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Bereits verlegte Stolpersteine



Rene Paris * 1921

Jessenstraße 1 (Technisches Rathaus) (Altona, Altona-Altstadt)


25. JULI 1943
BOMBEN AUF HAMBURG
DIESE ZWANGSARBEITER AUS
DER VENDEE/FRANKREICH
STERBEN


ER LEBTE IN
L’AIGUILLON SUR MER
RENE PARIS
JG. 1921

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Siehe auch:

Weitere Stolpersteine in Jessenstraße 1 (Technisches Rathaus):
Daniel Boutin, Camille Charpentier, Rene Deau, Marcel Jaulin, Alexandre Lambert, Andre Leger, Hilaire Mars, Guy Mercier, Pierre Rambaud, Jean Rossignol, Roger Roulland, Pierre Trillaud

A la mémoire de

René PARIS

De l’Aiguillon sur Mer, Vendée, France

Déporté au Service du Travail Obligatoire
Le 28 juin 1943
à
Gem-Lager D.A.F.
Internat FF Norderstrasse 23
Altona – Hambourg

Meurt dans la nuit du 24-25 Juillet 1943
lors du premier bombardement de Hambourg par l’aviation Anglaise.

Son corps n’a jamais été retrouvé.


Mort pour la France
In Mémoriam

©


"Macht euch keine Sorgen, es gibt viele Alarme, aber nie fliegt ein Flugzeug über Hamburg."

Französische Zwangsarbeiter im Lager Norderstraße

Dokumentation

Stolpersteine vor dem Technischen Rathaus Altona, Jessenstraße 1–3, Altona-Altstadt

Während der Zeit des weitgehend mit dem Deutschen Reich kollaborierenden französischen Vichy-Regimes, das sich nach der französischen Niederlage gegen Deutschland im Zweiten Weltkrieg etablierte, forderte die deutsche Regierung Arbeitskräfte aus Frankreich an. Doch obwohl Frankreich von kriegsbedingter Arbeitslosigkeit geplagt war, fanden sich nur wenig Freiwillige für den Arbeitseinsatz in Deutschland. Die Arbeitsbedingungen in Deutschland waren bekannt geworden, man hatte von schlechter Ernährung und schlechter Behandlung gehört. Auch das "Zugeständnis" der deutschen Wehrmacht, im Gegenzug französische Kriegsgefangene nach Hause zu schicken, motivierte nicht, da Kriegsgefangene bekanntermaßen wegen Krankheit und Alter ohnehin nach Hause geschickt wurden.

Der von Fritz Sauckel, dem Generalbevollmächtigten für den Kriegseinsatz, geäußerten Arbeitsaufforderung folgten nur 17.000 Franzosen und Französinnen.

Die Gründung des Service du travail obligatoire, des Pflichtarbeitsdienstes, im Februar 1943 brachte schließlich in Verbindung mit einem von der Vichy-Regierung 1942 erlassenen Gesetz, das Männer zwischen 18 und 50 Jahren und Frauen zwischen 21 und 35 Jahren zur Arbeit im Ausland zwangsverpflichtete, eine größere Zahl an Zwangsarbeitern nach Deutschland. Insgesamt hob die Vichy-Regierung 600.000–650.000 Arbeitskräfte für Deutschland aus, von denen ca. 50.000 in Deutschland ums Leben kamen. Im Gegenzug wurden lediglich ca. 100.000 französische Kriegsgefangene nach Hause geschickt, was bei weitem nicht dem verabredeten Verhältnis von drei Zwangsarbeitern gegen einen Kriegsgefangenen entsprach.
Viele Franzosen entschieden sich dafür, in den französischen Untergrund abzutauchen oder sich zu verstecken.

Am späten Abend des 1. Juli 1943 trafen 13 junge Franzosen aus dem Departement Vendée im Zwangsarbeiterlager in der Norderstraße (heute Virchowstraße) in Altona ein. Sie waren den Aufrufen – oft nach langen Überlegungen und Diskussionen – ordnungsgemäß gefolgt.

Bei dem Gebäudekomplex Norderstraße 23 handelte es sich um eine Anlage mit einer Infanteriekaserne an der Norderstraße, einer Dragonerkaserne an der Feldstraße (heute Eschelsweg) und kleineren Gebäuden im Innenbereich. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts für die dänische Armee errichtet, wurde die Anlage ab Ende des Jahrhunderts als Alten- und Siechenheim und als "Irrenanstalt" genutzt. Ab Mitte 1941 wurde die Anstalt geräumt, um Platz für Ausgebombte und schließlich für die Unterbringung von Zwangsarbeitern zu schaffen. Im April 1942 traf die erste Gruppe ein. Es handelte sich um 450 junge Männer aus der Ukraine. Die Ukrainer stellten bis zum Schluss das größte Kontingent in diesem Lager.

Am Morgen des 4. Juli 1943 wurden die Personalangaben der Franzosen in der Hausmeldekartei Norderstraße 23 festgehalten.
Schnell hatten sie sich als Gruppe zusammengefunden, bestand doch in der katholischen Bevölkerung der Vendée traditionell ein enges Zusammengehörigkeitsgefühl. Die Neuankömmlinge wurden zu Hilfsarbeiten im Hafen eingeteilt und einige von ihnen an Binnenschiffer vermittelt.

Obwohl es in den kommenden Nächten öfter Fliegeralarm gab, klammerten sich die jungen Männer an die Tatsache, dass Hamburg bis dahin von wirklich schlimmen Luftangriffen verschont geblieben war und hofften, dass es so bleiben würde.
Doch in der Nacht zum 25. Juli 1943, kurz nach Mitternacht, begann mit der "Operation Gomorrha" eine Serie von alliierten Großangriffen auf Hamburg, die in den folgenden Tagen und Nächten fortgesetzt wurde. Zirka 34.000 Menschenleben und weite Teile des Hamburger Ostens fielen den Bombardements zum Opfer. In dieser ersten Nacht traf es besonders den Kern Altonas, darunter das Zwangsarbeiterlager an der Norderstraße.

Einen Bunker besaß das Lager nicht, nur Keller, die für den Luftschutz verstärkt worden waren. Sie hielten der Wucht der Angriffe nicht stand und diejenigen, die dort Schutz gesucht hatten, wurden verschüttet. Die Überlebenden arbeiteten sich mit ihren Händen aus den Trümmern heraus. Die genaue Anzahl der Toten in diesem Lager ist bis heute nicht bekannt.
Sicher ist, dass 12 junge Franzosen aus der Vendée in dieser Nacht ums Leben kamen. Einer, Jean Rossignol, überlebte, starb aber später an Typhus. Sie gehörten den Jahrgängen 1921 und 1922 an, waren also Anfang 20, als sie ihr Leben verloren. Sechs waren verheiratet und hatten zum Teil kleine Kinder. Alle standen bereits voll im Berufsleben, waren Landwirte, Maurer, Grundschullehrer oder Fischer.

In Altona wurden im Januar 2013 Stolpersteine für die französischen Zwangsarbeiter verlegt. Dies war die Folge der Initiative eines ehemaligen französischen Zwangsarbeiters, Louis Deslandes, der 1943 zusammen mit einem weiteren Zwangsarbeiter die "Operation Gomorrha" im Zwangsarbeiterlager Norderstraße nur knapp überlebt hatte. Die beiden waren verletzt vom Hamburger Kaufmann Hans L. Reineke aufgegriffen und von ihm und seiner Frau mit Nahrung, Medikamenten und Unterkunft versorgt worden. Schließlich stellte er ihnen eine Arbeitsbescheinigung aus, die sie als nicht fahnenflüchtig auswies, und half ihnen damit, über einen Zwischenaufenthalt bei der Firma Bayer/Leverkusen, wo sie auch arbeiteten, Frankreich zu erreichen, wo sie Kriegsende und Befreiung im Untergrund erlebten.

Louis Deslandes war hochbetagt im Herbst 2011 an den Ersten Bürgermeister Olaf Scholz in einem Brief mit der Bitte herangetreten, seiner 13 Landsleute, die bei dem Bombenangriff umgekommen waren, in irgendeiner Form zu gedenken. Olaf Scholz leitete den Brief weiter an die Bezirksversammlung Altona, diese gründete eine Arbeitsgruppe, an der die politischen Fraktionen der Bezirksversammlung Altona, das Stadtteilarchiv Ottensen, die KZ-Gedenkstätte Neuengamme und ihr Freundeskreis, das Gymnasium Allee und die Familie Reineke teilnahmen. Diese Arbeitsgruppe organisierte zwei Gedenkveranstaltungen. Bei der Veranstaltung im Januar 2013, an der auch Angehörige der Zwangsarbeiter teilnahmen, wurden in der Jessenstraße vor dem Technischen Rathaus Altona eine Gedenktafel und 13 Stolpersteine für die ums Leben gekommenen französischen Zwangsarbeiter eingeweiht.

Die Jessenstraße ist nicht der Standort des Zwangsarbeiterlagers. Das befand sich hinter dem Technischen Rathaus in dem Geviert Virchowstraße, Mörkenstraße, Grotjahnstraße und Eschelsweg. Der Standort an der Jessenstraße wurde gewählt, weil das eigentliche Gelände ein heute kaum begangenes Gewerbegebiet ist.

An diese 13 Franzosen wird erinnert:

Daniel Boutin, geboren am 13.3.1922, kam aus Fontenay le Comte, war Hufschmidt von Beruf, verheiratet und hatte eine Tochter.

Camille Charpentier, geboren am 17.11.1922, kam aus Longéves, war Landwirt und ledig.

René Deau, geboren am 20.12.1921, kam aus Beaulieu sous la Roche, war Volksschullehrer und hatte sich am 24. Juni 1943, kurz vor Antritt seiner Zwangsarbeit, verlobt.
Er schilderte in einem Brief an seine Familie die Bedingungen, unter denen die jungen Männer lebten:
"Hamburg Juli 43
Liebe Mama, lieber Papa, lieber Bruder, liebe Patentante, lieber Onkel
Ich schreibe an alle auf einmal, das ist besser und nicht so teuer. Alles geht ganz gut hier. Das Leben plätschert langweilig dahin, aber es ist auf jeden Fall anstrengender, nichts zu tun als zu arbeiten. Es gibt schöne Momente, aber auch harte Schläge auszuhalten. Gerade gestern machten wir böse Miene, denn das Essen war fett und ungenießbar. Heute dagegen wurden wir mit einer ganzen Schüssel gebratenem Reis verwöhnt. Das war erstaunlich, dazu Marmelade, weißes Brot … Ihr könnt es glauben, das macht schon einen Unterschied.
… Wir sind nicht immer willkommen in der Stadt, denn Leute werfen manchmal mit Steinen und Erde nach uns und wir können uns nicht wehren. Aber bei anderen Gelegenheiten ist es auch so, dass uns die Bevölkerung fast sympathisch ist.
… wir hatten uns vorgenommen, den schönsten Zoo Europas zu besuchen, aber der Regen hat es uns nicht erlaubt und wir haben stattdessen Karten gespielt. Wo sind die schönen Abende in Beaulieu? Ich muss oft daran denken und dann packt mich die Traurigkeit. Wieso sind wir hier, frage ich mich, und wenn ich gewusst hätte, was uns erwartet
… Heute haben wir etwas gearbeitet, auf einem Lastkran sollten wir die Farbe erneuern. Zu sagen, wir hätten viel zu tun, wäre eine Lüge, aber mit ein wenig Beschäftigung vergeht die Zeit schneller.
… Macht euch keine Sorgen, es gibt viele Alarme, gestern zum Beispiel vier, aber nie fliegt ein Flugzeug über Hamburg. Ich habe den Eindruck, dass die Engländer nicht über genug Flugzeuge verfügen, um diese Stadt zu erreichen. Habt keine Angst um mich, das Schlimmste, was mir passieren kann, ist, dass ich lange hierbleiben muss, aber Gott wird mich beschützen, denn ich gebe mich ganz in seine Vorsehung."


Marcel Jaulin, geboren am 25.11.1921, kam aus Beaulieu sous la Roche, war von Beruf Volksschullehrer, verheiratet, seine Frau war schwanger mit einem Sohn.

Alexandre Lambert, geboren am 15.4.1921, kam aus L´Aiguillon sur Mer, war Fischer und verheiratet.

André Léger, geboren am 19.11.1922, kam aus Fontenay le Comte, war Holzfäller und Landwirt, verheiratet, seine Frau war schwanger mit einer Tochter.

Hilaire Mars, geboren am 20.11.1922, kam aus Bourneau, war Bäcker und ledig.

Guy Mercier, geboren am 14.4.1921, kam aus Nieul sur L´Autize, war Volksschullehrer und ledig.

René Paris, geboren am 17.5.1921, kam aus L´Aiguillon sur Mer, war Fischer und ledig.

Pierre Rambaud, geboren am 20.9.1922, kam aus Fontaines, war von Beruf Maurer und ledig.

Jean Rossignol, geboren am 26.2.1921 in L´Aiguillon sur Mer, Fischer, ledig. Er starb 1944 an Typhus und wurde auf dem Ohlsdorfer Friedhof beigesetzt. Nach dem Krieg wurde der Leichnam in den Heimatort umgebettet.

Roger Roulland, geboren am 14.1.1921, kam ebenfalls aus L´Aiguillon sur Mer, war Fischer und ledig.

Pierre Trillaud, geboren am 19.12.1922, kam aus Mervent, war Forstwirt, verheiratet und Vater von zwei Kindern. Seine Frau war mit dem dritten Kind schwanger, einem Sohn.

Stand September 2015
© Stephanie Faust, Gaby von Malottki

Quellen: StaH 332-8 Meldewesen (Straßenkartei der Hauskartei); Stadtteilarchiv Ottensen, Aufruf des Service Travail Obligatoire, übersetzt von Stephanie Faust; Deslandes, Nuit d‘enfer, S. 142ff. und 169; Informationen von Sielke Reineke; Bestand Stadtteilarchiv Ottensen, Chronik der Polizeiwache 71; Brief von Louis Deslandes vom 24.3.2011 und Brief von René Deau an die Familie (in Auszügen), Familienbesitz.

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