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Heinz Cleemann, Oktober 1942
© Evangelische Stiftung Alsterdorf

Heinz Cleemann * 1935

Jägerstraße 22 (Harburg, Wilstorf)


HIER WOHNTE
HEINZ CLEEMANN
JG. 1935
EINGEWIESEN 1942
ALSTERDORFER ANSTALTEN
1943 "VERLEGT"
HEILANSTALT MAINKOFEN
AN DEN FOLGEN
TOT 18.6.1945

Heinz Cleemann, geb. am 1.6.1935 in Hamburg, eingewiesen in die Alsterdorfer Anstalten, verlegt in die "Heil- und Pflegeanstalt Mainkofen", dort gestorben am 18.6.1945

Stadtteil Wilstorf, Jägerstraße 22

Heinz Cleemann war das zweite Kind des Kochs Walter Cleemann, geb. am 20.1.1904 in Lübeck, und seiner Frau Ottilie, geb. Küllmann, geb. am 11.1.1906 in Hamburg. Sein Bruder Werner war zwei Jahre älter. Ein anderer Bruder starb im Oktober 1939, zwei Jahre nach seiner Geburt, die Schwester Gisela wurde am 10.10.1940 geboren.

Werner Cleemann und sein Bruder Heinz waren körperlich behindert und in ihrer geistigen Entwicklung zurückgeblieben. Beide litten laut amtsärztlichem Gutachten an "Imbezillität" ("leichtem Schwachsinn") mit "Dystrophia musculorum progressiva" (einer Muskelerkrankung). Ihre sprachlichen Fähigkeiten und ihre Auffassungsgabe waren eingeschränkt. Außerdem galten beide Kinder als schwer erziehbar, trotzig und ungehorsam, wobei Heinz seiner Mutter offensichtlich mehr Schwierigkeiten bereitete als sein Bruder. Als sie das schulpflichtige Alter erreicht hatten, waren sie nicht schulreif, sodass sie mehrfach vom Schulbesuch zurückgestellt werden mussten.

Am 16. Juli 1942 beantragte Ottilie Cleemann die Aufnahme der beiden Jungen in die öffentliche Erziehung, da sie sich von ihrem gewalttätigen Ehemann scheiden lassen wollte und nur ihre Tochter Gisela, nicht aber die beiden Jungen mit in ihr zukünftiges Domizil nehmen konnte. Aus verständlichen Gründen konnten diese jedoch auch nicht bei ihrem Vater bleiben. Der Antrag wurde vom städtischen Jugendamt befürwortet. Am 20. Juli 1942 nahmen die damaligen Alsterdorfer Anstalten Werner und Heinz Cleemann auf.

Der Oberarzt bestätigte bei beiden Brüdern die Diagnose des Harburger Amtsarztes. Drei Monate später hieß es in einem Bericht des Hauses an das Hamburger Landesjugendamt: "Beide [Brüder sind] … infolge ihrer Muskeldystrophie in körperlicher Hinsicht stark behindert, müssen gewaschen und angezogen werden und können sich beide aus liegender Stellung nicht ohne Hilfe aufrichten. Werner ist im Umgang mit seinen Mitpatienten sehr vorlaut, frech und ungezogen und hat häufig Streit mit ihnen. Wird er beobachtet, so tut er, als könnte er nicht bis drei zählen. Er hält sich Tag und Nacht sauber, während Heinz des Nachts sein Bett regelmäßig einnässt und es auch häufig beschmutzt. … Er ist wesentlich friedlicher im Umgang mit seinen Mit­patienten als sein Bruder. Weiterer Anstaltsaufenthalt ist unbedingt erforderlich."

Von einer "Besserung" ist in den nächsten Monaten in der Krankenakte nichts zu erkennen. Eher das Gegenteil. Am 19. Juni 1943 teilte der leitende Oberarzt Kreyenberg der damaligen Alsterdorfer Anstalten der Hamburger Sozialbehörde mit: "Man kann jetzt bei beiden sagen, dass sie in ihren Bewegungen schwerfälliger und unbeholfener werden, als Zeichen eines fortschreitenden Krankheitsprozesses. Es ist also damit zu rechnen, dass beide eines Tages völlig hilfsbedürftig und damit für die Mutter im Haushalt nicht mehr tragbar sind."

Im August 1943 gehörten Werner und Heinz Cleemann zu den 469 Insassen der damaligen Alsterdorfer Anstalten, die auf Initiative von Pastor Friedrich Lensch, dem Direktor des Hauses, in enger Zusammenarbeit mit der Hamburger Gesundheitsbehörde aus Hamburg ab­transportiert wurden.

Am 10. August 1943 wurden sie zusammen mit 111 anderen Alsterdorfer Pfleglingen in die "Heil- und Pflegeanstalt Mainkofen" bei Passau verlegt. Auch in dieser Einrichtung lässt sich für diese Jahre wie bei vielen vergleichbaren Heil- und Pflegeanstalten eine hohe Sterblichkeitsquote feststellen. Von den 113 Alsterdorfer Patienten waren dort Ende 1945 nur noch 39 am Leben. Hunger und Entkräftung trugen wesentlich zu dieser traurigen Bilanz bei. Der so genannte Hungererlass des Bayerischen Staatsministeriums vom 15. Dezember 1942 unterstreicht, dass diese Konsequenz politisch gewollt war. Er schrieb vor, "dass mit sofortiger Wirkung sowohl in quantitativer wie in qualitativer Hinsicht diejenigen Insassen der Heil- und Pflegeanstalten, die nutzbringende Arbeit leisten oder in therapeutischer Behandlung stehen … zu Lasten der übrigen Insassen besser verpflegt werden." Das war praktisch die Anordnung des Hungertods derjenigen, die keine Arbeit mehr verrichten konnten oder nicht in erfolgversprechenden Therapien waren.

Erst als Ottilie Cleemann sich im Dezember 1945 – sieben Monate nach dem Sieg der Alliierten – in Mainkofen nach dem Wohl ihrer beiden Söhne erkundigte, erfuhr sie die traurige Wahrheit, "dass ihr Sohn Heinz Cleemann am 18.VI.45 an Lungentuberkulose verstorben" war. Wegen der völligen Verkehrssperre sei es der An­staltsleitung leider nicht möglich gewesen, seine Familie seinerzeit, wie sonst üblich, umgehend zu benachrichtigen. Heinz Clee­mann wurde gerade einmal zehn Jahre alt. Sein älterer Bruder gehört zu den überlebenden Opfern, die am 19. Dezember 1946 nach Hamburg in die damaligen Alsterdorfer Anstalten zurückkehrten und hier aufgenommen wurden, ohne dass ihr Schicksal besonders gewürdigt wurde.

© Klaus Möller

Quellen: Archiv der Evangelischen Stiftung Alsterdorf, Krankenakte Heinz Cleemanns (V429); Wunder u. a., Kein Halten.

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