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Etla Finkelstein (geborene Rosenscherr) * 1888
Max-Brauer-Allee 247 (Altona, Altona-Nord)
HIER WOHNTE
ETLA FINKELSTEIN
GEB. ROSENSCHERR
JG. 1888
AUSGEWIESEN 1938
NACH ZBASZYN
POLEN
???
Weitere Stolpersteine in Max-Brauer-Allee 247:
Aron Finkelstein, Rosa Finkelstein
Aron Finkelstein, geb. am 15.10.1883, am 28.10.1938 ausgewiesen nach Zbaszyn, Polen
Etla Mania Finkelstein, geb. Rosenscherr, geb. am 13.9.1888, am 28.10.1938 ausgewiesen nach Zbaszyn, Polen
Rosa Finkelstein, geb. am 31.5.1925, am 28.10.1938 ausgewiesen nach Zbaszyn, Polen, Flucht nach Frankreich, am 27.7.1942 Deportation nach Auschwitz, ermordet
Max-Brauer-Allee 247 (Hamburgerstraße 36)
"28.10.38 Fortzug nach Polen". Hinter diesem harmlos erscheinenden Vermerk auf Aron Finkelsteins Kultussteuerkarte bei der Jüdischen Gemeinde verbirgt sich die sogenannte Polenaktion, die Zwangsabschiebung aller polnischen Hamburger Juden und Jüdinnen vom Bahnhof Altona an die polnische Grenze. Seit 1987 erinnert ein Gedenkstein der Bezirksversammlung Altona am zur Museumstraße hin gelegenen Eingang zum Altonaer Bahnhof an diese erste Massendeportation.
Um 1900 hatte sich die Altonaer Jüdische Gemeinde durch den Zuzug jüdischer Familien aus Osteuropa vergrößert. Nach einer Volkszählung von 1890 waren nur etwa zehn Prozent der Altonaer Juden und Jüdinnen "ostjüdisch". Die meisten gehörten dem Mittelstand an, waren Handelsgehilfen, Handwerker oder Geschäftsinhaber, einige waren wohlhabende Industrielle oder Geschäftsleute. Nach der Volkszählung von 1925 waren mehr als die Hälfte der Altonaer jüdischen Bevölkerung Zuwanderer und Zuwanderinnen aus dem östlichen Europa, die keine deutsche Staatsbürgerschaft besaßen. Der Antisemitismus im Osten Mitteleuropas hatte sich infolge der Verarmung großer Bevölkerungskreise verschärft, Juden galten als "Sündenböcke". Dreißig Prozent der Altonaer Juden waren aus Polen eingewandert, zu dem nun auch Galizien (vorher Österreich-Ungarn) und der Westen des heutigen Weißrussland gehörten, beides traditionell jüdische Siedlungsgebiete.
Wann das aus Polen stammende jüdische Ehepaar Aron und Etla Mania Finkelstein nach Altona einwanderte, ist unbekannt. Er, geboren am 15. Oktober 1883, stammte aus dem polnischen Lositz (Losice); sie, eine geborene Rosenscherr, wurde (laut Eintrag auf der Kultussteuerkarte ihres Mannes) am 13. September 1888 in Warschau geboren.
Das Ehepaar Finkelstein bekam zwei Töchter. Am 5. Februar 1915 wurde Regine in Altona geboren. In diesem Jahr war im Adressbuch Altona zum ersten Mal der Name Finkelstein verzeichnet: "Finkelstein, A., Arbeiter, Lerchenstraße 67". Von 1922 bis 1930 wohnten die Finkelsteins in der Hamburgerstraße 36 (heute der Nordteil der Max-Brauer-Allee).
Aron Finkelstein verdiente den Familienunterhalt als Schuhmacher. Er verdiente wenig; ab 1923 als Mitglied der Jüdischen Gemeinde geführt, zahlte er kaum Kultussteuern und war ab 1924 ganz von der Zahlung befreit. Am 31. Mai 1925 kam die zweite Tochter Rosa zur Welt. 1931/32 zog die Familie in die Parallelstraße 30 (heute Eifflerstraße). Aron Finkelstein arbeitete nun als Maler für die Firma von Ivan Levy in der Hamburger Kippingstraße 25. 1933 wohnte die Familie in der Adolphstraße 160 (heute Bernstorffstraße). 1934/35 hatte Aron Finkelstein wieder geringe Steuerbeiträge zu leisten. Ab 1936 wohnten die Finkelsteins in der Gerritstraße 41 in Hamburg-St. Pauli und offenbar kurz vor ihrer Abschiebung nach Polen in der Großen Gärtnerstraße 6 (heute Thadenstraße).
Der erzwungene "Anschluss" Österreichs an das Deutsche Reich am 12. März 1938 ließ viele europäische Staaten einen noch größeren Zustrom jüdischer Emigranten erwarten. Nachdem die deutsche Reichsregierung Juden mit ausländischen Pässen unter Druck gesetzt hatte, befürchtete die polnische Regierung die Rückkehr der zahlreichen im Ausland lebenden Polen. Sie kündigte an, allen Polen, die länger als fünf Jahre im Ausland lebten, zum 30. Oktober 1938 die Staatsangehörigkeit abzuerkennen. Das Deutsche Reich nahm das zum Anlass, im Rahmen der "Polenaktion" etwa 17 000 polnische Juden auszuweisen. Die Polizeidienststellen der Länder bestellten Eisenbahnwagen und Sonderzüge bei den Reichsbahndirektionen für "Sammeltransporte". Am 28. Oktober 1938 wurden in Hamburg etwa 1000 Juden und Jüdinnen polnischer Herkunft verhaftet und über Nacht vom Altonaer Bahnhof ins polnische Grenzgebiet bei Zbaszyn (Bentschen) abtransportiert.
Auch das Ehepaar Finkelstein wurde zusammen mit der dreizehnjährigen, in Altona geborenen Tochter Rosa zwangsabgeschoben.
Polizeibeamte holten die polnischen Familien in einer überraschenden Aktion am frühen Morgen des 28. Oktober aus den Häusern. In einer Turnhalle wurden Hunderte von Menschen festgehalten und schließlich auf Lastwagen zum Bahnhof Altona gebracht. Die Jüdische Gemeinde organisierte spontan eine Versorgung auf dem Bahnsteig mit Lebensmittelpaketen und half denen, die schon Visa für eine Ausreise nach Palästina besaßen, der Abschiebung zu entkommen. In einem Personenzug wurden die Menschen schließlich am Abend fortgebracht, unter ihnen der Kantor Joseph Cysner, der die Stimmung beschrieb: "Jegliche Hoffnung, freigelassen zu werden, schwand, als die Dunkelheit anbrach und wir wie Tiere in Polizeiwagen verfrachtet wurden, die schnell durch die Straßen von Altona fuhren in Richtung Altonaer Bahnhof. Dort wurden wir ausgeladen, eingereiht und mit vier trockenen Scheiben Brot in der Hand in die Zugabteile gesteckt … Wir wussten nicht wohin, wir ahnten nur: nach Polen, an die Grenze! Unser Zug passierte unzählige andere Züge, alle unterwegs in dieselbe Richtung, und mir kamen die Tränen, als ich die ängstlichen Gesichter an die Abteilfenster gepresst sah."
Im deutsch-polnischen Grenzgebiet wurden die Menschen von deutschen Soldaten über die Grenze getrieben. Sie irrten im Niemandsland umher oder harrten am Bahnhof aus, bis sie in Zbaszyn bei Einwohnern oder in Ställen und Baracken unterkamen. Diejenigen, die Verwandte in Polen hatten, konnten innerhalb der ersten zwei Tage ins Landesinnere weiterreisen. Am 31. Oktober 1938 begann die polnische Polizei damit, die Stadt abzusperren und in Zbaszyn ein Lager einzurichten. Eine Ausreise wurde nur unter bestimmten Bedingungen erlaubt.
Auch Aron und Etla Finkelstein wurden bis zu dessen Auflösung im Sommer 1939 im Internierungslager festgehalten. Viele der nach Polen Zwangsausgewiesenen kamen nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht im September 1939 in den Kriegswirren ums Leben oder wurden in die von den Besatzern eingerichteten Gettos und Vernichtungslager deportiert. Das Ehepaar Finkelstein wurde an einen unbekannten Ort verschleppt, es kehrte nie mehr zurück.
Für die bei der Abschiebung dreizehnjährige Tochter Rosa gelang die Ausreise aus Polen nach Frankreich. Nach der deutschen Besetzung wurde sie jedoch aufgegriffen und am 27. Juli 1942 von Drancy, dem Sammellager für Juden bei Paris, ins Vernichtungslager Auschwitz deportiert.
Die ältere Tochter Regine, von Beruf Kontoristin, hatte am 8. September 1938, einige Wochen vor ihrer drohenden Ausweisung, den Juden Egon Samuel Kargauer (siehe ders., S. 90) geheiratet. Nachdem die Eheleute ihre Pläne für eine Auswanderung nach Shanghai nicht realisieren konnten, wurden sie am 25. Oktober 1941 zusammen mit den zwei kleinen Kindern Judis und Denny nach Lodz deportiert und ermordet. Für sie liegen Stolpersteine in der Breite Straße, Ecke Pepermölenbek.
Bei Familie Finkelstein hatten in der Hamburgerstraße 36 auch zwei aus Warschau stammende Verwandte der Familie gewohnt, der Schriftsetzer Petsack Finkelstein, Jahrgang 1910, dem 1935 die Auswanderung nach Palästina gelang, und die Schneiderin Chana Finkelstein, Jahrgang 1908, deren Schicksal unbekannt ist.
Stand September 2015
© Birgit Gewehr
Quellen: 1; 4; 5; 8; AB Altona; Michelsen, Gedenkraum Wohlers Allee; Stadtteilarchiv Ottensen, Bericht von Kantor Joseph Cysner.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".