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Alfred Henschel * 1869

Friedenstraße 41 (Wandsbek, Eilbek)

Gefängnis Blankenburg
ermordet 10.01.1944

Alfred Henschel, geb. 8.12.1869 in Berlin, verstorben am 10.2.1944 in Bad Blankenburg in Thüringen in Polizeigewahrsam

Friedenstraße 41

Alfred Henschel wurde am 8. Dezember 1869 als Sohn jüdischer Eltern in Berlin geboren. Diese waren der kaufmännische Angestellte Carl Henschel, geboren am 28. September 1842 in Brieg (heute: Brzeg) südöstlich von Breslau, und Natalie geborene Finkenstein, geboren am 20. März 1844 in Breslau. Alfred Henschel hatte mindestens fünf Geschwister.

Am 18. September 1902 heirateten Alfred Henschel und die am 16. März 1875 in Hamburg geborene Schneiderin Martha Mätcke, eine Christin. Die Ehe blieb kinderlos. Das Ehepaar Henschel bezog zunächst eine Wohnung in der Schenkendorffstraße 23 in Hamburg-Uhlenhorst und wechselte 1910 in eine großzügige Wohnung in der Friedenstraße 43 in Hamburg-Eilbek. Hier lebte es 32 Jahre bis 1941.

1898, im Alter von 29 Jahren, hatte Alfred Henschel in Hamburg-Altstadt an der Bergstraße 28 im Gebäude des damaligen Hotels Belvedere ein Optikgeschäft mit der Bezeichnung "Optisches Institut" gegründet.

Als das Hotelgebäude 1902 abgebrochen wurde, verlegte er sein Geschäft in die Rathausstraße 29. Nach ihrer Eheschließung arbeitete auch Martha Henschel in dem Optikgeschäft ihres Mannes und übernahm insbesondere die Buchhaltung. Bereits 1905 stand ein weiterer Geschäftsumzug an. Nun lautete die Geschäftsadresse Bergstraße 3 (gegenüber dem Eingang der St. Petri Kirche).

In dem vermutlich um 1928 erschienenen "Buch der alten Firmen der Freien und Hansestadt Hamburg" heißt es: "Das Geschäft steht heute noch unter Leitung des Gründers und erfreut sich eines guten Rufes und eines alten, geschätzten Kundenkreises."

In welchem Ausmaß das Optikgeschäft des Ehepaares Henschel von den Diskriminierungen der Geschäfte jüdischer Inhaber durch die Nationalsozialisten schon im Jahre 1933 betroffen war, ist nicht überliefert. Belegt ist der Versuch eines Konkurrenten aus dem Jahre 1934, Alfred Henschel unter Hinweis auf seine jüdische Abstammung zu schaden. Ein Optiker, der in der Mönckebergstraße unweit der Bergstraße 3 ein neues Geschäft eröffnet hatte, beantragte seine Zulassung bei der Behörde mit dem Hinweis darauf, dass die Inhaber der zwei nächstgelegenen Optikergeschäfte "Nichtarier" seien. Für den auch gemeinten Alfred Henschel blieben Konsequenzen zunächst aus. Doch die Verwaltung war spätestens jetzt auf ihn aufmerksam geworden. Wie auch andere Optikgeschäfte verkaufte Alfred Henschel Brillen an Bedürftige und ließ sich die Kosten von der Fürsorgebehörde erstatten. Anfang 1936 verhandelte ein Mitarbeiter der Wirtschaftsabteilung des Fürsorgewesens mit dem Obermeister der Innung für Optiker und Feinmechaniker mit dem Ziel eines Ausschlusses von "nichtarischen" Firmen von der Belieferung von Unterstützungsbedürftigen. Dem eifrigen Mitarbeiter des Fürsorge­wesens war ein Erlass des Reichswirtschaftsministers (Erlass vom 4.1.1935 – IV 23971/35) nicht bekannt, wohl aber der Optiker-Innung. In diesem Erlass hatte der Reichswirtschaftsminister jede wirtschaftliche Maßnahme gegen "nichtarische" Geschäfte verboten. Anscheinend war die Weisung ergangen, weil zu dieser Zeit die in jüdischem Besitz befindlichen Unternehmen zur Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung noch ge­braucht wurden. Vom Obermeister der Optiker-Innung auf die Weisung aufmerksam gemacht und in Sorge, sich zu weit vorgewagt zu haben, suchte der erschrockene Mitarbeiter der Wirtschaftsabteilung des Fürsorgewesens sich abzusichern. Er bat mit Rücksicht darauf, "dass die Angelegenheit eine politische" sei, um Vorgaben für das weitere Vorgehen. Fast zwei Jahre blieb jedoch alles beim Alten. Hartnäckig unternahm derselbe Mitarbeiter Anfang 1938 einen neuen Anlauf, "nichtarische" Optikgeschäfte aus der Zulassungsliste der Fürsorgebehörde zu streichen. Er teilte dem Obermeister der Optiker-Innung telefonisch mit, "dass beabsichtigt sei, die drei optischen Betriebe [gemeint waren Campbell & Co., Neuer Wall 30, S. Broches in der Grindelallee 115 und Alfred Henschel] von der Belieferung der Hilfsbedürftigen auszuschließen. [...] Ich erwähnte dabei, dass es nicht zweckmäßig sei, die Ausschließung einem weiteren Personenkreis bekannt zu geben". Der Obermeister der Optiker-Innung und NSDAP-Mitglied Hermann Schönberg fürchtete Widerstand der Angestellten der drei Geschäfte und verlangte eine schriftliche Anweisung. Dazu waren weder die Fürsorgebehörde noch die damalige Behörde für Handel, Schiffahrt und Verkehr bereit. Der zögerliche Obermeister der Optiker-Innung wurde zur Behörde für Handel, Schiffahrt und Verkehr vorgeladen und "über die Richtigkeit der mündlichen Erledigung des Falles unterrichtet". Das Ziel war erreicht. Von nun an durften die Firmen Campbell & Co., S. Broches und Alfred Henschel Hilfsbedürftige nicht mehr gegen Erstattung durch die Fürsorgebehörde beliefern.

Ein weiterer Schlag traf Alfred Henschels Geschäft mit der Dritten Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14. Juni 1938, die die Anlegung öffentlicher Verzeichnisse aller "jüdischen Gewerbebetriebe" anordnete. Es wurde zudem in Aussicht genommen, dass "die Gewerbebetriebe, die in dem Verzeichnis der jüdischen Gewerbebetriebe eingetragen sind, von einem noch zu bestimmenden Zeitpunkt ab ein besonderes Kennzeichen führen müssen".

Mit der "Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben" vom 12. November 1938 wurde Juden "vom 1. Januar 1939 ab der Betrieb von Einzelhandelsverkaufsstellen [...] untersagt". Auf Vorgabe des Obermeisters der Optiker-Innung Schönberg musste Alfred Henschel sein Geschäft in der Bergstraße 3 Hals über Kopf an das NSDAP-Mitglied Hermann Lau, Hamburg, Eidelstedter Weg 9, veräußern, nachdem es vierzig Jahre in seinem Besitz gewesen war. Für das Geschäft (die Firma) selbst wurde nichts bezahlt, lediglich für Waren und Inventar. Der Preis wurde massiv gedrückt. Angeblich waren viele Gegenstände für den Erwerber nicht von Interesse. Der Käufer Hermann Lau erfasste das Inventar nur zum Teil und die Waren wegen angeblicher teilweiser Unverkäuflichkeit weit unter Wert. Von einem Optiker-Kollegen erfuhr Martha Henschel aber später, dass alle Waren restlos zum vollen Preis, also mit großem Gewinn, verkauft worden waren. Laut Kaufvertrag vom 23. Dezember 1938 erhielt das Ehepaar Henschel für Inventar und Warenbestand 9344,46 RM. Frau Henschel gab den Umsatz für das Jahr 1938 später mit 22.000 RM an.

Nach dem Verlust ihres Geschäftes verfügten die Eheleute über kein Einkommen mehr. Alfred Henschel durfte seinen Beruf als Optiker nicht mehr ausüben. Er wurde nun dauerhaft körperlich und seelisch krank. Auch Martha Henschel war psychisch stark belastet. Die Eheleute lebten von dem Verkaufserlös für das Optikgeschäft und von Martha Henschels Ersparnissen. Alfred Henschel erhielt die reduzierten Lebensmittelkarten für Juden. Nun teilte Martha Henschel ihre Lebensmittelrationen mit ihrem Ehemann. Sie hungerte, um ihren kranken Mann zu ernähren, und magerte in dieser Zeit auf 78 Pfund ab. Als das Ehepaar 1941 die Wohnung in der Friedenstraße 43 räumen musste, verkaufte Martha Henschel die Möbel, die in der neuen beengten Unterkunft nicht mehr aufgestellt werden konnten. Sie schrieb in einem späteren Bericht, sie seien von der Gestapo "in Aufregung gehalten" worden. Alfred Henschel reagierte auf die Diskriminierungen mit einem starken Nervenzucken im Unterkiefer. Vor der Deportation schützte ihn, dass die jüdischen Partner auch in "nichtprivilegierten Mischehen" noch zurück gestellt wurden.

Am 24./25. Juli 1943 wurden das Ehepaar Henschel ausgebombt. Vermutlich waren sie zu dieser Zeit schon in das "Judenhaus" Heinrich-Barth-Straße 17 in Hamburg-Rotherbaum eingewiesen. Sie fanden nun in Hamburg keine Bleibe mehr und reisten zu einem von Alfred Henschels Brüdern nach Bad Blankenburg in Thüringen. Am 9. Februar 1944 erschienen zwei Weimarer Gestapo-Beamte – einer hieß Eisfeld – und verhafteten Alfred Henschel unter fortwährenden Beleidigungen. Sie schrien, die Henschels seien nur Gäste in Deutschland, den Juden solle noch der Hut hochgehen. Alfred Henschel solle in Weimar noch etwas erleben, Koffer und Kleider müsse er nicht mitnehmen, nur die Kennkarte. Auch Martha Henschel wurde gedroht, verhaftet zu werden, weil sie um Schonung für ihren kranken Mann bat.

Alfred Henschel wurde in der Polizeiwache in Bad Blankenburg, Marktplatz 1, inhaftiert. Dort erfuhren er und seine Frau, dass er am nächsten Morgen in das KZ Buchenwald eingeliefert werden sollte. Offiziellen Angaben zufolge nahm sich Alfred Henschel am 10. Februar 1944 morgens um 6.15 Uhr das Leben.

Stand Februar 2014
© Ingo Wille

Quellen: 1; 5; 9; AB; StaH 314-15 OFP Oberfinanzpräsident R 1939/6994; 332-5 Standesämter 2979-686/1902; 351-10 I Sozialbehörde I, WA 10.18; 351-11 Amt für Wiedergutmachung 2719; Centrum Judaicum, Berlin, Archiv; Das Buch der alten Firmen der Freien und Hansestadt Hamburg, Leipzig, o. J.; Lohalm, Uwe, Fürsorge und Verfolgung, S. 18; Hamburger Tageblatt Nr. 161 vom 16.6.1938.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link Recherche und Quellen.

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