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Hermann Garber
© Archiv Evangelische Stiftung Alsterdorf

Hermann Garber * 1907

Goldbekufer 20 (Hamburg-Nord, Winterhude)


HIER WOHNTE
HERMANN GARBER
JG. 1907
EINGEWIESEN 1935
ALSTERDORFER ANSTALTEN
"VERLEGT" 10.8.1943
HEILANSTALT MAINKOFEN
TOT 10.5.1945

Hermann August Garber, geb. am 12.7.1907 in Hamburg, gestorben am 10.5.1945 in der "Heil- und Pflegeanstalt Mainkofen"

Goldbekufer 20, Winterhude

Hermann August Garber wurde am 12.7.1907 in Hamburg-Hammerbrook, Banksstraße 119, geboren. Sein Vater, Karl Johann Christoph Garber, geb. am 4.5.1875 in Hagenow/Mecklenburg, der nur Carl genannt wurde, und seine Mutter Louise Gustava Olga, geb. Dahl, geb. am 12.12.1885 in Hamburg, hatten am 17. Dezember 1904 in Hamburg geheiratet. Aus ihrer Ehe gingen fünf Kinder hervor. Neben Hermann August waren dies seine älteren Brüder Carl, geb. am 30.5.1905, Walter Johannes Hermann Alfred, geb. am 6.7.1906, die Schwestern Karla und Wera, geb. am 2.10.1908 bzw. am 26.9.1919.

In der Familie lebte außerdem ein Halbbruder, Hellmuth Otto Christoph Garber, geb. am 28.12.1899. Er stammte aus der ersten Ehe von Karl Johann Christoph Garber. Dessen erste Ehefrau, Julie Jacobine Caroline Garber, geb. Leitow, geb. am 27.6.1878 in Hamburg, war am 11. März 1904 im Alter von 25 Jahren gestorben.

Über Hermann August Garbers frühe Kindheit und Jugend finden sich keine Aufzeichnungen außer dem Hinweis, dass er die Schule bis zur vierten Klasse (zu der Zeit war die erste Klasse die Abgangsklasse) besucht hat. Er lebte bei seinen Eltern.

1927, im Alter von zwanzig Jahren, fand Hermann August Arbeit bei der "Eilbecker Meierei von G. Pönitz" im Eilbecker Weg 39/41. Wenig später, Hermann August war jetzt 21 Jahre alt, schloss sich eine Botentätigkeit bei dem Eisenwarengeschäft von Theodor Nasemann in der Dorotheenstraße 178 in Hamburg-Winterhunde an. Auch diese Beschäftigung war nicht von langer Dauer.

Im Juli 1929 wurde Hermann August Garber im Versorgungsheim Hamburg-Farmsen aufgenommen. Die Hintergründe und die Umstände der Aufnahme kennen wir nicht. Der Aufenthalt in Farmsen endete nach etwa zwei Monaten im September 1929. Wir wissen nicht sicher, wo sich Hermann August Garber in den nächsten fünf Jahren aufhielt.

Wie er bei seiner Aufnahme am 22. März 1935 in den damaligen Alsterdorfer Anstalten (heute Evangelische Stiftung Alsterdorf) erklärte, habe er im Versorgungsheim Farmsen fünf Jahre lang kein Wort gesprochen. Dies könnte darauf hindeuten, dass Hermann August Garber kurz nach seiner Entlassung erneut Bewohner des Versorgungsheims Farmsen wurde, bevor er von dort am 21. Juni 1934 in das Versorgungsheim Oberaltenallee in Hamburg-Barmbek kam.

Wenige Monate später, am 31. November oder Dezember 1934 (die Datumsangaben differieren), wurde Hermann August Patient der Staatskrankenanstalt Friedrichsberg. Begründet wurde dies in dem ärztlichen Attest, die Aufnahme sei "wegen Imbecillität in die St.K.A. Friedrichsberg erforderlich. Haupterscheinungen: Selbstmordabsichten (Fenstersturz), dreht wiederholt die Heisswasserhähne auf, vollkommen unzugänglich. Staatliche Wohlfahrtsanstalten Hamburg, gez. Dr. Pecht." Bei der Aufnahme in Friedrichsberg antwortete Hermann August laut Auszug aus seiner Krankenakte auf keine Frage. Weiter wurde festgehalten, er habe "serienweise leichte Anfälle" gehabt, sei verwirrt zwischen den Anfällen und zeige einen "absence-artigen Bewusstseinszustand". Er spreche nicht, sondern teile dem Arzt seine Wünsche schriftlich mit. Wegen großer Unsauberkeit habe er "eingebettet" werden müssen. Am 22. März 1935, etwa drei Monate nach seiner Einweisung, wurde jedoch festgehalten: "Spricht wieder, arbeitet fleissig. Verlegt nach Alsterdorf."

Bei seiner Aufnahme in den damaligen Alsterdorfer Anstalten wurde Hermann August Garber als 170 cm großer schmächtiger Mann mit zierlichem Körperbau beschrieben. Die Diagnose lautete "Epilepsie".

Auch in Alsterdorf wurde notiert, er habe häufig nicht gesprochen, sondern versucht, sich durch beschriebene Zettel oder durch Handbewegungen verständlich zu machen. Als er Feuer zum Anzünden einer Zigarette erst erhielt, nachdem er seinen Wunsch mündlich ausdrückte, erklärte er laut Patientenakte: "Wenn Sie an meiner Stelle wären, würden Sie dasselbe tun, das ist keine Dickköpfigkeit von mir, sondern weil ich an die Anstalt gebunden bin mein Leben lang. Alle Geschwister sind verheiratet, meine Eltern stehen sich so gut und ich sitze hier, mein Vormund hat mich ja in ’ne Anstalt gebracht, meine Eltern hätten mich auf der Straße verloddern lassen. Wenn hier keiner dahinter gekommen wäre, hatte ich nicht gesprochen, wie in Farmsen, da sagten sie: der Mensch ist anständig und ruhig und hat man mich zufrieden gelassen. Heute noch nicht, aber morgen gehts los, dann spreche ich 8 Wochen nicht."

Hermann August Garber fiel der Patientenakte zufolge während seines Aufenthalts in Alsterdorf oftmals in so heftige Erregungszustände, dass er in einem Einzelzimmer oder sogar in einer Zelle isoliert wurde. Er habe mit Stühlen geworfen, angeblich ohne Grund auf seine Mitpatienten eingeschlagen und sich mit Absicht erbrochen. Als Ermahnungen nicht zur Beruhigung führten, erhielt Hermann August eine "Ganzpackung". Bei dieser Behandlung wurden Patienten in Nesseltücher bzw. Bettlaken gewickelt und mit eiskaltem Wasser übergossen.

Im Mai 1936 soll Hermann August Garber sich mit Suizidgedanken getragen haben. Näheres ist nicht bekannt.

Aus einem Urlaub im August brachten ihn seine Eltern vorzeitig zurück. Wie sie berichteten, habe er sich auf die Deichsel zwischen einem Lastkraftwagen und dessen Anhänger gesetzt, um zur Erledigung eines Auftrags schneller voran zu kommen. Die Zeit des Wartens auf Urlaub und nach der Rückkehr soll regelmäßig von "Verstimmungen" überschattet gewesen sein. Hermann August habe dann nicht gesprochen, sich erbrochen, seine Kleider und die Umgebung beschmutzt, seine Mitpatienten angegriffen und geweint.

Im Jahre 1937 leiteten die Alsterdorfer Anstalten Hermann August Garbers Steriliation ein. Nach dem im Juli 1933 erlassenen "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" konnte ein Mensch unfruchtbar gemacht (sterilisiert) werden, "wenn nach den Erfahrungen der ärztlichen Wissenschaft mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass seine Nachkommen an schweren körperlichen oder geistigen Erbschäden leiden werden." Als "erbkrank" galt, "wer an einer der folgenden Krankheiten" litt: angeborener Schwachsinn, Schizophrenie, zirkulärem (manisch-depressivem) Irresein, erblicher Fallsucht, erblichem Veitstanz (Huntingtonschen Chorea), erblicher Blindheit, erblicher Taubheit, schwerer erblicher Missbildung." Zudem wurde bestimmt: "Ferner kann unfruchtbar gemacht werden, wer an schwerem Alkoholismus leidet."

Am 20. September 1937 wurde Hermann August Garber in das Universitätskrankenhaus Eppendorf verlegt. Nach dem Eingriff kam er am 27. September zurück nach Alsterdorf.

Die weiteren Berichte über Hermann August Garber ähneln denen aus den Vorjahren. Wiederholt sei es zu Konflikten mit Mitpatienten gekommen, sodass er auch einmal in den "Wachsaal" verlegt worden sei.
"Wachsäle" gab es bereits in den 1910er Jahren. Dort wurden unruhige Kranke isoliert und mit Dauerbädern, Schlaf- sowie Fieberkuren behandelt. Im Laufe der 1930er Jahre wandelte sich deren Funktion: Nun wurden hier Patientinnen und Patienten vor allem ruhiggestellt, teils mit Medikamenten, teils mittels Fixierungen oder anderer Maßnahmen. Die Betroffenen empfanden dies oft als Strafe.

Während der schweren Luftangriffe auf Hamburg im Sommer 1943 ("Operation Gomorrha") erlitten auch die damaligen Alsterdorfer Anstalten schwere Schäden. Der Anstaltsleiter, Pastor Friedrich Lensch, bat die Gesundheitsbehörde um Zustimmung zur Verlegung von 750 Patientinnen und Patienten, angeblich um Platz für Verwundete und Bombengeschädigte zu schaffen. Mit drei Transporten zwischen dem 7. und dem 16. August wurden insgesamt 469 Mädchen und Frauen, Jungen und Männer in die "Heil- und Pflegeanstalt Kalmenhof" bei Idstein, die "Heil- und Pflegeanstalt Eichberg" im Rheingau, die "Heil- und Pflegeanstalt Mainkofen" bei Passau und in die "Wagner von Jauregg – Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien" verlegt. Für den Transport am 10. August 1943 nach Mainkofen wurden 113 Alsterdorfer Bewohner aus allen Abteilungen zusammen gestellt.

In dem Transport nach Mainkofen befand sich auch Hermann August Garber. Er kam dort am 11. August 1943 an. Auch in Mainkofen wurde Hermann August als zeitweilig sehr erregt und unverträglich beschrieben. Erst im April 1945 änderte sich die Eintragung in der Patientenakte: "In der letzten Zeit bedeutend ruhiger und verträglicher, kümmert sich kaum noch um seine Umgebung. Kommt nur selten zum Pfleger und bittet um Rauch- oder Schnupftabek, Briefpapier. Liest sehr gerne, beschäftigt sich damit den ganzen Tag."

Am 10. Mai 1945 folgte die letzte Eintragung. "An der linken Hand starke phlegmonöse Entzündung [bakterielle Entzündung des Bindegewebes, die bei rechtzeitiger antibiotischer oder chirurgischer Therapie geheilt werden kann], die stark Eiter entleert und anfing, sich zu reinigen. Seit einiger Zeit sehr starke Durchfälle, […]. Dementsprechend starker Rückgang des Ernährungs- und Kräftezustandes. Heute 15 Uhr 15 gestorben. Todesursache: Darmkatarrh, pflegmonöse Entzündung der linken Hand."

Die Anstalt Mainkofen gehörte zu jenen Einrichtungen, in denen der Tod der Patientinnen und Patienten durch Nahrungsentzug (Hungerkost, fleisch- und fettlose Ernährung, in Mainkofen als "3-b Kost" bezeichnet), pflegerische Vernachlässigung und überdosierte Medikamentengaben vorsätzlich herbeigeführt wurde. Von 1943 bis 1945 starben in Mainkofen 762 Patientinnen und Patienten in den sogenannten Hungerhäusern. Als angebliche Todesursachen wurden insbesondere Darmkatarrh, Tbc und Lungenentzündung festgehalten.

Behandlungsmaßnahmen gegen Hermann August Garbers Infektion der linken Hand und seines Darmleidens sind nicht dokumentiert.

Hermann August Garbers Eltern erhielten keine Nachricht vom Tod ihres Sohnes, weil dies "wegen der seinerzeit bestehenden Postsperre" nicht möglich gewesen sei. Wera Brückner, Hermann Augusts jüngste Schwester, erhielt auf ihre Nachfrage die Antwort, "Ihr Bruder ist ausweislich der Krankengeschichte an Darmkatarrh und phlegmonöser Entzündung der linken Hand am 10.V.45 gestorben. Das seiner Ursache nach nicht geklärte Darmleiden verlief mit heftigsten Durchfällen, die auf keine Behandlung ansprachen. Infolge herabgesetzter Widerstandskraft vermochte der Körper mit einer zwischendurch aufgetretenen Infektion, der Zellgewebsentzündung an der Hand, nicht mehr fertig zu werden."

Stand: August 2020
© Ingo Wille

Quellen: AB 1900-1935; StaH 332-5 Standesämter 6437 Nr. 500/1904 Heiratsregistereintrag Karl Johann Christoph Garber/Louise Gustava Olga Dahl; StaH 332-5 Standesämter 4202 Nr. 14/1904 Sterberegistereintrag Julie Jacobine Caroline Garber geb. Leitow; StaH 332-5 Standesämter 6316 Nr. 236/1891 Geburtsregistereintrag Hugo Helmuth Karl Christian Garber; StaH 332-5 Standesämter 6418 Nr. 635/1909 Heiratsregistereintrag Karl Johann Christoph Garber/ Julie Jacobine Caroline Leitow; StaH 332-5 Standesämter 7304 Nr. 164/1906 Geburtsregistereintrag Johannes Hermann Alfred Garber; StaH 332-5 Standesämter 8930 Nr. 1930/1878 Geburtsregistereintrag Julie Jacobine Caroline Leitow; StaH 332-5 Standesämter 14816 Nr. 880/1907 Geburtsregistereintrag Hermann August Garber; StaH 332-5 Standesämter 13325 Nr. 21/1899 Geburtsregistereintrag Hellmuth Hermann Otto Christoph Garber; Evangelische Stiftung Alsterdorf Archiv V 413, Patientenakte Hermann August Garber; Wunder, Genkel, Jenner, Auf dieser schiefen Ebene gibt es kein Halten mehr, 3. Aufl., Stuttgart 2016, S. 315 ff.

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