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Bereits verlegte Stolpersteine


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Ella Budge
© Wolf Kahn, New York

Ella Budge (geborene Mayer) * 1875

Milchstraße Musikhochschule (Eimsbüttel, Rotherbaum)


HIER WOHNTE
ELLA BUDGE
GEB. MAYER
JG. 1875
KZ FUHLSBÜTTEL 1942
DEPORTIERT 1942
THERESIENSTADT
ERMORDET 6.11.1943

Weitere Stolpersteine in Milchstraße Musikhochschule:
Dr. Siegfried Budge

Steine des Anstoßes als späte Geste:

Zwei "Stolpersteine" vor dem Budge-Palais erinnern an Dr. Siegfried Budge und Ella Budge geb. Mayer

Im Sommer 2007 wurden zwei "Stolpersteine" in den Gehsteig der Milchstraße in Hamburg-Harvestehude eingelassen – vor dem Haupteingang der Hochschule für Musik und Theater in dem großen weißen Prachtbau an der Alster, dem Budge-Palais. Und obwohl die "Stolpersteine" auf den Gehsteigen der Hamburger Strassen inzwischen einen vertrauten Anblick bieten – ganz unerwartet auf zwei neue Stolpersteine vor dem Eingang der eigenen Hochschule zu stoßen, dürfte jedoch viele der hier Studierenden, Lehrenden und Mitarbeitenden tatsächlich gedanklich zum Stolpern, zum Innehalten gebracht haben.

Unmissverständlich geben sie zu verstehen, dass also auch das Budge-Palais eines dieser vielen tausend Hamburger Häuser ist, deren einstige Bewohner zu Opfern der nationalsozialistischen Verfolgung wurden. Es war allgemein kaum bekannt, dass auch bisher nicht benannte Verwandte des Hamburger Ehepaares Budge in diesem Hause wohnten und persönlich die nationalsozialistische Verfolgung erleiden mussten. Zwar informiert seit 1993 eine Wandtafel neben dem Haupteingang der HfMT über Daten zur Geschichte des Gebäudes, ihre allzu knappen Zeilen geben jedoch vom tatsächlich geschehenen Unrecht nichts zu erkennen: Von der unrechtmäßigen Entziehung des immensen Budge-Nachlasses durch die Nationalsozialisten und dem Pseudo-Wiedergutmachungsverfahren, das nach dem Krieg bewusst an den rechtmäßigen Erben vorbei arrangiert wurde, von bis heute fortdauernden Ungereimtheiten, geschweige denn von Todesopfern. Anlässlich der offiziellen Rückbenennung des Altbaus als "Budge-Palais" angebracht, wird sie der Funktion als Gedenktafel auch nicht ansatzweise gerecht - immerhin gewährleistet ihre Inschrift, dass der Name Budge in Hamburg im Gedächtnis bewahrt bleibt.

Die beiden "Stolpersteine", die nun, wenige Schritte von der Wandtafel entfernt, den Eintretenden in den Weg gelegt wurden, wirken als notwendige Ergänzung. Allerdings dürften die eingravierten Namen einige Leser stutzen lassen: Während die Namen Emma und Henry Budge der einstigen jüdischen Eigentümer des Budge-Palais wohl allen, die heute in der HfMT zu tun haben, vertraut sein werden, hat wohl kaum jemand von Dr. Siegfried und Ella Budge, den letzten rechtmäßigen Bewohnern des Budge-Palais, gehört. Die Steine geben Anstoß, nach dem Schicksal dieser Personen zu fragen und sie so aus dem Dunkel des Vergessenseins zu holen.

Siegfried Budge, am 18.6.1869 in Frankfurt am Main geboren, war ein Neffe von Henry Budge, der Sohn von dessen Bruder Max und seiner Frau Rosalie, geborene Samson aus Hamburg. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften und Heirat mit Ella Henriette Mayer (1897) eröffnete Siegfried Budge eine Rechtsanwaltspraxis in Frankfurt. Er schloss ein Studium der Nationalökonomie an, habilitierte sich 1921 an der Universität Frankfurt bei Franz Oppenheimer und lehrte von 1925 bis 1933 als Professor für Nationalökonomie an der Universität Frankfurt. Er wurde als Fachmann der Volkswirtschaft insbesondere auf dem Gebiet der Geldtheorie bekannt. Der philanthropischen Familientradition der Budges folgend, war er Vorstandsmitglied der "Max und Rosalie Budge – Stiftung" für sozial Bedürftige; auch betätigte er sich als Kunstsammler.

Bereits im März 1933 wurde ihm als Jude die Lehrbefugnis entzogen – ausgerechnet von der Universität, die sein Onkel Henry Budge als Gründungsmitglied mit großzügigen Spenden bedacht hatte. Nach erfolglosen Bemühungen Siegfried Budges um eine Anstellung im Ausland zogen er und seine Frau 1934 auf Einladung Emma Budges nach Hamburg in ihr Palais an der Alster. Nach dem Tode Emma Budges am 14.2.1937 mussten sie die Villa verlassen. Die folgenden vier Jahre in Hamburg sollten für sie eine demütigende Suche nach Unterkunft bedeuten - viele Male mussten sie umziehen. Siegfried Budge starb am 1. September 1941 infolge schwerer Krankheit.

Das Wissen über Ella Budge ist verschwindend gering. Es scheint, dass sie durch die NS-Verbrechen nicht nur ihres Lebens beraubt wurde, sondern auch eines großen Teils ihrer Lebensgeschichte. Lediglich einer alten Meldekarte Siegfried und Ella Budges, archiviert im Bestand des Institutes für Stadtgeschichte Frankfurt, lassen sich grobe Eckdaten entnehmen: Als Ella Henriette Mayer wurde sie am 8. Mai 1875 in einer jüdischen Familie in Frankfurt am Main geboren, ihre Eltern waren Louis Mayer und Marie Mayer, geborene Strauß. Am 16.8.1897 heirateten Ella und Siegfried Budge in Frankfurt. Die Meldekarte vermerkt eine Tochter: Nelly Budge, geboren am 30.6.1898 in Frankfurt.

Ella Budge und ihr Ehemann waren nach Emma Budges Tod 1937 die rechtmäßigen Bewohner des Budge-Palais, bevor es noch im gleichen Jahr von den Nationalsozialisten in Beschlag genommen und vom Gauleiter Karl Kaufmann zur Reichsstatthalterei umfunktioniert wurde. Nach dem Tode ihres Mannes wurde Ella Budge am 11.4.1942 von der Hamburger Gestapo verhaftet und ins Konzentrationslager und Polizeigefängnis Fuhlsbüttel in Hamburg verschleppt, wo sie – ohne ersichtlichen Grund über drei Wochen festgehalten wurde.

Es ist wahrscheinlich, dass ihr ein so genanntes Devisenvergehen angehängt wurde, ein von der Gestapo häufig konstruierter Vorwand zur Ausschaltung der jüdischen Bevölkerung. Dass Ella Budge 1942 ausgerechnet im KZ Fuhlsbüttel eingesperrt wurde, das von demjenigen eingerichtet worden war, der nun die repräsentative Anlage ihres einstigen Hauses für seine Machtausübung missbrauchte, zeigt den Zynismus der nationalsozialistischen Gewaltherrscher. Nur einige Wochen nach ihrer Entlassung aus der Gestapo-Haft erhielt sie den Deportationsbefehl. Am 19.7.1942 wurde Ella Budge zusammen mit 700 anderen Hamburger Bürgern nach Theresienstadt deportiert. Den dort herrschenden unmenschlichen Bedingungen erlag sie am 6. November 1943.

Ihr Name ist einer von 8877 Namen, die im Gedenkbuch "Hamburger jüdische Opfer des Nationalsozialismus" erfasst sind. Es dokumentiert die große Zahl der jüdischen Bürger Hamburgs, die während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft verfolgt wurden und zu Tode kamen.

Es gibt noch lebende Angehörige der Budges: In Amerika leben Enkel von Ella und Siegfried Budge. Es sind die Kinder von Nelly Kahn, geborene Budge, und Emil Kahn, einem einstmals berühmten Stuttgarter Dirigenten. Der Vater und seine Kinder Hans, Peter, Eva und Wolf Kahn konnten sich in den dreißiger Jahren durch Auswanderung in die USA retten; seine Frau Nelly Kahn war bereits 1931 verstorben. Die vier Geschwister waren also die Großneffen und die Großnichte Henry und Emma Budges und verbrachten in ihrer Kindheit ihre Ferien im Budge-Palais mit seinem Park an der Alster.

Lebendige Erinnerungen an diese Zeit sind ihnen geblieben. So erinnerte sich Peter Kahn noch an den prachtvollen Spiegelsaal, in dem ihr Vater einst Cello spielte. In eben diesem Saal, wenn auch "verlegt" in den Innenhof des Hamburger Museums für Kunst und Gewerbe, stellte Wolf Kahn, Jahrgang 1927, heute in New York lebend und ein in den USA bekannter Landschaftsmaler, einige seiner Gemälde aus, als er 2001 auf Einladung des Museumsdirektors Wilhelm Hornbostel zu Besuch nach Hamburg gekommen war.

Sein Bruder, Prof. Peter Kahn, Jahrgang 1921, war Kunsthistoriker und Professor der Cornell University in Ithaca, New York; er starb im Jahre 1996. Während eines beruflich bedingten Aufenthaltes in Hamburg 1985/86 hat er hier eingehend zur Geschichte des Budge-Palais recherchiert und seine Ergebnisse, wie auch persönliche Erinnerungen an seine Kindheit in Hamburg in seiner Denkschrift: "Eine Wiedergutmachungsangelegenheit: Das Budgehaus, Harvestehuderweg 12, Hamburg" zusammengefasst. Ohne anzuklagen, sogar im Gegenteil einverstanden damit, dass das große Budge-Anwesen nun öffentliche Hochschule ist und die Parkanlagen für die Öffentlichkeit nutzbar sind, aber doch zutiefst enttäuscht zieht Peter Kahn aus seinen Untersuchungen den Schluss, dass Wiedergutmachung des an seiner Familie vielfach begangenen Unrechts in keiner Weise je stattgefunden hat.

Am 26. Mai 2008 fand an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg die feierliche Einweihung der "Stolpersteine" für Dr. Siegfried und Ella Budge statt. Der Einladung, zu diesem Anlass nach Hamburg zu kommen, konnten die inzwischen über 80-jährigen Enkel persönlich nicht mehr folgen. Doch ist es gutzuheißen, dass diese Angehörigen zumindest darüber in Kenntnis gesetzt werden konnten, dass nun vor dem Budge-Palais durch zwei kleine Gedenksteine an die Namen von Siegfried und Ella Budge erinnert wird, als Teil des Gesamtdenkmals aller bis heute rund 13.000 verlegten "Stolpersteine".

Wolf Kahn fand sogar ein Foto seiner Großmutter Ella Budge, das er freundlicherweise für den Anlass der Einweihung zur Verfügung stellte.

© Livia Gleiß, Mai 2008

Anmerkung: Ausführlicher informiert die Broschüre "Die Familie Budge in Hamburg und ihr Palais an der Alster" (von Livia Gleiß, 2008) über die Personen Henry und Emma Budges einerseits und Siegfried und Ella Budges andererseits sowie über den zeitgeschichtlichen Hintergrund in Hamburg unter dem NS-Regime.

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