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Frieda Kohn (geborene Wiener) * 1871

Hallerstraße 42 (Eimsbüttel, Rotherbaum)


HIER WOHNTE
FRIEDA KOHN
GEB. WIENER
JG. 1871
DEPORTIERT 1942
THERESIENSTADT
1942 TREBLINKA
ERMORDET

Weitere Stolpersteine in Hallerstraße 42:
Clara Kaiser, Johanna Kohn, Ella Lange

Frieda Kohn, geb. Wiener, geb. am 5.8.1871 in Regensburg, am 19.7.1942 nach Theresien­stadt deportiert, am 21.9.1942 ins Vernichtungslager Treblinka weiterdeportiert und ermordet

Hallerstraße 42

Frieda Kohn zog im Dezember 1939, 68-jährig, von Regensburg nach Hamburg. Sie stammte aus einer alten jüdischen Familie von Großhändlern, die ihre Geschäfte in Bayern betrieben.

Ihre Eltern Moritz Moses und Ida Wiener, geborene Wiener, kamen aus Floß bei Weiden in der Oberpfalz, wo es eine alte Jüdische Gemeinde gab. Sie erhielten "am 15ten Juný 1869 durch dienstamtlichen Beschluß das Verehelichungszeugniß" in Regensburg und wurden dort im selben Jahr getraut. Moritz Wiener stieg als "Handlungs-Associé" in das Großhandelshaus ein, das sein Vater Abraham und sein Schwiegervater Jakob Wiener in Regensburg betrieben. Laut "Adressbuch für die königlich bayerische Kreishauptstadt Regensburg von 1868" handelte Jakob Wiener mit "Langwaaren", d.h., im Gegensatz zu Kurzwaren ging es um Stoffe, die mit dem Metermaß oder der Elle gemessen wurden. Laut Familienbogen wurde Moritz Wiener seit dem 5. Oktober 1899 als "Großhändler und Bürger" in Regensburg geführt.

Der Vater von Frieda Kohn starb am 6. Oktober 1902, die Mutter am 2. November 1925.

Frieda kam als zweites von fünf kurz hintereinander geborenen Kindern zur Welt. Der ein Jahr ältere Bruder Joseph verstarb schon sechs Monate nach seiner Geburt, sodass Frieda zur Ältesten in der Geschwisterreihe aufrückte. Von der zwei Jahre nach Frieda geborenen Schwester Marie ist im Regensburger Familienbogen vermerkt, dass sie seit Sommer 1900 "als geisteskrank" verschiedentlich in die "Irrenanstalt Karthaus" eingewiesen wurde. Wieder entlassen, wohnte sie dann zu Hause bei den Eltern. Frieda war zu dieser Zeit bereits verheiratet und im Elternhaus am Haidplatz 4 in eine eigene Wohnung ein Stockwerk höher eingezogen.

In der Geschwisterfolge stand als viertes Kind die am 21.10.1874 geborene Schwester Hedwig. Sie heiratete 1898 einen Kaufmann, der aus Pommern stammte und in Cannstatt/ Württemberg wohnte.

Friedas jüngster Bruder, Jakob, wurde am 8.5.1879 geboren. Nach seiner Militärzeit lebte er seit Dezember 1918 bei seiner Mutter am Haidplatz 4/I. Für die Zeit nach der nationalsozialistischen Machtübernahme enthält der Familienbogen Vermerke über Aufenthalte in Freiburg i.Br. (6. September 1934), in Köln (19. Februar 1936) und Kiel (31. Dezember 1938). Die Hamburger Jüdische Gemeinde verzeichnete eine Einzahlung für die Jahre 1933/34. Vielleicht handelte es sich bereits um Erkundungsreisen für einen Wohnort außerhalb Bayerns. Im März 1940 jedenfalls heiratete Jakob Wiener in Hamburg eine Channa Niessengart aus Odessa, die einen 20-jährigen, in Altona geborenen Sohn Gregor hatte (vgl. www.stolpersteine-hamburg.de).

Frieda Wiener hatte kurz vor ihrem 23. Geburtstag den Kaufmann Gustav Kohn geheiratet, den Sohn eines Viehhändlers aus Ebelsbach im Bezirk Hassfurt, wo ebenfalls eine Jüdische Gemeinde existierte. Das Brautpaar wurde am 10. Juli 1894 in Nürnberg getraut. Die Ehe blieb kinderlos. Für Frieda und ihren Mann wurden in Regensburg seit 1916 mehrfach Reisepässe "für das Inland" ausgestellt und verlängert, weil seit Beginn des Ersten Weltkriegs Pässe für alle Einwohner in Deutschland als Legitimationsdokumente verbindlich wurden. Mit ihrem Mann lebte Frieda Kohn im alten Familienwohnsitz: Haidplatz 4/II, an einem der besonders schönen Plätze im Stadtkern von Regensburg.

Hier erlebte sie, dass ihr Vater das Bürgerrecht erhielt, welches auf ein Edikt des bayrischen Reformers Graf Montgelas von 1813 zurückging. Hier erlebte sie auch das Ende des Kaiserreichs und die endgültige rechtliche Gleichstellung der Juden in der Weimarer Republik. Diese half den Juden in Bayern allerdings insofern wenig, als zugleich der Schutz der liberalen Fürsten entfiel und sie stattdessen von immer stärker werdenden nationalistischen Kräften in der Bevölkerung als Sündenböcke für den verlorenen Krieg und alle Übel der Zeit nach dem Scheitern der "jüdischen" Räterepublik in München verantwortlich gemacht wurden.

Mit dem Aufstieg Hitlers und der nationalsozialistischen Bewegung wurde die antisemitische Hetze in Bayern immer vulgärer. Der aus Nürnberg angereiste Lehrer und spätere Herausgeber des "Stürmer", Julius Streicher, konnte beispielsweise schon im Dezember 1927 straflos vor über 250 zum Teil begeisterten Zuhörern in Regensburg über den 1919 ermordeten Ministerpräsidenten Kurt Eisner als "verlauste Sau" herziehen und dazu aufrufen, nicht nur Juden, sondern auch Mitglieder anderer Parteien aufzuhängen.

Die Wieners waren fest in die Jüdische Gemeinde integriert, die, wie vielerorts, in Konservative und Liberale gespalten war. Man stritt sich um "absolute Thoratreue" oder "liberale Assimilation". Bei einer Volkszählung 1925 wurden 514 "Israeliten" in Regensburg regis­triert. Die Liste der 108 wahlberechtigten Männer der Jüdischen Gemeinde enthielt auch die Namen: Gustav Kohn, Friedas Ehemann, und den ihres Bruders Jacob Wiener, der im selben Haus wohnte. Bei Wahlen zum Vorstand der Kultusgemeinde im Dezember 1926 – erstmals durften auch Frauen wählen – kandidierte Gustav Kohn erfolgreich bei der (konservativen) "Vereinigung Jüdisch-Religiöse Mittelpartei und Rechtsstehende Liberale Juden" gegen die "Jüdisch Liberale Wahlvereinigung". Das Ende der Jüdischen Gemeinde in Regensburg erlebte er nicht mehr: Gustav Kohn starb am 11. November 1928 in München.

Hautnah erlebten die Geschwister Frieda und Jakob die Zusammenrottungen der Nationalsozialisten zum organisierten Boykott jüdischer Geschäfte Anfang April 1933. Nach einer Zeugenaussage in einem Nachkriegsprozess teilte ein SA-Führer im Hof der Feuerwehr am Haidplatz verschiedene Gruppen zum Boykott einzelner Läden von Israeliten ein. "Dabei lernten die Braunhemdenträger die zwei Wörter ,Juden raus‘ zu skandieren."

In der Folgezeit wurde die gesetzliche Entrechtung der Juden vorangetrieben. Geschäftsleute, die mit Juden verkehrten, bekamen keine städtischen Aufträge mehr, Gastwirte wurden unter Druck gesetzt, keine Juden mehr zu bewirten. Die Juden wurden von den Märkten verdrängt, ihre Häuser und Geschäfte wurden beschmiert. Die "Arisierung" privaten und geschäftlichen Besitzes wurde intensiviert. Den Höhepunkt erreichten die Angriffe auch in Regensburg während des Novemberpogroms 1938. Der Regensburger Oberbürgermeister Otto Schottenheim persönlich verhinderte die Löscharbeiten an der Synagoge in der Schäffnerstraße. Die Feuerwehr wartete am Haidplatz lange auf die Order zum Einsatz. Gestattet wurde lediglich der Schutz der Nachbargebäude.

Angesichts der sich steigernden antisemitischen Stimmung der Bevölkerung und der administrativen Entrechtung wurde der Druck auf die noch verbliebenen jüdischen Bewohner Regensburgs unerträglich. Die Stadt wollte "judenfrei" werden. So verließen im Oktober 1939 auch die nun 68-jährige wohlhabende Witwe Frieda Kohn und ihr Bruder den familiären Stammsitz und Lebensmittelpunkt in Regensburg, um nach Hamburg zu ziehen. Beide hegten wohl die Hoffnung, dort bessere Lebensbedingungen zu finden als in Bayern.

In Hamburg lebten Frieda Kohn und Jakob Wiener unter verschiedenen Adressen. Jakob Wiener zog in die Eichenstraße 22, Frieda Kohn zunächst an den Hansaplatz 8. Wie alle Juden waren sie in dieser Zeit bereits ihres Eigentums weitgehend beraubt. In Regensburg wurden sie gezwungen, eine Sicherungshypothek auf das Haus am Haidplatz aufzunehmen, um die hohe "Judenvermögensabgabe" nach dem Novemberpogrom 1938 und andere Steuern bezahlen zu können. Für Frieda Kohn wurden 25.500 RM angesetzt und eingezogen. Ihr Konto wurde gesperrt. In Hamburg hatte sie für die Jahre 1941 und 1942 mit je 1000 RM hohe, nach ihrem Vermögen berechnete Beiträge an Kultussteuer zu zahlen.

Jacob Wiener und seine Frau Channa erhielten, ebenso wie ihre Wirtsleute in der Eichenstraße, den Deportationsbefehl für den Transport ins Getto von Minsk am 8. November 1941. Dort verliert sich ihre Spur. Channas Sohn Gregor war einen Monat zuvor – drei Tage vor seinem 22. Geburtstag – von Fuhlsbüttel, wo er seit November 1938 inhaftiert war, nach Lodz deportiert worden.

Frieda Kohn zog in den knapp anderthalb Jahren in Hamburg fünfmal um. Deportiert wurde sie schließlich aus der Schlachterstraße 40, einem der "Judenhäuser". Zuvor hatte sie für den "Heimeinkaufsvertrag", die Unterbringung in Theresienstadt, ihr restliches Vermögen von 47.720 RM überschreiben müssen. Die 71-Jährige überlebte die ersten beiden Monate in dem überfüllten Getto. Am 21. September 1942 wurde sie mit tausenden anderen ins Vernichtungslager Treblinka abtransportiert und dort ermordet.

Stand: September 2016
© Bruno Lowitsch

Quellen: StaH 351-11, 1805; Stadtarchiv Regensburg, Familienbögen Wiener Moritz; Kohn Gustav; Kohn Frieda, Wiener Jakob; Auskünfte und Materialien Dr. Ingrid Dobroschke, Regensburg, v. 19.10.2014; div. Auskünfte Jürgen Sielemann, Hamburg; Wittmer, Regensburger Juden, S. 238–258, 273–277, 314–317; http://de.wikipedia.org/wiki/Otto_Schottenheim (Zugriff 2.1.2015); Halter, Stadt unterm Hakenkreuz, S. 183–198.

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