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Bereits verlegte Stolpersteine



Herbert Gustav Specht * 1923

Maria-Louisen-Straße 2 (Hamburg-Nord, Winterhude)


HIER WOHNTE
HERBERT GUSTAV
SPECHT
JG. 1923
FLUCHT HOLLAND
INTERNIERT WESTERBORK
DEPORTIERT 1943
AUSCHWITZ
ERMORDET 3.9.1943

Weitere Stolpersteine in Maria-Louisen-Straße 2:
Clara Nordheim, Moritz Nordheim, Walther Henry Specht

Herbert Specht, geb. 3.9.1923 in Hamburg, deportiert 31.8.1943 vom Lager Westerbork nach Auschwitz

Maria-Louisen-Straße 2 (Winterhude)

Herbert Gustav Specht war am 3. September 1923 in Hamburg-Eppendorf als erstes Kind des Hamburger Kaufmanns Walther Specht (1884-1943) und Gertrud "Trude", geb. Franck (geb. 10.7.1900 in Berlin) geboren worden. Seine Eltern hatten am 25. Februar 1922 in Hamburg geheiratet. Die Mutter hatte 1919 an einem Realgymnasium das Abitur abgelegt und kurzzeitig im Springer-Verlag in Berlin gearbeitet.

Herbert Specht besuchte seit Frühjahr 1930 die Bertram’sche Vorschule für Knaben (Esplanade 42), die die Schüler nach vier Jahren verließen, um auf ein Gymnasium zu wechseln. Hier lernten jüdische und nichtjüdische Schüler aus wohlhabenden Hamburger Familien. Nach Herbert wurde am 2. Oktober 1926 der Bruder Edgar in Hamburg geboren, auch er besuchte ab April 1933 die Bertram’sche Vorschule für Knaben.

Die Familie wohnte in gutbürgerlichen Stadtteilen, die Wohnadressen lauteten Eppendorfer Landstraße 44 Hochparterre/ Eppendorf (1922-1932) und Maria-Louisen-Straße 2 I. Stock/ Winterhude (1933-1935). Für die letztgenannte Wohnung waren zwei "Haushaltshilfinnen" angestellt. Die Wohnadressen deuten auf großzügige Wohnungen mit gehobener Ausstattung hin, zu der auch Gemälde gehörten. Möglich war dieser Lebensstandard, weil Herberts Vater Walther Specht seit August 1923 alleiniger Inhaber des Bankgeschäfts Hermann Hamberg (Gutruf-Haus, Neuer Wall 10, III. Stock) war.

Die Maßnahmen der NS-Regierung hatten seit 1933 das Ziel, alle Juden in Deutschland aus sämtlichen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens zu verdrängen; zum 1. April 1933 organisierte die NSDAP landesweite Boykotte gegen jüdische Geschäfte. Der Bankier Walter Specht reagierte relativ schnell auf diese Entwicklung in seinem Heimatland: 1935 verließ er das Bankgeschäft mit seiner Einlage von rund 400.000 Reichsmark und emigrierte am 29. Dezember 1935 mit Frau und Söhnen in die Niederlande. Die staatlichen Stellen NS-Deutschlands beraubten ihn mit dem äußerlichen rechtmäßigen Anschein durch Gesetze so, dass die Familie über die Hälfte ihres Vermögens einbüßte (Reichsfluchtsteuer 100.000 RM, Transferverluste in die Niederlande 102.000 RM, Judenvermögensabgabe 14.500 RM).

Für die neutralen Niederlande galt zur Zeit der Einreise der Familie Specht eine visumsfreie Einreise; die Amsterdamer Fremdenpolizei verschärfte jedoch die Asylpraxis und gab ab 1935 nur noch vorläufige Aufenthaltsgenehmigungen aus. Spechts schickten ihren Hausrat in einem großen Transportcontainer in die Niederlande. Sie bezogen ein Haus in Heemstede (Franz Schubertlaan 50) westlich von Amsterdam. Edgar besuchte in Heemstede die "Dreefschool (Lagere School)" und wechselte 1939 nach bestandener Aufnahmeprüfung auf das Kennemer-Lyzeum im benachbarten Overveen (Bloemendaal), das auch Herbert bis September 1940 besuchte.

Herberts Vater eröffnete auch in den Niederlanden 1936 ein eigenes Bankgeschäft. Ende 1938 wurden alle Einwanderer in den Niederlanden aufgefordert sich neue Aufenthaltsdokumente zu besorgen; die dadurch ermittelten "illegalen Einwanderer" wurden im Lager Westerbork interniert. Da Familie Specht legal in die Niederlande eingereist war und zudem noch eine größere Kapitalsumme eingeführt hatte, war sie von dieser Gesetzesverschärfung nicht betroffen. Beunruhigt durch die aggressive Expansionspolitik NS-Deutschlands bemühte sich Herberts Vater mit seiner Familie in die USA zu emigrieren; die Versuche blieben jedoch erfolglos.

Mit dem Einmarsch der Wehrmacht in die Niederlande im Mai 1940 begann nun auch hier die Judenverfolgung. Familie Specht musste ihr Haus in Heemstede Mitte September 1940 verlassen, da sie gemäß Anordnung der deutschen Besatzer als deutsche Juden nicht im küstennahen Bereich leben durften. Sie zogen nach Hilversum rund 40 km östlich ihres bisherigen Wohnorts. Aber auch von hier vertrieben sie die Besatzer – Mitte März 1942 mussten sie nach Amsterdam umziehen. Dort wohnten sie in der Noorder Amstellaan 129 II. Stock (im Mai 1946 umbenannt in Churchill-Laan 129).

Auf Befehl der Besatzer durfte der Sohn Edgar ab Februar 1942 in Amsterdam nur noch die Jüdische Schule besuchen. Der ältere Sohn Herbert besuchte in Driebergen bis Anfang 1942 das "Institut für Autohändler" (gegründet 1930, heute IVA Driebergen). Nachdem das Deutsche Reich ihnen zum 11. November 1941 die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt hatte, waren sie staatenlos, eine legale Emigration war damit unmöglich geworden. Bereits beantragte Visa auf die deutschen Reisepässe waren nun plötzlich wieder ungewiss geworden. Lediglich von den wenigen nicht besetzten europäischen Häfen mit Überseeverkehr wie Marseille, Barcelona oder Lissabon aus war eine Schiffspassage mit den nun ungültigen Reisepässen denkbar.

Die deutsche Besatzungsmacht führte zum 2. Mai 1942 auch in den Niederlanden das Tragen des Judensterns ein. Durch Razzien und Denunziation wurden Juden verhaftet und im Sammellager Westerbork interniert, das Anfang Juli 1942 von der SS übernommen wurde. Spechts entschieden sich, mit Hilfe von Schleusern in die noch unbesetzte französische Südzone zu fliehen. Um die Kosten für die Flucht zu bestreiten, musste Herberts Vater ein Bild von Maurice Utrillo für 8.000 Gulden (ungefähr 5.850 RM) verkaufen.

Die vierköpfige Familie Specht floh mit falschen Papieren und bezahlten "Passeuren" (Schleppern) im Juli 1942 illegal durch das besetzte Belgien in das besetzte Frankreich. "Wir konnten nur gelegentlich und nur für kurze Strecken die Eisenbahn benutzen, niemals bei Überschreitung der Landesgrenzen, da unsere gefälschten Papiere einer Grenzkontrolle nicht standgehalten hätten. Wir legten grosse Strecken zu Fuss zurück und überschritten die Grenze nachts, was häufig erst nach tagelangem Warten und vielen vergeblichen Versuchen möglich war", berichtete Gertrud Specht in den 1950er Jahren im Zuge des Entschädigungsverfahrens. Von Paris wollten sie in das noch nicht okkupierte Vichy-Frankreich flüchten.

"Kurz nach Überschreiten der Demarkationslinie wurden wir von einer Patrouille angehalten", erinnerte sich Gertrud Specht. Sie wurden verhaftet und am 3. September 1942 für wenige Wochen ins Lager Gurs an die Pyrenäen gebracht. Von dort schrieb Walther Specht an seinen emigrierten Neffen William H. Philip (geb. 1915) in San Francisco, dass ihnen zwar ein Visum für Guatemala vorläge, aber "es ist eine sehr fatale Geschichte, wo wir doch nun schon seit mehr als 3 Jahren (beinahe schon 4 Jahre sind es jetzt) die Absicht haben, unser Domizil nach dort zu verlagern und immer wieder an der Ausführung gehindert worden sind." Auch die Ehefrau und die Söhne Herbert und Edgar schrieben einige Sätze auf den Brief, von denen ein Satz von der Lagerzensur geschwärzt wurde. Nach einer zwischenzeitlichen Verlegung ins Lager Rivesaltes (an den Pyrenäen, Nähe Mittelmeer), rund 45 km von der spanischen Grenze entfernt, das seit der deutschen Besetzung im November 1942 einem deutschen Befehlshaber unterstand, kamen sie im November 1942 abermals ins Lager Gurs. Dabei gelang es den Eltern, die Söhne Herbert und Edgar illegal in dem Ort Chambon zu verstecken. Ende Februar 1943 wurde Walther Specht in Richtung Paris deportiert; Gertrud Specht (1900-1981) gelangte im Juni 1943 durch das Engagement des Priesters Alexander Glasberg (1902-1981) aus dem Lager Gurs heraus und wurde im März 1944 weiter in die Schweiz geschleust, wohin im Juni 1943 bereits der jüngere Sohn Edgar in Sicherheit gebracht worden war.

Auch Herbert Specht floh aus dem französischen Lager. Er war von Rivesaltes zusammen mit anderen jungen Leuten nach Cambon gebracht worden. Im Dezember 1942 kehrte er gemeinsam mit einem jungen Mann mit gefälschten Papieren in die Niederlande zurück, wo er sich bis 1943 versteckt halten konnte. Am 26. August 1943 wurde er vom Sicherheitsdienst (SD) der SS aufgespürt und ins Lager Westerbork gebracht. Hier traf er seinen Cousin Gerhard Friedberger (geb. 1921 in Hamburg), der sich später erinnerte, dass Herbert Specht auch nach vier Monaten Lagerhaft und acht Monaten im Versteck noch "im vollen Besitz seiner körperlichen und nervlichen Kräfte" gewesen sei.

Von Westerbork deportierte die SS Herbert Specht am 31. August 1943 ins Vernichtungslager Auschwitz, wo er am 3. September 1943 eintraf; Angaben zu seinem Tod sind nicht erhalten.

Sein Vater Walther Specht wurde Ende Februar 1943 aus dem Lager Gurs in das Sammellager Drancy bei Paris überstellt. Von dort wurde er Anfang März 1943 in eines der im besetzten Polen errichteten Vernichtungslager Majdanek oder Sobibor deportiert und ermordet. (Auch das Bundesarchiv Koblenz nennt in seinem Gedenkbuch beide Orte).

Stand: August 2020
© Björn Eggert

Quellen: Staatsarchiv Hamburg (StaH) 213-13 (Landgericht Hamburg, Wiedergutmachung), 10777 (Henry Walther Specht); StaH 213-13 (Landgericht Hamburg, Wiedergutmachung), 25206 (Walther Specht); StaH 231-7 (Handelsregister) A 1 Band 60 (Hermann Hamberg, HR A 14476); StaH 314-15 (Oberfinanzpräsident), F 2139 (Walther Specht); StaH 342-2 (Militärersatzbehörden), D II 115 Band 7 (Walther Specht); StaH 351-11 (Amt für Wiedergutmachung), 7468 (Gertrud Specht); StaH 351-11 (Amt für Wiedergutmachung), 7469 (Edgar Specht); StaH 351-11 (Amt für Wiedergutmachung), 23305 (Gertrud Specht); StaH 351-11 (Amt für Wiedergutmachung), 45721 (Herbert Gustav Specht); StaH 522-1 (Jüdische Gemeinden), 992b (Kultussteuerkartei der Deutsch-Israelitischen Gemeinde Hamburg), Walther Specht; Stadsarchief Amsterdam, Archiefkaarten van Persoonskaarten, Walther Specht, Gertrud Specht; Yad Vashem, Page of Testimony (Walther Specht 1999, ohne Foto); Hamburger Börsenfirmen, Hamburg 1910, S. 241 (Hermann Hamberg, Fondsmakler u. Vertr. v. Londoner Stockbrokers, Börsenplatz: Pfeiler 63 Sitz a, eingetragen 1890, Inhaber: Hermann Hamberg u. August Specht, Prokurist: Walther Henry Specht, Neuer Wall 16-18); Hamburger Börsenfirmen, Hamburg 1926, S. 375 (Hermann Hamberg, Bankgeschäft, gegr. 1885, Inhaber: Walther Henry Specht, Prokurist: Julius Philip, Neuer Wall 16-18); Hamburger Börsenfirmen, Hamburg 1935, S. 306 (Hermann Hamberg, Bankgeschäft, gegr. 1885, Inhaber: Walther Henry Specht, Prokurist: Otto Hertmann, Neuer Wall 10 III. Stock); Frank Bajohr, "Arisierung" in Hamburg. Die Verdrängung der jüdischen Unternehmer 1933-1945, Hamburg 1998, S. 358 (Hermann Hamberg); Maike Bruhns, Geflohen aus Deutschland. Hamburger Künstler im Exil 1933-1945, Bremen 2007, S. 167-168 (Niederlande); Claus-Dieter Krohn/ Patrick von zur Mühlen/ Gerhard Paul/ Lutz Winckler (Hrsg.), Handbuch der deutschsprachigen Emigration 1933-1945, 2008, S. 321-333 (Niederlande); Frank Kuitenbrouwer, Raubkunst aus dem Zweiten Weltkrieg in den Niederlanden, in: Inka Bertz/ Michael Dorrmann, Raub und Restitution. Kulturgut aus jüdischem Besitz von 1933 bis heute, Göttingen 2008, S. 259-265; Adressbuch Hamburg (Walther Specht) 1924, 1926, 1927, 1932-1934; https://www.joodsmonument.nl/en/page/219918/walter-henry-specht (mit Foto, eingesehen 25.09.2019).

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