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Bereits verlegte Stolpersteine



Martha Münden (geborene Gräfenberg) * 1876

Grindelallee 153 (Eimsbüttel, Rotherbaum)

1941 Riga

Weitere Stolpersteine in Grindelallee 153:
Gittel Adolf, Barthold Goldschmidt, Alfred Hammer, Reisel Hammer, Joseph (Josef) Hammer, Dr. Max Münden

Dr. Max Münden, geb. 25.2.1865 in Hamburg, gestorben am 24.9.1936 im Gerichtsgefängnis Bergedorf
Martha Münden geb. Gräfenberg, geb.10.7.1876 in Adelebsen, deportiert am 6.12.1941 nach Riga


Marcus Max Münden besuchte vermutlich, wie auch die nach ihm geborenen beiden Brüder Daniel (Jg. 1866) und Anton (Jg. 1867), die Talmud Tora Schule in Hamburg, zu seiner Schulzeit noch in der Straße Kohlhöfen gelegen. Der frühe Tod des Vaters Salomon Münden im Jahre 1877 begrenzte die Möglichkeiten der Familie, ein Studium für die Söhne zu finanzieren. Dennoch wurde dem ältesten Sohn Max der Schulbesuch bis zum Abitur ermöglicht. Da die Talmud Tora Schule nur den Status einer Realschule 2.Ordnung besaß, musste Max Münden nach dem dortigen Examen noch weitere zwei Jahre an einer Oberrealschule oder einem Realgymnasium lernen. Mit dem hier erworbenen Examen besaß er 1883 die Voraussetzung für ein Studium, doch die finanziellen Verhältnisse seiner Eltern erlaubten dies nicht. Aus diesem Grunde absolvierte Max Münden eine kaufmännische Lehre. 1887 gründete sein Bruder Daniel Münden eine eigene Firma, so konnte er zum Unterhalt von Mutter und Geschwistern beitragen.

Dadurch entlastet, nahm Max Münden 1888 im Alter von 33 Jahren das Studium der Medizin auf. Er besuchte die Universitäten Jena, München, Berlin und Kiel und wurde als "Dr. med et chir" promoviert. Die Doktorarbeit behandelte das Thema "Ein eigentümlicher tödlich verlaufener Fall von Trauma".

Max Münden spezialisierte sich auf Frauen- und Geschlechtskrankheiten und wurde seit 1898 in den Hamburger Fernsprechbüchern mit eigener Praxis verzeichnet. Im "Hamburger Fremdenblatt" ließ er am 19. Mai 1898 eine Anzeige mit dem folgenden Text drucken: "Ich habe mich Grindelallee 131a, 1.Etage, als prakt. Arzt, Chirurg u. Geburtshelfer niedergelassen. Dr. Max Münden. Sprechst. 8 - 9 ½ , 4 ½ - 6 ½ Uhr." Seit mindestens 1907 befanden sich die Praxisräume am Steindamm 43. Somit lag die Praxis in St. Georg in der Nähe des 1909 erbauten Hotel Reichshof, einem Vergnügungsviertel, in dem es auch viele Prostituierte gab.

Insbesondere wurde die Gegend um den Hauptbahnhof und den Steindamm von der Sittenpolizei überwacht. Seine Ehefrau Martha, so berichtete die Nichte, durfte die Praxisräume nicht betreten. Der Umgang mit Prostituierten galt allgemein als anrüchig.

Die Wohnung des Ehepaares Münden lag im Stadtteil Rotherbaum: Grindelallee 131a (1898-1899), Grindelallee 124 (1900), Grindelallee 122 (1901-1908) und Grindelallee 153 (1909-1936). In der Wohnung Grindelallee 153 empfing Max Münden Patienten in einem extra dafür genutzten Zimmer.

Max Münden und Martha Gräfenberg heirateten nach 1909, die Ehe blieb kinderlos. Martha Gräfenberg war 1876 in dem 1200-Einwohner-Ort Adelebsen bei Göttingen geboren. Ihr Vater Salomon Gräfenberg (1834-1918) betrieb dort ein Eisenwarengeschäft. Er gehörte damit zu den wohlhabenderen Juden des Ortes. 1868 bis 1882 war er Vorsteher der Synagogengemeinde und von 1889 bis 1893 war er Bürgervorsteher von Adelebsen. Später übersiedelten die Familienmitglieder einzeln nach Göttingen.

Im Oktober 1909 zog die 33jährige Martha dorthin. Zwei ihrer Brüder besuchten das Gymnasium und die Universität: Selly Gräfenberg (1863-1921) studierte spanisch und lehrte später als Dr. phil. an der Universität Frankfurt/ Main. Ernst Gräfenberg (1881-1957), studierte Medizin in Göttingen und München, promovierte 1905 und führte als Frauenarzt eine eigene Praxis in Berlin-Schöneberg und hatte eine Chefarztstelle im Krankenhaus Berlin-Britz inne. Er wurde 1933 dieses Postens enthoben und 1937 wegen Devisenschmuggels zu 3 Jahren Haft verurteilt. Nach seiner Entlassung gelang es ihm durch die Unterstützung von Freunden und den Verkauf seines Eigentums, in die USA zu emigrieren, wo er bei Sexualforschungen den nach ihm benannten G-Punkt entdeckte. Sein Bruder Hans Gräfenberg (1877-1956) betrieb in Berlin die Damenmantelfabrik Michaelis & Gräfenberg.

1931, im Alter von 56 Jahren, trat Max Münden in die Jüdische Gemeinde ein. Sein Bruder Daniel Münden (siehe dessen Biografie) bekleidete bereits seit 1918 in der Jüdischen Gemeinde verschiedene Ämter. Anton Münden, der jüngste der drei Brüder, war schon seit 1913 Gemeindemitglied. Max Münden beschäftigte sich auch literarisch mit dem Judentum. So versuchte er nachzuweisen, dass Goethes "Faust" auf einer Fabel des Buches Hiob basiere und Goethe damit alt-testamentarisch bzw. kabbalistisch argumentiere.

Die Familienbeziehungen waren eng: Max und Martha Münden gingen jeden Sonntag zum Abendbrot zu Anton und Hedwig Münden und ihren Kindern nach Eppendorf (Beim Andreasbrunnen 3). Dort wurden die Brüder Daniel, Max und Anton Münden (von links), vermutlich 1933 nebeneinander auf dem Sofa im Herrenzimmer sitzend, fotografiert (siehe gedruckte Biografie von Anton Münden in Eppendorf-Broschüre).

Nach seinem Studium hatte Max Münden es sich zur Angewohnheit gemacht, in der Commerz-Bibliothek Bücher auszuleihen. Mit dem Beginn der NS-Diktatur wurden nicht nur missliebige Bücher aus den Bibliotheken entfernt, sondern auch NS-konforme Druckerzeugnisse neu in den Bestand aufgenommen. Wann Max Münden begann, auch diese Art von Büchern zu lesen, ist nicht bekannt. Hingegen ist belegt, dass er am 29. Januar 1936 die folgenden drei Bücher auslieh: Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung; Otto Dietrich, Mit Hitler an die Macht sowie Adolf Hitler, Mein Kampf.

Max Münden scheint diese Bücher aufmerksam gelesen zu haben und gab in diversen Randbemerkungen seiner abweichenden Meinung und der Dürftigkeit der darin entwickelten Argumentation Ausdruck. Insbesondere dem Autor Adolf Hitler attestierte der Mediziner Münden eine Paranoia. Er notierte u.a. auf den Seiten 70, 279, 479 und 507 diesbezügliche Kommentare. Auch verwies er auf die merkwürdigen Übereinstimmungen von Passagen in "Mein Kampf", die staatsfeindliches Verhalten kritisierten, und der dann praktizierten Politik der Nationalsozialisten Anno 1936 ("genau wie im 3. Reich").

Daneben erinnerte er an die 38 %, die die NSDAP bei den Wahlen erhalten hatte. Fast wie ein Resümee der gesamten nationalsozialistischen Lektüre mutet der Kommentar von Max Münden an: "Es ist im Rahmen von Anmerkungen unmöglich, den Unsinn des Nachfolgenden gebührend zu beleuchten." In einer anderen Anmerkung verwies er auf die Wurzeln des Christentums und notierte in die offizielle nationalsozialistische Erbauungsliteratur: "Die ganze ‚christliche’ arische Kultur ist jüdisch."

Nach der Rückgabe der Bücher - vermutlich Ende Februar 1936 - und der Entdeckung der handschriftlichen Kritik wurde sofort die Polizei eingeschaltet. Am 5. März 1936 wurde Max Münden in die Untersuchungshaft überführt. Der Anklageschrift vom 6. April folgte am 16. April 1936 das Urteil des Sondergerichts beim Hanseatischen Oberlandesgericht. Die in Hamburg seit dem 21. März 1933 existierenden Sondergerichte befassten sich mit Verfahren wegen "Sabotage des nationalsozialistischen Aufbaus", wegen "heimtückischer Angriffe gegen die Regierung der nationalen Erhebung" und seit 1935 auch mit Beschimpfungen der NSDAP, ihrer Gliederungen, Hoheitszeichen usw.

Der Vorsitzende Richter und Landgerichtsrat Dr. Harry Lange sowie der Beisitzende Richter und Landgerichtsrat Ernst Steinitz verurteilten Max Münden zu zwei Jahren Gefängnis, da er, wie in der fast gleich lautenden Anklageschrift vorgeworfen, "vorsätzlich unwahre Behauptungen tatsächlicher Art öffentlich aufgestellt zu haben, die geeignet sind, das Wohl des Reiches und das Ansehen der Reichsregierung und der N.S.D.A.P. schwer zu schädigen."

Um die Argumentation des Angeklagten Münden zu entkräften, er könne sich nicht mehr an alle Einzelheiten erinnern und handele manchmal wie im Wachtraum, wurde der Gerichtsmediziner Dr. med. Hans Koopmann mit der Überprüfung beauftragt. Wie nicht anders zu erwarten war, kam dieser zu der Auffassung, dass Max Münden voll zurechnungsfähig sei. Für die Staatsanwaltschaft nahm Assessor Romahn an der Verhandlung des Sondergerichts teil.

Max Münden starb am 24. September 1936 um 6.15 Uhr im Bergedorfer Gerichtsgefängnis, das direkt hinter dem Amtsgericht in der Ernst-Mantius-Straße 8 lag. Im Totenschein stand als offizielle Todesursache "Herzschlag". Der Wahrheitsgehalt dieses amtlichen Dokuments lässt sich nicht mehr nachprüfen.

Am 15. Juni 1937 zog Martha Münden zur Untermiete in die Eppendorfer Landstraße 36. Dort wohnte im 1. Stock ihre Schwester Gertrud Seidl geb. Gräfenberg (1883-1943). In der Nähe lebte auch der Schwager Anton Münden mit Familie (Beim Andreasbrunnen 3). Martha Münden wurde am 6. Dezember 1941 ins Getto Riga deportiert. Ihr genaues Todesdatum ist nicht bekannt.

Ihre Schwester Gertrud Seidl geb. Gräfenberg war noch vor März 1939 in die Niederlande emigriert, von dort wurde sie deportiert und am 28. Mai 1943 im Vernichtungslager Sobibor ermordet. An sie erinnert in der Isestraße 23 ein Stolperstein.

© Björn Eggert

Quellen: 1; 4; StaHH 332-5, Generalregister Todesfälle 1936, Standesamt 11, Nr. 179 (Sterbeurkunde Max Münden); StaHH 352-3 (Medizinalkollegium), IV C 45 (Dr. Max Münden, 1898-1911, 1936, inkl. Urteil 11 Js Sond. 306/36); Telefongespräche mit der Nichte Annelise Bunzel geb. Münden (USA), 2009; Adressbuch Hamburg 1940; Adressbuch Bergedorf 1938 (Amtsgericht); Amtliche Fernsprechbücher Hamburg 1898-1936, 1937 (Seidl); Anna von Villiez, Mit aller Kraft verdrängt. Entrechtung und Verfolgung "nicht arischer" Ärzte in Hamburg 1933 bis 1945, Hamburg 2009, S.364/365; Michael Joho (Hrsg.), St. Georg "Kein Ort für anständige Leute", Hamburg 1990, S.45 (Prostitution); Helge Grabitz /Klaus Bästlein, Justiz in der unFreien Hansestadt Hamburg, Sonderdruck der Landeszentrale für politische Bildung Hamburg, Hamburg 1993, S.22-26 (Sondergerichte); wikipedia (Ernst Gräfenberg), eingesehen am 5.1.2009; Stadtarchiv Göttingen, Einwohnermeldekarte (Gräfenberg); (Göttinger ?) Tageblatt spezial, 27.10.2007 (Ernst Gräfenberg), Adressbuch Berlin 1904, 1910 (Michaelis & Gräfenberg); Briefwechsel von Franz Rappolt (Hamburg) und seinem Sohn Ernst Rappolt (USA), 1940-1941, Brief vom 30.1.1940, Privatbesitz (Hinweis auf Familie Seidl); www.joodsmonument.nl (Gertrud Seidl, eingesehen 2.8.2009).
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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