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Carla Cahn (geborene Kuh) * 1895
Hammer Straße 8 (Wandsbek, Marienthal)
HIER WOHNTE
CARLA CAHN
GEB. KUH
JG. 1895
DEPORTIERT 1942
AUSCHWITZ
ERMORDET
Weitere Stolpersteine in Hammer Straße 8:
Siegmund Cahn
Carla Cahn, geb. Kuh, geb. 8.9.1895, deportiert am 11.7.1942 nach Auschwitz
Siegmund Cahn, geb. 9.8.1888, deportiert am 11.7.1942 nach Auschwitz
Hammer Straße 10
Siegmund Cahn wurde am 9. August 1888 in Hamburg als Sohn von Chaim Cahn und Hanna, geb. Simon, geboren. Sein Elternhaus befand sich in der Brüderstraße 3 in der Hamburger Neustadt, einem Wohngebiet städtischer Unterschichten und kleinbürgerlicher Juden. Er hatte noch zwei jüngere Geschwister, Bertha (Jg. 1891) und Selig (Jg. 1892). Wie andere Juden, die Agenturen oder kleine Handelsgeschäfte in dem Quartier in Innenstadtnähe unterhielten, führte auch Cahns Vater dort einen Großhandel mit Trikotagen in Räumen im ersten Stock seines Wohnhauses.
Die religiöse Familie war Mitglied im Synagogenverband der Deutsch-Israelitischen Gemeinde und besuchte wohl die Synagogen Kohlhöfen bzw. am Bornplatz. Siegmund Cahn entrichtete seit 1913 Kultussteuern, wie in der Steuerkartei vermerkt – außer während seiner Abwesenheit im Ersten Weltkrieg. Im selben Jahr war er auch in der väterlichen Firma tätig. Zudem arbeitete er in der nahe gelegenen Kaiser-Wilhelm-Straße 85 im Holstenhof, einem Geschäftshaus mit verschiedenen Agenturen und Firmen. 1920 heiratete er Ester (Else), geb. Lievendag; sie war 1899 in Hamburg geboren worden und stammte aus einer holländischen Familie. Aus der Ehe gingen zwei Kinder hervor: Erich (Jg.1922) und Hannelore (Jg.1923).
Siegmund Cahn hatte inzwischen ein Bankgeschäft eröffnet, das er anfangs in der Brüderstraße 3 betrieb, später in der Schubertstraße 6. Die Familie wohnte nicht weit entfernt am Mundsburgerdamm 35. Mitte der 1920er Jahre – so zeigen die Gemeindesteuern – schwankte sein Einkommen erheblich. 1928 wurde die Ehe geschieden. Der Sohn lebte nun beim Vater, die Tochter bei der Mutter. Ester Lievendag nahm ihren Geburtsnamen wieder an und praktizierte als promovierte Zahnärztin in der Bundesstraße 86. Eine spätere Adresse lautete Kaiser-Wilhelm-Straße 115.
Siegmund Cahn ging 1931 eine neue Ehe ein, mit der aus Altona stammenden Carla, geb. Kuh. Sie war 1895 als Tochter von Philipp Kuh und Regina, geb. Goge, geboren worden. Die Familie Cahn zog in den Grindelhof 64. Im Grindelviertel ergaben sich für Cahn, der offenbar stets noch ein zusätzliches Einkommen benötigte, in den gemeindeeigenen Kultuseinrichtungen Möglichkeiten, nebenberuflich als Kantor tätig zu werden.
Doch als die Jüdische Gemeinde Wandsbek einen Kantor und Hilfsvorbeter suchte, bewarb er sich um die Stelle, die der Hilfskantor Gustav Bleiweiß und der Kantor P. J. Schapira vorübergehend ausübten. Auf das Stellengesuch im viel gelesenen "Israelitischen Familienblatt" gingen etwa 60 Bewerbungen aus ganz Deutschland ein. Der Gemeindevorsteher Benny Beith und Rabbiner Simon Bamberger entschieden sich für Siegmund Cahn. Er erfüllte offenbar die Kriterien für eine nebenberufliche Anstellung besser als andere Bewerber, von denen viele nicht in der Hamburger Region lebten, zwar gerne in Großstadtnähe gewirkt, aber von der Nebentätigkeit allein nicht hätten leben können.
Anfang 1934 trat Cahn sein Amt in Wandsbek an und bezog zunächst eine Wohnung in der Lübeckerstraße (heute Wandsbeker Marktstraße), ab 1935 in der Hammerstraße 10. Das Haupteinkommen verdiente er sich nun als Handelsvertreter. Ab 1935 war er wieder in der Lage, Gemeindebeiträge zu entrichten, was auf eine Konsolidierung der finanziellen Verhältnisse schließen lässt.
Siegmund Cahn begleitete die Wandsbeker Gemeindemitglieder vier Jahre lang als Kantor während der Gebetszeiten und Gottesdienste, die entweder in der Synagoge Langereihe (heute Königsreihe) selbst oder in der daneben gelegenen sogen. Wochentagssynagoge stattfanden, die für kleinere Zusammenkünfte genutzt wurde.
Zum 1. Januar 1938 endete die Selbständigkeit der Jüdischen Gemeinde Wandsbek infolge des zwangsweisen Zusammenschlusses der jüdischen Gemeinden der Hamburger Region zum Jüdischen Religionsverband (JRV) anlässlich des Groß-Hamburg-Gesetzes. Der Vertrag zwischen der Hamburger und der Wandsbeker Gemeinde vom 26. Oktober 1937 regelte die Übernahme der Gemeindeverwaltung und des Kultus und die Stellung der Gemeindebeamten. Siegmund Cahn wurde als Kantor nach Hamburg übernommen.
Er war nun in der Gemeinde-Synagoge Beneckestraße eingesetzt und bezog ein Jahresgehalt, das unter 600 RM gelegen haben soll. Anfang 1938 zog er mit seiner Familie für kurze Zeit in die Rothenbaumchaussee 22, einen Monat später in die Isestr. 30. Zum Haushalt gehörte u.a. eine Bibliothek mit Judaica, deutschen Klassikern und Musikalien, die etwa 500 Teile umfasste.
Der Sohn Erich besuchte die Talmud-Tora-Realschule im Grindelhof, musste seine Ausbildung aber in der Untersekunda abbrechen, da er, wie Carla Cahn der Devisenstelle mitteilte, "als Schüler mit dem Kindertransport im Dezember (1938) nach England kam. Er hat nur die vorgeschriebene Kleidung in kleinem Handkoffer mitgenommen".
Die Tochter Hannelore wurde ebenfalls außer Landes in Sicherheit gebracht. Sie verließ Hamburg zusammen mit ihrer Mutter und deren zweiten Ehemann Siegfried (Salomon) Lievendag, die am 5. Mai 1938 nach Amsterdam auswanderten, wo Verwandte lebten.
Auch die Eheleute Cahn in Hamburg trugen sich anscheinend mit Auswanderungsabsichten. Denn auf der Kultussteuerkarte ist unter der Rubrik "ausgeschieden" vermerkt: März 39 Belgien/USA. Doch dazu kam es nicht, die Hintergründe sind uns nicht bekannt.
Carla und Siegmund Cahn lebten nun allein und fristeten ihr Dasein in immer beengteren und bescheideneren Verhältnissen. Siegmund Cahn ging keiner Erwerbstätigkeit mehr nach, er befand sich nun mit Anfang 50 im Ruhestand. Er zahlte jedoch jeden Monat Gemeindebeiträge, die nach und nach auf ein Minimum sanken, was die prekäre Lage des Ehepaares verdeutlicht.
Anfang 1942 mussten Siegmund und Carla Cahn noch einmal umziehen, zur Untermiete in ein sogen. Judenhaus in der Dillstraße 15, ihre letzte Adresse. Von dort wurden sie am 11. Juli 1942 nach Auschwitz deportiert, wo sich ihre Spur verliert.
Die Tochter Hannelore Cahn besuchte in Amsterdam eine jüdische Mädchenschule und erlernte die niederländische Sprache, die sie bald fließend beherrschte. Nachdem sie sich anfangs noch einer Verhaftung entziehen konnte, wurde sie am 20. Juni 1943 im Durchgangslager für Juden in Westerbork interniert. Dort gehörte sie einer Gruppe junger Frauen an, die vor der Lagerleitung singen und tanzen mussten, wohl wissend, dass sie vor einer Deportation nur geschützt waren, solange sie gute Unterhaltung boten und ausgelassene Stimmung verbreiteten. Hannelore war mit Rob de Vries verlobt, einem jüdischen Schauspieler und Widerstandskämpfer, der sich seit ihrer Inhaftierung kaum noch um sie kümmern konnte. Der etwas ältere, aus Österreich stammende, Hans Eisinger dagegen war selbst Häftling in Westerbork. Als Mitglied der jüdischen Lagerpolizei, die auch die Deportationslisten zusammenstellte, stellte er Hannelore unter seinen Schutz. Doch eines Tages tauchte Rob de Vries wieder auf und überredete sie zur Flucht aus dem Lager. Das Vorhaben gelang, sie wurde bei einer Familie in Amsterdam versteckt. Wegen Hannelores Flucht geriet nun Hans Eisinger unter Druck. Er erhielt von der Lagerleitung den Auftrag, sie zurückzubringen, andernfalls würde er deportiert werden. Hans handelte das Versprechen aus, dass Hannelore keine Repressalien zu erwarten habe, wenn sie zurückkehrte. Im Übrigen wolle er fortan für sie verantwortlich sein, weshalb er beabsichtige, sie zu heiraten. Die Lagerleitung erklärte sich einverstanden, ihr war wohl daran gelegen, die Flucht zu vertuschen, die Missstände im System offenbarte. Hans blieb nur, dem Versprechen zu vertrauen und Hannelore zu finden. Von einer Mitgefangenen erhielt er einen Tipp, so dass er Hannelore schließlich aufspüren konnte. Es gelang ihm, sie zur Rückkehr zu bewegen. Wieder zurück in Westerbork musste sie Verhöre über sich ergehen lassen, weitere negative Konsequenzen ergaben sich daraus für sie wohl nicht. Nachdem ihre Mutter, die mit ihrem Ehemann im Durchgangslager des KZ Vught (Herzogenbusch) inhaftiert war, die Einwilligung zur Eheschließung ihrer noch minderjährigen Tochter gegeben hatte, fand die Trauung im März 1944 in Westerbork statt.
Am 12. April 1945 wurde das Lager von kanadischen Truppen befreit. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich dort noch zirka 900 jüdische Häftlinge, unter ihnen Hannelore und Hans Eisinger. In diesen Tagen kam es auch zur zufälligen Wiederbegegnung zwischen Hannelore und ihrem Bruder Erich Cahn, der den kanadischen Befreiungstruppen als Dolmetscher zugeteilt war.
Auch Hannelores Mutter und Stiefvater überlebten Lagerhaft und Deportation nach Auschwitz. Siegfried Lievendag war allerdings an Typhus erkrankt und starb etwa ein Jahr später an den Folgen. Seine Frau Ester übersiedelte später in die USA, wo sie das 75. Lebensjahr erreichte.
Ende 1945 wurde Roy in Amsterdam geboren, Hans‘ und Hannelores Sohn. Die Familie übersiedelte 1951 in die USA. 1960 kam die Tochter Vera in New York City zur Welt.
Hannelores Bruder Erich Cahn stellte 1956 einen Antrag beim Amt für Wiedergutmachung in Hamburg. Er lebte zu diesem Zeitpunkt in Southport/England, war verheiratet und hatte zwei Kinder. Er befand sich in der Ausbildung zum Rabbiner und war Reverend an der Southport New Synagogue. Die Stelle hatte er nur unter der Voraussetzung erhalten, dass er weiterstudieren und einen Universitätsabschluss erlangen würde. Dieses Ziel konnte er aus Geldmangel jedoch nicht ohne Unterstützung erreichen. Deshalb beantragte er eine Entschädigung für entgangene Ausbildungsmöglichkeiten. Ende der 1960er Jahre übersiedelte er nach Australien. 1999 stellte er ein Gedenkblatt auf die Website der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem mit den Namen seines Vaters und seiner Stiefmutter.
Erich Cahn, der jahrelang als Rabbiner gewirkt hatte, starb 2006 in Australien.
Hannelore Eisinger Cahn verstarb im März 2014.
Stand Dezember 2014
© Astrid Louven
Quellen: 1; StaH 522-1 Jüdische Gemeinden 992e; 2 FVg 3704; StaH Meldewesen 332-8 K 4408; AfW 090888; 8; AB 1913 II; AB 1924 II; Leo Baeck Centre for progressive Judaism, Auskunft von Ruth Jacobs, Administative Secretary, LBC, E-Mail vom 8.5.2007; Jahrbuch 1933/34 Nr. 5 S. 48; 1934/35 Nr. 6 S. 67f.; 1937/38 Nr. 9 S. 140; Ina S. Lorenz, Gründung in: Peter Freimark u. a. (Hrsg.) Juden, S. 81–115; Astrid Louven, Juden, S. 44f., 65; Wikipädia. Stichworte Westerbork und Vught; Hinweis von Miriam Keesing, associated researcher des Netherlands Institute for War Documentation, E-Mails Oktober 2014; StaH Personenstand 332-5 3371 v. 1069/20 und 332-5 13578 v. 14/1931; AB 1932 I+II; Steffie van den Oord, Westerbork Girl, Berlin 2010; Auskunft von Steffie van den Oord, E-Mail vom 17.11.2014; Auskunft von Vera S. Eisinger, E-Mails November/Dezember 2014; Auskunft von Jose Martin vom Archiv Westerbork, Mail vom 2.12.2014.
Zur Nummerierung von Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".