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Lucie Moses, undatiert
Lucie Moses, undatiert
© Privatbesitz

Lucie Moses (geborene Curjel) * 1894

Beim Andreasbrunnen 8 (Hamburg-Nord, Eppendorf)

1941 Lodz
ermordet 29.10.1943

Weitere Stolpersteine in Beim Andreasbrunnen 8:
Emil Behrens, Jenny Behrens, Dr. Leonhard Stein, Rosa Stein

Lucie Moses, geb. Curjel, geb. 26.6.1894 in Niederrad, am 25.10.1941 nach Lodz deportiert, dort gestorben am 29.10.1943

Beim Andreasbrunnen 8
Alter Steinweg 1

Kurt Moses, geb. 19.6.1895 in Hamburg, Haft 1938 KZ Sachsenhausen, gestorben am 30.5.1940 an den Spätfolgen der Haft

Alter Steinweg 1

Lucie war das einzige Kind des Handelsvertreters für Papierwaren Hermann Curjel und seiner Frau Martha. Ihr Geburtsort Niederrad war 1894 noch eine selbstständige Gemeinde mit 5400 Einwohnerinnen und Einwohnern, in den entsprechenden Adressbüchern von 1891, 1896 und 1900 ist die Familie jedoch nicht eingetragen. Wann und warum sie nach Ham­burg zog, ist nicht bekannt.

In den 1930er Jahren wohnte das Ehepaar Curjel im Abendrothsweg 55, die Firma befand sich in der Catharinenstraße. Der Enkel, Lucies Sohn, erinnerte sich daran, dass seine Groß­mut­ter Klavierlehrerin gewesen und ebenso wie der Großvater Anfang der 1930er Jahre verstorben sei.

Über Lucies Kindheit, Schulzeit und Ausbildung ist nichts bekannt. Im August 1919 heiratete sie den am 19. Juni 1895 in Hamburg geborenen Kurt Moses, Sohn von Jenny und Alexander Moses (gen. Süsskind) (siehe www.stolpersteine-hamburg.de). Die Familie Moses hatte in der Hoheluftchaussee 19 eine Schlachterei, vielleicht waren Curjels dort Kunden und die Familien wurden so miteinander bekannt. Die Vorfahren beider Familien lebten schon seit Jahrhunderten in Deutschland. Das Schicksal von Jenny und Alexander Moses und ihrer drei weiteren Kinder wird Susanne Lohmeyer in dem Buch "Stolpersteine in Hamburg-Eimsbüttel" schildern.

Im Mai 1921 bekamen Lucie und Kurt einen Sohn, Gerhard. Bis Anfang der 1930er Jahre wohnten sie in der Lenhartzstraße 9, dann zogen sie in das Haus "Beim Andreasbrunnen 8", 1. Etage.

Über sein Elternhaus sagte Gerhard 1983 in einem Gespräch, das im Rahmen der Ausstellung "Als Hamburg erwachte" stattfand: "Mein Vater war stolz, dass er Frontsoldat im Ersten Weltkrieg war, und das war bezeichnend für das liberale, mittelständische Judentum. Er war unpolitisch. Meine Eltern habe ich vor 1933 nie von Politik reden hören. Die haben sich nicht mit Politik beschäftigt, die wussten gar nicht, was auf sie zukam, möchte ich behaupten", und weiter: "Alle jüdischen Bekannten, mit denen meine Eltern, mit denen ich zusammenkam, waren Leute, die sich als Deutsche, rein als Deutsche fühlten … Und so, wie andere katholisch oder evangelisch waren, so waren wir [liberale] Juden. Wir gingen zur Tempelgemeinde. Der Tempel war erst in der Poolstraße und dann in der Oberstraße, da gingen wir zweimal im Jahr hin, zum Neujahrsfest und Fasten, so wie andere Weihnachten zur Kirche gingen. Das war für uns rein eine Frage der Religion – Jude … Bewusst kann ich sagen, habe ich als Kind keinen Antisemitismus gespürt. Was war, ist tatsächlich, dass aus bestimmten Gründen auch jüdische Kinder zusammengehalten haben, schon durch das Elternhaus. Die Bekannten meiner Eltern und meine Bekannten in der Schule waren tatsächlich meistens Juden."

Kurt Moses führte im Alten Steinweg 1 ein Bekleidungsgeschäft, das "Allgemeine Bekleidungshaus Centrum". Als Gerhard größer war, arbeitete Lucie auch mit im Geschäft. Gerhard hat sie als "liebende Mutter" in Erinnerung.

Am 1. April 1933 sollte das "Centrum" nach dem Willen der Nationalsozialisten boykottiert werden. Gerhard beschrieb die Situation folgendermaßen: "[Das Geschäft] zog sich über zwei Häuser längs. Es war also im ersten Stock eine ziemliche Front, und die SA-Leute standen erst unten vor der Tür und sind dann nachher oben vor die Tür gegangen. Wir hatten hauptsächlich Arbeiterkundschaft, weil es ein Abzahlungsgeschäft war und die wirtschaftliche Situation war ja so, dass das etwas recht Beliebtes damals war, in monatlichen Raten für drei oder fünf Mark sich einen Anzug zu kaufen. Wir hatten recht viel zu tun an dem Tag, es ist viel Kundschaft gekommen. Mein Vater hat den ganzen Kundenbetrieb auf die Mitte konzentriert, dass die SA-Leute, die vor der Tür standen, immer sehen mussten, dass das Geschäft sehr voll war. Wenn ich richtig erinnere, sind sie auch vorzeitig abgezogen, sind nicht bis abends dageblieben."

An diesem Tag schien noch einmal alles gutgegangen zu sein. Warum sollte man sich ernsthaft sorgen? Gerhard sagte zum Thema: "Meine Eltern haben ja auch das Geschäft gehabt, das Geschäft ging gut, und sie haben sich im Grunde bis 1938 keine Gedanken gemacht über Auswanderung, weil das überhaupt nicht in ihr Konzept passte." Nach der Pogromnacht 1938 kam dann, wie bei vielen anderen Jüdinnen und Juden auch, das böse Erwachen. Kurt Moses war lungenkrank und wurde an einem Vormittag aus der Praxis seines Lungenfacharztes heraus verhaftet. Mit Hunderten anderer jüdischer Hamburger inhaftierte man ihn im KZ Sachsenhausen.

Am 2. Dezember 1938 wurde Kurt Moses, wahrscheinlich aufgrund seines Gesundheitszustandes, entlassen. Ob seine Eltern nach diesem Erlebnis an Auswanderung gedacht haben? Der Schock muss tief gesessen haben. Nach Einschätzung des Sohnes hatte sich Kurts Krankheit so verschlimmert, dass es unmöglich gewesen wäre, ein Visum für ein Aufnahmeland zu bekommen. Damit wenigstens ihr Kind in Sicherheit sein würde, hatten sie Gerhard 1938 mit einem Kindertransport nach England geschickt, wo er Nationalsozialismus und Krieg überlebte. Kurt Moses starb am 30. Mai 1940, kurz vor seinem 45. Geburtstag, an den Spätfolgen der Haft. Sein Grab befindet sich auf dem Jüdischen Friedhof Ohlsdorf an der Ihlandkoppel.

Der wirtschaftliche Niedergang der Familie Moses durch den Raub ihres Geschäftes ist anschaulich in einer Akte des Oberfinanzpräsidenten nachzulesen: Am 22. November 1938 (Kurt war zu der Zeit in Haft) wurde mitgeteilt, dass seine Firma unter "Sicherungsanordnung" gestellt werde. Lucie Moses war Prokuristin, durfte aber das Geschäft bald darauf nicht mehr betreten. Ein Herr Erich Pommerenke, Altona, wurde zum "alleinvertretungsberechtigten Treuhänder bestellt mit der Aufgabe, das Geschäft im bisherigen Rahmen weiterzuführen und die Übernahme in arische Hände vorzubereiten". Als immer wiederkehrende Gründe wurden auch hier genannt: "Herr Kurt Moses ist Jude. Es ist damit zu rechnen, dass er in nächster Zeit auswandern wird. Nach den in letzter Zeit mit auswandernden Juden gemachten Erfahrungen ist es daher notwendig, dem Genannten die Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis für sein Handelsgeschäft zu entziehen. ... Die Kosten dieser Sicherungsanordnung fallen gemäss § 3 der 9. Durchführungsverordnung zum Devisengesetz vom 20.2.37 Ihnen zur Last." Als nächstes musste Lucie das Auto der Familie abgeben. Vergebens bat sie darum, es behalten zu dürfen, da es zum Transport des schwerbehinderten Kurt gebraucht werde. Im Februar 1939 bekam die Firma eine Ordnungsstrafe über 100000 RM auferlegt. In einer Aufstellung hieß es: "Status per 31.3.1939 Vermögen 135000,61 RM, Schulden 135000,61 RM".

Zwei Monate später meldete Pommerenke in einem Schreiben an den Oberfinanzpräsidenten, dass das Warenlager gepfändet und mit dem größeren Teil der Einrichtung versteigert worden sei. Das Auto sei gepfändet und werde in wenigen Tagen versteigert, die Geschäftsräume zum 30. April 1939 gekündigt, "außerdem ist den Eheleuten Moses mit Genehmigung der Behörde ein monatlicher Betrag von RM 200 ausgekehrt".

Wie mag Lucie Moses sich nach Kurts Tod gefühlt haben – verwitwet, ohne Eltern oder Geschwister, der einzige Sohn weit weg …? Gerhard versuchte, in England eine Arbeit für seine Mutter zu finden, um ihr so die Einreise zu ermöglichen. Wer eine Stelle als Hausangestellte fand, hatte die Chance, ein Visum für Großbritannien zu bekommen. Für Lucie war es zu spät. Sie wurde aus der Wohnung Beim Andreasbrunnen vertrieben und musste in die Ostmarkstraße 2 (bis zum "Anschluss" Österreichs 1938 Hallerstraße) ziehen. Wahrscheinlich wurde sie, wie alle noch in Hamburg lebenden jüdischen Menschen, zur Zwangsarbeit herangezogen, denn auf der Deportationsliste ist als ihr Beruf "Arbeiterin" verzeichnet. Im Getto "Litzmannstadt" wohnte sie in der Cranachstraße. Als Beruf wurde dort einmal Kontoristin, einmal Arbeiterin angegeben. Lucie Moses hatte eine Arbeitsstelle bei "Eigene Plantagen". Dabei handelte es sich um landwirtschaftlich genutzte Felder bzw. Beete im oder unmittelbar neben dem Getto. Aufgrund dieser Arbeitsstelle erreichte sie ihre Befreiung von der "Aussiedelung" im Mai 1942. Eineinhalb Jahre später, am 29. Oktober 1943, starb die 49 Jahre alte Lucie Moses im Getto "Litzmannstadt" an Tuberkulose.

© Sabine Brunotte

Quellen: StaH 314-15 OFP, R 1938/3213; Bruhns, Hier war doch alles nicht so schlimm, 1984, Gespräche mit dem Sohn, S. 115, 120, 127; schriftl. Auskunft Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen vom 6.11.2008, AZ 2-10/5; Telefongespräch mit dem Sohn vom 6.8.2007; Auskunft Jüdisches Museum Frankfurt/Main, E-Mail vom 2.11.2009; USHMM, RG 15.083 302/336-336, Auskunft Fritz Neubauer, Universität Bielefeld, E-Mail vom 9.6.2010; Auskunft Fritz Neubauer, Universität Bielefeld, E-Mail vom 20.6.2010 (betr. "Eigene Plantagen").
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Recherche und Quellen.

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