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Bertha Cohen (geborene Simon) * 1857

Großneumarkt 56 (Hamburg-Mitte, Neustadt)


HIER WOHNTE
BERTHA COHEN
GEB. SIMON
JG. 1857
DEPORTIERT 1942
THERESIENSTADT
ERMORDET 13.10.1942

Weitere Stolpersteine in Großneumarkt 56:
Sella Cohen, A(h)ron Albert Cohn, Thekla Daltrop, David Elias, Theresia Elias, Louisa(e) Elias, Helene Martha Fernich, Martha Minna Fernich, Camilla Fuchs, Siegmund Josephi, Robert Martin Levy, Hertha Liebermann, Fritz Mainzer, Elsa Nathan, Ruth Nathan, Siegfried Neumann, Fanny Neumann, Lieselotte Neumann, Mirjam Neumann, Max Leo Neumann, Therese Neumann, Bela Neumann, Josef Polack, Bertha Polack, Eva Samuel, Rosa Therese Weil, Bernhard Weil, Rosa Weinberg, Siegfried Weinberg

Bertha Cohen, geb. Simon, geb. am 18.8.1857 in Hamburg, deportiert am 19.7.1942 nach Theresienstadt, dort gestorben am 13.10.1942
Sella Amalia (Amalie) Cohen, geb. am 7.10.1893 in Hamburg, verlegt aus der Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn am 23.9.1940 in die Tötungsanstalt Brandenburg/Havel
Bernhard Weil, geb. am 23.7.1886 in Altona, deportiert am 8.11.1941 nach Minsk
Rosa Therese Weil, geb. Cohen, geb. am 1.3.1896 in Hamburg, deportiert am 8.11.1941 nach Minsk

Großneumarkt 56

Bertha Cohen kam als Tochter des "Gold- und Silberarbeiters" Isaac Behr Simon und dessen Ehefrau Sara, geb. Frank, am 18. August 1857 in der Neustädter Neustraße 86 (heute Neustädter Straße) zur Welt. Zwei Jahre nach ihrer Geburt zogen ihre Eltern in die Schlachterstraße 20. Dieses Haus konnte ihr Vater 1879 käuflich erwerben. Isaac Behr Simon besaß ein Juweliergeschäft in der Wexstraße 1c. Als er am 29. Juni 1896 im Haushalt seiner älteren Tochter Emma Marbach, geb. Simon (geb. 28.12.1849, gest. 5.12.1932), in der Grindelallee 184 verstarb, wurde er noch auf dem alten jüdischen Begräbnisplatz am Grindel, neben seiner bereits am 22. März 1871 verstorbenen Ehefrau Sara, beigesetzt.

Bertha war mit dem am 12. September 1845 in Wesselburen, Kreis Dithmarschen geborenen Geschäftsreisenden Joseph Hirsch Cohen verheiratet und bekam fünf Kinder. Der älteste Henry Jire wurde am 12. September 1892 in der Altonaerstraße 60 geboren, seine Schwester Sella folgte am 7. Oktober 1893 in der Rosenhofstraße 10, ebenfalls im damaligen Stadtteil St. Pauli. Rosa Therese kam am 1. März 1896 in der Wohnung im Alten Steinweg 63 zur Welt. Die jüngsten Minna Lea, geboren am 14. Februar 1897, und Ella Wilhelmina, geboren am 22. Mai 1899, starben noch im Jahr ihrer Geburt.

1907 wechselte Familie Cohen in das jüdische Hertz-Joseph-Levy-Stift am Großneumarkt 56. Joseph Hirsch Cohen war während seines Militärdienstes im Jahre 1876 schwer verletzt worden und bezog eine Invalidenrente. Er starb am 2. August 1915.

Sella und ihre Schwester Rosa erlernten nach ihrer Schulzeit den Beruf der Kontoristin und lebten beide im Haushalt ihrer Mutter. Am 25. Oktober 1918 wurde Sella wegen einer "Melancholie" aus dem Israelitischen Krankenhaus in die Staatskrankenanstalt Friedrichsberg eingewiesen. Zwar wurde sie nach drei Wochen nach Hause entlassen, doch sollten noch drei weitere Einweisungen folgen. Endgültig wurde sie mit der Diagnose "Dementia praecox" (vorzeitige Demenz) am 7. August 1920 aufgenommen.

Nach Angaben ihres Bruders erkrankte sie im Oktober 1918, begann Stimmen zu hören und Gestalten zu sehen. Sie beschäftigte sich mit religiösen Dingen, behauptete eine Seherin zu sein, ein höheres Wesen, ein Engel. Sella Cohen war sehr unruhig und erregt. Ihre Sinnestäuschungen und Wahnvorstellungen wurden von Stimmungsschwankungen begleitet, mal war sie heiter, dann weinte sie. Oft drängte sie auf Entlassung, geriet dann außer sich und wurde handgreiflich. Nach mehreren Fluchtversuchen wurde sie mit Dauerbädern und Medikamenten ruhig gestellt.

Sella Cohen wurde am 30. April 1923 in die Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn verlegt. Eine "Fieberbehandlung" mit Malaria-Erregern erbrachte 1928 nicht die erhoffte Besserung ihres Gesundheitszustandes, weitere therapeutische Maßnahmen während ihres 14-jährigen Aufenthalts in Langenhorn wurden nicht vermerkt.

Am 28. Oktober 1937 kam Sella Cohen in das staatliche Versorgungsheim Oberaltenallee und am 30. August 1940 zurück nach Langenhorn. Die Anstalt war nun die Sammelstelle für jüdische Patientinnen und Patienten im norddeutschen Raum, die im Rahmen der "Euthanasie"- Aktion ermordet werden sollten. Am 23. September 1940 wurde Sella Cohen in die Tötungsanstalt Brandenburg an der Havel verlegt und am Tage ihrer Ankunft mit Gas ermordet.

Ihre Schwester Rosa Cohen hatte sich zwischenzeitlich mit einem Lederwarenhandel selbstständig gemacht, den sie jedoch Ende 1926 wegen einer Erkrankung aufgeben musste. Einige Zeit arbeitete sie in einem Fotogeschäft, Reeperbahn 137, das ihrem Onkel Jacob Cohen gehörte. Dann war sie als "Reisedame" tätig und arbeitete als Verkäuferin an der Theaterkasse im Kaufhaus von Hermann Tietz, bis sie erwerbslos wurde. Ihre Mutter Bertha hatte für die Beerdigungsbrüderschaft der Deutsch-Israelitischen Gemeinde die Nachtwache für die weiblichen Verstorbenen übernommen. Diese Tätigkeit musste sie 1931 aus gesundheitlichen Gründen aufgeben.

Am 2. September 1935 heiratete Rosa Cohen den zehn Jahre älteren geschiedenen Buchhalter Bernhard Weil. Bernhard Weil war am 23. Juli 1886 als Sohn von Barthold Weil (geb. 20.6.1850, gest. 20.4.1910) und Rachel, geb. Cohen (geb. 29.9.1857, gest. 13.11.1928), in Altona zur Welt gekommen. Seine Eltern wohnten in der Breitestraße 117. Der Vater, ein Kaufmann, betrieb zunächst in der Hamburger Altstadt in der Catharinenstraße 37 (heute Katharinenstraße) ein Bindgarnlager. 1889 zog die Familie in die Steinwegpassage 28, wo Barthold Weil ein Lotteriegeschäft eröffnete, das er später in die Carolinenstraße 25 (heute Karolinenstraße) verlegte. Der Sohn Bernhard erhielt eine kaufmännische Ausbildung und lebte dann einige Jahre mit seiner ersten Ehefrau Fanny Weil, geb. Simons (geb. 12.12.1883 in Köln), in der Hauptstraße 227, in Köln-Kalk, wo er als Lohnschreiber im Automobilwerk Citroën angestellt war. Doch die Ehe scheiterte. Nach der Scheidung kehrte Bernhard Weil Ende Dezember 1928 nach Hamburg zurück. Seit 1933 arbeitete er in der Kohlenhandlung Wienke & Co. (Fanny Weil wurde am 30. Oktober 1941 von Köln ins Getto Lodz deportiert und ermordet).

Da die Statuten des Hertz-Joseph-Levy-Stifts den Einzug Bernhard Weils in den Haushalt seiner Schwiegermutter Bertha Cohen nicht zuließen, bezogen Rosa und Bernhard ein Zimmer in der Carolinenstraße 5a (heute Karolinenstraße) bei Müller. Im März 1936 wohnten sie als Untermieter in der Peterstraße 23 bei Scheffel. 1938 waren sie für kurze Zeit in der Poolstraße 8 gemeldet. Erst als Bertha Cohen im Juli 1938 wegen ihres Alters aus der zweiten Etage in eine Parterrewohnung des Hertz-Joseph-Levy-Stifts wechselte und auf Hilfe angewiesen war, konnten Rosa und Bernhard zu ihr ziehen. In der Pogromnacht vom 9./10. November 1938 geriet Bernhard Weil wie so viele jüdische Männer vorübergehend in "Schutzhaft". Im Mai 1939 wurde er arbeitslos und zur Pflichtarbeit bei einer Firma in Tiefstaak (heute Tiefstack) herangezogen. Am 8. November 1941 erhielt das Ehepaar Weil den Deportationsbefehl ins Getto Minsk.

Zwei Tage später musste Bertha Cohen ihre Wohnung im Hertz-Joseph-Levy-Stift am Großneumarkt 56 verlassen und ins Jüdische Altenheim "Nordheim-Stift" in der ehemaligen Schlachterstraße 40/42 ziehen.

Zu diesem Zeitpunkt hatte ihr Sohn Henry Cohen Deutschland bereits verlassen. Nach Beendigung der Talmud Tora Schule hatte er 1908 eine Lehre in der Firma Seligmann & Frank in der Deichstraße 20 begonnen und blieb dort als Commis (Angestellter), später als Reisender tätig. Von 1914 bis 1918 nahm er am Ersten Weltkrieg teil, zuletzt als Musketier. Er wurde dreimal verwundet und kehrte mit Auszeichnungen in die Hansestadt zurück. Am 15. Juni 1920 heiratete er in Berlin Karoline Michaelis, geboren am 24. Juni 1897 in Berlin-Adlershof. Ihr Vater Benno war Kaufmann, die Mutter Johanna eine geborene Cohn (geb. 6.9.1874 in Berlin). Karoline hatte nach ihrer Schulzeit eine Handelsschule besucht und arbeitete als Stenotypistin, zuletzt vor ihrer Heirat in Berlin bei der Reichsstelle für Gemüse und Obst. Ihre Kinder kamen in Hamburg zur Welt; Sohn Joachim wurde am 7. April 1922 geboren, Norbert Nathan folgte am 29. September 1924. Henry Cohen, Mitinhaber der Firma Wagenknecht & Co., Hopfensack 8, gründete 1921 die Firma "Henry Cohen jun." und übernahm die Generalvertretung für "Der Anker Allgemeine Versicherungs A.G". Karoline betätigte sich im Außendienst. Ab Februar 1929 lebte die Familie in einer 5½ Zimmerwohnung in der Rentzelstraße 5. Am 15. Juni 1938 wurde das Ehepaar Cohen von der Gestapo verhaftet und im KZ Fuhlsbüttel inhaftiert. Henry Cohen berichtete später nur, dass diese Festnahme aus "rassischen" Gründen erfolgte, und dass sie am 24. Juni 1938 nach einer kurzen Verhandlung im Strafjustizgebäude (vor einem Richter in SS-Uniform) wieder freikamen, Henry Cohen allerdings mit der Auflage, Deutschland so schnell wie möglich zu verlassen.

Bevor Henry Cohen am 1. Januar 1939 mit der "Conte Verde" nach Shanghai emigrierte, besuchte er seinen ältesten Sohn Joachim, der sich in Darmstadt auf seine Auswanderung nach Palästina vorbereitete und eine Gärtnerausbildung absolvierte. Das Vorhaben, Rabbiner zu werden, hatte Joachim 1938 nach zwei Jahren an der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums in Berlin aufgeben müssen.

Joachim konnte seine Emigration nach Palästina nicht realisieren. Anfang oder Mitte 1942 kehrte er aus dem Hachschara-Zentrum Neuendorf in Fürstenwalde/Spree zu seiner Mutter Karoline nach Hamburg zurück. Karoline Cohen fand, nachdem ihr Ehemann Deutschland verlassen hatte, in ihrem alten Beruf als Stenotypistin beim Jüdischen Religionsverband eine Beschäftigung. Ihr Vermieter in der Rentzelstraße 5, Wilhelm Michel, der dort auch ein Zigarrengeschäft betrieb, hatte ihrem Ehemann Henry vor seiner Abreise versprochen, sie und die Kinder, ungeachtet ihrer jüdischen Abstammung, solange wie möglich als Mieter im Hause zu behalten. Im September 1940 jedoch musste Karoline Cohen mit ihrer verwitweten Mutter Johanna Michaelis in den Durchschnitt 8, in eines der sogenannten Judenhäuser ziehen.

Am 19. Juli 1942 wurden Karoline Cohen, ihre Mutter Johanna Michaelis und ihre Schwiegermutter Bertha Cohen mit den Kindern Norbert Nathan und Joachim nach Theresienstadt deportiert. Bertha Cohen starb knapp drei Monate später am 13. Oktober 1942, laut Todesfallanzeige an einem Darmkatarrh und ihrer Altersschwäche. Johanna Michaelis wurde am 15. Mai 1944 nach Auschwitz weiterdeportiert. Joachim Cohen musste seiner Großmutter am 16. Oktober 1944 folgen. Karoline Cohen und ihr jüngerer Sohn Norbert Nathan befanden sich drei Tage später, am 19. Oktober, in dem nächsten Transport. Diese Deportationen von Theresienstadt in den sicheren Tod nach Auschwitz wurden als "Herbsttransporte" bezeichnet und zogen sich bis zum 28. Oktober 1944 hin.

Henry Cohen, der sich in Shanghai als Schuhmacher durchschlug, war der einzige Überlebende seiner Familie. Für sie wurden Stolpersteine in der Renzelstraße 5 verlegt. Henry Cohen starb am 30. Dezember 1967 in Florida.

Bertha Cohens Nichte, die Tochter ihrer verstorbenen Schwester Emma Marbach, die Buchhalterin Selma Wally Marbach (geb. 11.10.1878), wurde am 6. Dezember 1941 aus dem "Judenhaus" in der Frickestraße 24 nach Riga-Jungfernhof deportiert. Für sie wurde ein Stolperstein vor dem Haus Bismarckstraße 80 verlegt. (s. www.stolpersteine-hamburg.de)


Stand: Juli 2018
© Susanne Rosendahl

Quellen: 1; 3; 4; 8; 9; StaH 351-11 AfW 14341 (Henry, Cohen); StaH 314-15 Abl. 1998 C330; StaH 352-8/7 Abl. 2/1995 Staatskrankenanstalt Langenhorn 14456; StaH 351-14 Arbeits- und Sozialfürsorge 1066 (Cohen, Bertha); StaH 351-14 Arbeits- und Sozialfürsorge 2008 (Weil, Bernhard); StaH 351-14 Arbeits- und Sozialfürsorge 2009 (Weil, Rosa Therese); StaH 332-5 Standesämter 6243 u 2182/1886; StaH 332-5 Standesämter 9082 u 2193/1892; StaH 332-5 Standesämter 9093 u 2470/1893; StaH 332-5 Standesämter 2400 u 896/1896; StaH 332-5 Standesämter 7901 u 1074/1896; StaH 332-5 Standesämter 2428 u 700/1897; StaH 332-5 Standesämter 415 u 1399/1897; StaH 332-5 Standesämter 13172 u 1722/1899; StaH 332-5 Standesämter 638 u 266/1910; StaH 314-15 OFP, Fvg 3471; StaH 522-1 Jüdische Gemeinde Nr. 992 e 2 Band 2; StaH 522-1 Jüdische Gemeinde Nr. 992 e 2 Band 3; StaH 522-1 Jüdische Gemeinde Nr. 992 e 2 Band 5; Nationalarchiv in Prag/Theresienstädter Initiative, Jüdische Matriken, Todesfallanzeigen Theresienstadt (Bertha Cohen); UKE/IGEM, Patientenakte Sella Cohen der Staatskrankenanstalt Friedrichsberg Akten-Nr. 46894; Hamburger Börsenfirmen, 1923, S. 175; Rönn: Langenhorn, S. 70f.; Hamburger Fernsprechbuch 1921.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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