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Bereits verlegte Stolpersteine



Anka und Bernd Nathan an ihrem Hochzeitstag 1940
Anka und Bernd Nathan an ihrem Hochzeitstag 1940
© Eva Clarke

Bernhard Nathan * 1904

Haynstraße 15 (Hamburg-Nord, Eppendorf)

Bismarckhütte Arbeitslager

Weitere Stolpersteine in Haynstraße 15:
Gertrud Becher, Rosa Levy, Käthe Nathan, Benny "Benno" Nathan

Bernhard Herbert Nathan, geb. 7.8.1904 in Hamburg, seit 1933 wohnhaft in Prag, 1941 bis 1944 im Getto Theresienstadt interniert, am 28.9.1944 nach Auschwitz deportiert, am 18.1.1945 ermordet bei der Evakuierung des Außenlagers Bismarckhütte

Haynstraße 15

Dass für Bernhard (Bernd) Nathan ein Stolperstein in der Eppendorfer Haynstraße liegt, beruht auf einem Irrtum, denn er hat höchstwahrscheinlich nie dort gelebt. Seine Tochter Eva meint jedoch: "Nach allem, was mir meine Mutter über meinen Vater erzählt hat, hätte es ihm gefallen, in so einer eleganten Straße zu wohnen. [...] Das wichtigste ist, dass der Stolperstein daran erinnert, dass mein Vater in Hamburg gelebt hat."

Bernd war ein Mann, der Sinn für Ästhetik hatte.
Seine Eltern Selma (Sellie), geborene Hecht und der Commis (kaufmännische Angestellte) Louis Nathan hatten am 21. Januar 1903 in Hamburg geheiratet. Selma wohnte zu der Zeit bei ihren Eltern Bernhard und Rosalie Hecht, geb. Perls, im Billwärder Neuedeich 222. Sie war am 21.1.1882 in Klein Chelm, Kreis Pless (Schlesien, seit 1922 Polen) zur Welt gekommen und hatte neun Brüder sowie eine Schwester. Für diese – Martha Korngold – liegt in Berlin in der Leibnizstraße 57 ein Stolperstein.

Louis Nathan (geb. 25.06.1878) kam ebenfalls aus einer großen Familie mit vier Brüdern und zwei Schwestern und war in Emmerich geboren und aufgewachsen. In Hamburg lebte er am Billhorner Röhrendamm 111 d. Seine Eltern waren der Schlachter Benjamin Nathan und Sophie, geb. Rozenberg.

Louis hatte nach dem Abitur in Emmerich in Essen eine kaufmännische Ausbildung absolviert und war danach bei der Firma Hirsch & Co. in Hamburg angestellt. Hirsch & Co. sind im Adressbuch von 1904 mit "Modewaaren und Pelz-Confection" eingetragen. Später arbeitete er als Vertreter für verschiedene Berliner Firmen.

Bernd wurde in der elterlichen Wohnung in der Jenischstraße 30 in Hammerbrook geboren. Im November 1905 zog die kleine Familie nach Kiel, wo am 9. März 1906 die Tochter Margarete (Marga) zur Welt kam. Innerhalb Kiels erfolgten zwei Umzüge, 1908 war die Familie in Bonn gemeldet, bevor es 1909 nach Hamburg zurück ging. Dort kam der zweite Sohn Rolf am 21. Januar 1909 in der Heinrich-Hertz-Straße 77 zur Welt. Bei dieser Anschrift handelte es sich um den Wohnsitz von Selmas Vater Bernhard Hecht. Als Eigentümer ist ein G.E. Hecht im Adressbuch eingetragen, wohl Selmas Bruder Georg Eugen.

Bernds Kindheit war also von vielen Wohnungswechseln und damit von Unruhe geprägt. Diese Unstetigkeit, die wohl Louis Nathans beruflicher Tätigkeit geschuldet war, zog sich auch durch die nächsten Jahre. Auf den schwer lesbaren Meldekarteien von Selma Nathan ist im Sommer 1909 ein Umzug nach (Berlin) Schöneberg zu entziffern, 1917 war sie zeitweilig wieder in der Heinrich-Hertz-Straße 77 gemeldet. Bernd hatte als Schüler ab 1915 eine eigene Hamburger Meldekarte, denn zu der Zeit wohnte er wieder bei Hecht, Heinrich-Hertz-Straße 77. Im Jahr 1916, er war also gerade 12 Jahre alt, wechselte er zwischen Berlin und dem Haus des mütterlichen Großvaters in Hamburg hin und her. Ab 1917 war dann wohl Berlin der Lebensmittelpunkt der Familie.

Bernds Vater Louis Nathan wurde im ersten Weltkrieg das Eiserne Kreuz 1. Klasse verliehen. Seine Schwiegertochter erzählte, er sei durch Senfgas kriegsblind geworden, wäre aber trotz seiner Einschränkung ein "womaniser" (Frauenheld) gewesen. Um 1920 übernahm er die Einkaufszentrale der Möbelfabrik von Richard Hecht, einem anderen Bruder seiner Frau, in Berlin. Nach späterer Aussage seines Sohnes Rolf musste er 1937 aufhören zu arbeiten. Die Ehe mit "seiner eleganten Ehefrau" Selma war 1932 geschieden worden.

Die Familie von Bernds Mutter hielt fest zusammen.
Margot Friedlander, eine Cousine der Familie Hecht, die nach einigen Jahren im Versteck in Berlin 1944 nach Theresienstadt deportiert wurde und überlebte, schreibt dazu in ihren Erinnerungen: "Die Hechts waren eine große, etwas exzentrische Familie, die einen ausgeprägten Hang zu den angenehmen Seiten des Lebens hatte. […] Sie waren allesamt 'Lebeleute', großzügig und gesellig."

Zwei der Brüder von Selma Nathan besaßen am Scharmützelsee ein Landgut, auf dem die weitverzweigte Familie regelmäßig gemeinsame Feiertage und Ferien verbrachte. Und weiter:
"Wenn wir am Sommeranfang mit einer Wagenladung voller Koffer und unserem Dienstmädchen ins Waldgut zogen, kam es mir so vor, als müssten wir nie mehr in die Stadt zurück. Am Scharmützelsee gab es keine Langeweile, schließlich hatte ich neun Onkel und zwei Tanten, und daher eine Menge Vettern und Cousinen, mit denen wir spielen, schwimmen und Bootsausflüge machen konnten."

Über Bernds Schulzeit und spätere Ausbildung wissen wir nichts. Da er als Tischler und Architekt bzw. Innenarchitekt tätig war, wird er eine entsprechende Lehre bzw. ein Studium absolviert haben.
Im Jüdischen Adressbuch Berlin von 1931 ist Bernd ohne Berufsbezeichnung in der Kaiserallee 56 in Wilmersdorf "bei Hecht" verzeichnet. Im September 1933 übersiedelte er nach Prag.

Für den 12. Dezember 1933 findet sich ein Eintrag im Standesamtsregister Berlin-Schöneberg. Bernhard Herbert Nathan, Architekt, wohnhaft in Berlin Schöneberg, Innsbrucker Straße 7, und die Lillian Grete Lazarus, ohne Beruf, geboren am 15. Juni 1907 in Trier, wohnhaft in Berlin Charlottenburg, Hardenbergplatz 2, erschienen "zum Zwecke der Eheschließung".

Lillians Vater, der Kaufmann Karl Lazarus, war einer der Trauzeugen. Lillians Mutter Bessie, geborene Adler, war in den USA geboren und hatte dort einen Bruder. 1919 hatte sie diesen mit Lillian und deren älterer Schwester Edith besucht. Bessie und Lillian sind auch auf einer Passagierliste vom Dezember 1931 zu finden, als sie von Hamburg nach New York reisten. Aus der Liste geht hervor, dass beide seit dem Vorjahr die amerikanische Staatsbürgerschaft besaßen.

In der Datenbank der digitalisierten Dokumente der Gedenkstätte Theresienstadt in Tschechien befinden sich diverse Unterlagen mit Angaben zu Bernds Leben in der tschechischen Hauptstadt. Nach einer Überprüfung seiner Person wurde im März 1935 folgendes zu Protokoll gegeben: Bernd Nathan, Architekt, Filmspezialist, deutscher Staatsbürger, sei am 13. September 1933 "aus existentiellen Gründen" in die Tschechoslowakei eingereist, er sei kein Flüchtling. Dieser Status erklärt, warum er im Dezember 1933 für die Eheschließung nach Berlin reisen konnte. Weiter heißt es: Er ist verheiratet, wohnhaft in eigener Wohnung, und seine Frau sei Deutsche. Hier (d.h. in Prag) sei er nicht beschäftigt und lebe sowohl von Unterstützung der Eltern aus Berlin als auch von den Eltern der Ehefrau aus Amerika. Politische Betätigung sei nicht nachgewiesen.

Bernd versuchte, als Ausstatter beim Film unterzukommen. 1933 erlebte die tschechische Filmwirtschaft einen Boom, Prag hatte damals mit den Barrandov Studios die am besten ausgestatteten Ateliers Europas. Doch sein Antrag auf Arbeitserlaubnis als Spezialist für die Filmindustrie wurde 1934 abgelehnt, ebenso 1935 ein Antrag auf An- und Verkauf bzw. Verleih von Filmrequisiten. Im August 1935 war er mit einer Arbeitserlaubnis als Architekt tätig, sein Verdienst reichte aber nicht für den Lebensunterhalt aus, so dass er weiterhin von Verwandten (den Hechts?) Unterstützung erhielt und nicht vom tschechoslowakischen Staat abhängig war, wie er in einem Schreiben an die Ausländerabteilung vermerkt.

Vielleicht auch wegen der unsicheren finanziellen Verhältnisse hielt die Ehe mit Lillian nicht. In einem Dokument von 1936 wird Bernds Familienstand mit "geschieden" angegeben, der mit einer Trude Sedlickova in einem gemeinsamen Haushalt lebe. Sein Geld verdiente er nun mit dem Entwerfen von Designermöbeln. Sein Einkommen musste inzwischen ausreichen, denn im März 1937 erhob die Polizei keinen Einwand gegen eine Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis. Weitere Dokumente weisen darauf hin, dass Bernd 1938 einen Antrag auf die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft stellte, der aber abgelehnt wurde. Außerdem beantragte er ein polizeiliches Führungszeugnis mit der Begründung, er brauche dieses für seine Auswanderung.

Lillian Nathan, geborene Lazarus, reiste im Mai 1937 mit ihrem amerikanischen Pass von Hamburg auf der SS President Harding nach Atlanta/Georgia in den USA. Die Stadt wurde ihr neues Zuhause. Sie arbeitete als Einkäuferin für ein Warenhaus und heiratete im März 1948 erneut. Lillian L. Wolf starb 1962 im Alter von 55 Jahren, ihr Grab befindet sich auf dem Friedhof Crest Lawn Memorial Park.

2015 erschien in Großbritannien ein Buch mit dem Titel "Born Survivors". Die britische Schriftstellerin Wendy Holden erzählt darin die Geschichten von drei Frauen, die das Vernichtungslager Auschwitz überlebt haben, obwohl sie schwanger waren. Sie brachten ihre Kinder unter unsäglichen Umständen im österreichischen Konzentrationslager Mauthausen bzw. auf dem Weg dorthin zur Welt. Wundersamerweise überlebten sowohl alle drei Neugeborenen als auch die Mütter. Eine der drei Frauen war Anka Bergman, Bernd Nathans zweite Ehefrau und Mutter seiner Tochter Eva. Wendy Holden verarbeitete dabei die Interviews, die sie mit den "ehemaligen Babies" geführt hatte und die Interviews, die die Mütter Steven Spielbergs Shoah Foundation gegeben haben. Wir erfahren dadurch ausführlich von Bernds Leben in den Jahren 1940 bis 1944.

Anka wurde am 20. April 1917 als Anna Kauderova in eine gut situierte jüdische Familie in Trebechovice pod Orebem geboren, damals noch Österreich-Ungarn, heute Tschechien. Ihr Vater Stanislav Kauder war Teilhaber einer Lederwarenfabrik. Anka war sehr sportlich, bekam eine gute Schulbildung mit Unterricht in Deutsch und weiteren Fremdsprachen, spielte Klavier und liebte Parties. Als erste in ihrer Familie begann sie ein Studium und belegte an der Karlsuniversität in Prag das Fach Jura. Nach eigenen Angaben verbrachte die hübsche und lebenslustige junge Frau aber kaum Zeit mit Lernen, sondern lieber mit ihren Freundinnen und Freunden. Obwohl die Auswirkungen der NS-Diktatur auf das Leben der jüdischen Bevölkerung im Deutschen Reich und später auch in Österreich bekannt waren, ignorierten Anka und ihr Freundeskreis die bedrohlichen politischen Verhältnisse. "Wir dachten, uns würde nichts passieren. Wie fühlten uns unbesiegbar" sagte sie über diese Zeit.

Nach dem Einmarsch der Deutschen 1939 lief auch in der Tschechoslowakei der Prozess der Entrechtung und Ausraubung der jüdischen Bevölkerung an. So musste Anka die Universität verlassen. Sie begann eine Ausbildung als Hutmacherin bei einer ihrer Tanten, ihre Freizeitaktivitäten fanden nun hinter verschlossenen Türen statt. Im November 1939 lernte sie über einen Cousin den gutaussehenden, 13 Jahre älteren Bernd Nathan kennen. Sie nannte ihn später einen "natural ladies` man like his father", der Frauenherzen zum Schmelzen brachte [Zitat Wendy Holden]. Es war Liebe auf den ersten Blick. [...] Wir lernten uns kennen und es klickte und...wir benahmen uns wie komplette Idioten" [Zitat Anka].

Bernd Nathan arbeitete zu der Zeit mit eigener Werkstatt und Angestellten in den Barrandov Film Studios und stattete im Nebenerwerb Ladengeschäfte aus. Er war auch für Nazis tätig, die nicht wussten, dass er Jude war, und richtete Bars, Nachtclubs und Kaffeehäuser für die deutschen Besatzer ein.

Innerhalb eines Jahres, am 15. Mai 1940, waren Bernd und Anka verheiratet und lebten zusammen in Bernds Wohnung. Den schönen Dingen des Lebens zugetan, hatte er diese mit selbst gestalteten Möbeln eingerichtet. "Es war schrecklich romantisch", erinnerte sich Anka. Eine Gelegenheit, nach Schanghai zu fliehen, ließ das verliebte Paar verstreichen. 2006 erklärte sie in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, warum das Paar die Möglichkeit zur Auswanderung nicht nutzte: "Aber wir hatten hier unsere Freunde. Und Bernd verdiente wunderbar, weil die Deutschen ihre Wohnungen und Kaffeehäuser in Prag herrichten ließen und die Arbeit gerne einem deutschen Architekten anvertrauten. Es war einfach dumm von uns."

Mittlerweile wurden die antijüdischen Maßnahmen immer härter. Bernd und Anka mussten in eine kleinere Wohnung ziehen, und Bernd konnte nicht länger riskieren, für die Deutschen zu arbeiten. Jüdinnen und Juden wurden verpflichtet, den gelben Stern zu tragen, Deportationen begannen. Es gab keine Möglichkeit, Bernds Einberufung nach Theresienstadt zu umgehen. Anfang Dezember 1941 musste er sich in der heruntergekommenen ehemaligen Garnisonsstadt melden, um als Tischler im "Aufbaukommando" die Gebäude in ein angebliches "Prominentengetto" umzubauen.

Anka erhielt wenig später den Befehl, sich am Sammelpunkt für den Transport nach Theresienstadt einzufinden. Dort eingetroffen, kam sie in einem Raum zusammen mit ihren Freundinnen unter. Sie war jung, stark und gesund und hatte zunächst das Gefühl, trotz der unsäglichen Verhältnisse ein Abenteuer zu erleben. Bald fand sie Kontakt zu Bernd, der in einer anderen Baracke untergebracht war. Neben seiner Arbeit als Tischler – er musste auch ständig neue Pritschen für die vielen Neuankömmlinge zimmern – tat er Dienst als Gettowache, so dass sich Gelegenheiten für heimliche Treffen mit seiner Frau ergaben. Anka bekam nach einer überstandenen Scharlacherkrankung eine Stelle in der Essensausgabe zugewiesen und konnte so ihre Angehörigen mit etwas zusätzlicher Nahrung unterstützen.

Denn im Laufe der Zeit trafen immer mehr Transporte ein. Im Mai 1942 war Ankas Familie dabei, im Juli 1942 Bernds Vater Louis, im Januar 1944 dann auch Bernds Mutter Selma. Der blinde Louis wurde von einer Helferin begleitet, Selma von ihrem zweiten Ehemann.

Selma war Ende 1939 zu ihren Verwandten in die Niederlande geflüchtet. Ihr Bruder Georg Eugen war laut Margot Friedlander "als junger Mann nach Holland gegangen und hatte dort eine reiche jüdische Dame geheiratet. Georg hatte bereits all seine Geschwister nach Amsterdam kommen lassen." Wie so viele jüdische Flüchtlinge wurde auch Selma Hecht, geschiedene Nathan, im Januar 1942 im niederländischen Durchgangslager Westerbork interniert. Hier heiratete sie am 23.7.1942 Szaje Leib Trisker (geb. 4.10.1905 in Czortkow/Galizien), der 1935 aus Berlin in die Niederlande gezogen war. Nach Ankas Aussage fand Bernd es peinlich, dass der Mann seiner Mutter ein Jahr jünger war als er selbst.

Nachdem sein Vater Louis Nathan in Berlin spätestens 1937 seine Arbeit in der Firma des Schwagers aufgegeben hatte, zog er nach Hamburg, wohnte dort an verschiedenen Adressen zur Untermiete und führte offensichtlich ein karges Leben. Auf der Kultussteuerkartei der Jüdischen Gemeinde steht unter "Bemerkungen:" Kein Vermögen, lebt von [Wohlfahrts]Unterstützung sowie den Kindern." Im Juli 1942 wurde er nach Theresienstadt deportiert. Er überlebte schwer krank und kehrte nach der Befreiung nach Hamburg zurück. 1946 übersiedelte er zu seinem jüngsten Sohn und der Schwiegertochter in die Niederlande, wo er im Oktober 1956 verstarb.

Anka und Bernd gelang es, wie schon erwähnt, sich heimlich zu treffen, und 1943 wurde Anka schwanger. Am 13. Januar 1944 brachte sie einen Sohn namens Jiri (tschechisch für Georg) zur Welt, der zwei Monate später, am 10. April 1944, an Lungenentzündung verstarb.
Auch Margot Friedlander war inzwischen von Berlin nach Theresienstadt deportiert worden.

Als Margot "Bernd und Anka wiedersah, im Juni, gehörten sie zu den 'privilegierten' Bewohnern des Lagers. Sie lebten zusammen und hatten sich in ihrer Unterkunft einen Verschlag zusammengezimmert, um sich von den anderen ein wenig abzugrenzen." Weil sie "jung, stark und arbeitsfähig waren blieben sie drei Jahre" vom Weitertransport in ein Vernichtungslager ausgenommen.

Margot fand im Getto auch ihre "Tante Selli" (d.h. Selma) wieder und schildert die Begegnung folgendermaßen: "Als sie mich sah, fing sie an zu weinen. "Bernd ist hier", sagte ich und hoffte, das würde sie trösten. Aber sie hörte nicht auf zu weinen. Sie weinte aus Freude, ihren Sohn wiederzusehen, und aus Verzweiflung, dass sie ihn ausgerechnet hier wiedergefunden hatte, an einem Ort ohne Hoffnung."

Ankas Eltern wurden bereits 1943 nach Auschwitz weiterdeportiert, Selmas Mann Ende September 1944, sie selbst einige Tage später. Ihr Todesdatum ist mit 6. Oktober 1944 angegeben. Margot Friedlander überlebte. Für ihre Verdienste um Aufklärungsarbeit als Zeitzeugin wurde sie mehrfach ausgezeichnet. Im Januar 2023 erhielt sie – inzwischen 101 Jahre alt – das Bundesverdienstkreuz erster Klasse.

Im Herbst 1944 erhielt Bernd Nathan dann doch den Deportationsbefehl nach Auschwitz. Nicht ahnend, was dies bedeutete, meldete Anka sich, wie andere Frauen auch, um ihren Mann "freiwillig" zu begleiten. Doch sie wurde nicht demselben Transport zugeteilt und sollte ihn nie wiedersehen. Anka war – in einem frühen Stadium - wieder schwanger. Bei der Ankunft in Auschwitz stufte man sie als arbeitsfähig ein. Wäre ihr kleiner Sohn noch am Leben und bei ihr gewesen, hätte das ihren sofortigen Tod in der Gaskammer bedeutet. Obwohl sie schwer unterernährt war, musste Anka in einer Waffenfabrik in Freiberg bei Dresden Zwangsarbeit leisten. Ihre Schwangerschaft blieb erstaunlicherweise unentdeckt.

In den letzten Kriegswochen evakuierten die Nationalsozialisten die Waffenfabrik. Die Zwangsarbeiterinnen wurden in zum Teil offene Kohlewaggons verfrachtet. Viele Tage dauerte die Fahrt bei schrecklicher Kälte und ohne Verpflegung. In ihrem Buch schildert Wendy Holden dieses Märtyrium in allen grausamen Einzelheiten. Der Zug erreichte schließlich das in Österreich gelegene Konzentrationslager Mauthausen. Dort brachte am 29. April 1945 Anka Nathan, völlig ausgemergelt und entkräftet und ohne Hilfe, ihre Tochter zur Welt. Sie, Eva, wog gerade einmal 1360 Gramm. Einige Tage später wurde das KZ Mauthausen von amerikanischen Truppen befreit. Es ist kaum zu glauben, aber Eva und ihre Mutter überlebten, und Anka kehrte schließlich mit dem Kind nach Prag zurück.

Bernd Nathan befand sich im Winter 1944/1945 in Bismarckhütte, einem Außenlager von Auschwitz. Dieses war am 1. September 1944 in Betrieb genommen worden, ca. 200 Häftlinge mussten dort Waffen produzieren und gepanzerte Fahrzeuge bauen.

Nach späterer Aussage eines Mitgefangenen wurde Bernd Nathan nur eine Woche vor der Befreiung des Lagers bei der Evakuierung am 18. Januar 1945 erschossen.
Er war 40 Jahre alt. Dass seine Frau schwanger war, hat er nie erfahren.

Anka Nathan musste den Tod ihres Mannes und den Verlust ihrer gesamten Familie verkraften. Die Sorge um ihre Tochter war das einzige, was sie zu der Zeit am Leben hielt.

Einige Zeit nach Kriegsende traf sie Karel Bergman wieder. Der Tscheche (1902-1983) war 1939 nach England geflüchtet und während des Krieges als Übersetzer in der Royal Air Force tätig gewesen. Die beiden heirateten und zogen 1948 mit Eva nach Großbritannien, um ein neues Leben zu beginnen. Unterwegs verbrachten Anka und Eva einen Monat bei ihren Verwandten in den Niederlanden. Evas Großvater Louis Nathan lebte dort bei Bernds Bruder Rolf und dessen Familie.

Rolf war wie sein Vater Kaufmann von Beruf. Er war bereits 1928 in die Niederlande übergesiedelt und konnte 1942 in die Schweiz flüchten. Dort wurde er interniert und musste im Straßenbau arbeiten. Im September 1944 trat er im bereits befreiten Frankreich in die amerikanische Armee ein. 1946 kehrte er in die Niederlande zurück.

Marga, Bernds Schwester, hatte 1931 den Berliner Zahnarzt Dr. Kurt Blum geheiratet. Ihr gelang mit Mann und kleinem Sohn im Frühjahr 1939 die Flucht nach Australien. Marga starb 1989.

Anka Bergman starb im Juli 2013 mit 96 Jahren in Großbritannien.

Eva, verheiratete Clarke, engagiert sich seit Jahren in der Aufklärung über den Holocaust. 2019 erhielt sie die British Empire Medal für ihren Einsatz.


Stand: Mai 2023
© Sabine Brunotte

Quellen: Besonderen Dank an George Nathan, Atlanta /Georgia, für Recherche und Hilfe;
1, 5, 8; StaH 332-5_3010; StaH 351-11_4052; Meldekartei Hamburg Bernd Nathan, StaH 741-4 Fotoarchiv K 6655; Meldekartei Hamburg Selma bzw. Sally Nathan, StaH 741-4 Fotoarchiv K 6655; Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten Berlin (LABO) Entschädigungsbehörde, Akte Nr. 51660 Dr. Kurt Blum; schriftliche Auskunft Gedenkstätte Kamp Westerbork, E-Mail vom 08.02.2016; schriftliche Auskunft Herbert Schüürman, Emmerich 07.04.2016; schriftliche Auskunft Stadtarchiv Kiel, E-Mail vom 07.04. 2016; schriftliche Auskunft Stadtarchiv Bonn, E-Mail vom 16.02.2018; schriftliche Auskunft Standesamt Hamburg-Nord vom 10.05.2016; schriftliche Auskunft Stadtarchiv Trier, E-Mail vom 22.5.2018; schriftliche Auskünfte George Nathan, E-Mails vom 09.02.2016, 23.05.2018, 25.05.2018, 24.01.2023; schriftliche Auskünfte Eva Clarke, E-Mails vom 13.02.2018, 17.02.2018, 16.02.2023; Wendy Holden, Born Survivors, London 2015; Margot Friedlander mit Malin Schwerdtfeger, "Versuche, dein Leben zu machen" Als Jüdin versteckt in Berlin, Berlin 2008; Jüdisches Adressbuch für Gross-Berlin Ausgabe 1931, Nachdruck arani-Verlag, Berlin 1994; https://agora.sub.uni-hamburg.de Adressbuch Hamburg von 1904 u. 1917; Interview mit Anka Bergman in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 01.08.2006: http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/menschen/holocaust-das-ueberleben-ueberleben-1332147-p4.html?printPagedArticle=true#pageIndex_4, letzter Zugriff 02.04.2016; https://www.stolpersteine-berlin.de/de/leibnizstr/57/martha-korngold, letzter Zugriff 22.01.2023; https://www.holocaust.cz/de/opferdatenbank/opfer/110779-bernd-nathan/ letzter Zugriff 09.06.2018; https://www.holocaust.cz/en/database-of-victims/victim/97841-ida-kauderova/ letzter Zugriff 01.02.2023; https://filmlexikon.uni-kiel.de/doku.php/b:barrandovstudios-1788 letzter Zugriff 30.01.2023; https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Außenlager_des_KZ_Auschwitz_I_(Stammlager) letzter Zugriff 10.02.2023; www.ancestryinstitution.de/discoveryui-content/view190092677:2957 Heirat Blum 1931, letzter Zugriff 13.02.2023; https://Austcemindex.com, Zugriff 13.02.2023.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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