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Bernhardine Levy (née Friedberg) * 1902
Bundesstraße 40 (Eimsbüttel, Rotherbaum)
HIER WOHNTE
BERNHARDINE LEVY
GEB. FRIEDBERG
JG. 1902
DEPORTIERT 1942
THERESIENSTADT
1944 AUSCHWITZ
ERMORDET
further stumbling stones in Bundesstraße 40:
John Levy
Bernhardine Levy, geb. Friedberg, geb. 12.7.1902 Hamburg, 19.7.1942 deportiert nach Theresienstadt, am 28.10.1944 nach Auschwitz
John Levy, geb. 9.12.84 Altona, 19.7.1942 deportiert nach Theresienstadt, am 28.10.1944 nach Auschwitz
Bundesstraße 40 (Eimsbüttel)
Bernhardine Levy, geb. Friedberg, war das jüngste Kind der jüdischen Eheleute Adele Friedberg, geb. Goldschmidt (1862 Wandsbek) und Samuel Friedberg (1853 Hamburg). Ihr Vater war als Kontorist, Agent (Vertreter) und kaufmännischer Angestellter tätig. Über eine Berufstätigkeit ihrer Mutter ist nichts bekannt.
Bernhardine, auch Dina genannt, hatte noch vier ältere Geschwister: Ella (1887) und die Brüder Alphons (1885), Hugo (1889) und Herbert (1891). In den 1880er Jahren wohnten die Friedbergs in Altona, Adolphstraße 42 bzw. 154. Später lebten sie im Hamburger Stadtgebiet.
Das Familienleben war von zahlreichen Wohnungswechseln geprägt, was neben der wachsenden Kinderschar auch auf prekäre Einkommensverhältnisse schließen lässt.
Seit dem Jahr 1900 war die Familie auf finanzielle Unterstützung angewiesen. Jüdische Stiftungen halfen mit Einmalzahlungen zum Überleben, aber die Armut blieb. 1914 bestand die Gefahr, wegen Mietschulden aus der Wohnung gewiesen zu werden.
Bernhardines Vater starb am 21.3.1922, kurz nachdem ihm seine Altersrente bewilligt worden war.
Ihre nun verwitwete Mutter lebte weiter in der Margaretenstraße 35 in einer 4-Zimmerwohnung, die sie sich mit ihrer verheirateten Tochter Ella, und ihrem Schwiegersohn Carl Rühmke teilte. Ihren Lebensunterhalt bestritt Adele Friedberg durch eine Invalidenrente, zudem wurde sie von der Israelitischen Gemeinde unterstützt.
Über Bernhardine Friedbergs Schulbesuch oder eine berufliche Tätigkeit ist nichts bekannt.
1922, im Alter von 20 Jahren, ging Bernhardine die Ehe mit dem sechs Jahre älteren Kontoristen und späteren Versicherungsagenten Ernst Grohmann (geb. 26.9.1896) ein. Dieser war der uneheliche Sohn der katholischen, seit mehreren Jahren verwitweten Maria Cäcilie Bielfeld, geb. Grohmann, (geb. 1859 in Berlin). Ernst und Bernhardine Grohmann wohnten vorerst mit in der Wohnung von Bernhardines Mutter in der Margarethenstraße 35. Am 7.6.1923 wurde der Sohn Egon geboren.
1927 zog die Familie in den Eidelstedter Weg 65. Ernst Grohmann war nun als Handlungsgehilfe, d.h. Verkäufer, im Adressbuch eingetragen. Als am 17.6.1929 die Tochter Ursula geboren wurde, lebte die Familie in der Straße Koppel 9 in St. Georg. Ernst Grohmann war wieder als Versicherungsangestellter tätig. Beide Kinder waren evangelischer Konfession. Ihr Vater muss – was bei Ehemännern äußerst selten war – zu einem Zeitpunkt, der uns nicht bekannt ist, zum Judentum konvertiert sein. Am 15.11.1930 trat er aus der Deutsch-Israelitischen Gemeinde (DIGH) wieder aus.
Zwischen 1932 und 1936 finden sich keine Einträge von Ernst Grohmann in den Hamburger Adressbüchern, denn von Juli 1933 bis August 1935 lebte er in Lübeck, wo er bei der Volksfürsorge tätig war. Einem späteren Vermerk zufolge arbeitete er 16 Jahre lang für diese Versicherung, zeitweise wohl auch nebenberuflich.
Die Familie wohnte 1935 in der Grindelallee 44 und ein Jahr später Beim Schlump 52b. Wie ihr Alltag aussah, wissen wir nicht. 1936 wurde die Tochter Ursula für mehrere Monate zu einer Kur an die Nordsee verschickt. Der Sohn Egon hatte 1932 an einer solchen Kur teilnehmen können.
Seit dem 29.4.1937 lebte das Ehepaar getrennt. Ein Sachbearbeiter bemerkte in der Fürsorgeakte der Familie: "Die Ehefrau ist nicht arisch, daher traten Zerwürfnisse auf. Scheidung ist eingereicht. Sühnetermin 15.4.37 erfolglos". Anders ausgedrückt: Die Ehe hielt dem politisch bedingten Druck, der auf den sogen. Mischehen lag, wohl nicht mehr stand.
Im August 1937 erfolgte die Scheidung der Eheleute, die zu gleichen Teilen schuldig gesprochen wurden, da – so die Begründung des Urteils – sie sich seit Jahren entfremdet hätten.
Die Kinder lebten zunächst bei der Mutter, d.h. 1936 in der Grindelallee 93, im folgenden Jahr waren sie im Eppendorfer Weg 88 gemeldet.
Am 21.6.1938 ging Bernhardine eine zweite Ehe mit dem Buchdrucker(gehilfen) John Levy ein. Er war der Sohn des jüdischen Kaufmanns Moritz Abraham Levy und Dorette Mathilde Christine Levy, geb. Abraham. Sein Vater war 1911 verstorben, seine Mutter ca. 1930, beide in Altona.
Für John Levy war es die dritte Ehe. In erster Ehe war er seit 1909 mit Gertrud Jacobsohn (20.8.1887) verheiratet gewesen, die aus einer jüdischen Familie kam. Aus dieser Ehe stammte die Tochter Mona (19.6.1910). John Levy arbeitete – so der Eintrag auf der Heiratsurkunde - als Kassierer. Seit 1912 war er als Mitglied der Jüdischen Gemeinde registriert.
John Levy hatte seit 1916 am Ersten Weltkrieg als Soldat in der 2. Kompanie des Armee Btl. 121 am Standort Rostock teilgenommen und wurde als "Gemeiner" entlassen, d.h. als einfacher Soldat. In der Nachkriegszeit tat er sich schwer, im zivilen Leben wieder Fuß zu fassen. 1923 wurde seine Ehe geschieden.
Ab Mitte der 1920er Jahre hatte er sich unter wechselnden Adressen und in provisorischen Räumlichkeiten als Händler von Tabakwaren, insbesondere von Zigarren versucht. Zwischen 1926 und 1939 war er unter elf Adressen gemeldet, oft als Untermieter – wie aus seiner Fürsorgeakte hervorgeht. Er arbeitete zeitweise auch in seinem Beruf, zwischen 1927 und 1931 war er kurzzeitig in verschiedenen Druckereien beschäftigt. Er ging eine zweite Ehe ein mit der christlichen Adolfine, geb. Danckert, (4.11.1888). Sie erkrankte mit 37 Jahren an einem Tumor und wurde 1926 im Israelitischen Krankenhaus behandelt.
1927 hatte John Levy ein Darlehen bei der Wohlfahrtsbehörde beantragt, um seinen Laden weiterführen zu können. Ein Beamter stattete dem Geschäft am 5.7. d.J. einen Besuch ab. Im Besuchsprotokoll bezeichnete er die Lage des Geschäfts in der Straße Kohlhöfen als gut, da auf der Straße viel Betrieb herrsche und der Laden ebenerdig zu betreten war. Weiter hieß es: "Wenn genügend Warenbestand vorhanden wäre, könnte eine Existenz erzielt werden. Es kommt dann aber noch in Betracht, dass Frau L. mit ihrem geschminkten und gepuderten Gesicht als Geschäftsfrau keinen guten Eindruck macht." Abschließend wird bemerkt: "…so kann wegen der Ehefrau das Darlehen nicht befürwortet werden."
Die Verbindung zwischen den Eheleuten bestand nicht mehr lange, wann die Scheidung erfolgte, ist nicht geklärt.
Anfang der 1930er Jahre erkrankte John Levy und wurde als Patient im Israelitischen und im Eppendorfer Krankenhaus behandelt. Eine beantragte Pflegezulage zur Genesung wurde ihm jedoch nicht gewährt. John Levy wandte sich wieder mit Eingaben um Unterstützung mehrmals an das Wohlfahrtsamt. Ein Mitarbeiter des Amtes suchte Levy in der Catharinenstraße 29 auf. Dort befand sich nun sein Laden, in dem er auch schlief. Der Beamte stellte fest, dass sich Levy in einem geschwächten gesundheitlichen Zustand befand. Doch Levys Vorschlag, ihm das Krankengeld zu erhöhen, damit er sich besser ernähren könne, verwarf der Fürsorger. Im Besuchsprotokoll ist dazu vermerkt: "…kann kaum befürwortet werden aus Mitteln der WB" (Wohlfahrtsbehörde). Ab Juni 1931 erhielt Levy Arbeitslosenunterstützung.
1932 hatte er wegen Verdunklungsgefahr in U-Haft gesessen. Die Gründe kennen wir nicht. Aus der Haft schrieb er Briefe an seine damalige Verlobte Hermine Müllner, die in seiner Wohnung Zeughausmarkt 33 lebte.
In den Jahren 1936/37 wurde John Levy – nun unter der NS-Justiz – noch einmal inhaftiert unter dem Tatvorwurf "Rassenschande". Nach seiner Entlassung stellte er 1937 einen Antrag auf Krisen-Unterhalt. Zu dieser Zeit wohnte er im Eppendorfer Weg 88, zusammen mit seiner "Braut" Bernhardine Grohmann und deren Kindern – das Paar heiratete im Juni 1938. Die Eheleute müssen kurzzeitig Arbeit aufgenommen haben, beide wurden jedoch 1938 wieder entlassen.
Am 12. November 1938 erschien Bernhardine Levy früh um 8 Uhr beim Wohlfahrtsamt. John Levy war im Zuge des Novemberpogroms verhaftet worden. Laut Amtsvermerk hatte sie "nichts zum Leben" und brauchte dringend Geld. Zudem bestehe die Gefahr zum Ende des Monats wegen Mietschulden die Wohnung zu verlieren. "Nachdem ihr erklärt worden war, dass zuerst eine Hausprüfung erfolgen müsse, verlangt sie fordernd den verantwortlichen Leiter zu sprechen. Frau L. (Jüdin) tritt trotz der zur Zeit herrschenden Strömungen gegen die Judenfrage sehr hartnäckig auf und will sich nicht abweisen lassen", notierte der Fürsorger.
Am 18.11.1938 kam es zu einem Hausbesuch bei Bernhardine Levy und ihren Kindern, wo der Beamte die ärmlichen Verhältnisse in Augenschein nahm. Er protokollierte, dass neben John Levy sich auch zwei Brüder von Bernhardine in KZ-Haft in Sachsenhausen befanden (s.a. Biografie Adele Friedberg www.stolpersteine-hamburg.de). Levy sei seit 1 ½ Jahren arbeitslos und beziehe wöchentlich RM 12,30 Krisenunterstützung. Weiter heißt es: "Die Frau wohnt mit den Kindern aus erster Ehe zusammen, die Kinder sind Mischlinge. Egon, ein zarter blonder Junge, kfm. Lehrling. Tochter zart und lungenschwach, besucht die Volksschule Kielortallee." Bernhardines erste Ehe sei 1937 nach 15 Jahren geschieden worden. Grohmann, der erste Ehemann, zahle Unterhalt für die Kinder. Er beabsichtige, die Kinder nach seiner Wiederverheiratung zu sich zu nehmen, da es besser sei, wenn sie in einem "arischen" Haushalt aufwüchsen. Bernhardine Levy wolle sich jedoch nicht von den Kindern trennen, Über die Wohnverhältnisse notierte er, dass die Familie in einer Teilwohnung in zwei dunklen Zimmern, "aufs ärmlichste möbliert", lebe. Dort kochten und schliefen sie auch. Diese Unterkunft sei zum 1.12. gekündigt worden, eine andere stünde nicht in Aussicht.
Angesichts dieser Verhältnisse bewilligte die Fürsorgestelle entsprechende Leistungen, u.a. wurde die Miete übernommen. Dem Beamten lag besonders daran, die Situation der Kinder zu verbessern, die durch die Inhaftierung des Stiefvaters zu Unrecht betroffen seien. Auch seien die Richtsätze für Volljuden nicht auf "Mischlinge" anzuwenden. So wurde für diese der gehobene Richtsatz bewilligt, während ihre Mutter sich mit dem niedrigeren Satz für Juden begnügen musste. Das Protokoll endete mit den Worten: "Von dritter Seite keine Hilfe. Die Leute sind völlig mittellos. Sofortige Hilfe nötig."
Nach der Scheidung ihrer Eltern hatte Ursula zunächst bei ihrer Mutter gewohnt, 1939 lebte sie bei ihrem Vater, der mittlerweile auch wieder geheiratet hatte. Nur alle vier Wochen habe die Neunjährige zu ihrer Mutter gehen dürfen.
Doch mit der Deportation ihrer Mutter – 1942 war Ursula 13 Jahre alt – brach der Kontakt ab.
In einem Antrag von Ursula Busch werden als Beweismittel Postkarten ihrer Mutter erwähnt, die sich nicht (mehr) in der Akte befinden. Doch bereits ab 10.10.1943 habe man nichts mehr von ihr gehört. Zu diesem Zeitpunkt war Bernhardine noch in Theresienstadt inhaftiert.
Ursula beendete 1944, im Alter von 15 Jahren, die Volksschule und wünschte sich, Friseurin zu werden. Da ihre Mutter Jüdin war, konnte sie "aus rassischen Gründen" keine Lehrstelle antreten und nahm eine Stellung im Haushalt an.
Egon und Ursula Grohmann hatten in all dem Unglück das Glück, dass sie nicht als "Geltungsjuden", sondern als "Mischlinge" behandelt wurden. Zwar waren sie "Halbjuden", doch hatte ihr Vater bei ihrer Geburt der Jüdischen Gemeinde angehört. Diese Konstellation nutzten die Behörden in der Regel, die Betroffenen als "Geltungsjuden" wie Juden zu behandeln. In diesem Fall unterblieb es, vielleicht, weil sie beim nun nicht mehr der Jüdischen Gemeinde angehörenden Vater und dessen nichtjüdischer Ehefrau lebten.
Für die Eheleute Levy setzte sich die Abwärtsspirale fort, auch nachdem John Levy am 21.12.1938 aus dem KZ Sachsenhausen entlassen worden war. 1939 ging es um Mietunterstützung für eine Wohnung am Klocksweg I bei Katz. Für dieses Jahr ist auch aktenkundig geworden, dass Bernhardine keine "Pflichtarbeit" leisten wollte, die Fürsorgeempfängern, insbesondere jüdischen, routinemäßig aufgebürdet wurde. Sie meldete sich krank und musste sich einem Vertrauensarzt vorstellen. John Levy war einer entsprechenden Aufforderung ohne Begründung nicht gefolgt.
Seit August 1939 bewohnten Bernhardine und John Levy ein Zimmer zur Untermiete bei dem Lageristen Simenauer in der Bundesstraße 40. Inzwischen hatte der NS-Staat neue antijüdische Maßnahmen erlassen, und so meldete John Levy Ende Februar 1940 dem Standesamt Altona, seit dem 18.4.1939 den nun obligatorischen zusätzlichen Vornamen "Israel" angenommen zu haben, ein gleichlautender Brief folgte von Bernardine Levy, die nun den Zusatznamen "Sara" zwangsweise angenommen hatte. Wie vorgeschrieben "baten" die Eheleute darum, einen entsprechenden Eintrag ins Register vorzunehmen. Der Altonaer Standesbeamte schickte Levys Brief "wegen verspäteter Anzeige" ans Rechtsamt Hamburg, die zuständige Aufsichtsbehörde. Diese Anzeige hatte schwerwiegende Folgen.
In einem amtlichen Vermerk vom 5.3.1940 heißt es, dass die Eheleute Levy erklärt hätten, die gesetzliche Auflage, einen zusätzlichen Vornamen annehmen zu müssen, sei ihnen nicht bekannt gewesen, da sie keine Zeitung läsen. Erst ein Bekannter habe sie darauf hingewiesen.
Die Eheleute wurden daraufhin von Polizei-Hauptwachtmeister Hoheim vom 25. Polizeirevier aufgesucht und vernommen. Aus dem Protokoll des Polizisten geht hervor, dass John Levy als Buchdruckergehilfe gearbeitet hatte, aber seit dem 6.10.1939 ohne Erwerb sei und eine wöchentliche Arbeitslosenunterstützung von 16,70 RM erhalte. Ebenso sei seine Ehefrau ohne Erwerb und werde vom Ehemann unterhalten. Für ein unmöbliertes Zimmer hätten sie 15 RM monatlich zu zahlen. Nach seinen Eltern befragt, gab John Levy an, dass sein Vater jüdisch sei, mütterlicherseits sei er "arisch". (Eine 1957 ausgestellte Geburtskunde führt beide Eltern als "mosaisch" auf, die Vornamen der Mutter (s.o.) weisen jedoch auf einen christlichen Hintergrund hin, möglicherweise war sie bei ihrer Heirat zum Judentum konvertiert.) Mit einer nichtjüdischen Mutter hätte John Levy später die Chance gehabt, der Deportation zu entgehen. Offenbar konnte er jedoch nicht belegen, dass die Mutter nichtjüdischer Herkunft war. Bernhardine Levy war unwidersprochen jüdisch.
Die Eheleute Levy verfügten über keinerlei Ausweisdokumente außer dem Meldeschein.
Im Mai 1940 ergingen die Strafbefehle wegen der verspäteten Meldung zur Führung der Zusatznamen: die Levys wurden zu je 15 RM verurteilt, ersatzweise drohte eine Freiheitsentziehung von 3 Tagen Gefängnis. Als Beweismittel galt ihr Geständnis.
Gegen den Bescheid legten die Eheleute Einspruch beim Amtsgericht ein. Am 5. Juni zogen sie diesen jedoch wieder zurück und erklären sich zur 14-tägigen Ratenzahlung zu je 3 RM bereit.
Bis zum 15.7. zahlte John Levy drei Raten beim Amtsgericht ein, insgesamt 9 RM.
Inzwischen hatten die Eheleute mit Datum vom 11.6.1940 ein Gnadengesuch an den "Führer von Hamburg", Reichsstatthalter und NSDAP-Gauleiter Karl Kaufmann, gerichtet. In seinem Brief schilderte John Levy seine berufliche und private Situation. Ein ähnliches Schreiben an Kaufmann verfasste auch Bernhardine Levy. Ob die Briefe maßgeblich dazu beitrugen, die Eheleute vor der Geld- bzw. Freiheitsentziehung zu bewahren, lässt sich nicht eindeutig feststellen. Am 9.7.1940 erließ das Amtsgericht ihnen jedenfalls die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe, "weil die Geldstrafen ohne Verschulden der Verurteilten nicht eingebracht werden können."
Mit diesem Teilsieg wollten sich die Levys offenbar nicht zufriedengeben, denn am 27.7.1940 schrieben sie noch einmal an Kaufmann. Erst einmal bedankten sie sich, dass die Freiheitsstrafe unterbleiben sollte. Noch während sie auf die Entscheidung über ihr Gnadengesuch warteten, so schrieb John Levy, hätten sie bereits 9 RM ihrer Strafe gemäß richterlicher Verfügung gezahlt. Nun hätten sie eine "Herzensbitte" an den Reichsstatthalter: dieser solle veranlassen, dass ihnen der Betrag zurückerstattet werde.
Doch der amtliche Vermerk vom 6.8.1940, der dem Antwortschreiben an die Eheleute vorausging, durchkreuzte das Vorhaben: "Eine Rückzahlung bereits gezahlter Geldstrafen findet überhaupt nicht statt. Kein Verzicht der Reichskasse auf das Strafgeld." Und dann folgte ein Passus – ob naiv oder zynisch formuliert, ist kaum auszumachen: "Wenn Sie also wieder einmal Vermögen haben, dann wird die Reichskasse das Geld sofort von Ihnen verlangen. Im Übrigen hat eine Straferlassung nicht stattgefunden."
Ab 19.9.1941 waren die Eheleute gezwungen, den sogenannten Judenstern zu tragen. Zu dieser Zeit wohnten sie in der Peterstraße 33 zur Untermiete bei Simon (siehe Biographie Louise Simon www.stolpersteine-Hamburg.de).
Ihre letzte Behausung befand sich im sogenannten Judenhaus Schlachterstraße 46/47. Von dort mussten sie sich am 19.7.1942 an der Sammelstelle zur Deportation aus Hamburg einfinden. Sie waren nicht allein, Bernhardines Mutter Adele Friedberg und ihr Bruder Alphons hatten ebenfalls den Befehl erhalten. Adele Friedberg war unter der Nummer 175 in der Deportationsliste aufgeführt, Alphons unter der Nummer 759, Bernhardine erhielt die Nummer 397, John Levy die Nummer 403.
Sie erreichten das Getto Theresienstadt am 20.7.1942 mit dem Transport VI/2.
Aus einem Schreiben, das die Leiterin des Suchdienstes Theresienstadt – dieser unterstand der tschechoslowakischen Militärmission mit Sitz in Berlin-Dahlem - 1955 an Alphons‘ Schwester Ella Rühmke richtete, ging hervor, dass Adele Friedberg am 10.4.1943 in Theresienstadt verstorben sei. (Ein Stolperstein in der Rappstraße 15 erinnert an Adele Friedberg, Biographie siehe www.stolpersteine-hamburg.de)
Auch Alphons Friedberg starb in Theresienstadt, am 1.6.1943. "Verbrannt wurde Herr Friedberg am 3.6.1943. Der Totenbeschauschein blieb nicht erhalten." (Ein Stolperstein in der Vereinsstraße 61 erinnert an ihn, Biographie siehe www.stolpersteine-hamburg.de)
Über Bernhardine Levy erfahren wir aus dem Schreiben des Suchdienstes, dass sie am 28.10.1944 mit dem Transport Ev 286 "nach dem Osten verschleppt" und dort vermutlich ermordet wurde. Dasselbe Schicksal teilte John Levy. Beide wurden in Auschwitz ermordet und nach dem Krieg auf den 8.5.1945 für tot erklärt. Stolpersteine erinnern in der Bundesstraße 40 an sie, wo sie zur Untermiete gewohnt hatten.
Bernhardines Kinder stellten ab 1950 Entschädigungs- und Rückerstattungsansprüche für ihre ermordete Mutter. Erst 1960 kam es zu einem Vergleich zwischen der Behörde und den Geschwistern Egon Grohmann und Ursula Busch, geb. Grohmann, und sie erhielten eine Entschädigung.
Ursula Busch wurde zudem ein Ausbildungsschaden anerkannt und entschädigt. Ende der 1960er Jahre traten bei ihr körperliche und psychische Beschwerden auf, die sie auf die Verfolgungssituation zurückführte. Doch die ärztlichen Gutachter stellten "keinen Verfolgungszusammenhang" fest und schlossen eine Erwerbsminderung aus. Ursulas Antrag auf Gewährung eines Härtefallausgleichs gem. § 171 BEG wurde 1973 ebenfalls abgelehnt.
Auch die Tochter aus John Levys erster Ehe, Mona Becker, verwitwete Buchholz, geb. Levy, hatte 1958 Wiedergutmachungsansprüche geltend gemacht. Sie war Kinder- und Krankenpflegerin von Beruf und wohnte 1932 in Berlin, wo sie als Angestellte in einem Kinderheim arbeitete. 1933 wurde sie für ihren Vater unterhaltspflichtig. Die NS-Zeit hatte sie eigenen Angaben zufolge in Berlin verbracht, zeitweise auch versteckt im Untergrund. 1948 lebte sie in New York und besaß inzwischen die US-Staatsangehörigkeit. Sie war alleinige Erbin nach ihrem Vater. 1960 kam es zu einem Vergleich, in dem Ansprüche der drei Nachkommen von Bernhardine und John Levy zusammengefasst wurden.
Ernst Grohmann wohnte lt. Adressbuch 1940 in Wilhelmsburg, Siebenbrüderweide 62. Seinen Lebensunterhalt verdiente er als Hafenarbeiter. 1962 lebten auch seine beiden Kinder unter dieser Adresse, wie aus den Wiedergutmachungsakten hervorgeht. Ihr Vater starb 1963.
Das Beispiel der Familien Friedberg und Levy zeigt, wie sich Armut durch mehrere Generationen "vererbt" und Wirtschaftskrisen und Krieg die prekären Verhältnisse weiter festigen können. Ebenso wird klar, wie sehr Ehepartner und Kinder durch die Ermordung ihrer Angehörigen beeinträchtigt waren, zumal es innerhalb der Familien und der Gesellschaft der frühen Bundesrepublik kaum Räume gab, die halfen, die Traumata zu verarbeiten.
© Astrid Louven
Quellen: StaHH 522-1 Jüdische Gemeinden 992b Kultussteuerkartei der Deutsch-Israelitischen Gemeinde Hamburg; StaHH 213-11_60175 Staatsanwaltschaft Landgericht Strafsachen; StaHH 213-13_20999 Rückerstattung; StaHH 351-11_25831 Amt für Wiedergutmachung; StaHH 351-11_7134 Amt für Wiedergutmachung; StaHH 351-11_49420 Amt für Wiedergutmachung; StaHH 351-11_30787 Amt für Wiedergutmachung; StaHH 351-14 Arbeits- und Sozialwesen, Einzelfälle Nr. 1459 + 1460; StaHH 332-5_6355+2769; Adressbuch Wandsbek 1862, 1865; Adressbuch Altona 1886 und 1891 u. 1895, 1905 Adressbuch Hamburg 1885, 1895, 1896, 1900, 1905, 1910, 1915, 1920, 1925; 1926-1931, 1937, 1940