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Bertha Bunsat
Bertha Bunsat
© Archiv Evangelische Stiftung Alsterdorf

Bertha Bunsat * 1890

Barlachstraße 14 (Harburg, Harburg)


HIER WOHNTE
BERTHA BUNSAT
JG. 1890
EINGEWIESEN 29.4.1937
ALSTERDORFER ANSTALTEN
"VERLEGT" 16.8.1943
HEILANSTALT AM STEINHOF
ERMORDET 26.11.1944

Bertha Bunsat, geb. am 17.6.1890 in Insterburg/Ostpreußen, eingewiesen in die `Alsterdorfer Anstalten´ am 29.4.1937, verlegt in die `Landesheil- und Pflegeanstalt Am Steinhof´ in Wien am 16.8.1943, ermordet am 26.11.1944

Stadtteil Harburg-Altstadt, Barlachstraße 14 (früher: Auguststraße 14)


Bertha Bunsat kam als ältestes Kind ihrer Eltern Friedrich (* 26.10.1864) und Henriette Bunsat, geb. Schmidtke, (*18.7.1864) in Insterburg (heute: Tschernjakowsk) im damaligen Ostpreußen (heute: Kaliningrader Gebiet) zur Welt. Die ersten Jahre ihres Lebens verbrachte sie mit ihren Eltern und ihren älteren Geschwistern, von denen zwei allerdings im frühen Alter starben, in diesem Teil des einstigen Deutschen Kaiserreiches. Dort ging Bertha Bunsat auch zur Schule. Am Ende ihrer Schulzeit war sie in der 5. Klasse.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts verließen die Eltern mit ihren verbliebenen Kindern die ostpreußische Heimat. Bei der Suche nach einem besseren Leben ließen sie sich in der aufstrebenden Industriestadt Harburg a. d. Elbe nieder, wo Friedrich Bunsat als Arbeiter ein Auskommen fand. Sie wechselten in den ersten Jahren oft die Wohnung und wohnten später lange Zeit in der Auguststraße (heute: Barlachstraße), in Sichtweite des Städtischen Krankenhauses am Irrgarten/Ecke Eißendorfer Straße.

Hier erblickten noch zwei weitere Kinder – Willi und Charlotte Bunsat – das Licht der Welt. Der Weg in eine bessere Zukunft fand für ihre beiden älteren Brüder - Fritz und Hans Bunsat – auf den Schlachtfeldern und in den Schützengräben des Ersten Weltkrieges ein jähes Ende.

Bertha Bunsat blieb, auch nachdem ihre Schwestern Emma und Charlotte eigene Wohnungen bezogen hatten, weiterhin bei ihren Eltern, auf deren Hilfe sie im Kleinen und im Großen angewiesen war. Ihre Probleme verstärkten sich in den Wechseljahren. Am 23. Juni 1934 begab sie sich deshalb zur Behandlung ins benachbarte Städtische Krankenhaus.

Dort bestätigten die zuständigen Ärzte ihre bekannte Geistesschwäche, die sich darin zeigte, dass sie unbeholfen auftrat und mit anderen nur über Kleinigkeiten des Alltags sprechen konnte. Insgesamt wurde sie als gutartig charakterisiert, nachdem sie sich die ganze Zeit über stets kameradschaftlich gegenüber ihren Mitpatientinnen verhalten und viele Stunden allein im Garten verbracht hatte. Sie lachte ständig, ohne dass ein erkennbarer Anlass dafür zu bestehen schien. Eine grundlegende Veränderung dieses Befunds lag für die Ärzte des Städtischen Krankenhauses jedoch nicht im Bereich des Möglichen. Deshalb empfahlen sie die Überweisung der 44-jährigen Patientin in das Alters- und Pflegeheim Huckfeld in der Gemeinde Hittfeld.

Dort verschlechterte sich ihr Zustand. Sie zeigte sich auch in diesem Haus weiterhin als unbekümmert und einfältig, zeigte sich aber zuweilen leicht reizbar. Dann schlug sie um sich und war nur mit Gewalt wieder zu beruhigen. Durch lautes Schimpfen störte sie wiederholt die Nachtruhe. Sie war nach wie vor auf fremde Hilfe und fachgerechte Betreuung angewiesen.

Deshalb schlug die Heimleitung nach einem Jahr die Verlegung der Bewohnerin in die Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg vor. Auch in dieser Einrichtung für geistesschwache und psychisch kranke Patientinnen und Patienten änderte sich nichts an ihrem Gesamtbefinden. Sie bereitete insgesamt keine außergewöhnlichen Schwierigkeiten, musste aber ständig beaufsichtigt und betreut werden, da sie sich sonst gehen ließ. Sie entwickelte weiterhin keinerlei Eigeninitiative.

Eineinhalb Jahre später wurde Bertha Bunsat in die Alsterdorfer Anstalten aufgenommen. Die Gründe für diesen Wechsel sind nicht bekannt. Vielleicht hatten ihre Eltern und ihre Schwestern einen entsprechenden Antrag gestellt, weil sie die Patientin regelmäßig besuchten oder gelegentlich – im Einvernehmen mit der Heimleitung - auch für ein Wochenende nach Hause einluden und deshalb vielleicht an einer kürzeren Anfahrt interessiert waren. Die Alsterdorfer Ärzte bestätigten bei der Eingangsuntersuchung die Diagnose ihrer Harburger und Lüneburger Kollegen.

Die neue Umgebung tat Bertha Bunsat offenbar zunächst gut. Sie arbeitete in der Gemüsestube und erwies sich als verträglich, freundlich und dankbar. Das änderte sich nach einigen Monaten. Sie war weiterhin in der Gemüsestube tätig, ohne dort aber eine große Hilfe zu sein, geriet wiederholt mit anderen Patientinnen in Streit, sah ungepflegt aus und legte keinen Wert auf ihr Aussehen. Sie wusch sich selbst, musste aber gebadet und gekämmt werden. An eine Entlassung war weiterhin nicht zu denken.

Einige Krankenpflegerinnen konnten offenbar mit dieser Situation schlecht umgehen, wie die schriftliche Beschwerde zeigt, die Bertha Bunsats Schwester Charlotte nach einem Besuch in Alsterdorf an die Leitung des Hauses richtete. Sie beklagte sich darüber, dass ihre Schwester von einer Pflegerin ins Gesicht geschlagen worden sei, was sie in ihrer Lüneburger Zeit nie erlebt hätte. Der Brief schloss mit den Worten: "Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie sich um diese Sache bemühen würden, und ich bei meinem nächsten Besuch meine Schwester ruhiger [vor]finden würde." Die betreffende Krankenpflegerin wurde daraufhin an einen anderen Arbeitsplatz im Haus versetzt.

Die zuständigen Ärzte genehmigten mehrere Gesuche Eltern, dass Bertha Bunsat einige Urlaubstage bei ihnen in Harburg verbringen durfte, die für Eltern und Tochter immer ein besonderes Geschenk waren. "Dann ging sie," wie ein Harburger, der sie beobachtet hatte, später schrieb, "soweit das Wetter es zuließ, nachmittags Tag für Tag an der Hand ihrer alten Mutter spazieren und schien ständig dabei zu lächeln. Ein einträchtiges, friedfertiges Bild. Die Mutter muss damals über siebzig gewesen sein. Sie war nicht mehr gut zu Fuß und die Spaziergänge mit [ihrer Tochter] fielen ihr immer schwerer. Das sah man. Irgendwann fehlen beide; die gewohnte Szene bleibt … unbelebt."

Dass der damalige Schüler Peter Littich sie vermisste und sich fragte, was aus den beiden Frauen – speziell der jüngeren, die "allem Anschein nach geistig ziemlich behindert war," – geworden war, ist bemerkenswert. Er konnte schließlich nicht wissen, dass Bertha Bunsat am 16. August 1943 zusammen mit 227 anderen Patientinnen von Hamburg nach Wien verfrachtet worden war.

Einige Tage vorher war Pastor Friedrich Lensch, dem Chef des Hauses, mitgeteilt worden, dass er 228 Mädchen und Frauen zum Abtransport auszusuchen und namentlich in einer Liste in doppelter Ausfertigung aufzuführen habe. Friedrich Lensch unterzog sich dieser Aufgabe in enger Zusammenarbeit mit Gerhard Kreyenberg, dem Leitenden Oberarzt der Alsterdorfer Anstalten. Die beiden überzeugten Nationalsozialisten gaben nicht zu erkennen, dass es ihnen schwer fiel, die vermeintliche Pflicht zu erfüllen. Sie entledigten sich dabei vor allem derjenigen Patientinnen, bei denen sie in den Krankenakten auf negative Beurteilungen stießen. Bemerkungen wie "schwierig", "streitsüchtig", "schmutzig", "vollkommen pflegebedürftig","arbeitsunfähig" etc. waren für sie wichtige Auswahlkriterien.

In der Wiener Anstalt Steinhof waren die Deportierten alles andere als willkommen. Was sie dort erlebten, zeigt der Brief einer der Verschleppten an ihre Alsterdorfer Betreuerin: "… Wir haben alle geweint. Die Schwestern haben die erste Zeit so sehr auf uns geschimpft. Wir sollten wieder hin, wo wir hergekommen sind usw. Daß die Hamburger uns sowas schicken, daß wir alle noch leben. So ein Elend. … Wir werden jetzt so lieblos behandelt, wir kennen keine Liebe mehr. Ja, das ist sehr traurig. … Wir bekommen [morgens] nur eine Schnitte trockenes Brot, und mittags bekommen wir wenig zu essen, und nachmittags bekommen wir auch so wie morgens. Und abends bekommen wir etwas Warmes, aber nur ganz wenig. … Wir haben so schwer Verlangen nach Alsterdorf. Wenn nur die Stunde bald schlagen möchte. …"

Im Steinhof regierte der Hunger. Das blieb auch Bertha Bunsats Eltern und ihren beiden Schwestern Emma Bunsat und Charlotte Lilje, geb. Bunsat, nicht verborgen. Sie schickten Pakete und Geld nach Wien, wie aus den Unterlagen hervorgeht. Ein Gesuch Emma Bunsats um Rückführung ihrer unglücklichen Schwester nach Hamburg wurde kategorisch abgelehnt.

Bertha Bunsats Gesundheitszustand verschlechterte sich in rasender Geschwindigkeit. Innerhalb von vier Monaten nahm sie um 6 kg ab, wurde zusehends pflegebedürftiger, blieb immer länger im Bett liegen, war von Tag zu Tag wackeliger auf den Beinen und ihre Wissenslücken wurden größer und größer. Bald wusste sie gerade noch ihren Namen und ihre Heimatstadt.
15 Monate nach ihrer Verlegung starb Bertha Bunsat in Wien an Lungen- und Bauchfelltuberkulose, wie den Hinterbliebenen mitgeteilt wurde.

Diese Auskunft, die viele Angehörige erhielten, wurde damals bereits von vielen Adressaten – darunter auch von Charlotte Lilje – bezweifelt, und wird heute von der Wissenschaft als gezielte Fälschung bezeichnet.


Stand: April 2019
© Klaus Möller

Quellen: Archiv der Evangelischen Stiftung Alsterdorf, V370; Harald Jenner, Michael Wunder, Hamburger Gedenkbuch Euthanasie. Die Toten 1939–1945, Hamburg 2017; Michael Wunder, Ingrid Genkel, Harald Jenner, Auf dieser schiefen Ebene gibt es kein Halten. Die Alsterdorfer Anstalten im Nationalsozialismus, Hamburg 1987; Antje Kosemund, Spurensuche Irma, VVN-BdA Hamburg (Hrsg.), 2. Auflage Hamburg 2004; Claus Günther, Heile, Heile Hitler. Szenen einer Kindheit, Hamburg 2016; Harburger Adressbücher.

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