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Leon Beckmann * 1873

Büschstraße 7 (Hamburg-Mitte, Neustadt)


HIER WOHNTE
LEON BECKMANN
JG. 1873
EINGEWIESEN 1911
HEILANSTALT LANGENHORN
"VERLEGT" 23.9.1940
BRANDENBURG
ERMORDET 23.9.1940
"AKTION T4"

Leon Beckmann, geb. am 5.1.1873 in Krakau (Wegrze), ermordet am 23.9.1940 in der Tötungsanstalt Brandenburg an der Havel

Stolperstein Hamburg-Neustadt, Büschstraße 7

Leon Beckmann kam als Sohn von Dawid Beckmann, laut Geburtsregister "Spekulant aus Krakau" (etwa Geschäftemacher, Händler), und Gusta, geborene Keiner, aus Kudowa am 5. Januar 1873 in Krakau (Wegrze) zur Welt. Die Eltern bekannten sich zum jüdischen Glauben.

Seit dem 9. September 1897 leitete Leon Beckmann das Hamburger Unternehmen "Beckmann & Jörgensen" zusammen mit Niels Martin Jörgensen als Geschäftsführer. Leon Beckmann muss sich schon einige Zeit vor Beginn seiner Unternehmerkarriere in Hamburg niedergelassen haben, denn er arbeitete zunächst als Angestellter in der Vorgängerfirma "Alexander Beckmann". Bemühungen des Junggesellen und polnischen Staatsangehörigen um die hamburgische Staatsbürgerschaft lassen sich nicht nachweisen.

Das Unternehmen "Beckmann & Jörgensen" war aus dem Einzelunternehmen von Alexander Beckmann hervorgegangen. Es gehörte nun Niels Martin Jörgensen, Alexander und Leon Beckmann. Geschäftszweck des Unternehmens war das "Anbieten von Dienstleistungen im Hamburger Hafen". In dieser Tradition bewegt sich das Hamburger Logistikunternehmen, das unter "Beckmann & Jörgensen GmbH" firmiert, zu Teilen noch heute.

Als Leon Beckmann Teilhaber und Geschäftsführer wurde, war er erst 24 Jahre alt. Diese auch für heutige Verhältnisse rasante berufliche Karriere mag darauf zurückzuführen sein, dass der vorherige Eigentümer Alexander Beckmann ein Verwandter, vielleicht ein Onkel, war. Auch der spätere weitere Geschäftsführer David Beckmann könnte ein Verwandter gewesen sein.

Während Alexander Beckmann nach der Gründung des Unternehmens Beckmann & Jörgensen im Jahre 1897 in Hamburg residierte, hatten Leon Beckmann und Niels Martin Jörgensen ihren Sitz in Kopenhagen. Das neue Unternehmen erhielt im Oktober 1900 den Kaufmann David Beckmann als weiteren Geschäftsführer. Es verfügte laut Handelsregister über Zweigniederlassungen in Bremen und Emden. Im Hamburger Adressbuch wurde der Zweck des Unternehmens so umschrieben: "Spedition u. Commission" (1900) und "Controlle von Getreideladungen, Spedition u. Commission" (1905). Aus dem Adressbucheintrag ist zu schließen, dass die Eigentümer viel außerhalb Hamburgs tätig waren, Leon Beckmann in Kopenhagen und Antwerpen, Alexander Beckmann und Niels Martin Jörgensen in Kopenhagen.

Dies erklärt auch, warum für Leon Beckmann nur im Jahre 1900 eine Privatadresse im Hamburger Adressbuch auffindbar ist: Büschstraße 7 in der Hamburger Neustadt. Er war nie verheiratet. Die drei Gesellschafter Alexander und Leon Beckmann sowie Niels Martin Jörgensen waren rechtlich immer noch Eigentümer, als das Unternehmen im Frühjahr 1933 in nichtjüdische Hände überging.

Leon Beckmann war schon 1911 krankheitshalber aus dem Unternehmen ausgeschieden. Nach einem kurzen Aufenthalt in der "Irrenanstalt Friedrichsberg” wurde er in die "Irrenanstalt Langenhorn” überwiesen. Der Grund für seinen Aufenthalt in beiden Einrichtungen ist nicht überliefert.

Leon Beckmann muss zumindest einmal aus Langenhorn entlassen worden sein, denn er wurde zu einem nicht bekannten späteren Zeitpunkt erneut in Friedrichsberg aufgenommen. Offenbar schloss sich 1912 eine erneute und zwar dauerhafte Unterbringung in Langenhorn an. Aus seiner Patienten-Karteikarte, dem einzigen noch vorhandenen Dokument aus der "Irrenanstalt Friedrichsberg", lassen sich genauere Angaben nicht ableiten.

Im Frühjahr/Sommer 1940 plante die "Euthanasie"-Zentrale in Berlin, Tiergartenstraße 4, eine Sonderaktion gegen Juden in öffentlichen und privaten Heil- und Pflegeanstalten. Sie ließ die in den Anstalten lebenden jüdischen Menschen erfassen und in sogenannten Sammelanstalten zusammenziehen. Die Heil- und Pflegeanstalt Hamburg-Langenhorn wurde zur norddeutschen Sammelanstalt bestimmt. Alle Einrichtungen in Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg erhielten die Anweisung, die in ihren Anstalten lebenden Juden bis zum 18. September 1940 nach Langenhorn zu verlegen.

Nachdem alle jüdischen Patienten aus den norddeutschen Anstalten in Langenhorn eingetroffen waren, wurden sie am 23. September 1940 gemeinsam mit den dort bereits länger lebenden jüdischen Patienten, unter ihnen Leon Beckmann, in einem Transport von insgesamt 136 Menschen nach Brandenburg an der Havel gebracht. Noch am selben Tag wurden sie in dem zur Gasmordanstalt umgebauten Teil des ehemaligen Zuchthauses mit Kohlenmonoxyd getötet. Nur Ilse Herta Zachmann entkam zunächst diesem Schicksal (siehe dort).

Es ist nicht bekannt, ob und ggf. wann Angehörige Kenntnis von Leon Beckmanns Tod erhielten. In allen dokumentierten Mitteilungen wurde behauptet, dass der oder die Betroffene in Chelm (polnisch) oder Cholm (deutsch) östlich von Lublin verstorben sei. Die Ermordeten waren jedoch nie in Chelm/Cholm. Die dort früher existierende polnische Heilanstalt bestand nicht mehr, nachdem SS-Einheiten am 12. Januar 1940 fast alle Patienten ermordet hatten. Auch gab es dort kein deutsches Standesamt. Dessen Erfindung und die Verwendung späterer als der tatsächlichen Sterbedaten dienten dazu, die Mordaktion zu verschleiern und zugleich entsprechend länger Verpflegungskosten einfordern zu können.

Am 14. Februar 1941 richtete die Devisenstelle des Oberfinanzpräsidenten Hamburg ein formularmäßiges Schreiben an Beckmann & Jörgensen. Darin wurde wahrheitswidrig behauptet, Leon Beckmann habe seinen Wohnsitz "nach dem Ausland (Generalgouvernement)" verlegt. Er sei deshalb devisenrechtlich als "Ausländer (Auswanderer)" anzusehen. Seine Vermögenswerte unterlägen daher den für Auswanderer geltenden Devisenbeschränkungen.

Daraufhin beantragte die Firma am 31. März die "Genehmigung zur Gutschrift der monatlichen Rente von 500,– RM auf dem laufenden Konto des Herrn Leon Beckmann.", die sie Anfang April 1941 auch erhielt. Der Auszug über das bei Beckmann & Jörgensen für Leon Beckmann geführte Konto weist noch am 16. April 1941 eine Zahlung von 455 RM an die "Irrenanstalt Chelm" aus. Zu diesem Zeitpunkt lag Leon Beckmanns Tod schon mehr als ein halbes Jahr zurück.

Beckmann & Jörgensen wurden nicht nur über den wahren Zielort des Transports vom 23. September 1940 getäuscht, sie wurden zudem um geleistete Unterhaltszahlungen für den seit Monaten verstorbenen Leon Beckmann betrogen.

Stand: November 2017
© Ingo Wille

Quellen: 1; 2; 4; 5; 9; AB; StaH 133-1 III Staatsarchiv III, 3171-2/4 U.A. 4, Liste psychisch kranker jüdischer Patientinnen und Patienten der psychiatrischen Anstalt Langenhorn, die aufgrund nationalsozialistischer "Euthanasie"-Maßnahmen ermordet wurden, zusammengestellt von Peter von Rönn, Hamburg (Projektgruppe zur Erforschung des Schicksals psychisch Kranker in Langenhorn); 231-3 Handelsregister A 13 Bd 20, A 12 Bd 31; 314-15 Oberfinanzpräsident R 1940_510 (Leon Beckmann), FVg 8497; 352-8/7 Staatskrankenanstalt Langenhorn Abl. 1/1995 Aufnahme-/Abgangsbuch Langenhorn 26.1.1939–27.1.1940; UKE/IGEM, Archiv, Patienten-Karteikarte Leon Beckmann der Staatskrankenanstalt Friedrichsberg; Archiwum Narodowe w Krakowie, Geburtseintrag Leon Beckmann; http://www.bj-logistic.de/ (Zugriff 24.8.2015); Mitteilung Handelskammer Hamburg vom 20.8.2014 betr. Beckmann & Jörgensen.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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