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Ernst Hagemann * 1896
Max-Brauer-Allee 71 (Altona, Altona-Nord)
HIER WOHNTE
ERNST HAGEMANN
JG. 1896
VERHAFTET 1939
KZ FUHLSBÜTTEL
SACHSENHAUSEN
ERMORDET 15.2.1942
Ernst Albert Hermann Gottfried Hagemann, geb. am 2.4.1896 in Koblenz, gestorben am 15.2.1942 im KZ Sachsenhausen
Max-Brauer-Allee 71 (Allee 71)
Der aus Koblenz stammende Ernst Hagemann wurde als Sohn des Garnisons-Bauinspektors und späteren Regierungsbaurats Gottfried Hagemann und dessen Ehefrau Emma, geb. Werner, geboren und evangelisch-lutherisch getauft. Er hatte einen Bruder Kurt, der einen Abschluss als Diplom-Ingenieur erlangte und im Ersten Weltkrieg starb. Um 1900 zog die Familie nach Altona, wo Ernst Hagemann das Realgymnasium besuchte und 1914 mit dem Abitur abschloss. 1915 als Soldat des Rostocker Füsilierregiments 90 an die Westfront einberufen, geriet er 1916 in französische Gefangenschaft und wurde erst im Januar 1920 entlassen. Er erlernte den Beruf des Schauspielers am Altonaer Stadttheater, wo er 1920 für eine Spielzeit kleinere Rollen übernahm. 1921 trat er im Vereinigten Theater Elmshorn und dann in Schneidemühl auf. Von 1924 bis 1931 war er dann jedoch in kaufmännischer Anstellung in einer Goldleistenfabrik beschäftigt. Nach dem Tod des Vaters 1930 lebte er allein mit seiner Mutter und arbeitete ab 1933 erneut im Theater.
Von Juni 1934 bis Mai 1937 spielte Ernst Hagemann an der Hamburger Schaubühne. Der dortige Direktor schilderte ihn als ehrlichen, aufrichtigen und bescheidenen Kollegen, der neben dem Schauspielerberuf auch im betrieblichen Vertrauensrat mitwirkte. Im Theater verkörperte er Anfang März 1937 den Bauern Drefeld im Stück "Schorsch Abbelbooms Stammbaum" von Ferdinand Oesau. 1935 war er "aushilfsweise", wie es in den Spielzeitrückblicken hieß, am Deutschen (damals Staatlichen) Schauspielhaus engagiert. Zu seinen Rollen gehörten Hadmar von Kunring (Wächter) in Dietrich Eckarts "Heinrich der Hohenstaufe" (Premiere am 17. Juni 1935) und Aslak (Schmied) in Ibsens "Peer Gynt" (Premiere am 31. August 1935). Von September 1937 bis April 1938 hatte er ein Engagement an der Landesbühne Ost-Hannover und in der Spielzeit 1938/1939 wirkte er bei der Soldatenbühne des kurmärkischen Landestheaters in Luckenwalde mit. Auch in diesen Theatern genoss er unter Kollegen einen ausgezeichneten Ruf, während die Leiter seine künstlerische Begabung und sein starkes Interesse für Sprachen und Literatur schätzten.
Am 6. April 1939 musste sich Ernst Hagemann erstmals vor dem Amtsgericht Hamburg wegen des Vorwurfs der "fortgesetzten Verführung zur Unzucht" nach § 175 a Ziffer 3 verantworten. Hintergrund war eine Beziehung mit einem Jugendlichen der Hitler-Jugend, den er auf der Freilichtbühne des Hamburger Stadtparks kennengelernt hatte. Der Richter verurteilte Ernst Hagemann zu sechs Monaten Gefängnis unter Anrechnung der Untersuchungshaft, die er seit dem 9. Dezember 1938 im Gerichtsgefängnis Altona erlitten hatte. Am 30. Mai 1939 wurde er aus der dortigen Haftanstalt entlassen.
Im September 1939 fand Ernst Hagemanns Name anlässlich eines Polizeiverhörs eines ehemaligen Sexualpartners, des Erpressers Alfredo Grasser (Jg. 1919), den er in den Eilbeker Bürgersälen kennengelernt hatte, Erwähnung. Daraufhin wurde Ernst Hagemann am 26. September 1939 in Polizeigewahrsam genommen und saß vom 1. bis 4. Oktober 1939 unter verschärften Haftbedingungen im KZ Fuhlsbüttel ein, wo er einen Suizidversuch unternahm. Während des Prozesses legte er eine "Lebensbeichte" ab und berichtete von seinen homosexuellen Neigungen. Gegenüber der "Ermittlungshilfe der Strafrechtspflege" betonte seine 81-jährige Mutter: "Mein Sohn Ernst hat diese Veranlagung. Als er noch zur Schule ging, sagte er mir einmal, es sei ihm merkwürdig, daß er seine Kameraden so gerne habe, er fühle sich zu ihnen hingezogen. Er hat sonst einen guten Charakter ... Er ist mir stets ein guter Sohn gewesen, ich könnte mir keinen besseren wünschen." Ihm wurde zur Last gelegt, in den Jahren 1935 bis 1939 mit elf Personen, die teilweise noch keine 21 Jahre alt gewesen waren, homosexuelle Handlungen ausgeführt zu haben, wobei es sich bei den "Taten" meist um das Fotografieren und Abtasten der Körper im nackten Zustand gehandelt hatte. Einige seiner Partner waren offensichtlich Strichjungen, die dafür auch Geld erhielten. Mildernd wurde im Urteil vom 5. März 1940 durch das Landgericht Hamburg berücksichtigt, dass er die gleichgeschlechtlichen Handlungen nur dann vornahm, "wenn es sich bei seinen Partnern offenkundig um Homosexuelle oder Strichjungen handelte". Erschwerend war für ihn das gerichtsärztliche Gutachten des Obermedizinalrats Hans Koopmann, der Ernst Hagemann eine "zweifelhafte kriminalbiologische Prognose" stellte, in ihm "eine Gefahr für Jugendliche" sah und als "beste Sicherungsmaßnahme" seine "freiwillige Entmannung" empfahl, dem sich das Gericht anschloss. Als Wiederholungstäter wurde er wegen "Unzucht und schwerer Unzucht zwischen Männern" nach §§ 175, 175 a Ziffer 3 und 43 nun zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Ab 21. März 1940 verbüßte er die Haft im Strafgefängnis Wolfenbüttel. Gnadengesuche seines Rechtsanwalts und seiner Mutter blieben erfolglos. Der Empfehlung einer "freiwilligen Entmannung" kam er nicht nach. Ein zum Ende der Haftzeit von der Gefängnisleitung in Wolfenbüttel verfasster "Führungsbericht" hielt fest, dass "der Strafgefangene Ernst H. sich hier hausordnungsgemäß geführt [hat]. Seine Arbeitsleistungen genügen. Nach dem Vorleben des H. kann nicht ausgeschlossen werden, dass er durch Verbüßung der Strafhaft soweit gehemmt ist, dass ein Rückfall nicht zu befürchten wäre. Ich halte daher polizeiliche Sicherungsmaßnahmen für notwendig". So ist es nicht verwunderlich, dass er nach vollständiger Verbüßung seiner Haftstrafe am 25. September 1941 nicht in Freiheit gelangte, sondern zur Kriminalpolizei Hamburg überstellt und im Polizeigefängnis Hütten inhaftiert wurde. Von dort gelangte Ernst Hagemann vermutlich am 14. November 1941 durch das Tor mit der Aufschrift "Arbeit macht frei" ins KZ Sachsenhausen, wo ihm seine Effekten abgenommen wurden und er, mit dem Winkel eines "Berufsverbrechers" versehen, die Häftlingsnummer 39955 tragen musste. Bereits für den 15. Februar 1942 ist der Tod des erst 45-Jährigen im dortigen Häftlingsblock 14 vermerkt.
Der Schauspieler Ernst Hagemann lebte mit seiner Mutter in der Max-Brauer-Allee 71 (früher Allee 71) in Altona, wo ein Stolperstein auf seine Biographie aufmerksam macht. Aber auch vor dem Deutschen Schauspielhaus an der Kirchenallee 39, wo er als Schauspieler vermutlich einen Höhepunkt in seiner beruflichen Karriere erlebte, erinnert ein Stolperstein an sein Schicksal.
Stand September 2015
© Bernhard Rosenkranz (†)/Ulf Bollmann
Quellen: StaH 213-8 Staatsanwaltschaft Oberlandesgericht – Verwaltung, Ablieferung 2, 451 a E 1, 1 d; 242-1 II Gefängnisverwaltung II, 16105 und Ablieferung 13; StaH 213-11 Staatsanwaltschaft Landgericht – Strafsachen, 1237/40; StaH 720-1 Plankammer, 132-7_9_45; Mit Dank an Rainer Hoffschildt, Hannover, für eine Auskunft vom 30.1.2015 mit Hinweisen aus dem Niedersächsischen Landesarchiv, Staatsarchiv Wolfenbüttel 43 A Neu 4 Jg. 1938 Nr. 1964 und an Dr. Michaela Giesing, ehemals Theatersammlung der Universität Hamburg, für ihre Recherchen und Auskünfte und an Monika Liebscher, Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen, für eine Auskunft vom 19.11.2014 mit Hinweisen aus dem Russischen Staatlichen Militärarchiv, Moskau, 1367/1/228, Bl. 014 (= Archiv Sachsenhausen, D 1 A/1228, Bl. 015), dem FSB-Archiv, Moskau, N-19092/Tom 98, Bl. 043 (= Archiv Sachsenhausen, JSU 1/98, Bl. 043) und dem Standesamt Oranienburg, Nr. 303/1942 (I), Bl. 36; Rosenkranz/Bollmann/Lorenz, Homosexuellen-Verfolgung in Hamburg, S. 214.