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Bereits verlegte Stolpersteine



Fritz Rappolt, 1935
© Privatbesitz

Fritz Rappolt * 1900

Leinpfad 58 (Hamburg-Nord, Winterhude)


HIER WOHNTE
FRITZ RAPPOLT
JG. 1900
DEPORTIERT 1941
MINSK
ERMORDET

Weitere Stolpersteine in Leinpfad 58:
Franz Max Rappolt, Charlotte Rappolt

Fritz Rappolt, geb. 22.8.1900 in Berlin, deportiert am 8.11.1941 nach Minsk, dort am 13.4.1942 erschossen

Leinpfad 58

Fritz Rudolf Rappolt wurde als erstes Kind des Textilkaufmanns Franz Rappolt (s. d.) und der Breslauer Kaufmannstochter Charlotte, geb. Ehrlich, in Berlin geboren, da der Vater zu dieser Zeit die Zweigniederlassung von Rappolt & Söhne in Berlin leitete. Drei Jahre später zogen die Rappolts, eine christliche Familie jüdischer Herkunft, nach Hamburg.

Fritz wuchs in begüterten Verhältnissen auf, blieb jedoch zeitlebens das Sorgenkind seiner Eltern. Seine Schulzeit verlief nicht sehr erfolgreich: Neben schlechten Noten bereitete den Eltern Sorge, dass er sich in Phantasiewelten flüchtete. Seine Eltern konsultierten deshalb Professor Eugen Fraenkel (s. Fraenkel, Marie). Nach zahlreichen Schulwechseln gelang ihm schließlich mit Unterstützung eines Hauslehrers 1918 das Notabitur am Kirchenpauer-Gymnasium.

Gleich anschließend wurde Fritz Rappolt zur Militärausbildung beim königlich preußischen (lauenburgischen) Fuß-Artillerie-Regiment 20 in Bahrenfeld bei Hamburg eingezogen. Das Ende des Krieges erlebte er in der Festungsstadt Neu-Breisach/Neuf-Brisach im Elsass.

Im Oktober 1919 nahm Fritz Rappolt trotz der Bedenken seiner Eltern ein Chemiestudium auf. Das erste Semester verbrachte er in Würzburg. Dort schloss er sich einer schlagenden Verbindung an, verweigerte aber die Mensur, was zu seinem baldigen Ausschluss führte. Am Ende einer Studienzeit, die wie die Schulzeit nicht immer geradlinig verlief, bestand Fritz Rappolt mit Mühe sein Examen an der Universität Hamburg. Doch scheiterte er an der Doktorarbeit, fälschte in seiner Not Ergebnisse und musste die Universität Hamburg verlassen. Beim zweiten Versuch in Göttingen wurde die schriftliche Arbeit angenommen, doch versagte er in der mündlichen Prüfung. Die Eltern holten den Sohn im Juli 1928 wieder nach Hamburg zurück. Hier beteiligte sich Vater Franz Rappolt an einem neu gegründeten chemischen Werk, mit dem Ziel, seinen Sohn dort in gehobener Position als Betriebsführer unterzubringen. Dieser Versuch misslang, Fritz Rappolt wurde entlassen. Auch ein Berliner Öl-Handelsunternehmen löste das Arbeitsverhältnis.
Die Eltern, die sich um Sohn Fritz sorgten, konsultierten nun Ärzte in Berlin und Hamburg.

Der Hamburger Nervenarzt Dr. Werner Villinger, der auch als beratender Arzt für das "Rauhe Haus" in Hamburg-Hamm arbeitete, konstatierte im März 1931 in einem Schreiben: "Psychisch ist er (ein) willensschwacher, weicher, geistig wenig interessierter, sehr mässig begabter, aber umso sprach- und redegewandter junger Herr mit den Allüren und dem Gehaben eines Diplomaten (wie er ihn sich denkt), ohne Zielstrebigkeit, ohne eigentlichen Ehrgeiz, ja fast ohne Ehrgefühl, ein angenehmer Caféhausplauderer (…) der (….) ohne jede Selbstkritik sich an Dinge heranwagte (leitende Stellen in der Industrie etc.), denen er nicht im mindesten gewachsen war. So scheiterte er natürlich fortgesetzt. (…)"

Dr. Villinger schlug den Eltern im März 1931 vor, "ihn für die nächsten Jahre nur in einem festen Rahmen – etwa Anstaltsbetrieb oder dergl. – arbeiten zu lassen, um ihn zunächst einmal vor sich selbst zu schützen (er wäre um ein Haar kriminell geworden wegen Hochstapelei), dann aber vor allem, um zu sehen, ob er unter geeigneter Führung nicht doch noch charakterlich zu festigen bezw. zu einer Nachreifung zu bringen ist". So wurde er in der Außenstation des "Rauhen Hauses" auf Gut Wulksfelde nördlich von Hamburg untergebracht. Nach einem Jahr wechselte er in die Werbeagentur des "Rauhen Hauses", zuerst in den Innendienst und dann in den Außendienst in werbender Tätigkeit. Hier muss es zu einem Vorfall gekommen sein, der nach § 175 StGB (Homosexuellen-Paragraph) strafbar war. Fritz Rappolt wurde entlassen. Gleichzeitig wurde er von einem Gericht zu sechs Monaten Gefängnis mit 5 Jahren Bewährungsfrist verurteilt. 1933 wurde er entmündigt. Ob es hier einen ursächlichen Zusammenhang mit der Verurteilung gibt, zeigen die Akten nicht auf. Es kann aber sein, dass der Vater den Sohn mit dieser Maßnahme vor einer möglichen Gefängnisstrafe schützen wollte. Jedenfalls übernahm der Vater die Vormundschaft. Die ärztliche Diagnose lautete "Psychopathie". Bis 1934 war Fritz Rappolt auf dem Kattendorfer Hof in Kaltenkirchen/Holstein, einer Außenstelle des "Rauhen Hauses" untergebracht. Auf Vermittlung von Dr. Villinger wurde er in die "Moorpension" in Freistatt bei Diepholz eingewiesen, einer Zweiganstalt der v. Bodelschwinghschen Anstalten. Nach rund einem dreiviertel Jahr kam er auf Drängen der Eltern in ein Haus in den "Bethel-Anstalten, Heilanstalt für gemütskranke Herren" (Bielefeld). Hier konnte er sich in Antiquariat und Bücherei betätigen, nutzte aber diese Position, um Bücher zu verschenken.

Der jüdische Arzt Dr. Adolf Rosenthal, mit dem das Ehepaar Rappolt befreundet war, vertrat nun deren bzw. Fritzs Interessen gegenüber Bethel. Im November 1935 wechselte Fritz Rappolt in die dortige Webschule, er bekam sogar einen Webstuhl in sein Zimmer gestellt. 1937 emigrierte Dr. Rosenthal mit Frau und zwei Kindern in die USA. Neben den sporadischen Problemen, die Fritz Rappolt ihnen bereitete, sorgten sich die Eltern nun insbesondere über die staatlichen Restriktionen gegenüber Geisteskranken und die Separierung der jüdischen Patienten. Die entsprechenden Maßnahmen des NS-Staates beeinträchtigten auch den Anstaltsalltag in Bethel. In der Krankenakte von Fritz Rappolt wurde vermerkt: "Seit dem 3.12. (1938) ist dem Patienten jeglicher Ausgang entzogen im Zuge der allgemeinen Massnahmen gegen die Juden." Hintergrund war, dass die jüdischen Kranken und Pflegebefohlenen gehindert werden sollten, "Rassenschande" zu begehen. Ein Ausgehverbot und der Ausschluss von Gemeinschaftsveranstaltungen waren die Folge. Die Eltern Rappolt überlegten nun, ihren Sohn in einer Anstalt in der Schweiz, Holland, Dänemark oder Schweden unterzubringen. Doch dabei erwies sich die Entmündigung als Hindernis. Auch "eine Unterbringung in einer geeigneten jüdischen Anstalt Deutschlands scheint recht schwierig zu sein", stellte Dr. Villinger, seit Januar 1934 als Professor in Bethel tätig, am 1. Oktober 1938 fest. Die Suche der Eltern nach einem geeigneten Anstaltsplatz blieben erfolglos. Ende 1938 lautete das in Bethel aufgesetzte ärztliche Attest für Fritz Rappolt: "leidet an intellektueller Insuffizienz und psychopathischen Zügen mit Selbstüberschätzung". Mitte September 1940 wurde Fritz Rappolt aus Bethel entlassen, weil geisteskranke Juden nicht mehr mit (geisteskranken) "Deutschblütigen" in Heil- und Pflegeheimen gemeinsam untergebracht werden durften. Zwar galt Fritz Rappolt nicht als geisteskrank, die Tendenz des Erlasses war jedoch deutlich und eine pauschale Eingruppierung aller Pfleglinge wurde auch in Bethel für wahrscheinlich gehalten.

Am 16. September 1940 zog Fritz Rappolt wieder zu seinen Eltern nach Hamburg, die mittlerweile in einer Wohnung in der Haynstraße 10 (Eppendorf) zur Miete wohnten. Fritz Rappolt hatte dort kein eigenes Zimmer mehr, sondern schlief auf einer Couch im kombinierten Wohn-/Esszimmer. Der Vater bemühte sich um eine sinnvolle Tätigkeit für seinen Sohn, die dieser bereits im Oktober 1940 aufnehmen konnte. In Briefen nach Amerika deutete er an, dass es sich um Gartenbau handelte, möglicherweise arbeitete Fritz Rappolt auf dem Ohlsdorfer Friedhof. Sonntags ging er meist zu einer befreundeten Familie, um dort mit seinem Grammophon und den Schellackplatten ein "Concert" zu geben – die Besuche von Opern und Theateraufführungen sowie der Besitz eines Radios war Juden bereits untersagt.

Am 6. März 1941 nahm sich seine Mutter das Leben. Franz Rappolt sorgte sich, ob und wie sein Sohn dieses Ereignis verkraften würde, doch der reagierte ruhig darauf.
Fritz Rappolts Arbeitstag inklusive Arbeitsweg begann um 6.30 Uhr und endete um 19.30 Uhr. Deshalb kaufte ihm sein Vater ein Fahrrad. Da Fritz Rappolt die körperliche Arbeit gut bewältigte – in der Saison waren es 60 Wochenstunden – hoffte sein Vater noch Ende April 1941, dass es vielleicht doch auch für ihn eine Auswanderungsperspektive gäbe: "Als Arbeiter auf einer Farm würde er auch seinen Mann stehen und sich ernähren können." Ende Mai 1941 erkundigte er sich erneut bei seinem Sohn Ernst in den USA nach Perspektiven für Fritz: "Ich habe von Euch noch keine Antwort, ob für Fritz die Möglichkeit bestehen würde, in USA als Landarbeiter leicht unterzukommen. Seine Ausbildung hierzu ist unbedingt die richtige."

Der Vater blendete allerdings das Auswanderungshindernis Entmündigung aus seinen Überlegungen aus. Als die Chance zur Emigration für den Vater Franz Rappolt in greifbare Nähe gerückt schien, bemühte er sich um einen Nachfolger als Vormund für seinen Sohn. Die Vormundschaft sollte auf Dr. Walter Rudolphi übertragen werden, der am Oberlandesgericht Hamburg tätig gewesen war und seit 1939 dem Vorstand des Jüdischen Religionsverbandes angehörte. Franz Rappolt kannte ihn persönlich aus der Arbeit im Religionsverband und vertraute ihm: "R. gefällt mir ausgezeichnet. (…) Er ist der richtige Mann, der auch das nötige Interesse und Verständnis hat." Doch da Franz Rappolt das Land nicht mehr verlassen konnte, wechselte die Vormundschaft nicht.

Ungeachtet der Probleme bemühte sich Fritz Rappolt selbst ebenfalls um eine Auswanderungsmöglichkeit und schrieb seinem Bruder Ernst noch im September 1941 in einem Brief, er versuche, über das kolumbianische Konsulat ein Visum zu erhalten. Dies war aber wohl eher Wunschdenken als Realität. Zwei Monate später musste er sich im ehemaligen Logenhaus in der Moorweidenstraße 36 einfinden, von hier wurde er ins Getto Minsk deportiert.

Sein Vater berichtete in einem Brief an seinem Sohn Ernst in verklausulierter Form: "Unser guter Fritz ist an die Ostfront gegangen und ist sehr zuversichtlich. Ich habe ihn bewundert. Ihr könnt Euch vorstellen, dass ich in der letzten Zeit viel Unruhe hatte." Allerdings erhielt der Vater bis auf eine Ankunftsbestätigung ("Von Fritz bekam ich am 1. Tage eine ganz nette Karte, sonst habe ich noch nichts gehört.") keine weitere Nachricht aus Minsk. Im dortigen Getto soll Fritz Rappolt sehr engagiert in der jüdischen Selbstverwaltung mitgearbeitet haben, er sei "zu ganz großer Form aufgelaufen", wurde später berichtet. Doch die Versuche des Minsker "Judenältesten" Edgar Franck und seiner Helfer, darunter Fritz Rappolt, über einen dort stationierten Polizisten Nachrichten nach Hamburg zu schmuggeln, wurden entdeckt und grausam bestraft: Am 8. Februar 1942 wurden die Männer verhaftet und am 13. April 1942 von SS-Obersturmführer Burckhardt im Hof des Lagers erschossen.

© Björn Eggert

Quellen: 1; 4; Beate Meyer (Hrsg.), Die Verfolgung und Ermordung der Hamburger Juden, Hamburg 2006, S. 64, 77; Gespräche mit dem ehemaligen R & S-Lehrling Herrn K. H. (Hamburg), 2006 u. 2007; Gespräche mit der Nichte Frau C. Sch. (Schweiz), 2007 u. 2008; Briefe von Franz Rappolt an seinen Sohn Ernst Rappolt in den USA, Privatbesitz (C. Sch.), 1940–1941; von Bodelschwinghsche Anstalten Bethel (Bielefeld), Hauptarchiv, Patientenakte von Fritz Rappolt (1931–1940); Stadtarchiv Bielefeld, Meldekartei-Karte; Stadtarchiv Würzburg, Einwohnermeldebogen, 1919–1921; Stadtarchiv Göttingen, Einwohnermeldekartei, 1927–1928; St. Johannis Harvestehude, Konfirmationsregister 1915.

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