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Already layed Stumbling Stones



Grabstätte der histologischen Präparate auf dem Ehrenfeld für Verfolgte der NS-Herrschaft der Geschwister-Scholl-Stiftung, Grablage: Bo 73, Nr. 155
Grabstätte der histologischen Präparate auf dem Ehrenfeld für Verfolgte der NS-Herrschaft der Geschwister-Scholl-Stiftung, Grablage: Bo 73, Nr. 155
© Privatbesitz

Dieter Kullak * 1938

Langenhorner Chaussee 560 (Hamburg-Nord, Langenhorn)


ERMORDET IN DER
"KINDERFACHABTEILUNG"
DER HEIL- UND PFLEGEANSTALT
LANGENHORN

DIETER KULLAK
GEB. 30.8.1938
ERMORDET 8.3.1942

further stumbling stones in Langenhorner Chaussee 560:
Gerda Behrmann, Uwe Diekwisch, Peter Evers, Elke Gosch, Claus Grimm, Werner Hammerich, Marianne Harms, Hillene Hellmers, Helga Heuer, Waltraud Imbach, Inge Kersebaum, Hella Körper, Helga Liebschner, Theo Lorenzen, Jutta Müller, Ingrid Neuhaus, Traudel Passburg, Edda Purwin, Angela Quast, Erwin Sänger, Hermann Scheel, Gottfried Simon, Monika Ziemer

Dieter Kullak, geb. am 30.8.1938 in Hamburg, getötet am 8.3.1942 in der "Kinderfachabteilung der Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn"

Asklepios-Klinik Nord-Ochsenzoll, Henny-Schütz-Allee, Gedenkort Haus 25, Einfahrt Langenhorner Chaussee 560

Dieter Kullak wurde am 30. August 1938 in Hamburg geboren. Zunächst blieb er bei seinen Eltern, Ottilie Egidie, geb. Oetzmann, und dem Schlosser Walter Karl Otto Kullak, in Wandsbek, Kurze Reihe. Die Zeit vor seiner Geburt war bereits für Dieter belastend gewesen, denn seine Mutter hatte versucht, das ungeborene Kind abzutreiben, da sie Angst hatte, es könne einen Schaden haben. Sie hatte bereits vier Kinder, eine Tochter war durch einen Unfall taubstumm. Dieter wurde im Mutterleib mithilfe einer ärztlich überwachten medikamentösen Therapie gerettet und ausgetragen. Er litt unter einer "tödlichen Gelbsucht" und wurde wenige Tage nach seiner Geburt in das Kinderkrankenhaus Wandsbek gebracht. Vier Monate lang konnte er von seiner Mutter gestillt werden.

Im Alter von etwa eineinhalb Jahren verbrachte Dieter eine längere Zeit, vom 11. März bis zum 17. August 1940, im Allgemeinen Krankenhaus Wandsbek. Sein Zustand hatte sich während dieser Zeit nicht verbessert. Es wurde protokolliert: "Er sitzt nicht, steht nicht, reagiert nicht auf Anruf und spricht nicht". Die Nervenkrankheit von Dieter wurde als Littlesche Krankheit (cerebrale Kinderlähmung) bezeichnet. Die Diagnose lautete Little’sche Krankheit, Rachitis und Debilität. Die Mutter lehnte den Vorschlag ab, Dieter in die "Alsterdorfer Anstalten" zu überweisen.

Am 11. Oktober 1941 wurde Dieter auf Veranlassung des Hamburger Gesundheitsamtes mit der Diagnose "Idiotie" zu einer eingehenden fachärztlichen Überprüfung in die "Kinderfachabteilung der Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn" zu Dr. Knigge überwiesen. Er vermerkte im Aufnahmeprotokoll, die Mutter habe ihren Sohn nur widerwillig dorthin gebracht, und nur weil sie glaubte, dass manchmal "noch Zeichen und Wunder passieren".

Dr. Knigge protokollierte monatlich den gesundheitlichen Zustand von Dieter:
"11.XII.1941: Kommt von der Infektionsabteilung zurück.
12.I.1942: Unverändert stupides Verhalten. Bekommt immer wieder Wut- und Schreianfälle. Steht in keinem Kontakt mit der Außenwelt. Hatte zu Anfang des Monats ein Varietten Exanthem [Hautausschlag] […]
17.II.1942: Gleichgültig und stumpf. Sehr empfindlich. Schreit bei der geringsten Kleinigkeit."
Die letzten Eintragungen lauten: "7.III.42 Hat 39,6 Grad Temperatur. Zeigt schwerstes Trachea [Luftröhre] rascheln. Sieht blass und verfallen aus.
8.III.42. Exitus letalis [tödlicher Ausgang].
Diagnose: Littlesche Krankheit (Tetraplegiaspasticainfantitis) [Zerebrale Kinderlähmung, hervorgerufen durch Sauerstoffmangel während der Geburt]. Idiotie."

Dieter Kullak wurde in der "Kinderfachabteilung der Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn" getötet. Am 3. März 1942 verstarb er um 6:30 Uhr in Haus 10, Frauenabteilung II. In der Todesbescheinigung gab Friedrich Knigge als Todesursache "Cerebrale Kinderlähmung, Idiotie, Bronchopneumonie" an. Knigge tötete mit Luminal-Injektionen, einem Schlafmittel. Fieber und eine Lungenentzündung waren die Folge; die Kinder erlitten einen langsamen und qualvollen Tod. In den meisten Todesbescheinigungen, wie auch bei Dieter, deutet der Zusatz "Bronchopneumonie" auf diese Tötungen hin.

Seine Eltern wurden per Telegramm am selben Tag drei Stunden später benachrichtigt: "Sohn Dieter verstorben. Wegen Beerdigung Montag kommen. Geburtsurkunde mitbringen. Anstalt Langenhorn".
Seine Leiche wurde zu Forschungszwecken freigegeben, vermutlich ohne das Einverständnis seiner Eltern. Der "Reichsausschuß zur wissenschaftlichen Erfassung von erb- und anlagebedingten schweren Leiden" in Berlin übernahm die Kosten bis zum 13. März 1942.

Dieter wurde 3 Jahre, 6 Monate und 3 Tage alt. Der Ort seiner Beisetzung ist nicht bekannt.

Nach dem Krieg gab Friedrich Knigge am 18. Januar 1946 in der Strafsache gegen ihn und andere wegen Mordes bzw. Sterbehilfe in der "Kinderstation" des Krankenhauses Langenhorn in einer Vernehmung vor dem Untersuchungsrichter beim Landgericht Hamburg zum Fall Dieter Kullak als Rechtfertigung an: "Nachdem ich mir ein sicheres Urteil über die Unheilbarkeit des Leidens gebildet hatte, machte ich einen Bericht an den Reichsausschuss, indem ich die Euthanasie-Behandlung beantragte. Sie wurde am 7. März 1942 vorgenommen. Das Kind ist am anderen Tage verstorben". Er interpretierte zu seinen Gunsten und schob die Verantwortung der Mutter zu: "Ich konnte der Mutter ansehen, daß sie unter dem Bewußtsein, durch den Abtreibungsversuch die Gehirnkrankheit des Kindes herbeigeführt zu haben, schwer litt. Ich bin medizinisch überzeugt, daß das Leiden des Kindes tatsächlich durch die Wassereinspritzung bedingt war. […] Wie ich in der Krankengeschichte notiert habe, kam die Mutter am 26. November 1941 wieder zu mir und sagte, daß sie und ihr Mann mit der ‚Behandlung‘ einverstanden wären. Ich hatte den Eindruck, daß sie schon bei der ersten Aussprache den stärksten Wunsch hatte, sich von dem Kinde zu trennen. Sie wollte sich nur nicht verraten und glaubte deshalb, zuerst ablehnen und mit der Zustimmung noch länger warten zu müssen."

Am 17. Januar 1948 sagte Dieter Kullaks Mutter als Zeugin im Prozess gegen Dr. Knigge vor dem Untersuchungsrichter aus: "Ich hatte das Kind fast zwei Jahre zu Hause, als eines Tages die Bezirksfürsorgerin zu mir sagte, ich solle das Kind in eine Anstalt bringen, dort werde es gesunden. Ich stand zunächst dem Vorschlag ablehnend gegenüber, dachte mir dann aber, daß ich mich vielleicht an dem Kind versündige, wenn ich es zu Hause behalte, und kam zu dem Entschluß, das Kind in eine Anstalt bringen zu lassen. […] Ich erhielt daraufhin eine Vorladung vor das Gesundheitsamt Wandsbek, Schillerstraße. […] Der Arzt gab mir eine kleine Hoffnung für die Gesundung des Kindes und sagte mir die Unterbringung von Dieter in einer Heilstätte zu. Die Fürsorgerin […] äußerte noch zu mir, daß Dieter es in Langenhorn gut haben werde, da würde er wenigstens gesund werden."

Als sie ihr Kind in Langenhorn besuchte, so erinnerte sie, habe ihr Knigge ihr zur Abgabe der Unterschrift zugeredet und sie beeinflusst einzuwilligen: "Der Arzt sagte, er werde mit dem Kind einen Versuch machen. Entweder führe dieser Versuch zur Gesundung, oder das Kind sterbe. Zur Vornahme des Versuchs brauche er jedoch unsere Einwilligung. Der Arzt sagte zu mir, um die Einwilligung zu bekommen etwa wörtlich folgendes: ‚Denken Sie daran, wenn das Kind groß wird, dann wird es auch ein Mensch sein. Sie haben doch andere Kinder, und der ewige Anblick wird für Sie schwer.‘"

Der Mediziner Marc Burlon machte im Jahre 2006 eine erschreckende Entdeckung. Im Keller des Universitätskrankenhauses Eppendorf, in der neuropathologischen Sammlung, fand er die histologischen Präparate von Dieter Kullak zusammen mit denen der Kinder Gerda Behrmann, Werner Hammerich und Marianne Harms, Opfer der "Euthanasie"-Verbrechen in der "Kinderfachabteilung der Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn", und Agnes Erna Petersen (Biographie siehe www.stolpersteine-hamburg.de), Opfer der "Euthanasie"-Verbrechen in der "Kinderfachabteilung" des Kinderkrankenhauses Rothenburgsort.

Am 15. September 2012 wurden diese im Rahmen einer öffentlichen Trauerfeier zusammen auf dem Friedhof Ohlsdorf, dem Ehrenfeld für Verfolgte der NS-Herrschaft der Geschwister-Scholl-Stiftung, bestattet, Grablage Bo 73, Nr. 155.

© Margot Löhr

Quellen: StaH, 213-12 Staatsanwaltschaft, 0013 Bd. 060 Sonderakte Bd. 40, Schirbaum u. a. Knigge, Bl. 518–561, 0017 Bd. 001 Bayer u. a. Knigge, S. 71; StaH, 332-5 Standesämter, Sterbefallsammelakten, 64217 u. 183/1942 Dieter Kullak; StaH, 332-5 Standesämter, Sterberegister, 9933 u. 183/1942 Dieter Kullak; StaH, 352-5 Standesämter, Todesbescheinigungen, 1942 Sta 1b Nr. 183 Dieter Kullak; StaH, 352-8/7 Staatskrankenanstalt Langenhorn, Abl. 2000/01, 64 UA 1 Akte 29099; Standesamt Hamburg-Wandsbek, Geburtsregister, Nr. 634/1938 Dieter Kullak; Hildegard Thevs: Stolpersteine in Hamburg-Rothenburgsort. Biographische Spurensuche, Hamburg 2011, S. 204 (Agnes Petersen).

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