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Stolpertonstein

Erzähler: Thomas Karallus
Sprecherin: Kirsten Gerhard
Biografie: Maria Koser

Alice Feldmann * 1897

Woldsenweg 9 (Hamburg-Nord, Eppendorf)

1941 Lodz
1942 Chelmno ermordet

Weitere Stolpersteine in Woldsenweg 9:
Paula Feldmann, Aurelie Levison, Elisabeth Wulff

Alice Feldmann, geb. Furmanski, gesch. Goldberg, geb. am 11.6.1897 in Altona, am 25.10.1941 nach Lodz deportiert, vermutlich am 15.5.1942 nach Chelmno weiterdeportiert

Woldsenweg 9

"Ich kann zur Begründung meiner Bitte um Rücknahme des Ausreisebefehls nur die hier erlittenen schweren Schicksalsschläge anführen. Mein ältester Sohn, Kurt Goldberg, 21 Jahre alt, ist schon im Dezember 1941 nach Posen gebracht worden. Ich hörte nichts mehr von ihm. Mein zweiter Sohn, Werner, noch nicht 18-jährig, hat sich in der schweren Winterarbeit im Tag- und Nachtdienst, zu der er sich stets freiwillig gemeldet hatte, so schwere Erkrankungen, Erfrierungen, Furunkulose zugezogen, dass er nach Amputation beider Füße am 16. April 42 im Krankenhause starb. Mein geschiedener Ehemann, Walter Goldberg, der allein mit seinem 9-jährigen, halbarischen Sohn ins Getto kam und den ich auch zu betreuen hatte, ist am 1. April 1942, einen Tag nach dem Tode des 9-jährigen Kindes, wie dieses an körperlicher Erschöpfung und unheilbaren Frostschäden gestorben.
Diese furchtbaren seelischen Verwundungen und schweren körperlichen Verfall erlitt ich im Getto, und dennoch – oder deswegen bitte ich die verehrliche Kommission: lassen Sie mich im Getto! Ich hoffe keine Fehlbitte zu tun.
Hochachtungsvoll Alice Feldmann"

Diese eindringliche Bitte richtete Alice Feldmann am 2. Mai 1942 an die "Ausweisungskommission" des Gettos Lodz, nachdem sie zusammen mit ihrer Schwester Elly Furmanski die "Ausreisebefehle" III/256 und 257 bekommen hatte. Der Brief erhielt jedoch den Stempel "odmowa": abgewiesen, da nur arbeitsfähige Menschen im Getto eine Überlebenschance hatten. In der Kartei des Gettos wurden beide am 15. Mai 1942 abgemeldet. Vermutlich war das der Tag, an dem die Schwestern mit vielen anderen aus dem Hamburger Transport nach Chelmno deportiert und ermordet wurden.

Alice Feldmann wuchs in Altona am Schulterblatt auf. Sie war das dritte von fünf Kindern des Ehepaares Jakob Moses und Martha Furmanski, geborene Brandon. Ihre zwei älteren Schwestern Wally und Elly kamen 1893 und 1894 zur Welt, in den Jahren 1900 und 1901 folgten Paula und Harry.

Alice heiratete 1919 den Kaufmann Walter Goldberg und bekam am 30. Dezember des Jahres ihren ersten Sohn Kurt. Walter Goldberg wurde als Sohn eines kleinen selbstständigen Kaufmanns geboren. Er besuchte eine private Realschule in Celle, deren Besuch ihm durch ein Familienstipendium ermöglicht wurde, ging aber vor der mittleren Reife ab und erlernte im Kaufhaus Gebrüder Alsberg in Hamburg den Kaufmannsberuf. 1913 wechselte er ins Versicherungsfach, in dem er sich als Agent und Inspektor betätigte, ohne jedoch zu nennenswertem Einkommen zu gelangen. Von 1915 bis 1918 wurde er als Soldat im Ersten Weltkrieg zwei Mal leicht verwundet. Aus dem Krieg heimgekehrt, heiratete er Alice Feldmann und versuchte sich als Vertreter in der Schneidereibedarfsartikelbranche. 1923, als ihr zweiter Sohn Werner geboren wurde, war Alice 26 Jahre alt. Die Familie lebte in einer Zweizimmerwohnung im Hinterhaus der Gärtnerstraße 114.

Allein mit seinem Verdienst konnte Walter Goldberg die Familie nicht ernähren. Um die Miete bezahlen und den Lebensunterhalt bestreiten zu können, war er immer wieder auf Darlehen der Wohlfahrtsbehörde und die Unterstützung der Jüdischen Gemeinde und der Nobelloge angewiesen. Im Juni 1927 kehrte Walter Goldberg ins Versicherungsfach zurück. Als aber der Erfolg erneut ausblieb, beging er, von der Not getrieben, Unterschlagungen, um das Familienbudget aufzubessern. Diese anhaltenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten belasteten die Ehe so sehr, dass Alice die Scheidung einreichte. Im Juni 1931 wurden Alice und Walter Goldberg geschieden. Kurt und Werner blieben beim Vater in der Gärtnerstraße. Auch als Walter Goldberg ein Jahr später wieder heiratete und mit seiner zweiten Frau Elfriede weitere drei Kinder bekam, lebte die inzwischen siebenköpfige Familie weiter sehr beengt in der Zweizimmerwohnung.

Alice heiratete den 18 Jahre älteren Handelsvertreter Leopold Feldmann. Er war ebenfalls geschieden und hatte zwei erwachsene Kinder aus erster Ehe. Mit ihm wohnte sie im Haus 10 der Rentzelstraße 12. Auch er verdiente so wenig, dass ihm die Kultussteuer seit 1930 regelmäßig erlassen wurde. Leopold Feldmann starb 60-jährig am 3. April 1940 an den Folgen eines Herzleidens. Nach seinem Tod zog Alice Feldmann zu der Witwe Aurelia Levison (s. dort) in den Woldsenweg 9 und bewohnte ein Zimmer zur Untermiete. Hier erreichte sie der Befehl zur "Evakuierung" am 25. Oktober 1941. Zusammen mit ihren Söhnen Kurt und Werner Goldberg, ihrer Schwester Elly Furmanski und ihrem geschiedenen Mann Walter Goldberg und dessen 9-jährigem Sohn wurde sie am 25. Oktober 1941 ins Getto Lodz deportiert. Keiner von ihnen überlebte.

© Maria Koser

Quellen: 1; 4; 5; 8; StaH 351-11 AfW Abl.2008/1, 271132 Goldberg Hans Hermann; StaH 351-11 AfW Abl.2008/1 301219 Goldberg Kurt; StaH 351-11 AfW Abl.2008/1, 150377 Goldberg, Walter; StaH 552-1 Jüd. Gemeinden, 992e2 Band 1; StaH 332-5 Personenstandsbuch 8168 Nr. 210 1940 Feldmann, Leopold; StaH 352-5 Todesanzeige Sta. 2a, Nr. 210 1940; StaH 213-11 A 16366/30 Staatsanwaltschaft Landgericht – Strafsachen; USHMM, RG 15.083, 299/626, Fritz Neubauer, Universität Bielefeld, E-Mail v. 5.5.2010.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Recherche und Quellen.

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