Namen, Orte und Biografien suchen


Bereits verlegte Stolpersteine



linke Bildhälfte: Brunhild und Krankenschwester im Garten des KKR, ca. Juni 1944; rechts: Brunhild nach ihrem Tod auf dem Boden des Bunkers;
links: Brunhild und Krankenschwester im Garten des KKR, ca. Juni 1944; rechts: Brunhild nach ihrem Tod auf dem Boden des Bunkers
© Privatbesitz

Brunhild Stobbe * 1944

Marckmannstraße 135 (ehemalige Kinderklinik) (Hamburg-Mitte, Rothenburgsort)


BRUNHILD STOBBE
GEB. 5.4.1944
ERMORDET 1.11.1944

Weitere Stolpersteine in Marckmannstraße 135 (ehemalige Kinderklinik):
Andreas Ahlemann, Rita Ahrens, Ursula Bade, Hermann Beekhuis, Ute Conrad, Helga Deede, Jürgen Dobbert, Anneliese Drost, Siegfried Findelkind, Rolf Förster, Volker Grimm, Antje Hinrichs, Lisa Huesmann, Gundula Johns, Peter Löding, Angela Lucassen, Elfriede Maaker, Renate Müller, Werner Nohr, Harald Noll, Agnes Petersen, Renate Pöhls, Gebhard Pribbernow, Hannelore Scholz, Doris Schreiber, Ilse Angelika Schultz, Dagmar Schulz, Magdalene Schütte, Gretel Schwieger, Hans Tammling, Peter Timm, Heinz Weidenhausen, Renate Wilken, Horst Willhöft

Kinderkrankenhaus Rothenburgsort

Im früheren Kinderkrankenhaus Rothenburgsort setzten die Nationalsozialisten ihr "Euthanasie-Programm" seit Anfang der 1940er Jahre um.
33 Namen hat Hildegard Thevs recherchieren können.

Eine Tafel am Gebäude erinnert seit 1999 an die mehr als 50 ermordeten Babys und Kinder:

In diesem Gebäude
wurden zwischen 1941 und 1945
mehr als 50 behinderte Kinder getötet.
Ein Gutachterausschuss stufte sie
als "unwertes Leben" ein und wies sie
zur Tötung in Kinderfachabteilungen ein.
Die Hamburger Gesundheitsverwaltung
war daran beteiligt.
Hamburger Amtsärzte überwachten
die Einweisung und Tötung der Kinder.
Ärzte des Kinderkrankenhauses
führten sie durch.
Keiner der Beteiligten
wurde dafür gerichtlich belangt.



Weitere Informationen im Internet unter:

35 Stolpersteine für Rothenburgsort – Hamburger Abendblatt 10.10.2009

Stolpersteine für ermordete Kinder – ND 10.10.2009

Stolpersteine gegen das Vergessen – Pressestelle des Senats 09.10.2009

Die toten Kinder von Rothenburgsort – Nordelbien.de 09.10.2009

35 Stolpersteine verlegt – Hamburg 1 mit Video 09.10.2009


Wikipedia - Institut für Hygiene und Umwelt

Gedenken an mehr als 50 ermordete Kinder - Die Welt 10.11.1999

Euthanasie-Opfer der Nazis - Beitrag NDR Fernsehen 29.05.2010

Hitler und das "lebensunwerte Leben" - Andreas Schlebach NDR 24.08.2009
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Brunhild Stobbe, geb. 5.4.1944 in Mentin bei Parchim/Meckl., ermordet am 1.11.1944

Familie Stobbe lebte vor ihrer Evakuierung nach Scharnebeck an der Elbe in der Damaschkestraße 10 in Harburg, wo sie im Juli/August 1943 ausgebombt wurde. Die Familie bestand aus dem Vater Fritz Wilhelm Stobbe, der Mutter Olga Selma Juliane geb. Jentzsch und ihren fünf und dreieinhalb Jahre alten Töchtern Uta und Gudrun. Die Eltern bezeichneten sich als religionslos.
Fritz Stobbe war aus Überzeugung der NSDAP beigetreten. 1938 arbeitete er als Buchhalter bei der D.A.F., Gauverwaltung Ost-Hannover, bis er ca. 1941 zur Wehrmacht eingezogen wurde. Beide Eheleute erkrankten 1943 an Gelbsucht, als Olga Stobbe mit Brunhild schwanger war. Das Kind wurde einige Wochen nach dem errechneten Termin mit einem Gewicht von 4000 g im N.S.V.-Heim in Mentin, (Tel. Marnitz 42) geboren. Fritz Stobbe befand sich zum Zeitpunkt der Geburt seiner jüngsten Tochter bereits in sowjetischer Gefangenschaft; er hat seine Tochter Brunhild nie gesehen.

Von ihrem zehnten Lebenstag an litt Brunhild unter Krämpfen, die vorwiegend nach dem Trinken auftraten und an Häufigkeit zunahmen. Sie erhielt niedrig dosiertes Luminal dagegen. Davon wurde sie schläfrig und trank noch schlechter. Der Arzt Röper vom Stadtkrankenhaus in Parchim wies sie mit der Diagnose "Krämpfe" in das Kinderkrankenhaus Rothenburgsort ein. Dorthin brachte ihre Mutter sie Am 22. April 1944, als sie gerade 18 Tage alt war. Brunhild war trotz ihrer Trinkschwierigkeiten immer noch kräftig. Wegen der Lebensmittelkarten gab es einen Briefwechsel mit dem Krankenhaus. Die Mutter besuchte Brunhild später mehrfach und sprach offenbar mit dem Leiter Wilhelm Bayer oder den Ärztinnen über ihre Krankheit und Therapie.

Die aufnehmende Ärztin vermutete, dass Brunhild an einer Hirnblutung oder einem "Hydrocephalus" litt und begann bereits am folgenden Tag mit den Untersuchungen. Zur Behandlung der Krampfanfälle erhielt Brunhild bei Bedarf Luminal oder andere dämpfende Mittel.
Nach zweimonatiger Beobachtung gab es "kein[en] Anhalt für [eine] anormale cerebrale Entwicklung". Nur zehn Tage später zeigte die Messung von Brunhilds Kopfumfang eine langsame Zunahme, zudem war sie sehr wund. Wegen einer leichten Blutarmut erhielt sie an drei aufeinander folgenden Tagen Transfusionen von Blut, das ihre Mutter ihr spendete; sie vertrug die Bluttransfusionen gut.
Nach den Erfahrungen mit Malaria-Kuren bei Krampferkrankungen wurde auch Brunhild, inzwischen drei Monate alt, mit Malaria-Erregern infiziert. Die Kur hatte den gewünschten Erfolg. Dennoch wurde Brunhild dem "Reichsausschuss" am 16. August 1944 mit der Diagnose "Mikrocephalie" – Kleinköpfigkeit - gemeldet.

Vom 10. August bis zum 25. Oktober 1944 verbrachte Brunhild mit wenigen Unterbrechungen täglich zehn und mehr Stunden im Luftschutzbunker. Am Ende hatte sich ihr Blutbild verbessert, aber sie begann zu fiebern, trank schlechter und zeigte Anzeichen einer Lungenentzündung. Deswegen wurde sie am 30. und 31. Oktober durchleuchtet.
Brunhild starb am 1. November 1944. Sie wurde sieben Monate alt. An ihrem 18. Lebenstag kam sie ins Kinderkrankenhaus Rothenburgsort und verbrachte dort ihr kurzes Leben – belastet mit eingreifenden und qualvollen Untersuchungen und Aufenthalt im Bunker.

Zur Zeit von Brunhilds Tod wohnten ihre Mutter und die Schwestern in Scharnebeck. Olga Fischer, Brunhilds Großmutter mütterlicherseits, die in Eppendorf lebte, nahm die Anzeige beim nun auch für Rothenburgsort zuständigen Standesamt Billbrook vor und ließ Brunhild auf dem Ohlsdorfer Friedhof beerdigen. Im standesamtlichen Sterberegister wurde als Todesursache neben der Pneumonie auch "Idiotie" angegeben.

Nach dem Krieg gestand kein Verantwortlicher die Ermordung Brunhild Stobbes. Wilhelm Bayer behauptete, sie habe zwei Lungenentzündungen gehabt und die zweite habe zum Tode geführt. Die Ärztin Gisela Schwabe gab an, Brunhild sei im Bunker verstorben, während sich die Krankenschwester Charlotte Petersen erinnerte, Brunhild Stobbe sei beim Baden verstorben. Sie habe der Stationsschwester Hanna Westermann eine Einstichstelle gezeigt, die ihr aufgefallen sei, weil Brunhild vorher keine intramuskulären Spritzen erhalten habe. Hanna Westermann konnte sich an diese Begebenheit und den Säugling überhaupt nicht erinnern, obwohl sie wochenlang die Kurventabelle geführt hatte.

Die Kosten für Brunhilds Krankenhausaufenthalt wurden bis auf einen Betrag von RM 44 offenbar von der Barmer Ersatzkasse getragen. Nach Kriegsende trieb das Krankenhaus, diesen Betrag von der Mutter ein.

Epilog

Im Januar 2014 entdeckte Jan Erik Williams, dritter Sohn von Gudrun Williams, geb. Stobbe, aus Edmonton/Kanada im Internet beim Lesen über Euthanasie "zufällig" den Namen seiner Tante Brunhild Stobbe.
Gudrun Williams berichtete, die inzwischen verstorbene Mutter habe nie bezweifelt, dass Brunhild ermordet worden sei. Dass dieser Begriff auf dem Stolperstein steht, empfindet sie als Erlösung von der Ungewissheit über den Tod ihrer Schwester.
Dass Brunhilds Andenken in der Familie lebendig geblieben war, lag an dem persönlichen Kontakt von Brunhilds Mutter zum Personal im Kinderkrankenhaus. Eine Kinderschwester, möglicherweise Charlotte Petersen, hat Tagebuch über "Bruni" geführt und Fotos gemacht, die sie der Familie übergeben hat. Voller Empathie schilderte sie die unaufhaltsame Verschlimmerung von Brunhilds Zustand und fand eigenen Trost darin, dass diese nicht zu leiden scheine. Trotz der Kirchenferne von Brunhild Stobbes Eltern beendet sie ihre Aufzeichnungen mit einem Liedvers von Ludwig Uhland:
Du kamst, du gingst mit leiser Spur,
Ein flücht’ger Gast im Erdenland,
Woher? Wohin? – Wir wissen nur:
Aus Gottes Hand – in Gottes Hand.

Stand: Juni 2014
© Hildegard Thevs

Quellen: StaH 213-12, Staatsanwaltschaft Landgericht – NSG, 0017/001, Bd. II, pass.; 332-5 Standesämter, (StA Bk 443) 1237+ 443/1944; 352-8/7 Staatskrankenanstalt Langenhorn, Abl. 2000/01, 63 UA 6; Tagebuchaufzeichnungen einer Säuglingsschwester; Dank an Gudrun Williams für Korrekturen und Ergänzungen, Mai 2014.

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