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Flora, geb. Löwenberg, und Willy Sänger mit ihrem ersten Sohn Jacob vor ihrem Wohnhaus in der Bundesstraße 95
Flora, geb. Löwenberg, und Willy Sänger mit ihrem ersten Sohn Jacob vor ihrem Wohnhaus in der Bundesstraße 95
© Privatbesitz

Erwin Sänger * 1935

Langenhorner Chaussee 560 (Hamburg-Nord, Langenhorn)


ERMORDET IN DER
"KINDERFACHABTEILUNG"
DER HEIL- UND PFLEGEANSTALT
LANGENHORN

ERWIN SÄNGER
GEB. 17.2.1935
ERMORDET 10.4.1943

Weitere Stolpersteine in Langenhorner Chaussee 560:
Gerda Behrmann, Uwe Diekwisch, Peter Evers, Elke Gosch, Claus Grimm, Werner Hammerich, Marianne Harms, Hillene Hellmers, Helga Heuer, Waltraud Imbach, Inge Kersebaum, Hella Körper, Dieter Kullak, Helga Liebschner, Theo Lorenzen, Jutta Müller, Ingrid Neuhaus, Traudel Passburg, Edda Purwin, Angela Quast, Hermann Scheel, Gottfried Simon, Monika Ziemer

Erwin Sänger, geb. am 17.2.1935 in Hamburg, getötet am 10.4.1943 in der "Kinderfachabteilung der Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn"

Asklepios-Klinik Nord-Ochsenzoll, Henny-Schütz-Allee, Gedenkort Haus 25, Einfahrt Langenhorner Chaussee 560

Erwin Sänger kam am 17. Februar 1935 in Hamburg zur Welt. Er war das zweite Kind von Flora, geb. Löwenberg (geb. 12.7.1895 in Hannover), und Willy Sänger (geb. 26.5.1893 in Buttenwiesen, Bayern), beide jüdischen Glaubens. Schon Erwins Großvater Jakob und sein Urgroßvater Salomon Sänger stammten aus Buttenwiesen. Nach Hamburg war die Familie Sänger über Eheschließungen gekommen: Erwins Großvater Jakob Sänger (geb. 27.4.1857 in Buttenwiesen) hatte am 16. Juni 1892 in Hamburg die dort gebürtige Röschen, geb. Friedburg (geb. 14.5.1871), geheiratet – zwei Jahre nach der Vermählung seines Bruders Abraham, eines Schlachters, mit Rosa Friedburg, einer älteren Halbschwester von Röschen, ebenfalls in Hamburg. Röschen stammte aus der zweiten Ehe von Gottschalk Friedburg mit Johanna, geb. Rosenbaum, Rosa aus dessen erster Ehe, geschlossen im Jahre 1867 mit Sara, geb. Alexander, die im Wochenbett verstorben war.

Zunächst waren Erwins Großeltern nach ihrer Heirat in Buttenwiesen geblieben. Erwins Vater Willy und dessen drei Schwestern, die Zwillingsschwester Edith, Paula (geb. 28.6.1894) und Bertha (geb. 13.3.1896), waren dort zur Welt gekommen. Nach der Übersiedlung der Familie nach Hamburg war dann die jüngste Schwester von Erwins Vater, Erwins Tante Irma, am 26. Juni 1900 dort geboren worden. Erwins Großvater Jakob Sänger hatte am 7. März 1912 die Hamburgische Staatsangehörigkeit verliehen bekommen und zu dieser Zeit als Händler mit Hausstandsartikeln ein Einkommen von 3000,- Mark jährlich zu versteuern. Die Wohnadresse der Familie war am Grindelberg 7a.

Erwins Vater Willy Sänger hatte in Hamburg die Talmud Tora Realschule besucht, eine Banklehre absolviert und als Soldat ab Februar 1915 am Ersten Weltkrieg teilgenommen. Im Jahr darauf war sein Vater, Erwins Großvater Jakob Sänger, am 12. Februar 1916 im Alter von 58 Jahren verstorben. Sein Grab ist auf dem Jüdischen Friedhof Ilandkoppel zu finden, Grablage ZY 11, Nr. 53.

Willy Sänger, erst Ende 1919 zurück aus der Kriegsgefangenschaft, hatte weiter im Bankgeschäft von Moses Lewinsohn gearbeitet, dann bei Hamlet & Co Semmelhak & Wulf als "Bürobeamter" und seit 1920 in der Deutsch-Israelitischen Gemeinde Hamburg als Buchhalter und Kassierer.

Erwins Mutter Flora war im Alter von neun Jahren zusammen mit ihrer Familie im Jahre 1904 von Hannover nach Hamburg verzogen. Ihre Eltern, Rosa Rebekka, genannt Babette, geb. Seewald (geb. 18.6.1865 in Frankfurt), und der Häusermakler Michaelis Löwenberg (geb. 20.10.1856 in Wunsdorf bei Hannover) heirateten am 6. Mai 1891 in Babenhausen, Hessen. Nach der Übersiedlung nach Hamburg hatten sie zunächst im Samuel-Levy-Stift in der Bundesstraße 35 Haus Nr. 3 gewohnt, später in der Rappstraße 26.

In ihrer gemeinsamen Heimatstadt hatten Erwins Eltern am 20. März 1931 dort geheiratet. Im Jahr darauf war ihr erster Sohn Jacob (geb. 9.1.1932) in der Bundesstraße 95 zur Welt gekommen. Drei Jahre später wurde Erwin geboren. Die Urgroßeltern väterlicherseits hatten ihn nicht mehr kennenlernen können. Sie waren vor seiner Geburt gestorben – Johanna Friedburg, geb. Rosenbaum (geb. 13.1.1842 in Horn, Lippe), Tochter von Moses und Perla Rosenbaum, verstarb am 29. Juni 1930 im Alter von 88 Jahren. Ihr Ehemann, Gottschalk Gustav Friedburg (geb. 13.9.1839 in Hamburg), Sohn von Röschen, geb. Matthias, und dem Hebräisch-Lehrer Wolff Gottschalk Friedburg, verstarb am 4. Februar 1932 im Alter von 92 Jahren. Sie waren seit dem 4. Juli 1867 verheiratet. Ihre Hochzeit hatte in Horn, Lippe, stattgefunden. Ihre Grabstätten befinden sich nebeneinander auf dem Jüdischen Friedhof Ilandkoppel, Grablage ZY 10, Nr. 576/577.

Erwin Sänger kam mit dem Down-Syndrom zur Welt. Ärztliche Betreuung erhielt er von dem Kinderarzt Dr. Kurt Freundlich, einem Freund der Familie und verwandtschaftlich verbunden mit Erwins Tante Irma, geb. Sänger, der jüngsten Schwester von Erwins Vater, der Ehefrau von Julius Freundlich. Erwins Entwicklung war verzögert, er konnte erst mit drei Jahren laufen und selbstständig essen.

In der Geborgenheit der Familie wuchs Erwin mit seinen Eltern, seinem Bruder Jacob und seiner Großmutter Röschen Sänger, geb. Friedburg, auf. Die Familie war Mitglied der Deutsch-Israelitischen Gemeinde und lebte in der Bundesstraße 95, Parterre, dort wo schon sein Vater aufgewachsen war.

Im Zuge der Einschränkungen und Verbote für Juden musste die Familie ihr Zuhause verlassen und wurde Ende der 1930er Jahre in das "Judenhaus" Beneckestraße 4 eingewiesen. Willy Sänger, der bisher im Büro gearbeitet hatte, musste zuletzt eine Tätigkeit als "Lagerarbeiter" annehmen. Als die Judenverfolgungen der Nationalsozialisten mit dem Novemberpogrom immer bedrohlicher wurden, hatten die Eltern ihren ältesten Sohn Jacob am 14. Dezember 1938 mit einem Kindertransport nach England in Sicherheit gebracht. So gelangte der Sechsjährige über Hoek van Holland in Harwich an. Von der Londoner Liverpool Street, der Bahnhofsstation, ging es zunächst in das Aufnahmecamp Dovercourt. Noch im selben Monat wurde die jüdische Familie Charles and Sophia Black seine Pflegefamilie in London.

Für Erwin als Kind mit Behinderung war eine solche Rettung nicht möglich.

Der Großvater mütterlicherseits, Michaelis Löwenberg, hatte aus Verzweiflung versucht, sich am 6. Oktober 1940 das Leben zu nehmen. Er verstarb am 13. Oktober 1940 im Israelitischen Krankenhaus.

Erwins Großmutter Röschen Sänger konnte sich noch kurz vor dem Verbot der Auswanderung am 23. Oktober 1941 am 15. Oktober 1941 vor der Verfolgung retten. Mit dem Zug fuhr sie von Hamburg über Berlin nach Barcelona und von dort mit einem Schiff nach Kuba. Nach einem vierwöchigen Aufenthalt fuhr sie mit dem Schiff weiter nach Kolumbien und flog von dort aus nach Ecuador. Dorthin war 1939 die Familie ihrer Tochter Bertha Gumpel, geb. Sänger (geb. 1896), mit ihrem Ehemann Bruno Gumpel (geb. 1897 in Hamburg) geflohen. Eigentlich wollte Röschen Sänger in die USA weiterreisen. Dort lebte ihre jüngste Tochter Irma Freundlich, geb. Sänger (geb. 1900), mit ihrem Ehemann Julius Freundlich, die im Dezember 1922 in Hamburg geheiratet hatten. Beide konnten nach Kalifornien, USA, flüchten. Für Röschen Sänger war eine Einreise in die USA zu dieser Zeit jedoch nicht möglich.

Auch Röschen Sängers Tochter Paula Löbenstein, geb. Sänger (geb. 1894), und ihr Ehemann John Löbenstein (geb. 1894 Hamburg) konnten noch 1941 nach Argentinien emigrieren – sie hatten im Juni 1919 in Hamburg geheiratet. Sie folgten ihrem Sohn Jacob Daniel Löbenstein (geb. 1921), der 1939 über Paraguay dorthin geflüchtet war.
Ihre Tochter Inge Löbenstein (geb. 5.9.1923) mussten sie in Hamburg zurücklassen, sie hatte keine Einreisegenehmigung erhalten. Inge Löbenstein heiratete noch am 6. November 1941 Leopold Rosenthal (geb. 21.7.1891 in Altona) (Biographie siehe www.stolpersteine-hamburg.de), zwei Tage vor ihrer Deportation in das Getto Lodz/Litzmannstadt. Beide wurden zusammen mit seiner Familie ermordet. Stolpersteine erinnern an die Familie Rosenthal in Altona in der Lerchenstraße 104.

Auf Veranlassung der Gestapo musste Erwin im Alter von sieben Jahren am 13. Juli 1942 um 13:00 Uhr mit der Diagnose "Mongolismus" von seinen Eltern in die "Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn" eingeliefert werden. Flora und Willy Sänger waren gezwungen worden, diesen Schritt vor ihrer eigenen Deportation zu tun. Erwin durfte als "Behinderter" nicht mit den Eltern zusammen bleiben, die ihn bis dahin Tag und Nacht behütet hatten. Sie mussten ihr Kind im Ungewissen zurücklassen.

Flora und Willy Sänger wurden zwei Tage nach Erwins Einlieferung am 15. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert, zusammen mit Erwins Großmutter, der Witwe Rosa Rebekka Löwenberg, geb. Seewald, und Erwins Tante Edith, der Zwillingsschwester seines Vaters. Seine Tante Henny Löwenberg (geb. 1892) (Biographie siehe www.stolpersteine-hamburg.de), die ihre Mutter unterstützt hatte, solange es möglich war, musste bereits vier Tage vorher die Deportation in den Tod nach Auschwitz antreten.

Erwin Sänger wurde in der "Kinderfachabteilung der Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn" am 10. April 1943 in Haus M 10 als einziges bisher bekanntes jüdisches Kind getötet. Er verstarb um 2:00 Uhr. In der Todesbescheinigung ist von Dr. Knigge als Todesursache "Mongoloide Idiotie Bronchopneumonie" angegeben.

Knigge tötete mit Luminal-Injektionen, einem Schlafmittel. Fieber und eine Lungenentzündung waren die Folge; die Kinder erlitten einen langsamen und qualvollen Tod. In den meisten Todesbescheinigungen, wie auch bei Erwin, deutet der Zusatz "Bronchopneumonie" auf diese Tötung hin. In Erwins Krankenakte sind keine Protokolle erhalten geblieben.

Den längst deportierten Eltern wurde die Nachricht vom Tode ihres Sohnes mit einem Telegramm in die Beneckestraße 6 gesandt, ihrem letzten zwangsweisen Wohnort, ein "Judenhaus" in Hamburg-Rotherbaum. Beim Eintrag in das Sterberegister hieß es zu den Eltern "Aufenthalt unbekannt". Ob sie die die Nachricht vom Tod ihres Sohnes Erwin im Getto Theresienstadt von der Jüdischen Gemeinde übermittelt bekamen, ist nicht bekannt.

Erwin wurde 8 Jahre, 1 Monat, 3 Wochen und 3 Tage alt.

Erwin wurde vom Jüdischen Religionsverband, wie sich die Gemeinde inzwischen nennen musste, auf dem Jüdischen Friedhof Ilandkoppel bestattet, Grablage M 1, Nr. 113a, nicht weit entfernt vom Grab seines Großvaters väterlicherseits, Jakob Sänger, und seiner Urgroßeltern väterlicherseits Johanna, geb. Rosenbaum, und Gottschalk Friedburg.

Erwins Großmutter Rosa Rebekka Löwenberg, geb. Seewald, verstarb im Getto Theresienstadt/Terezin am 20. Januar 1944 im Alter von 78 Jahren.

Am 28. September 1944 wurde Erwins Vater Willy Sänger nach Auschwitz weiterdeportiert und ermordet. Einen Monat später, am 28. Oktober 1944, wurde auch Erwins Mutter Flora Sänger nach Auschwitz deportiert und ermordet. Stolpersteine für beide, für die Großtante Rosa Sänger, geb. Friedburg (geb. 1866), und Erwin erinnern in der Bundesstraße 95 an sie. An Erwins Großeltern Rosa Rebekka und Michaelis Löwenberg sowie seine Tante Henny Löwenberg erinnern Stolpersteine in der Heymannstraße 6, Eimsbüttel.

Nach Kriegsende, im Mai 1945, erstatteten drei Medizinstudenten Anzeige gegen die beteiligten Ärzte, Krankenschwestern und Gutachter des "Reichsausschusses zur wissenschaftlichen Erfassung von erb- und anlagebedingten schweren Leiden" und setzten eine Voruntersuchung beim Landgericht Hamburg in Gang. Friedrich Knigge, befragt zu den Beschuldigungen wegen Mordes bzw. Sterbehilfe in der "Kinderstation" des Krankenhauses Langenhorn, gab in einem Schreiben vom 13. Juni 1945 an die Kriminalpolizei über Prof. Rudolf Degkwitz, Leitender Beamter der Hamburger Gesundheitsbehörde, lediglich Sterbehilfe bei zehn bis elf "geisteskranken und mißgestalteten" Kindern zu, die er durch die Anordnung des Reichsausschusses für gerechtfertigt hielt. Den Namen von Erwin Sänger, auf dessen Aufnahmebogen in großem Aufdruck Jude verzeichnet ist, verschwieg er.

Die ehemalige Krankenschwester Gerda Krohn sagte als Zeugin im Strafverfahren am 21. Januar 1948 gegen Dr. Knigge aus: "Ich erinnere mich insbesondere eines 6 oder 7 Jahre alten Jungen, der Jude war und der etwa 1942 oder 1943 bei uns eingeliefert wurde. Die Eltern des Kindes, beides Juden, brachten eines Tages Erwin und sagten, daß sie das Kind auf Befehl der Gestapo hier einliefern. Die Mutter des Kindes erzählte mir, daß ihr Mann früher eine gute Stellung bekleidet habe und jetzt körperlich schwer arbeiten müsse. Die Mutter erzählte mir des weiteren, daß sie von der Gestapo den Befehl zum Abtransport ins Ungewisse erhalten hätten. Die Frau weinte, daß sie das Kind hier zurücklassen müsse. Die Eltern des Kindes waren nur dieses eine Mal im Krankenhaus gewesen. […] Ich kann nicht sagen, ob ich Freizeit oder Urlaub hatte, als mir eines Tages mitgeteilt wurde, daß Erwin tot sei."

Krankenschwester Sophie Pertzel erinnerte sich als Zeugin vor Gericht am 4. Februar 1948 noch daran, dass Erwins Mutter sagte: "Schwester, ich vertraue Ihnen mein Kind an, ich weiss, dort ist es gut aufgehoben". Sicher wusste Erwins Mutter nicht, was die Schwester Pertzel später mitteilte: "Jedes Kind hat bei der Aufnahme auch seine Nottaufe bekommen, da viele Mütter es offenbar nicht wagten, offen taufen zu lassen. Ich erinnere mich auch, dass wir den jüdischen Knaben Erwin Sänger getauft haben." Seine Taufe hätte demnach Pastor Helmut Horn (geb. 1897) in der Anstaltskirche der "Heil- und Pflegeanstalt" vollzogen. Er war Pastor in der 1938 erbauten St. Jürgen-Kirche Langenhorn und auch verantwortlich für die Anstaltskirche. Belege für eine Taufe ließen sich im Kirchenarchiv Anschar und St. Jürgen sowie im Kreiskirchenarchiv nicht auffinden.

Noch vor Verkündung des Urteils zur Voruntersuchung verstarb Friedrich Knigge im Dezember 1947 im Krankenhaus St. Georg an spinaler Kinderlähmung. Mit Beschluss der Großen Strafkammer I des Landgerichts Hamburg vom 19. April 1949 wurden die Angeschuldigten außer Verfolgung gesetzt, "weil sie nach ihrer unwiderlegten Einlassung an die Rechtmäßigkeit ihrer Handlungsweise geglaubt haben und glauben durften". Zu einer Hauptverhandlung kam es daraufhin nicht.

Erwins Großeltern mütterlicherseits, die Schwestern der Mutter, seine Tanten und ihre Familien konnten der Shoah nicht entkommen. Erwins Tante Elsa van der Walde, geb. Löwenberg (geb. 1893), die noch am 1. Januar 1941 in Hamburg Max van der Walde (geb. 1890) geheiratet hatte (Biographien siehe www.stolpersteine-hamburg.de), wurde 8. November 1941 zusammen mit ihm und seinen Kindern Caroline (geb. 1921) und Simon (geb. 1924) nach Minsk deportiert. Mit demselben Transport mussten auch Erwins Tante Irma Schragenheim, geb. Löwenberg (geb. 1897), die als Wirtschafterin im Heim für jüdische Mädchen an der Innocentiastraße tätig gewesen war, und ihr Ehemann Bruno Schragenheim (geb. 1899) (Biographien siehe www.stolpersteine-hamburg.de), die 1926 in Hamburg geheiratet hatten, mitfahren. Sie alle wurden in Minsk ermordet. Stolpersteine erinnern an sie in der Innocentiastraße 21 und in der Brahmsallee 13, Harvestehude.

Paula Kohorn, geb. Friedburg, die Schwester von Erwins Großmutter Röschen Sänger, geb. Friedburg, ihr Ehemann Oskar und ihr Sohn Heinz konnten 1939 aus Hamburg nach Birmingham entkommen. Dort verstarb ihr Ehemann. Von daher musste Paula Kohorn die geplante Reise ins Exil nach Argentinien allein mit ihrem Sohn Heinz antreten.

Auch der Bruder der Großmutter, Eduard Friedburg (geb. 1877), war nach England entkommen. Er verstarb dort 1964 in Brighton, seine Ehefrau Margret, geb. Simon (geb. 1890), acht Jahre später in Nottingham.

Erst 1945 konnten Erwins Großmutter Röschen Sänger und die Familie seiner Tante Bertha Gumpel mit dem Flugzeug in die USA nach Kalifornien einreisen. Später lebte Röschen Sänger in San Diego mit ihren Töchtern Edith Schloss, Paula Löbenstein, Bertha Gumpel und Irma Friend (Freundlich). Edith Schloss, die zusammen mit Erwins Vater, ihrem Zwillingsbruder, und seiner Ehefrau Flora nach Theresienstadt deportiert worden war, gehörte als eine der wenigen zu den Jüdinnen und Juden, die im Januar 1945 durch einen Austausch in die Schweiz entkommen konnten. Sie heiratete in Kalifornien Oscar Schloss.

Erwins Bruder Jacob, nun Jack Black, der in London gut aufgenommen und sehr gefördert wurde, wollte auch nach dem Krieg bei seinen Pflegeeltern bleiben. In einem langen Brief, den seine 82-jährige Großmutter, nun in den USA genannt Rosa Sanger, ihm in den frühen 1950er Jahre aus San Diego, Kalifornien, schrieb, kommt zum Ausdruck, dass sie ihn gern im Kreise der Familie gehabt hätte. Aber sie sähe auch ein, dass er dort gut aufgehoben sei und seine berufliche Laufbahn erfolgreich fortsetzen könne. Ihr größter Wunsch sei, ihn noch einmal in die Arme schließen zu können.
Jack Black hatte nach der Schulausbildung in London mit 16 Jahren das University College London wie auch die Society’s School of Law besucht und sich als Solicitor für den Supreme Court qualifiziert. Er blieb in Großbritannien, erwarb 1948 die britische Staatsbürgerschaft und heiratete 1953 die Engländerin Dora, sie bekamen drei Kinder.

Für einem Besuch in England übergab Rosa Sanger ihrem Bruder David Friedburg die Uhr, die einst Erwins Vater Willy Sänger gehört und die dieser einmal von seinem Vater, geschenkt bekommen hatte. Sie war ein Hochzeitsgeschenk von Jakob Sängers Ehefrau Röschen gewesen. Die Uhr konnte vor den Zugriffen der Nationalsozialisten und der Abgabepflicht in Hamburg gerettet werden. Heute hält sie Jack Black in Ehren, um sie zu gegebener Zeit seinem Enkel Matthew, dem Sohn seiner Tochter Sophie Florence Sanger Black, weiterzureichen. Sein Sohn Andrew Francis Sanger Black lebt mit Ehefrau Helen in Cambridge; der älteste Sohn der Familie, David William Sanger Black, ist tragischerweise früh verstorben.

Stand: Januar 2023
© Margot Löhr

Quellen: 1; 2; 4; 5; 8; StaH, 213-12 Staatsanwaltschaft, 0013 Bd. 060 Sonderakte, Bd. 40 Schirbaum u. a. Knigge, S. 234–236, 0017 Bd. 001 Bayer u. a. Knigge, S. 151b, S. 189, 198, 234, 236; StaH, 213-13, Landgericht Hamburg, Rückerstattung, 13893 Sänger, Willy, 23436 Schragenheim, Irma, geb. Löwenberg, Erben; StaH, 314-15 Oberfinanzpräsident, FVg 5738 Edith Sänger, FVg 5739 Röschen Sänger, FVg 5486 John Löbenstein, R 1938/3368 Henny Löbenstein; StaH, 332-5 Standesämter, Geburtsregister, 1937 u. 5373/1878 David Friedburg, 2030 u. 3429/1882 Paula Friedburg, 2060 u. 5348/1883 Harriet Friedburg, 1909 u. 3296/1887 Eduard Friedburg; StaH, 332-5 Standesämter, Heiratsregister, 2758 u. 131/1890 Abraham Sänger/Rosa Friedburg, 2796 u.709/1892 Jakob Sänger/Röschen Friedburg, 8662 u. 50/1909 Oskar Kohorn/Paula Friedburg, 8729 u. 283/1919 John Löbenstein/Paula Sänger, 8767 u. 737/1922 Julius Freundlich/Irma Sänger, 3489 u. 293/1924 Bruno Gumpel/Bertha Sänger, 13628 u. 85/1931 Willy Sänger/Flora Löwenberg; StaH, 332-5 Standesämter, Sterbefallsammelakten, 64247 u. 447/1943 Erwin Sänger, 63123 u. 514/1940 Michaelis Löwenberg; StaH, 332-5 Standesämter, Sterberegister, 148 u. 3564/1883 Harriet Friedburg, 8032 u. 84/1916 Jakob Sänger, 8743 u. 236/1930 Johanne Friedburg, 993 u. 57/1932 Gottschalk Friedburg, 9942 u. 447/1943 Erwin Sänger; 8169 u. 514/1940 Michaelis Löwenberg; StaH, 332-5 Standesämter, Todesbescheinigungen, 1943 Sta 1b Nr. 447 Erwin Sänger; StaH, 332-7 Staatsangehörigkeitsaufsicht, B III 112690 Jacob Sänger; StaH, 351-11 Amt für Wiedergutmachung, 1875 Rosa Saenger, 16858 Paula Löbenstein, 18345 Bertha Gumpel, 23952 Irma Freundlich-Friend, 47754 Gerda Freundlich-Friend, 50096 Jack Black, 090132 Jack Black; StaH, 352-8/7 Staatskrankenanstalt Langenhorn, 86233 (früher Abl. 2000/01 Nr. 19 Akte 30111); Standesamt Babenhausen, Heiratsregister, 7/1891 Michaelis Löwenberg/Rosa Rebecca Seewald; Standesamt Hamburg 2a, Geburtsregister, Nr. 85/1935 Erwin Sänger; Deportationen Theresienstadt, Flora und Willy Sänger, https://www.holocaust.cz/hledani/43/?fulltext-phrase=Sänger&cntnt01origreturnid=1&cntnt01lang=cs_CZ, eingesehen am: 25.5.2022; Marc Burlon: Die »Euthanasie« an Kindern während des Nationalsozialismus in den zwei Hamburger Kinderfachabteilungen, Universität Hamburg, Diss., Hamburg 2009, https://ediss.sub.uni-hamburg.de/volltexte/2010/4578/pdf/Kindereuthanasie_Hamburg.pdf, eingesehen am: 16.3.2022; Ernst Klee: "Euthanasie" im NS-Staat. Die Vernichtung "lebensunwerten Lebens", Frankfurt am Main 1985; Inge Grolle, Christina Igla: Stolpersteine in Hamburg-Grindel I, Hallerstraße und Brahmsallee. Biographische Spurensuche, Hamburg 2016, S. 229-233, Jürgen Kühling: (Bruno Schragenheim und Irma, geb. Löwenberg); Friedemann Hellwig: Max von der Wald und Elsa, geb. Löwenberg, 2021, https://www.stolpersteine-hamburg.de/index.php?MAIN_ID=7&BIO_ID=1234, eingesehen 26.5.2022; Susanne Lohmeyer: Stolpersteine in Hamburg-Eimsbüttel und Hamburg-Hoheluft-West. Biographische Spurensuche, 2 Bde., Hamburg 2013, Bd. 1, S. 358–360 (Michaelis, Henny Löwenberg und Rosa, geb. Seewald), Bd. 2, S. 455–457 (Hans-Joachim, Ingeborg, Max Rothenburg und Paula, geb. Fryda); Hildegard Thevs: Stolpersteine in Hamburg-Rothenburgsort. Biographische Spurensuche, Hamburg 2011, S. 146 (Erwin Sänger); Deportationen nach Theresienstadt und von Theresienstadt in andere Konzentrationslager, www.ghetto-theresienstadt.de/pages/t/transporte.htm, eingesehen am: 16.3.2022. Vielen Dank an Jack Black!
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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