Namen, Orte und Biografien suchen


Bereits verlegte Stolpersteine




Stolpertonstein

Erzähler: Christine Jensen
Sprecher: Michael Latz
Biografie: Hildegard Thevs

Rita Ahrens * 1937

Marckmannstraße 135 (ehemalige Kinderklinik) (Hamburg-Mitte, Rothenburgsort)


RITA AHRENS
GEB. 8.12.1937
ERMORDET 21.7.1943

Weitere Stolpersteine in Marckmannstraße 135 (ehemalige Kinderklinik):
Andreas Ahlemann, Ursula Bade, Hermann Beekhuis, Ute Conrad, Helga Deede, Jürgen Dobbert, Anneliese Drost, Siegfried Findelkind, Rolf Förster, Volker Grimm, Antje Hinrichs, Lisa Huesmann, Gundula Johns, Peter Löding, Angela Lucassen, Elfriede Maaker, Renate Müller, Werner Nohr, Harald Noll, Agnes Petersen, Renate Pöhls, Gebhard Pribbernow, Hannelore Scholz, Doris Schreiber, Ilse Angelika Schultz, Dagmar Schulz, Magdalene Schütte, Gretel Schwieger, Brunhild Stobbe, Hans Tammling, Peter Timm, Heinz Weidenhausen, Renate Wilken, Horst Willhöft

Kinderkrankenhaus Rothenburgsort

Im früheren Kinderkrankenhaus Rothenburgsort setzten die Nationalsozialisten ihr "Euthanasie-Programm" seit Anfang der 1940er Jahre um.
33 Namen hat Hildegard Thevs recherchieren können.

Eine Tafel am Gebäude erinnert seit 1999 an die mehr als 50 ermordeten Babys und Kinder:

In diesem Gebäude
wurden zwischen 1941 und 1945
mehr als 50 behinderte Kinder getötet.
Ein Gutachterausschuss stufte sie
als "unwertes Leben" ein und wies sie
zur Tötung in Kinderfachabteilungen ein.
Die Hamburger Gesundheitsverwaltung
war daran beteiligt.
Hamburger Amtsärzte überwachten
die Einweisung und Tötung der Kinder.
Ärzte des Kinderkrankenhauses
führten sie durch.
Keiner der Beteiligten
wurde dafür gerichtlich belangt.



Weitere Informationen im Internet unter:

35 Stolpersteine für Rothenburgsort – Hamburger Abendblatt 10.10.2009

Stolpersteine für ermordete Kinder – ND 10.10.2009

Stolpersteine gegen das Vergessen – Pressestelle des Senats 09.10.2009

Die toten Kinder von Rothenburgsort – Nordelbien.de 09.10.2009

35 Stolpersteine verlegt – Hamburg 1 mit Video 09.10.2009


Wikipedia - Institut für Hygiene und Umwelt

Gedenken an mehr als 50 ermordete Kinder - Die Welt 10.11.1999

Euthanasie-Opfer der Nazis - Beitrag NDR Fernsehen 29.05.2010

Hitler und das "lebensunwerte Leben" - Andreas Schlebach NDR 24.08.2009
©


Rita Ahrens, geb. 8.12.1937 in Hamburg, ermordet am 21.7.1943

"Rita war an sich kein dummes Kind, sie konnte nur nicht sprechen, außer den Worten ‚Mama’ und ‚Papa’", sagte später Ritas Mutter über ihr zweites Kind. Als Rita 1937 in Altona geboren wurde, gab es noch keine Meldepflicht für Behinderungen, und da sie nie krank war, sah die Mutter auch keinen Anlass, mit ihr zu einem Arzt zu gehen. Allerdings erschien die Bezirksfürsorgerin mehrmals, um sie sich anzusehen. Offenbar hatte niemand der Mutter gesagt, und es war ihr selbst nicht aufgefallen, dass ihre Tochter Symptome des Down-Syndroms zeigte. Am 17. September 1940 gebar Agnes Ahrens einen Sohn, Horst.

"Weil die Ärzte dort mir versprochen hatten, etwas zu unternehmen, um das Kind zum Sprechen zu bringen", brachte Agnes Ahrens ihre inzwischen über drei Jahre alte Tochter am 3. März 1941 in die damaligen Alsterdorfer Anstalten und holte sie nach 18 Tagen gegen den Willen der Ärzte nach Hause, obwohl sie fieberte. Rita sprach immer noch nicht mehr als zwei Worte.

Im selben Jahr zog die Familie nach Bayern. Reinhold Ahrens, von Beruf Rangierer, wollte sich auf einer jüngst erworbenen Landstelle in Kalteneck bei Passau eine neue Existenz aufbauen. Dort erhielten er und seine Frau eines Tages "ein Schreiben des Innenministeriums, dass sie ihre Tochter Rita in eine Heil- und Pflegeanstalt in München einliefern" sollten. Der "Reichsausschuss" war auf ihren Spuren geblieben. Wer die Meldung vorgenommen hatte, ist nicht bekannt. Die Eltern verweigerten sich dieser Aufforderung.

Nach etwa 1½ Jahren kehrte Familie Ahrens – inzwischen war ein weiterer Sohn geboren – nach Hamburg zurück. Wieder kam ein amtliches Schreiben, veranlasst vom "Reichsausschuss", mit der Aufforderung, Rita in eine Heil- und Pflegeanstalt einzuliefern, und zwar nach Langenhorn. Diesmal folgten Ritas Eltern ihr. Agnes Ahrens brachte ihre inzwischen fast fünfjährige Tochter am 28. November 1942 in die "Kinderabteilung des Krankenhauses der Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn", wie sie sich später erinnerte. Bei dem Aufnahmegespräch schlug ihr der verantwortliche Arzt Knigge einen riskanten Behandlungsversuch vor, der jedoch die Möglichkeit berge, Rita zum Sprechen zu bringen. Agnes Ahrens, sehr besorgt um ihre Tochter, zögerte bei dem Begriff "Versuch", erklärte sich aber dennoch damit einverstanden. Der Arzt versprach ihr, sein Möglichstes zu tun.

Ohne dass die Eltern etwas über das "Reichsausschussverfahren" erfuhren, erhielt Rita (nach Eingang der Genehmigung zur "Behandlung" durch den Reichsausschuss im Sommer 1943) von Friedrich Knigge eine Luminal-Injektion. Dank ihrer kräftigen körperlichen Kondition über­wand sie jedoch die daraus resultierende Lungenentzündung und wurde nach ca. 14 Tagen erneut dieser "Behandlung" unterworfen, was wiederum nicht den gewünschten "Erfolg" brachte, wohl aber zu einem Spritzenabszess führte, der im Kinderkrankenhaus Rothen­burgs­ort behandelt werden sollte. Darüber wurden Ritas Eltern nicht informiert.

Als Agnes Ahrens am 29. Juni 1943 ihre Tochter Rita in Langenhorn besuchen wollte, teilte ihr die diensthabende Krankenschwester Ritas Verlegung "wegen Überfüllung der Anstalt" in das Kinderkrankenhaus Rothenburgsort mit. Die Mutter sprach mit keinem Arzt oder einer Ärztin dort und besuchte Rita auch nicht. Sie kümmerte sich in dieser Zeit um ihren inzwischen dreijährigen Sohn Horst, der mit einer Hirnhautentzündung in der Universitätsklinik Eppendorf lag, wo er am 13. Juli 1943 verstarb.

Die Reichsbahnbetriebskrankenkasse hatte für Ritas Unterbringung in Langenhorn die Zahlungen nach dreizehn Wochen eingestellt, weil sie Rita nicht als Kranke, sondern als Pflegefall einstufte. Für die folgenden zwei Monate war der "Reichsausschuss" aufgekommen, danach die Hamburger Sozialverwaltung. Nun galt Rita wieder als krank, so dass Wilhelm Bayer die Krankenkasse wegen der Kostenübernahme informierte, sie werde wegen "Entwicklungsstörung und Racheninfekts" schätzungsweise zwei Monate in seiner Klinik verbleiben.

Nur acht Tage nach Horsts Tod erschien ein Polizist bei dem Ehepaar Ahrens und benachrichtigte sie, dass Rita im Sterben liege und sie kommen möchten. Auf die Frage, wie es möglich sei, dass das Kind so plötzlich sterbe, erwiderte die Schwester, sie wisse es auch nicht. Agnes Ahrens hatte den Eindruck, Rita litte an einer Lungenentzündung. Noch am selben Abend, dem 21. Juli 1943, erreichte sie die Nachricht von Ritas Tod. Die Stationsärztin, Ursula Petersen, hatte eine höhere Dosis Luminal injiziert als seinerzeit Knigge; sie gab als Todesursache "Mongolismus, Pneumonie" an. Rita wurde fünfeinhalb Jahre alt. Sie starb am selben Tag wie Dagmar Schulz (siehe dies.), eine Woche vor dem "Feuersturm", in dem Rothenburgsort weitgehend zerstört wurde. Die Sterberegister – Original und Abschrift werden getrennt aufbewahrt – wurden dabei vernichtet. Rita Ahrens’ Mutter brachte zu den Nachkriegsermittlungen die Sterbeurkunde mit, aus der die obigen Angaben hervorgehen. Sie wurden inzwischen durch den Fund der Krankenakte aus der Staatsanstalt Langenhorn bestätigt und ergänzt.

© Hildegard Thevs

Quellen: Ev. Stiftung Alsterdorf, Archiv, Aufnahmebuch Nr. 8183; StaH 213-12 Staatsanwaltschaft Landgericht NSG, 0017-001, 002; 352-8/7 Staatskrankenanstalt Langenhorn, Abl. 2000/01, 10.

druckansicht  / Seitenanfang