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Gertrud Becher (geborene Thilo) * 1884

Beim Andreasbrunnen 9 (Hamburg-Nord, Eppendorf)


HIER WOHNTE
GERTRUD BECHER
GEB. THILO
JG. 1884
DEPORTIERT 1941
RIGA
ERMORDET

Weitere Stolpersteine in Beim Andreasbrunnen 9:
Heinz Becher, Wilhelm Frank, Emmy Frank, Heinz Frank, Erika Hesse

Gertrud Becher, geb. Thilo, geb. 29.8.1884 in Berlin, am 6.12.1941 nach Riga
deportiert

Haynstraße 15 und Beim Andreasbrunnen 9

Über die Eltern von Gertrud Becher ist wenig bekannt. Im Beisetzungsregister des jüdischen Friedhofs in Berlin-Weißensee konnten folgende Angaben ermittelt werden: Der Vater, August Gerson Thilo, geb. am 29. März 1843, von Beruf Kaufmann, verstarb am 2. November 1893 in seiner Wohnung in Berlin in der Wilhelmstraße 8. Fast genau zwei Monate später, am 6. Januar 1894, verstarb dort auch die Mutter Elise Thilo, geb. Pieck. Beide wurden auf dem Friedhof Weißensee beigesetzt, als Hinterbliebene sind vier minderjährige Kinder angegeben. Da diese noch nicht zur Bezahlung der Beisetzung herangezogen werden konnten, sind ihre Namen nicht aufgeführt. Gertrud war zu dem Zeitpunkt zehn Jahre alt, ihr Bruder Fritz, geb. am 13. Mai 1888, noch keine sechs.

Außer Gertrud gab es noch eine Tochter, deren Vornamen und Geburtsdatum wir nicht kennen, die aber wahrscheinlich älter als Gertrud war. Sie heiratete später einen Mann mit dem Familiennamen Weil und bekam im Juni 1900 einen Sohn namens Hans. Hans Weil und seine 1907 geborene Schwester Frieda Elisa überlebten die nationalsozialistische Verfolgung ebenso wie Fritz Thilo. Er starb 1956 in Mainz. Über das vierte Kind von August und Elise Thilo ist nichts bekannt.

Über Gertruds Kindheit wissen wir nichts. Ob die verwaisten Kinder von Verwandten aufgenommen wurden? Über ihre Schulzeit und eine eventuelle Ausbildung haben wir keine An­ga­ben, wann und wo Gertrud und ihr späterer Mann sich kennengelernt haben, wissen wir ebenfalls nicht. Dieser – Martin Becher – war Jude und wurde am 17. Dezember 1877 in Schrimm (in der Nähe von Posen) geboren. Er arbeitete als Prokurist in der Firma Meyer Adolph Nathan, die als "Manufakturwaren engros und Export", im Börsenverzeichnis eingetragen ist. Am 26. August 1935 ist er "nach längerer schwerer Krankheit" verstorben. Aus einer der Todesanzeigen, die zwei Tage später im "Hamburger Fremdenblatt" erschienen, geht hervor, dass Martin Becher 38 Jahre lang in seiner Firma tätig gewesen war. Er muss also spätestens seit 1897 in Hamburg gelebt haben.

Gertrud und Martin Becher hatten zwei Söhne, den 1909 geborenen Kurt August (siehe "Stolpersteine in Hamburg-St. Georg") und Heinz, Jahrgang 1919 (s. dort).

Die Familie wohnte in der Straße Beim Andreasbrunnen 9. Gertrud Becher war nicht berufstätig, verfügte aber über Vermögen. Es gab Guthaben auf Konten bei der Dresdner Bank, und bei einer Berliner Handelsgesellschaft bestand ein Wertpapierdepot – ihr Mann hatte finanziell gut vorgesorgt.

Im Jahr 1939 bezahlte sie laut Kultussteuerkartei 243 RM und 1940 1287 RM Abgaben an die Jüdische Gemeinde. Spätestens ab März 1939 stand ihr Vermögen unter "Sicherungsanordnung"; laut Oberfinanzpräsident "durfte" sie über 800 RM monatlich "frei" verfügen. Im September 1939 forderte die Devisenstelle sie auf, ihr Vermögen erneut darzulegen, weil die monatliche "Freigrenze" neu festzusetzen sei. In ihrem Antwortschreiben wies sie darauf hin, die "Judenvermögensabgabe" bereits in voller Höhe bezahlt zu haben. Unter ihren monatlichen Ausgaben gab sie 80 RM für eine Hausangestellte an, sowie 20 RM unentgeltliche Zuwendung an Arnold Becher, Berlin, vermutlich der Bruder ihres Mannes, geboren am 1. Juli 1869 in Schrimm. Am 16. Juni 1943 wurde er von Berlin aus nach Theresienstadt deportiert, wo er vier Monate später starb.

Gertruds Sohn Heinz war auf Hachschara, der ältere Kurt befand sich seit November 1938 in den Niederlanden. Gertrud war so vielen Abgaben und Steuern unterworfen, dass sie ihren Lebensstandard nicht halten konnte. Schon im Juli 1938 hatte sie das Grundstück Am Andreasbrunnen 7–9 verkaufen müssen, um die "Judenvermögensabgabe" bezahlen zu können. Als "Reichsfluchtsteuer" wurden fast 35000 RM von ihr eingefordert. Sie musste ihre Wohnung aufgeben und lebte ab Februar 1940 in der Haynstraße 15 bei Benny und Käthe Nathan (s. dort) zur Untermiete.

Im November 1941 stellte der "Konsulent M. Israel Samson", ein jüdischer Rechtsanwalt, für Gertrud Becher beim Oberfinanzpräsidium einen Antrag auf die Freigabe von monatlich 175 RM. Als Zahlungsempfänger und Verwendungszweck ist angegeben: "Kurt Becher, Amsterdam Zuid, Deurloofstraat 121 Beletage (Holland); Unterstützung für den vermögenslosen und bedürftigen Sohn". Die Behörde forderte daraufhin mit deutscher Gründlichkeit einen "amtlich beglaubigten Nachweis für die Bedürftigkeit an". Am 24. November reichte Sam­son eine entsprechende Bescheinigung des Bürgermeisters von Amsterdam ein mit dem Vermerk "Eilt sehr". "Da die Not bei Herrn Becher auch sehr groß ist, bitte ich, die Genehmigung noch so rechtzeitig zu erteilen, dass die Unterstützung möglichst noch für den laufenden Monat angewiesen werden kann."

Es ist äußerst fraglich, ob Kurt Becher von seiner Mutter noch finanzielle Hilfe bekommen hat – sie wurde am 6. Dezember 1941 nach Riga deportiert.Kurt wurde mit seiner Frau Lili Becher-Baar in Sobibor ermordet, Heinz in Auschwitz.

© Sabine Brunotte

Quellen: 1; 2; 4; StaH 351-11 AfW 7551; StaH 314-15 OFP, R 1939/746; StaH 314-15 OFP, 1938/748; StaH 332-8 Meldewesen A 51/1 (Becher, Gertrud); Auskunft Archiv Centrum Judaicum Berlin, E-Mail vom 7.7.2010; Verzeichnis Hamburger Börsenfirmen von 1933; Hamb. Fremdenblatt 107 vom 28.8.1935; Gedenkbuch Koblenz online 30.5.2010;URL www.Joodsmonument.nl/person-522449, Zugriff 18.7.2009.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Recherche und Quellen.

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