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Rosa Heller * 1876

Rosenhagenstraße 3 (Altona, Groß Flottbek)

1941 Lodz
1942 Chelmno ermordet

Rosa Bertha Luise Heller, geboren am 14.11.1876, deportiert ins Getto Lodz am 25.10.1941, im Vernichtungslager Chelmno am 10.5.1942 ermordet

Rosenhagenstraße 3

Rosa Heller war überzeugte Nationalsozialistin und begrüßte die Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 in der fatalen Fehleinschätzung, dass ihre jüdische Herkunft für sie kein Problem darstellen würde. Weder ihre politische Haltung noch ihre Zugehörigkeit zur vermögenden Gesellschaftsschicht und ihre evangelisch-lutherische Religionszugehörigkeit bewahrten sie vor Entrechtung, Verfolgung und Vernichtung.

Rosa Bertha Luise Heller wurde am 14. November 1876 in Prag als Tochter des Kaufmanns Moritz Jakob und seiner Frau Johanna Heller, geb. Spiro, geboren. Ihre Staatsangehörigkeit war deutsch. Der Vater verstarb 1904, die Mutter 1915. Rosa Heller war Miteigentümerin des Grundstücks Rosenhagenstraße 3, nah am Beselerplatz in Altona-Groß Flottbek. Ihr Bruder Josef Heller hatte die aus sechs Zimmern und Nebengelass bestehende Villa erworben und einige Jahre vor seinem Tod im Jahre 1927 eingerichtet. Dort wohnte Rosa Heller bis zu ihrer Deportation 1941.

Sie blieb unverheiratet, hatte aber eine Adoptivtochter. Helga Pankoke war am 4. April 1913 in Altona geboren worden, ihre Eltern waren der "Geschäftsreisende" Wilhelm Hermann Emil Pankoke und Olga Dorothea, geb. Olson. 1925 war sie im Alter von zwölf Jahren nach dem Tod ihrer Mutter unter die Vormundschaft Josef Hellers gestellt worden. Nach dessen Tod übernahm seine Schwester Rosa 1927 die Vormundschaft. Sie gewann die Vollwaise lieb, adoptierte das Mädchen 1930 und setzte es in ihrem Testament als Erbin ein. Helga Pankoke-Heller erlernte den Beruf der Grafikerin. 1938 heiratete sie mit Zustimmung ihrer Adoptivmutter den Redakteur Kurt Waldenburger, der 1942 zur Wehrmacht eingezogen wurde und nach Kriegsende schwer kriegsbeschädigt aus englischer Gefangenschaft zurückkehrte.

Rosa Heller war eine vermögende Frau; auch ihr Bruder war sehr wohlhabend gewesen, er hatte der Hansestadt bedeutende Stiftungen u. a. für die Musikhalle zukommen lassen. Sie bezog aus dem Nachlass des Bruders laufende Zahlungen und verfügte über ein hauptsächlich in Wertpapieren und Hypotheken angelegtes Vermögen, verwahrt vom Bankhaus Magnus & Co.

Trotz ihrer jüdischen Herkunft begeisterte sie die Politik der Nationalsozialisten. Arthur Stern, ein Freund von Josef und Rosa Heller, der im Oktober 1937 in die USA auswanderte, teilte nach dem Krieg dem Amt für Wiedergutmachung im Rahmen eines Entschädigungsverfahrens auf Antrag ihrer Adoptivtochter Helga Waldenburger mit, Rosa Heller habe keine "Angst vor dem nationalsozialistischen Staate" gehabt:
"Ich habe wenige Tage vor meiner Auswanderung im Oktober 1937 Frl. Heller mit dem vor kurzem verstorbenen Max Warburg bekannt gemacht. In dieser Unterredung wurde die ganze Situation von Frl. Heller erörtert, jedoch keine Entscheidung getroffen. Frl. Heller wollte damals das Haus Warburg als ihre Beraterin heranziehen und ein arischer Justiziar des Hauses Warburg sollte sie in Zukunft beraten. Ob dieses durchgeführt wurde, weiß ich natürlich nicht. […] Frl. Heller hat im Jahre 1934 ihre sämtlichen Auslandswerte dem Finanzamt gemeldet gehabt und zwar unter Ausnutzung der damaligen Amnestie. Frl. Heller war damals zu ihrem Entschlusse gekommen, dass sie nicht auswandern wolle, dass sie bei den Gräbern in Hamburg verbleiben wolle. […] Sie war tief beeindruckt von dem Aufstiege Deutschlands, glaubte an das Blühen und den Erfolg des Staates und wollte innerlich Anteil an der Größe dieses Staates haben. Wenn ihr auch manche kleine Unbill schon damals zugefügt worden war, so hätte sie sich niemals eine Entwicklung vorstellen können, wie sie dann leider eingetreten ist. Ich halte es also für ganz ausgeschlossen, dass Frl. Heller nur einen Teil ihres Auslandsvermögens angemeldet hat. Sie hat bestimmt auch den allerletzten Cent dem Deutschen Reiche gemeldet."

Rosa Heller handelte so trotz deutlich drohender Anzeichen einer antisemitischen Politik: Schon im ersten Jahr nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten begann der Boykott jüdischer Firmen und Geschäfte, entließ das nationalsozialistische Regime "nichtarische" Beamte, verbot Juden das Betreten von Badestränden und Schwimmbädern, führte Vererbungs- und Rassenlehre als Pflichtfach im Schulunterricht ein und initiierte eine Politik, die auf Vertreibung der jüdischen Bevölkerung abzielte. In einer ersten Auswanderungswelle verließen viele Juden und Jüdinnen ihre Altonaer Heimat.

1939 wurde Rosa Heller als Zwangsmitglied der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland eingetragen. Wie alle Menschen, die vier jüdische Großelternteile hatten, galt auch sie als "volljüdisch". Seit diesem Jahr musste sie hohe Zwangsbeiträge an die unter Aufsicht der nationalsozialistischen Behörden stehende Reichsvereinigung zahlen.

Wie alle wohlhabenden Juden wurde auch sie systematisch legal ausgeraubt. Rosa Heller lebte von den Kapitalerträgen ihres Vermögens und bezog eine Rente aus dem Nachlass ihres Bruders. Doch ab 1939 verlor sie nach und nach ihr gesamtes Vermögen.

Die Devisenstelle des Oberfinanzpräsidenten Hamburg erließ am 18. April 1939 eine "Sicherungsanordnung", durch welche ihr die Verfügung über das Wertpapierdepot und ihre Hypotheken sowie ihren Anteil an dem Grundstück Altona Rosenhagenstraße 3 ohne besondere Genehmigung verboten wurde. Gezwungenermaßen gab sie im September 1939 an, für ihren zweiköpfigen Haushalt monatlich 593 Reichsmark (RM) Ausgaben zu haben; ab dem 20. Oktober 1939 bewilligte ihr die Behörde des Oberfinanzpräsidenten, monatlich 475 RM von ihren Konten abzuheben. Der nationalsozialistische Staat erlegte Juden und Jüdinnen von einem gewissen Einkommen an hohe Zahlungen auf als "Sühneleistung" für die Schäden der "Reichskristallnacht". Rosa Heller musste ihre ausländischen Wertpapiere verkaufen, um den Erlös für die Bezahlung der "Judenvermögensabgabe" in Höhe von 25 Prozent ihres Vermögens in Raten zu verwenden.

Auch die Demütigung der Kennzeichnung durch einen jüdischen Zwangsnamen, den sie überall anzumelden hatte, blieb ihr nicht erspart. Am 27. Februar 1941 erhob die Staatsanwaltschaft beim Landgericht Hamburg Anklage gegen Rosa Heller wegen des "Verstoßes jüdischer Fernsprechteilnehmer gegen die Verordnung der Durchführung des Gesetzes über die Änderung von Familiennamen und Vornamen vom 17.8.1938". Gemäß der Verordnung trug sie seit Anfang 1939 den zusätzlichen Vornamen Sara und hatte es versäumt, bei der Neuauflage des Amtlichen Fernsprechbuches im Jahr zuvor diesen Eintrag selbst zu beantragen. Damit hatte sie sich strafbar gemacht. Am 19. April 1941 musste sie auf dem Polizeirevier Groß Flottbek erscheinen. Im Protokoll wurde als Religion verzeichnet: "Ev. Luth, früher israelitisch". Rosa Heller gab an, den Benachrichtigungszettel für eine Geschäftssache gehalten und nicht sorgfältig durchgelesen zu haben. Auch fügte sie hinzu: "Seit Januar des Jahres ist mir der Fernsprechanschluss amtlich genommen." Der Eintrag war also hinfällig. Dennoch: Am 22. Mai 1941 erließ das Gericht den Strafbefehl: Eine Gefängnisstrafe von fünf Tagen oder die Zahlung von 100 RM.

Ab 19. September 1941 musste Rosa Heller den sogenannten Judenstern tragen. Einen Monat später erhielt sie den Deportationsbefehl ins Getto Lodz. Die polnische Stadt war von den deutschen Besatzern in "Litzmannstadt" umbenannt worden. Rosa Heller war unter der Nummer 374 auf der Liste vorgesehen für den "Transport nach Litzmannstadt am 25.10.1941": "374 Heller, Rosa Sara, 24.11.76 Prag, Othmarschen, Rosenhagenstr. 3". (Ihr Geburtsdatum auf der Liste weicht ab von dem auf der Kultussteuerkarte der Jüdischen Gemeinde angegebenen 14. November.)

Nach ihrer Deportation wurde das Vermögen beschlagnahmt. Ihr Bankguthaben beim Bankhaus Magnus, ihr Miteigentum am Haus, die Wertpapiere, die Erträge aus dem Nachlass ihres Bruders wurden von der Oberfinanzkasse Hamburg eingezogen, der Hausrat, darunter Antiquitäten, Orient-Teppiche und Kunstgegenstände, wurde zugunsten des Deutschen Reichs versteigert.

Im Getto Lodz wurde Rosa Heller in der Richterstraße 9, Wohnung 11, einquartiert. Fast 65 Jahre alt, überlebte sie den Winter trotz Hunger, Kälte und Infektionskrankheiten. Am 10. Mai 1942 wurde sie einem Transport von Lodz ins nahe gelegene Lager Chelmno zugeteilt. Diese "Evakuierung" bedeutete den sicheren Tod, denn in Chelmno wurden die Deportierten in umgerüsteten Lastwagen mit Gas ermordet. Nur wer bei Kräften war und Arbeit im Getto hatte, besaß eine Chance, dem Abtransport zu entgehen. Vom 4. bis 15. Mai 1942 fuhren zwölf Züge in Richtung Chelmno. 10.993 Menschen wurden dort ermordet, darunter Rosa Heller.

Am 4. Januar 1944 richtete der von Rosa Heller als Testamentsvollstrecker eingesetzte Rechtsanwalt Rehwoldt eine Anfrage an die Gestapo in "Litzmannstadt" zum Verbleib seiner Mandantin. Er erhielt am 7. Februar 1944 folgendes Schreiben:
"Betr.: Jüdin Rosa Sara Heller, zul. wohn. gew. in L‘stadt. Vorg.: Dort. Schr. v. 4.1.44
Die H. ist am 6.5.42 aus Litzmannstadt weiter nach dem Osten abgeschoben worden und auf dem Transportwege verstorben. Eine Beurkundung des Todesfalles kann nicht erfolgen, da sie behördlich nicht angemeldet werden konnte."

Diese Formulierung wurde offenbar gewählt, um das Schicksal der Verschleppten zu verheimlichen und weitere Nachforschungen und Anfragen zu verhindern.

Rosa Heller bedachte in ihrem am 20. März 1941 verfassten Testament ihre Hausangestellte Wilhelmine Greibke, Jahrgang 1891, die seit Mai 1927 bis zu ihrer Deportation mit ihr in der Rosenhagenstraße 3 gewohnt hatte, mit 2.000 RM. Ihr Wunsch war, dass diese das Geld zum Einkauf in ein Stift verwendete. Außerdem vermachte sie ihr die Einrichtung des Schlafzimmers, des Mädchenzimmers, den Nähtisch, die gesamte Kücheneinrichtung, ihre Kleider und Leibwäsche sowie einige der von Wihelmine Greibke selbst gefertigten Handarbeiten. Zudem sollte aus den Erträgen des Erbteils der Adoptivtochter eine lebenslange jährliche Rente an die ehemalige Hausangestellte gezahlt werden. In einem Nachtrag vom 16. Juli vererbte sie ihr auch das Service aus Meißener Porzellan. Rosa Heller würdigte Wilhelmine Greibke mit den Worten: "Es ist dieses mein Dank für die mir in der schwersten Zeit meines Lebens erwiesene Treue."

Rosa Hellers Freund Arthur Stern unterstützte nach dem Krieg die Bemühungen von Wilhelmine Greibke, ihren Erbanteil zu realisieren. Der ehemaligen Hausangestellten erwies er seinen Respekt: "Ich freue mich außerordentlich darüber, dass diese einfache, aus dem Volk stammende Frau so tapfer zu Frl. Heller gehalten hat."

Stand September 2015

© Birgit Gewehr

Quellen: 1; 2 (R1939/2375 Heller, Rosa); 4; 5; 8; AB Altona, StaH 522-1 Jüdische Gemeinden, 992 e 1 Band 1 (Deportationsliste Litzmannstadt, 25.10.1941); StaH 351-11 Amt für Wiedergutmachung, 38617 (Waldenburger, Helga); StaH 424-111 Amtsgericht Altona, 6969 und 6919 (Aufgebot zur Todeserklärung Rosa Heller); StaH 213-11 Staatsanwaltschaft Landgericht – Strafsachen, 4051/41 (Strafsache gegen Heller, Rosa Bertha Luise Sara).
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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