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Bereits verlegte Stolpersteine



Hans-Peter Harder
Hans-Peter Harder
© Archiv Evangelische Stiftung Alsterdorf

Hans-Peter Harder * 1939

Winterhuder Weg 11 (Hamburg-Nord, Uhlenhorst)


HIER WOHNTE
HANS-PETER HARDER
JG.1939
"EINGEWIESEN" 1942
ALSTERDORFER ANSTALTEN
"VERLEGT" 7.8.1943
IDSTEIN / KALMENHOF
"KINDERFACHABTEILUNG"
ERMORDET 9.9.1943

Weitere Stolpersteine in Winterhuder Weg 11:
Johanna Führt, Horst Langeloh

Hans-Peter Harder, geb. 23.12.1939 in Hamburg, nach Säuglingsheim, Kleinkinderhaus und die damaligen Alsterdorfer Anstalten (heute Evangelische Stiftung Alsterdorf), "verlegt" am 7.8.1943 in die Heil- und Pflegeanstalt Kalmenhof in Idstein, gestorben am 9.9.1943

Winterhuder Weg 11 (Uhlenhorst)

Hans-Peter Harder kam am 23.12.1939 in der Frauenklinik Finkenau in Hamburg-Uhlenhorst zur Welt. Seine ledige Mutter, die am 8.10.1915 in Hamburg geborene Wilma Harder, war bei seiner Geburt 24 Jahre alt. Sein leiblicher Vater war der 1919 geborene Seemann Bruno Mielke, der zur Zeit von Hans-Peters Geburt zur Kriegsmarine einberufen war.

Wilma Harder hatte bereits am 8.2.1937 ein Kind bekommen, über das wir Näheres nicht wissen. Hinter ihr – so die Akten - lagen eine problematische Kindheit und Jugend: Ihr Vater war nicht bekannt, ihre Mutter soll "unsolide" gelebt haben. Wilma Harder wurde, als sie dreizehn Jahre alt war, in einem Gutachten als "schwer erziehbares psychopathisches Kind" bezeichnet. Sie hatte die Schule nach der dritten Klasse verlassen (die erste Klasse war damals die höchste), kam in die Obhut der Fürsorgeerziehung und lebte einige Zeit im Erziehungsheim Birkenhof in Hannover-Kirchrode. Offensichtlich war sie nicht in der Lage für das Kind zu sorgen.

Hans-Peter Harder wurde deshalb aus der Geburtsklinik in das damalige Säuglingsheim der Wilhelm Stiftung in Rahlstedt übergeben. Als er dieses hinter sich gelassen hatte, wurde er im Juli 1941 zunächst in das Johannes-Petersen-Heim in Volksdorf und im August des Jahres in das staatliche Kleinkinderhaus am Winterhuder Weg 11 im Stadtteil Uhlenhorst eingewiesen.

Über den inzwischen Zweieinhalbjährigen hieß es dort: "Neurologisch in Ordnung. Körperlich in gutem Zustand. Sitzt und steht allein. Es ist schwer mit Hans-Peter in Kontakt zu kommen, da er sich für nichts interessiert. Bei Ansprechen reagiert er meistens mit Weinen. Er spricht noch kein Wort, plappert auch nicht wie andere Kinder seines Alters, spielt für sich, aber ohne richtige Anteilnahme. Soweit man das in diesem Alter schon feststellen kann, scheint Hans-Peter geistig rückständig zu sein. Eine Inpflegegabe kann nicht befürwortet werden. Ich empfehle Versetzung in ein Heim für minderwertige Kinder. Gezeichnet Dr. Bosse."

Die Patientenakte enthält keinerlei Hinweise auf die Frage, ob Hans-Peter während seines Heimlebens jemals liebevolle Zuwendung und spielerische oder kommunikative Anregungen erfahren hat.

Am 3. März 1942 wurde Hans-Peter Harders Einweisung in die damaligen Alsterdorfer Anstalten (heute Evangelische Stiftung Alsterdorf) mit folgender Begründung vorbereitet: "Die Aufnahme des Patienten ist wegen Idiotie und Entwicklungsstillstand in die Alsterdorfer Anstalten erforderlich. […] Starke motorische Unruhe, kann keinen Augenblick allein gelassen werden. Macht keine Sprechversuche, interesselos, träge, stumpf. Gez. Dr. Gräfe".

Zu diesem negativen Bild passt nicht, was am 6. Januar 1943 über den inzwischen dreijährigen Hans-Peter in dessen Patientenakte festgehalten wurde: "Patient ist im Wesen sehr lebhaft, an seiner Umgebung nimmt er regen Anteil. Er versucht zu sprechen, spricht Worte nach, er läuft jetzt gut allein. Er beschäftigt sich gern mit Spielsachen, ißt unter Aufsicht allein, er bekommt volle Kost. Am Tage kann er trocken gehalten werden. Nachts ist er nass."

Möglicherweise hätte sich diese gute Entwicklung fortgesetzt, wenn Hans-Peter Harder dazu die Zeit gegeben worden wäre. Doch der Anstaltsleiter, SA-Mitglied Pastor Friedrich Lensch, nutzte die Schäden, die die Alsterdorfer Anstalten während der schweren Luftangriffe auf Hamburg im Sommer 1943 ("Operation Gomorrha") erlitten hatten, dazu, sich schwieriger und aufwändiger Pflegefälle zu entledigen. Er bat die Gesundheitsbehörde um Zustimmung zur Verlegung von 750 Patientinnen und Patienten, angeblich um Platz für Verwundete und Bombengeschädigte zu schaffen. Daraufhin verließen zwischen dem 7. und dem 16. August 1943 drei Transporte mit insgesamt 469 Mädchen, Jungen, Frauen und Männern Alsterdorf in verschiedene Richtungen.

Hans-Peter Harder wurde dem Transport von 128 Jungen und Männern am 7. August 1943 zugeteilt, von denen 76 in die "Landesheilanstalt Eichberg" in der Nähe von Wiesbaden und 52 Jungen im Alter von zwei bis zwölf Jahren, unter ihnen auch Hans-Peter Harder, in die "Heil- und Pflegeanstalt Kalmenhof" gebracht wurden.

Die 1888 gegründete Anstalt Kalmenhof war ursprünglich eine fortschrittliche pädagogische Einrichtung für Menschen mit geistigen Behinderungen. Sie war 1939 in das "Euthanasie"-Programm der "Aktion-T4" (eine Tarnbezeichnung nach dem Sitz der Berliner Euthanasiezentrale in der Tiergartenstraße 4) einbezogen worden. Die Patientinnen und Patienten wurden von dort in die benachbarte Tötungsanstalt Hadamar verlegt und ermordet. Nach dem offiziellen Stopp der Euthanasiemorde im August 1941 wurde im Kalmenhof eine "Kinderfachabteilung" der "Euthanasie"-Tarnorganisation mit dem verschleiernden Namen "Reichsausschuss zur wissenschaftlichen Erfassung erb- und anlagebedingter schwerer Leiden" eingerichtet, in der Kinder durch überdosierte Medikamente wie Luminal, Skopolamin oder Morphium getötet wurden.

Viele der Kinder aus Hamburg starben nur wenige Tage nach ihrer Ankunft im Kalmenhof, Hans-Peter Harder nach einem Monat am 9. September 1943.

Stand: Juli 2021
© Ingo Wille

Quellen: Evangelische Stiftung Alsterdorf, Archiv, Sonderakte V 053 (Hans-Peter Harder); Standesamt Idstein, Sterberegisterauszug 162/1943 Hans-Peter Harder; Harald Jenner, Michael Wunder, Hamburger Gedenkbuch Euthanasie – Die Toten 1939-1945, Hamburg 2017, S. 139. Michael Wunder, Ingrid Genkel, Harald Jenner, Auf dieser schiefen Ebene gibt es kein Halten mehr – Die Alsterdorfer Anstalten im Nationalsozialismus, Stuttgart 2016, S. 283 ff; https://www.aerzteblatt.de/archiv/24708/NS-Kindereuthanasie-Ohne-jede-moralische-Skrupel (Zugriff am 30.6.2021); https://de.wikipedia.org/wiki/Kalmenhof#Der_Kalmenhof_als_Zwischenanstalt (Zugriff am 4.7.2021).

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