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Balbine Meyer (geborene Strelitz) * 1871

Kurzer Kamp 6 Altenheim (Hamburg-Nord, Fuhlsbüttel)

1942 Theresienstadt
1942 weiterdeportiert nach Minsk, ermordet

Weitere Stolpersteine in Kurzer Kamp 6 Altenheim:
Dr. Julius Adam, Johanna Hinda Appel, Sara Bromberger, Therese Bromberger, Friederike Davidsohn, Margarethe Davidsohn, Gertrud Embden, Katharina Embden, Katharina Falk, Auguste Friedburg, Jenny Friedemann, Mary Halberstadt, Käthe Heckscher, Emily Heckscher, Betty Hirsch, Hanna Hirsch, Regina Hirschfeld, Clara Horneburg, Anita Horneburg, Emma Israel, Jenny Koopmann, Franziska Koopmann, Martha Kurzynski, Laura Levy, Chaile Charlotte Lippstadt, Isidor Mendelsohn, Helene Adele Meyer, Ida Meyer, Ella Rosa Nauen, Celine Reincke, Friederike Rothenburg, Benny Salomon, Elsa Salomon, Martha Rosa Schlesinger, Louis Stiefel, Sophie Stiefel, Louise Strelitz, Eugenie Hanna Zimmermann

Balbine Meyer, geb. Strelitz, geb. am 5.6.1871 in Schubin, deportiert am 19.7.1942 nach Theresienstadt, weiterdeportiert am 21.9.1942 nach Treblinka und ermordet

Kurzer Kamp 6

Balbine Strelitz wurde am 5. Juni 1871 in Schubin bei Bromberg in Posen geboren. Sie war die Tochter von Helena, geb. Samuel, und dem Kaufmann Adolf Abraham Strelitz (geb. 3.3.1845 in Tremessen/Trzemeszno, Kreis Mogilno, Posen). Dieser stammte von Rosalie, geb. Lachmann, und dem Händler Elias Strelitz aus Tremessen ab. Ihre Mutter war bereits früh in Schubin verstorben. Ihr Vater hatte um 1875 in zweiter Ehe Clara Jacubowska geheiratet. Aus dieser Ehe ging Balbines Schwester Grete (geb. 8.9.1876 in Schubin) hervor, mit der sie zusammen aufwuchs.

Auch Gretes Mutter muss recht früh in Bromberg verstorben sein. Denn ihr Vater heiratete ein drittes Mal. Diese Hochzeit mit Gretha, geb. Levy (geb. 30.8.1864 in Berlin), fand am 30. Januar 1891 in Hamburg statt. Der Vater der Braut, Mendel Levy, war bereits verstorben, ihre Mutter Dorette, geb. Friedrichs, wohnte in Hamburg. Balbines sieben Jahre ältere Stiefmutter zog mit nach Bromberg. Dort kam Balbines dritte Schwester Emmy (geb. 28.7.1892) zur Welt und vier Jahre später der Bruder Erich (geb. 8.8.1896). Über Balines Kindheit, Jugend oder Schulbildung ist nichts bekannt.

Mit 23 Jahren heiratete Balbine in Bromberg am 25. Januar 1894 den Kaufmann Wolff Meyer. Beide kamen aus einem jüdischen Elternhaus. Ihr Ehemann, genannt William (geb. 30.10.1859 in Neustadt am Rübenberge, Kreis Hildesheim), war der Sohn von Rike, geb. Schickler, und Abraham Meyer. Balbine Meyer zog nach ihrer Eheschließung als preußische Staatsangehörige in den Wohnort ihres Ehemannes nach Lübeck, Breite Straße 65. Dort brachte sie ihre Tochter Leonie am 19. November 1896 zur Welt, im selben Jahr, als einige Monate zuvor in Bromberg ihr Bruder Erich geboren wurde. In Lübeck stand damals das Rabbinat unter Salomon Carlebach; interkonfessionelle Eheschließungen waren dort erlaubt. Die kleine Familie blieb nicht lange, bald zogen Balbine und Wolff Meyer mit Leonie nach Altona, wo Wolff William Meyer als Mitinhaber zusammen mit Siegmund Meyer ein Putz- und Modewarenhandelsgeschäft in der Großen Reichenstraße 2 führte. Vermutlich waren beide miteinander verwandt.

Balbine Meyers Schwester Grete Strelitz war 1896 ebenfalls aus Lübeck nach Altona gezogen und wohnte bei ihnen in der Reichenstraße 2, später am Steindamm. Am 3. August 1899 heiratete sie in Berlin den Kaufmann Simon Rosenthal (geb. 7.4.1872 in Sorau) und lebte dort mit ihm. Die Ehe hielt nur wenige Monate und wurde im Mai 1900 geschieden. Balbines und Gretes Vater war mit seiner Ehefrau Gretha in der Zwischenzeit nach Berlin verzogen. Dort verstarb er am 28. Dezember 1901 im Alter von 56 Jahren.

Eine zweite Eheschließung ging Grete am 26. März 1903 in Altona ein. Sie heiratete den ebenfalls jüdischen Geschäftsführer Liepmann Jesias Liepmann (geb. 11.6.1870 in Altona). Als Trauzeuge fungierte Balbines Ehemann. Am 31. August 1906 bekam das Ehepaar den ersten Sohn Hans Werner, am 24. Januar 1909 folgte Sohn Heinz Kurt. Sieben Jahre später kam ihre Tochter Lotte Betty am 16. Mai 1916 zur Welt.

Nach fünf Jahren in Altona verzogen Balbine und Wolff Meyer im Jahre 1911 nach Hamburg. Wolff Meyer erwarb dort als Kaufmann einen Gewerbeschein. Ab 1913 führten beide lange Jahre ein Putzgeschäft am Steindamm, zunächst in der Nr. 8; zwei Jahre später befanden sich die Geschäftsräume und auch ihre Wohnung im Steindamm Nr. 22, 3. Stock. Seit Juli 1917 gehörten sie der Deutsch-Israelitischen Gemeinde Hamburg an. Am 11. Dezember 1918 wurde Wolff Meyer und damit auch Balbine Meyer und Tochter Leonie in den Hamburger Staatsverband aufgenommen. Er hatte einen Jahresverdienst von 2.800,- Mark zu versteuern. Im selben Jahr ließ sich Balbine Meyer für einen Erholungsurlaub an der See einen Pass ausstellen. Nach der Beschreibung im Passprotokoll war sie 47 Jahre alt, mittelgroß, hatte dunkelbraune Haare und blaugrüne Augen.

Ihre Tochter Leonie heiratete am 24. Januar 1920 in Hamburg den Kaufmann Ludwig Siegfried Wohl. Zusammen mit Herbert Reihn war er Inhaber der Getreidehandelsfirma Reihn & Wohl in der Mönckebergstraße 17 und Speersort 8.

Zwei Jahre später, am 27. März 1922, wurde Anneliese, Balbine Meyers Enkeltochter, geboren. Die junge Familie wohnte in Winterhude, Eppendorferstieg 6. Ludwig Wohl stieg aus der Firma aus und war 1926 Inhaber eines Lebensmittel-Importhandels in der Ferdinandstraße 5. Die Ehe wurde im Jahre 1931 rechtskräftig geschieden.

Leonie Wohl ging anschließend eine Verbindung mit Richard Simon (geb. 24.1.1890 in Köln) ein. Er stammte aus einer jüdischen Familie und war der Sohn von Rebekka, geb. Bosnak, und Leo Simon. Sein Vater war Kaufmann und Inhaber eines Leder Engros-Geschäftes am Marienplatz gewesen. Seine Eltern waren bereits 1931 verstorben. Richard Simon hatte bis 1905 die Oberrealschule in Köln und anschließend bis 1907 ein Internat in Brüssel besucht. Nach Abschluss seiner Lehre bei der Firma Turner & Co in Liverpool, war er zur Firma Michel Bosnak nach Amsterdam gegangen und im Jahre 1912 Inhaber der Im- und Exportfirma von Lebensmitteln geworden. Noch bis 1923 war er Mitglied des Aufsichtsrats bei der Algemene Vrachten Import Matsch gewesen. Nach seinem Umzug 1922 nach Hamburg hatte er die ersten zwei Jahre im Hotel Atlantic gewohnt, dann in einer Wohnung in der Gryphiusstraße und später in der Sierichstraße. Zuletzt wohnte Richard Simon bei Leonie Wohl, der Tochter von Balbine Meyer, am Steindamm. Im April 1933, nach dem Boykott der jüdischen Geschäfte, verließ Richard Simon Hamburg und emigrierte nach Italien. Zwei Monate später folgte ihm Leonie Wohl mit ihrer elfjährigen Tochter Anneliese nach Neapel.

Balbines Schwester Grete Liepmann, geb. Strelitz, verstarb am 15. April 1932 in Altona im Alter von 53 Jahren. Zwei Tage später wurde sie auf dem Altonaer Jüdischen Friedhof Bornkampsweg (heute Stadtteil Bahrenfeld) bestattet.
Am 3. Oktober 1933 verstarb Balbine Meyers Ehemann Wolff William Meyer kurz vor seinem 74. Geburtstag im Krankenhaus St. Georg. Die Beerdigungsbrüderschaft übernahm die Bestattung einen Tag später auf dem Jüdischen Friedhof Ilandkoppel Ohlsdorf.

Balbine Meyer musste nun das Putzgeschäft, das sie 20 Jahre lang am selben Platz mit ihrem Ehemann geführt hatte, und die Wohnung am Steindamm aufgeben. Mit Beginn des Jahres 1935 verzog sie in das Mendelson-Israel-Stift. Dort bestand die Möglichkeit, in der kleinen Wohnung Nr. 19, 1. Stock, einen gesicherten Lebensabend mit anderen Witwen und alleinstehenden älteren Menschen zu verbringen.

Ob Balbine Meyer in diesen Jahren in Kontakt mit ihrer Tochter Leonie und deren Familie stand, ist nicht überliefert. Am 19. Juli 1942 wurde Balbine Meyer nach Theresienstadt deportiert. Zwei Monate später, am 21. September 1942, wurde sie zusammen mit den ehemaligen Mitbewohner*innen aus dem Mendelson-Israel-Stift, Johanna Appel, Jenny Koopmann, Charlotte Lippstadt, Isidor Mendelsohn, Laura Levy und Martha Schlesinger, mit einem der gefürchteten Transporte nach Treblinka weiterverschleppt und ermordet. Balbine Meyer, geb. Strelitz, war 71 Jahre alt.

Das weitere Schicksal der Familienangehörigen
1935 heiratete ihre Tochter Leonie in zweiter Ehe Richard Simon in London. Leonie Simon erhielt damit die holländische Staatsangehörigkeit ihres Ehemannes. Das Ehepaar wohnte weiterhin mit seiner Tochter Anneliese in Neapel.

Auch Kinder ihrer verstorbenen Schwester Grete feierten in diesem Jahr Hochzeit. Der älteste Sohn Heinz Kurt Liepmann heiratete am 8. November 1935 Resi Kriwer aus Lüneburg und einen Monat später ging die jüngste Nichte Lotte Betty Liepmann am 21. Dezember 1935 die Ehe mit Alfred Jacobsohn (geb. 1.6.1909 in Hamburg) ein.

Im Jahre 1939 wanderten Leonie Simon, ihr Ehemann und Tochter Anneliese mitsamt einer Fünf-Zimmer-Einrichtung nach Belgien aus und lebten in Brüssel-Etterbeck, am Leopoldville-Platz.

Auch ihr Neffe Heinz Kurt Liepmann mit seiner Ehefrau Resi flüchtete aus seiner Heimatstadt. Am 24. Januar 1939 verabschiedete sie ihr Vater Liepmann Jesias Liepmann am Hamburger Hauptbahnhof. Die letzten Jahre waren als Vertreter im Süßwarenhandel schwierig gewesen, er hatte noch bis 1937 die Firma W. Viebahn aus Schmalkalden und Hans Hinsch & Co. aus Altona vertreten. Tochter Lotte Betty, die Schwester von Heinz Kurt Liepmann, konnte sich mit ihrem Ehemann nach Buenos Aires, Argentinien, retten.

Am 27. Januar 1940 verstarb Balbine Meyers Schwager Liepmann Jesias Liepmann, der Witwer von Grete, geb. Strelitz, in Altona im Alter von 63 Jahren. Er wurde neben seiner Ehefrau auf dem Jüdischen Friedhof Bornkampsweg beigesetzt.

Werner Liepmann ging nach Berlin und arbeitete bis zu seiner Entlassung 1933 aus "rassischen Gründen" in der Westdeutschen Kepa Kaufhaus G.m.b.H. Kurz vor Erlass der Nürnberger Gesetze konnte er gerade noch am 24. Juli 1935 die nichtjüdische Hausgehilfin Gertrud Frida Schramm heiraten. Ab 15. September 1935 waren Ehen zwischen Juden und Nichtjuden verboten. Das Ehepaar bekam 1937 einen Sohn und um 1944 ein weiteres Kind.

Nach der Arbeit in der Postkarten-Verlagsanstalt Arthur-Rehn & Co bis zur zwangsweisen Auflösung 1939 musste Werner Liepmann bei der Deutsche Waffen- u. Munitionsfabriken AG in Berlin-Borsigwalde Zwangsarbeit leisten.

1942 konnte nur durch die hartnäckigen Bemühungen seiner Ehefrau verhindert werden, dass er im Arbeitslager verbleiben musste. Infolge der Verhaftungswelle gegen Juden wurde er vom 27. Februar 1943 bis 8. März 1943 im Lager Rosenstraße inhaftiert.* Anschließend erfolgte seine Zwangsverpflichtung als "Bahnunterhaltungsarbeiter" und "Aushilfs-Güterbodenarbeiter" bei der Deutschen Reichsbahn.
Dank seiner Heirat und dem Zusammenhalt mit seiner nichtjüdischen Ehefrau Gertrud Frida, geb. Schramm, konnte er das Kriegsende erleben.

Im Mai 1940, beim Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Belgien, flüchteten Balbines Tochter Leonie und Richard Simon mit Anneliese nach Frankreich. Sie lebten in Anecy in Mittelfrankreich, bis ihnen 1941 die Flucht über die Schweizer Grenze bei Genf mithilfe von Schmugglern gelang.

Balbine Meyers Tochter Leonie Simon ist in den Arolsen Archives auf einer Liste des Verbandes Schweizerischer Flüchtlingshilfen vom 14. Dezember 1944 zu finden. Ihr Name steht unter dem von Richard Simon mit der Nationalität Holland und Herkunft Französisch.

Balbine Meyers Enkeltochter Anneliese verstarb am 19. November 1958 in Neapel. Sie war 36 Jahre alt. Balbine Meyers Tochter Leonie Simon, geb. Meyer, verstarb am 3. November 1975 in Neapel, Italien, kurz vor ihrem 81. Geburtstag. Sie hatte zuletzt in der Riviera di Chiaja 276 gewohnt. Einen Monat später, am 25. Dezember 1975, verstarb ihr Ehemann Richard Simon im Ospedale Internationale. Er war 85 Jahre alt.

Dr. Horst Wolff aus Rom, ein Neffe von Richard Simon, erinnert sich gerne an die Zeit mit seinem großzügigen Onkel, an dessen finanzielle Unterstützung für sein Studium und an Einladungen nach Capri. Sein Onkel, der Bruder seiner Mutter, hatte ihn nach der Deportation und Ermordung seiner Eltern stets unterstützt.

Eine weitere Suche nach Angehörigen über das Generalkonsulat der Bundesrepublik in Neapel blieb erfolglos.

Stand: Januar 2023
© Margot Löhr

Quellen: 1; 4; 5; 6; 7; 8; StaH, 332-5 Standesämter, Heiratsregister, 5959 u. 226/1903 Liepmann Jesaias Liepmann u. Grete Strelitz, 3362 u. 51/1920 Ludwig Siegfried Wohl u. Leonie Meyer; StaH, 332-5 Standesämter, Sterberegister, 5387 u. 525/1932 Grete Liepmann, 1007 u. 1545/1933 Wolff Meyer, 8168 u. 226/1940 Liepmann Jesaias Liepmann; StaH, 332-7 Staatsangehörigkeitsaufsicht, B III 144038 Wolff Meyer; StaH, 332-8 Passprotokolle, A 24 Bd. 171 Nr. 11850/1918 Balbine Strelitz; StaH, 351-11 Amt für Wiedergutmachung, 16593 Leonie Simon, 12631 Richard Simon; StaH, 352-5 Gesundheitsbehörde, Todesbescheinigungen, 1922 Sta 3 Nr. 73 Toni Meyer, 1932 Sta Altona I Nr. 525 Grete Liepmann, 1933, Sta 1a, Nr. 1545 Wolff Meyer; Standesamt Berlin, Heiratsregister, Berlin IX Nr. 427/1899 Simon Rosenthal u. Grete Strelitz, Berlin-Grunewald Nr. 112/1935 Hans Werner Liepmann u. Gertrud Frida Schramm; Standesamt Berlin, Sterberegister, Berlin IX Nr. 2089/1901 Adolf Strelitz; Standesamt I in Berlin, Sterberegister Stettin, Nr. 1183/1939 Martha Meyer; Hamburger Adressbücher 1894–1943; Datenbankprojekt des Eduard-Duckesz-Fellow und der Hamburger Gesellschaft für jüdische Genealogie, Bornkampsweg, Ohlsdorf 1931–1939, K 2-26, http://jüdischer-friedhof-altona.de/datenbank.html, eingesehen am: 22.2.2022; Auskünfte Dyrektor Mgr Eugeniusz Borodij, Archiwum Panstwowe w Bydgoszczy, z 1894 roku na nazwiska Wolff Meyer i Balbine Strelitz; Auskünfte Birgit Stuke, ITSArolsen, Copyof Doc. No. 78776058#1 (3.1.1.3/0001-0197/0023/0099), in conformitywiththe ITSArolsen, Copyof Doc. No. 78775960#1 (3.1.1.3/0001-0197/0023/0003), in conformitywiththe ITSArolsen, File F-18-49, Listri p. 97; Beate Meyer: Geschichte im Film. Judenverfolgung, Mischehen und der Protest in der Rosenstraße 1943, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 52 (2004), Nr. 1, S. 23–36.
* Das Buch "Rosenstraße" von Thilo Wydra (Berlin 2003) und der 2003 gedrehte gleichnamige Film "Rosenstraße" von Margarethe Trotta beleuchten dieses Thema.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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