die Isestraße 64.

Bei einer der häufigen Reisen nach Brasilien verstarb Berthold Theiner am 17. Juli 1919 in São Paulo/ Brasilien. (Vermutlich wurde er auf dem jüdischen Friedhof in São Paulo beigesetzt). Die Firma Theiner & Janowitzer mit Hauptsitz in Rio de Janeiro, blieb auch nach dem Tod von Berthold Theiner weiter unter diesem Namen bestehen.

Seit 1920 ließ sich Sara Gertrud Theiner im Adressbuch als Witwe eintragen. Sie behielt die Wohnung in der Isestraße 64 bis 1932. Am 5. Februar 1932 zog sie zu ihrer Schwester Helene Elsa Bauer in die Curschmannstraße 8.

Sara Gertrud Theiner blieb der Firma Theiner & Janowitzer weiterhin eng verbunden. Doch der jetzige Inhaber Richard Janowitzer geriet in Konflikt mit der Zulieferer-Firma Schwarz in Düsseldorf. Die Firma hatte schlecht verarbeitete Filtergehäuse geliefert. Richard Janowitzer führte am 1. November 1935 in Hamburg vor dem Landgericht für Handelssachen einen Prozess, den er jedoch verlor. Er flüchtete 1938 mit seiner Familie nach Rio de Janeiro/ Brasilien zum dortigen Sitz der Firma. Wegen der Flucht warfen die nationalsozialistischen Behörden ihm Betrug vor. (Er verstarb am 3. März 1943 in Rio de Janeiro). Die Firma Theiner & Janowitzer wurde im Zuge der "Arisierung" 1939 von der Firma Ringel & Co. übernommen

Sara Gertrud Theiner bezog bis 1938 noch eine jährliche Rente von RM 4000 aus der Firma. Nun geriet sie in den Blick der Behörden. Die Oberfinanzdirektion forderte sie am 21. Juni 1939 auf, ihre Vermögensverhältnisse offenzulegen. Außer der Rente wurde sie, so gab sie an, von jüdischen Freunden finanziell unterstützt. Die Oberfinanzdirektion verhängte eine "Sicherungsanordnung" über ihr Vermögen, über das sie nun nicht mehr frei verfügen durfte.

Ihre Schwester Helene Elsa hatte inzwischen in ihrer Wohnung ein weiteres Zimmer an Ilse Lippstadt (geb. 31.12.1905) untervermietet. Diese wurde am 18. November 1941 nach Minsk deportiert und ermordet (siehe www.stolpersteine-hamburg.de).

Immer mehr Demütigungen und Entrechtung erschwerten den Schwestern das Leben. Sie beschlossen, gemeinsam aus dem Leben zu scheiden. Warum wählten sie den 6. März als Todesdatum? Es stand der Umzug in ein "Judenhaus" zum 15. März 1942 an.

Ihr Bruder Eugen Philipp hatte bereits am 30. Oktober 1941 in das "Judenhaus" Sedanstraße 23 umziehen müssen, wo vor allem ältere Juden die Zeit bis zur Deportation verbringen mussten. Die Schwestern wussten also, welche neuerlichen Einschränkungen ein Umzug in ein "Judenhaus" mit sich brachte und auch, dass ihnen von dort die Deportation drohte. Dem wollten sie sich nicht mehr aussetzen.

Sie ordneten ihre Papiere, besorgten sich Schlaftabletten und baten den Arzt Wolfson bereits im Vorwege für den 6. März 1942 um einen Hausbesuch. Außerdem bestellten sie ihren Neffen Rolf Bauer aus Leipzig ein, dem sie die Schlüssel zu ihrer Wohnung aushändigten. Schließlich verfassten sie den oben zitierten Abschiedsbrief. Sie nahmen die Barbiturate ein und legten sich in ihre Betten.

Sara Gertrud Theiner verstarb am 6. März 1942 vormittags. Für Helene Elsa Bauer wurde noch ein Krankenwagen gerufen. Sie verstarb am gleichen Tag um 20.15 Uhr im Israelitischen Krankenhaus in der Johnsallee.

Sara Gertrud Theiner und Helene Elsa Bauer wurden auf Jüdischen Friedhof Ilandkoppel beigesetzt.

Zum Schicksal der Geschwister von Sara Gertrud Theiner:

Olga Bauer (geb. 26.12.1864), verstarb am 4. April 1869 und wurde auf dem Jüdischen Friedhof Grindelfriedhof beigesetzt.

Paul Ludwig Bauer (geb. 29.11.1877), verheiratet mit der Nichtjüdin Frida Emma Caroline geb. Heylmann, verstarb am 8. Juni 1918. Er wurde auf den Jüdischen Friedhof Ilandkoppel beigesetzt.

Conrad Philipp Bauer (geb. 12.2.1871) heiratete in Hamburg am 12. Februar 1920 die Nichtjüdin Helene Bauern, geb. Greve. Er verstarb am 28. März 1927.

Eugen Philipp Bauer (geb. 16.7.1862) wurde am 15. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert und verstarb dort am 4. Juli 1943. (Für ihn wird im Juni 2021 ein Stolperstein in der Wrangelstraße 8 verlegt.)

Helene Elsa Bauer (geb. 9.5.1875), Lehrerin in Hamburg, verübte gemeinsam mit ihrer Schwester Sara Gertrud Theiner am 6. März 1942 Selbstmord. (Siehe www.stolpersteine-hamburg.de.)

Rudolf Bauer (geb. 11.3.1880) wohnte über viele Jahre in Leipzig. Wann und wo er verstarb konnte nicht festgestellt werden.

Stand: April 2021
© Bärbel Klein

Quellen: StaH 1; 2; 4; 5; 7; 8; 9; 111-2_B II b 172UA 3; 331-5_3 Akte_398/1942; 331-5_3 Akte_762/1942; 332-3_3401/1875; 332-5_4705/1877; 332-5_1113/1880; 332-5_109/1884; 332-5_909/1892; 332-5_933/1894; 332-5_372/1901; 332-5_477/1902; 332-5_308/1904; 332-5_455/1907; 332-5_362/1916; 332-5_163/1917; 332-5_971/1918; 332-5_525/1920; 332-5_126/1927; 332-5_120/1942; 332-5_215/1942; 332-5_602/1952; 351-11_939; 351-11_14363; 351-14_937; 614-1/71_177; 741-4_K2439; http://www.kern-aarau.ch/kern-extern/datierungs-dienst.html; www.geni.com; www.wikipedea.de; www.ancestry.de (Einsicht am 20.10.2020). Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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