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Wilhelm Süsser * 1892

ohne Hamburger Adresse


ermordet am 23.9.1940 in der Tötungsanstalt Brandenburg an der Havel

Weitere Stolpersteine in ohne Hamburger Adresse :
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Wilhelm Süsser, geb. am 6.11.1892 in Frankfurt a. M., ermordet am 23.9.1940 in der Tötungsanstalt Brandenburg an der Havel

Ohne Stolperstein

Wilhelm Süsser war einer von drei Söhnen des Frankfurter Kaufmanns Hermann Süsser und seiner Ehefrau Flora, geborene Fuld. Die Familie bekannte sich zum jüdischen Glauben. Einer von Wilhelms Brüdern, dessen Namen wir nicht kennen, kam im Ersten Weltkrieg zu Tode, der andere wanderte nach Amerika aus.

Wilhelm Süsser entwickelte sich in der frühen Kindheit unauffällig. Er lernte altersgemäß gehen und sprechen und es wurden keine besonderen Entwicklungsprobleme bemerkt. Den Anforderungen der Schule konnte er jedoch nicht gerecht werden. Ungenügende Schulleistungen gingen mit äußerst schlechtem Betragen einher. Er wurde von einer Schule zur anderen geschoben, bis er schließlich in Frankfurt sieben Schulen besucht hatte. Der Schulleiter der Souchay Mittelschule äußerte sich später über Wilhelm Süsser und seinen Vater: " Ich bin seit 28 Jahren Lehrer und habe in dieser langen Zeit keinen Schüler kennengelernt, von dem ich eine schlechtere Meinung empfangen hätte als von Süsser und kaum einen Vater, über den ich mir in Bezug auf erzieherische Qualität ein ungünstigeres Urteil bildete, als über Süssers Vater, unterwürfig bis zur Kriecherei, süsslich, beide innerlich roh und unwahr, im Gespräch sich fortwährend drehend und wendend und bei Festnagelung einer Äusserung stets neue Auswege suchend. Ich erwähne mein Urteil über den Vater, weil es mir möglich erscheint, dass er an dem Eintritt in die Irrenanstalt, deren Veranlassung ich nicht kenne, durch Aussagen, denen dann sicher zu misstrauen wäre, beteiligt ist. [...] Sein [Wilhelms] Benehmen wurde von den Lehrern allgemein als frech bezeichnet. Das meiste, was er tat, hatte einen ganz niederträchtigen Charakter. So ist mir erinnerlich, dass er einem fahrenden Radfahrer einen Stock zwischen die Felgen steckte und ihn dadurch zu Fall brachte. Von der Untermainbrücke aus warf er Steine auf einen fahrenden Zug. Meiner Frau schnitt er eine Fratze, als sie einmal zum Fenster hinaussah. Seine Mutter hat er roh und ungezogen behandelt, so dass sich die geplagte Frau einmal an mich brieflich um Hilfe wandte."

Während des sich ab 1907 anschließenden Besuchs der Handelsschule tauchten wiederholt Zweifel darüber auf, ob Wilhelm Süsser "normal veranlagt" sei. Nach Aussage eines Lehrers saß Wilhelm Süsser "wiederholt die ganze Stunde da und lachte, war widerspenstig gegen Anordnungen, ungleich in seinen Leistungen und in seinen häuslichen Arbeiten. In der letzten Zeit indes hat er weniger Anlass zu Klagen gegeben, es schien als ob die stetige Einwirkung der Schule doch einen Einfluss auf ihn einübte, aber doch trat seine Nervosität und leichte Reizbarkeit immer ab und zu zutage."

Am 22. Mai 1907, mit 14 Jahren, wurde Wilhelm Süsser mit Zustimmung seines Vaters in die "Anstalt für Irre und Epileptische" in Frankfurt a. M. aufgenommen und blieb dort bis Oktober desselben Jahres. Sein Vater gab damals an: "Zu Hause war [er] ja unverträglich, schrie, schloss sich ein, verprügelte seine Geschwister, wurde gegen seine Eltern gewalttätig und belegte sie mit den ärgsten Namen." Die Aufnahmeuntersuchung ergab, dass "manche Schulkenntnisse fehlen, jedoch war das Auffassungsvermögen, das Gedächtnis, die Kombinationsfähigkeit nicht wesentlich herabgesetzt". Nachdem er von einer Abteilung in die andere verlegt worden war, weil "er nirgends gehalten werden konnte", wurde er am 13. Oktober 1907 ungeheilt entlassen.

Wilhelm Süsser begann eine Lehre in einem Eisenwarengeschäft. Seine Leistungen galten als genügend. Am 18. November 1907 kam er aber erneut in die Frankfurter Anstalt. Nach seiner Entlassung im März 1908 begann er eine weitere Lehre, diesmal in einer Dampfkesselfabrik in Offenbach. Hier wurde ihm bescheinigt, dass "er während seiner Lehrzeit bestrebt war, sich mit allen Zweigen des kaufmännischen Berufes bekannt zu machen, dass er ferner stets pünktlich und fleissig war und die ihm übertragenen Arbeiten zu meiner Befriedigung ausgeführt hat." Von geistiger "Minderwertigkeit" hatte der Lehrherr nichts bemerkt, ihn im Gegenteil für intelligent gehalten. Trotz dieser positiven Beurteilung übernahm ihn sein Lehrherr nach der Ausbildung zum Commis (Kaufmannsgehilfe) nicht, weil Wilhelm Süsser "etwas zu neugierig und vorwitzig war, weshalb das Arbeitsverhältnis beiderseits gelöst wurde."

Wilhelm Süssers Zimmerwirtin in Offenbach berichtete, er habe sich ganz verrückt benommen, habe den Mädchen auf der Straße nachgestellt, sei das Gespött der Straßenjungen gewesen, wurde nur als "Schote" (Schimpfwort für verrückt, Narr) behandelt.

Am 20. Juni 1910 kam es zur Aufnahme in der Landesirrenanstalt Heppenheim. Auch dort attestierte ihm ein Oberarzt einen unverträglichen, reizbaren, heftigen, widerspenstigen Charakter. Am 16. August 1910 entwich Wilhelm aus der Anstalt. Er lebte dann in Worms bei einer Tante mit Nachnamen Fuld, vielleicht eine Schwester seiner Mutter. Die Tante gab an, sie habe sich von Wilhelm bedroht gefühlt und sich oft vor ihm einschließen müssen.

Ende 1910/Anfang 1911 hielt sich Wilhelm Süsser zwei Monate in der Jakobischen Heil- und Pflegeanstalt Sayn bei Koblenz auf. Während eines Besuches seines Vaters – so wurde berichtet – hätten sich beide gegenseitig vorgeworfen, dass der eine am Unglück des anderen Schuld sei. Während des anschließenden Aufenthalts bei den Eltern soll Wilhelm Süsser seinen Vater bedroht und ihm später, als er das Elternhaus wieder verließ, 200,– RM gestohlen haben. Wilhelm Süsser hielt sich in verschiedenen Gegenden auf, unterbrochen von kurzen Anstaltsaufenthalten, unter anderem in der Landes-Heil- und Pflegeanstalt Eichberg in der Nähe von Eltville bei Wiesbaden. Eine im Oktober 1912 begonnene Gärtnerlehre musste er vorzeitig im Februar 1913 abbrechen. Er hatte einen Gesellen angeblich grundlos überfallen und schwer misshandelt. Mehrere Diebstähle brachten ihm am 7. April 1913 eine Gefängnisstrafe von einer Woche ein.

Ende Mai 1913 befand sich Wilhelm Süsser wieder in der Anstalt Eichberg. Zur angestrebten Entmündigung kam es nicht, weil Wilhelm Süsser am 4. November 1913 die Zeugenaussagen, insbesondere die seiner Mutter, in jeder Hinsicht zu erschüttern und zu widerlegen verstand. In dem für das Entmündigungsverfahren erstellte Gutachten aus Eichberg heißt es zusammenfassend: "Wir haben es bei Süsser mit einem Menschen zu tun, der schwer erblich belastet, von Jugend auf ein recht wechselvolles Leben geführt hat. Analysieren wir seinen Lebensweg, so finden wir, dass die moralischen Defekte es sind, die eine geordnete Lebensweise verhindern, während die intellektuellen Fähigkeiten keine nennenswerte Lücke aufweisen. Fast alle Urteile gehen dahin, dass seine Intelligenz intakt sei, dass aber sein Betragen viel zu wünschen übrig lasse."

Wilhelm Süsser wurde am 3. Oktober 1914 aus der Anstalt Eichberg entlassen. Seine nächste bekannte Station ist eine Tätigkeit als Pfleger in den Heilanstalten Berlin-Buch vom 22. Juli 1915 bis 11. Oktober 1915, die durch die Einberufung zum Militär beendet wurde. Ende Januar 1917 endete die Soldatenzeit. Danach war Wihelm Süsser an verschiedenen Orten kurzzeitig wieder als Pfleger tätig, bis er zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde, die am 2. Dezember 1918 zur Einlieferung in die Städtische Irrenanstalt zu Lichtenberg (Herzberge)in Berlin führte. Von dort wurde Wilhelm Süsser im Juli 1919 in die Anstalten Berlin-Buch verlegt und am 29. März 1920 mit der Diagnose "Psychopath" entlassen.

Wir wissen nicht, wann und warum Wilhelm Süsser nach Hamburg kam. Jedenfalls wurde er am 10. Oktober 1922 in die Staatkrankenanstalt Hamburg-Friedrichsberg eingeliefert. Dort sollte er in einem Strafverfahren wegen Raubes ärztlich begutachtet werden. Der Gutachter kam zu dem Ergebnis, dass Wilhelm Süsser "sich zur Zeit der Begehung der strafbaren Handlungen nicht in einem Zustande von Bewusstlosigkeit oder krankhafter Störung der Geistestätigkeit befunden hat, durch welchen seine Freie Willensbestimmung ausgeschlossen war." Er wurde am 16. März 1923 zu einer Zuchthausstrafe von drei Jahren und sechs Monaten unter Anrechnung von sieben Monaten Untersuchungshaft verurteilt. Das Strafende sollte am 16. Februar 1926 sein. Wilhelm Süsser befürchtete seine Überstellung in die Staatskrankenanstalt Hamburg-Langenhorn, die er zu verhindern suchte. Er bat den Anstaltsarzt mehrmals um einen Verbleib im Zuchthaus Fuhlsbüttel und die Isolierung dort. Dennoch wies der Anstaltsarzt ihn im Dezember 1923 in die Staatskrankenanstalt Hamburg-Langenhorn "wegen Geisteskrankheit" ein. Die Aufnahme in eine geschlossene Anstalt wurde nach Paragraph 22 des Hamburger Verhältnisgesetzes verfügt, nach dem eine Einweisung zum eigenen Schutz oder zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung oder zum eigenen Schutz zulässig war.

Anfang 1927 wurde Wilhelm Süssers Entmündigung eingeleitet und dann auch beschlossen. Er erhielt einen Hamburger Kaufmann als Vormund.

In Wilhelm Süssers Krankenakte finden sich zwei Zeitungsartikel vom März 1929, in denen berichtet wird, dass in Wiesbaden am 10. Mai 1926 "die in der Kleiststraße wohnende Witwe Süßer in scheußlicher Weise ermordet und beraubt aufgefunden" wurde. Die Revision des zum Tode verurteilten Täters sei erfolglos geblieben, das Todesurteil sei aber im Wege der Begnadigung in eine lebenslange Zuchthausstrafe umgewandelt worden. Das Mordopfer war Wilhelm Süssers Mutter. Es ist nicht überliefert, wie der Tod seiner Mutter auf Wilhelm Süsser wirkte.

Am 16. Oktober 1930 wurde Wilhelm Süsser in die Heilanstalt Lübeck-Strecknitz verlegt, wo aufgrund eines zwischen Hamburg und Lübeck geschlossenen Vertrages immer wieder Hamburger Patientinnen und Patienten untergebracht wurden. Hier lebte Wilhelm Süsser bis 1940. Eine Änderung seines Krankheitszustandes wurde nicht festgestellt.

Im Frühjahr/Sommer 1940 plante die "Euthanasie"-Zentrale in Berlin, Tiergartenstraße 4, eine Sonderaktion gegen Juden in öffentlichen und privaten Heil- und Pflegeanstalten. Sie ließ die in den Anstalten lebenden jüdischen Menschen erfassen und in sogenannten Sammelanstalten zusammenziehen. Die Heil- und Pflegeanstalt Hamburg-Langenhorn wurde zur norddeutschen Sammelanstalt bestimmt. Alle Einrichtungen in Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg wurden angewiesen, die in ihren Anstalten lebenden Juden bis zum 18. September 1940 dorthin zu verlegen.

Wilhelm Süsser traf am 16. September 1940 in Langenhorn ein. Am 23. September wurde er mit weiteren 135 Patientinnen und Patienten aus norddeutschen Anstalten nach Brandenburg an der Havel transportiert. Der Transport erreichte die märkische Stadt noch an demselben Tag. In dem zur Gasmordanstalt umgebauten Teil des ehemaligen Zuchthauses trieb man die Patienten umgehend in die Gaskammer und ermordete sie mit Kohlenmonoxyd. Nur Ilse Herta Zachmann entkam zunächst diesem Schicksal (siehe dort).

Es ist nicht bekannt, ob und ggf. wann Angehörige Kenntnis von Wilhelm Süssers Tod erhielten. In allen dokumentierten Mitteilungen wurde behauptet, dass der oder die Betroffene in Chelm (polnisch) oder Cholm (deutsch) verstorben sei. Die in Brandenburg Ermordeten waren jedoch nie in Chelm oder Cholm, einer Stadt östlich von Lublin. Die dort früher existierende polnische Heilanstalt bestand nicht mehr, nachdem SS-Einheiten fast alle Patienten am 12. Januar 1940 ermordet hatten. Auch gab es in Chelm kein deutsches Standesamt. Dessen Erfindung und die Verwendung späterer als der tatsächlichen Sterbedaten dienten dazu, die Mordaktion zu verschleiern und zugleich entsprechend länger Verpflegungskosten einfordern zu können.

Eine Adresse von Wilhelm Süsser in Hamburg ist nicht bekannt, so dass kein individueller Ort bestimmt werden kann, an dem seiner mit einem Stolperstein gedacht werden könnte.

Stand: November 2017
© Ingo Wille

Quellen: 1; 4; 8; 5; StaH 133-1 III Staatsarchiv III, 3171-2/4 U.A. 4, Liste psychisch kranker jüdischer Patientinnen und Patienten der psychiatrischen Anstalt Langenhorn, die aufgrund nationalsozialistischer "Euthanasie"-Maßnahmen ermordet wurden, zusammengestellt von Peter von Rönn, Hamburg (Projektgruppe zur Erforschung des Schicksals psychisch Kranker in Langenhorn); 352-8/7 Staatskrankenanstalt Langenhorn Abl. 1/1995 Aufnahme-/Abgangsbuch Langenhorn 26.8.1939 bis 27.1.1941; 352-8/7 Staatskrankenanstalt Langenhorn Abl. 1/1995 Nr. 14795 Wilhelm Süsser; UKE/IGEM, Archiv, Patienten-Karteikarte Wilhelm Süsser der Staatskrankenanstalt Friedrichsberg; IMGWF Lübeck, Archiv, Patientenakte Wilhelm Süsser der Heilanstalt Lübeck-Strecknitz; JSHD Forschungsgruppe "Juden in Schleswig-Holstein", Datenpool Erich Koch, Schleswig.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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