Namen, Orte und Biografien suchen


Bereits verlegte Stolpersteine


zurück zur Auswahlliste

"Judenpass" von Emma Weiland
© StaH

Emma Weiland als junge Frau
Emma Weiland als junge Frau
© Privatbesitz

Emma Weiland (geborene Cohn) * 1871

Schäferkampsallee 29 (Eimsbüttel, Eimsbüttel)


HIER WOHNTE
EMMA WEILAND
GEB. COHN
JG. 1871
DEPORTIERT 1943
THERESIENSTADT
BEFREIT

Weitere Stolpersteine in Schäferkampsallee 29:
Dr. Rudolf Borgzinner, Martha Dessen, Heinrich Harth, Meyer Jelinewski, Margaretha Magnus, Eva Emma Mathiason, Gertrud Stillschweig, Clara Streim

Emma Weiland, geb. Cohn, geb. am 8.11.1871 in Altona, deportiert am 19.1.1944 nach Theresienstadt, befreit am 8.5.1945, gestorben am 27.11.1945 in Hamburg-Eimsbüttel

Schäferkampsallee 29

Emma Weiland, genannt Emilie, war als Tochter von Isaac Cohn und dessen Ehefrau Fanny Möller zur Welt gekommen. Beide Eltern stammen aus Altona. Zum Zeitpunkt ihrer Eheschließung im Jahr 1868 waren dort 2.359 Juden verzeichnet.

Emmas Vater Isaac entstammte einer Altonaer Händlerfamilie, die sich zwei Generationen zurückverfolgen lässt. Er selbst war "Productenhändler", vermutlich kaufte er landwirtschaftliche Produkte bei Bauern auf und vertrieb diese in seinem Geschäft. Isaac und seine dreizehn Jahre jüngere Frau Fanny wurden auf dem Jüdischen Friedhof Altona am Bornkampsweg begraben, wo auch viele Verwandte bestattet sind.

Emmas Mutter Fanny hatte acht Geschwister. Ihre Tochter Emma erfreute sich dementsprechend einer großen Zahl an Tanten, Onkeln, Cousins und Cousinen. Die Vorfahren von Fanny stammten aus Norddeutschland. Ihr Urgroßvater väterlicherseits – Jesaias Möller – kam aus der jüdischen Siedlung in Fackenbourg bei Lübeck. Die dort lebenden Juden hatten ihre Ursprünge vermutlich in Polen-Litauen. Im Verzeichnis der 1860 in Altona wohnenden Juden ist als sein Beruf Kammerjäger angegeben. Fannys Mutter Mariane Hirsch stammte aus Kiel. Über sie ist nicht viel bekannt.

Es sind zwei Adressen von Emmas Familie in Altona-Altstadt bekannt: Breitestraße 145 und Langestraße 84 im Jahr 1878. Emma war das zweite Kind der Familie. Ihr ältester Bruder Josef (auch geschrieben Joseph, genannt John) war im Jahr 1870 geboren worden. Ihr jüngerer Bruder Max kam im Jahr 1872 zur Welt, gefolgt von Rudolf im Jahr 1878 (siehe www.stolpersteine-hamburg.de für Josef und Max). Die Brüder wurden beschnitten. Es ist davon auszugehen, dass sie – wie damals üblich – religiös erzogen wurden. Emma sei den Erzählungen der Cohnfamilie nach eine sehr liebenswürdige Frau gewesen.

Am 21. März 1896, im Alter von 24 Jahren, heiratete Emma ihren Mann August Hermann Weiland. Der evangelisch getaufte August stammte aus Graefentonna, Kreis Gotha (Sachsen-Coburg) und war zu dem Zeitpunkt 31 Jahre alt. August wurde als uneheliches Kind geboren. Seine Mutter Friederike Henriette Kettenbeil, geschiedene Möller, heiratete ihren zweiten Mann Christian Gottlieb Weiland als August fast zwei Jahre alt war. Als August 14 Jahre alt war, bekannte sich Christian zur Vaterschaft. August lernte als Beruf Dachdecker. In späteren Dokumenten wurde er als "Arbeiter" und "Händler" bezeichnet.

Auch Emmas Geschwister Josef und Rudolf heirateten nichtjüdische Ehepartner. Damit lockerte sich in ihrer Generation erstmals die Zugehörigkeit zur jüdischen Gemeinde. Jüdinnen verloren in Hamburg mit einer interkonfessionellen Heirat ihre Gemeindezugehörigkeit.

Bald nach der Hochzeit wurde Emma Weiland schwanger und gebar 1897 ihre Tochter Paula, die bereits ein Jahr später verstarb. Zu diesem Zeitpunkt lebte die Familie in der dritten Etage der Gustavstraße 113 (heute Gilbertstraße). Im Jahr 1899 wurde ihr Sohn Hermann geboren. Zu diesem Zeitpunkt lebte die Familie im Parterre der Conradstraße 24 (heute Gilberstraße). Später zog sie in die Kieler Straße 18 nach Hamburg Langenfelde und baute dort einen Schweinemastbetrieb auf. Im Jahr 1910 wurde die Tochter Margret ("Grete", später "Ella" genannt) geboren. Hermann und Margret Weiland wurden in der Eimsbütteler Apostelkirche evangelisch getauft.

Im Jahr 1911 starb der erkrankte August Weiland im Alter von 46 Jahren. Die 39-jährige Emma musste ihre zwei Kinder alleine durchbringen. Sie führte den Schweinemastbetrieb auf ihrem Namen weiter. Margret berichtete, sie hätten in größter Armut gelebt. Die Geschwister mussten häufig im Stall mitarbeiten. Die sehr zielstrebige Margret konnte so nicht den von ihr erwünschten Schulabschuss machen. Sie blickte mit viel Trauer auf ihre Kindheit zurück.

Im Jahr 1914 begann der Erste Weltkrieg. Hermann Weiland diente von 1917 bis 1919 in der Armee, wo er mit einem Eisernen Kreuz 2. Klasse ausgezeichnet wurde. Danach zog er wieder zu seiner Mutter und unterstützte sie im Betrieb.

Die Adresse des Schweinemastbetriebs wird in den Adressbüchern von 1929 bis 1933 mit Kieler Straße 203/207 angegeben. Das Wohnhaus hatte die Hausnummer 205.
Hermann Weiland erwähnte in einem Lebenslauf, dass sie zur Jahreswende 1933/1934 den Betrieb aufgrund der "zeitbedingten Verhältnisse", vermutlich die Machtübernahme der Nationalsozialisten, schließen mussten. Zu dieser Zeit heiratete Margret ihren Mann Jonni Nielsen und zog mit ihm in die Thusneldastraße 6 in Hamburg-Stellingen, wo sie bis 1994 lebten.

Hermann Weiland bestritt ab da den Lebensunterhalt für sich und seine Mutter als Kutscher beim Fuhrbetrieb Bernhard Jasper, wohnte aber weiter bei Emma Weiland. Am 9. November 1938 wurde er verhaftet und in das KZ Sachsenhausen eingewiesen. Er blieb dort bis zum 2. Dezember 1938. Nach seiner Rückkehr nahm er seine Tätigkeit als Kutscher wieder auf, bis sein Arbeitgeber 1940 einberufen wurde. Eine neue Tätigkeit als Kutscher fand er nicht, sondern verdingte sich bei einer Bekannten in Schnelsen als Landarbeiter. So ernährte er mühsam sich und seine Mutter.

Am 25. Januar 1941 musste Emma zwangsweise den zusätzlichen Namen "Sara" führen, wie in ihrem "Judenpass" und auch im Register der Hochdeutschen Israelitengemeinde verzeichnet ist (nach den NS-Bestimmungen hätte sie dies bereits ab Januar 1939 befolgen müssen).
Am 27. August 1942 gebar Margret nach vielen Jahren der Kinderlosigkeit ihren Sohn Kai Nielsen. Emma wurde Großmutter.
Im September 1942 wurde Emmas Bruder Max in Treblinka vernichtet, wovon sie vermutlich nichts erfuhr.
Am 24. Juli 1943 fielen bei der "Operation Gomorrha" Bomben auf Hamburg, die weite Teile der Stadt zerstörten. Auch Emmas Haus brannte komplett aus. Ihr und Hermann bleiben nur die Kleider, die sie am Leib trugen. Sie zog daraufhin in ein jüdisches Altersheim, eventuell ins jüdische Altenheim in der Sedanstraße 23. Noch im selben Jahr im Alter von 71 Jahren erblindete sie und siedelte in das Hamburger Israelitische Krankenhaus um, das inzwischen (wieder) in der Schäferkampsallee 29 untergebracht war.

Im Dezember 1943 erteilte Heinrich Müller, Leiter der Gestapo, den Befehl, dass nun auch jüdische Ehepartner aus Mischehen, die durch Tod oder Scheidung beendet waren, deportiert werden sollten. Im Januar begann eine reichsweite Deportationswelle nach Theresienstadt. Am 10. Januar 1944 traf es Emma Weiland. Vier Tage darauf wurde ihr gesamtes Eigentum beschlagnahmt. Am 19. Januar wurde sie mit dem Transport Nummer VI/9 zusammen mit 61 Personen deportiert. Am 22. Januar erreichten sie Theresienstadt. Am 21. April erhielt ihr Sohn eine Postkarte: "Liebe Kinder, bald sind wir am Ziel, es geht mir gut und ich grüße Euch alle (?) Viele gute Grüße, Eure Mutter." Die Karte trug den Poststempel vom 22. Januar aus Prag.

In Theresienstadt lebte Emma Weiland im Blindenheim, Gebäude D V, Block Q 319 (später Badhausgasse 19). Jeder Person standen dort im Durchschnitt 3,2 Quadratmeter zur Verfügung.

In das Jahr 1944 fiel der Besuch des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes im Getto sowie die Dreharbeiten des Films "Theresienstadt. Ein Dokumentarfilm aus dem jüdischen Siedlungsgebiet". Tausende jüdischer Bewohnerinnen und Bewohner wurden im Zuge dieser propagandistischen Aktionen nach Auschwitz weiterdeportiert und ermordet. Emma Weiland befand sich nicht unter ihnen, sie überlebte.

Am späten Abend des 8. Mai 1945 befreite die Rote Armee das Getto. Aufgrund einer Fleckfieberseuche konnten die Befreiten jedoch nicht sofort wieder nach Hause kehren. Emma Weiland blieb noch bis Mitte Juni in Quarantäne. Am 14. Juni erhielt sie eine ärztliche Bestätigung, dass kein Fleckfieber bei ihr diagnostiziert worden sei. Sie solle aber zu Hause vorsorglich Medikamente einnehmen. Am 27. Juni brach sie auf und traf drei Tage später in Hamburg ein.

Gemeldet war sie nun bei ihrer Tochter Margret und deren Ehemann Jonni in der Thusneldastrasse. In ihrem Antrag bei der Wiedergutmachungsstelle vom September 1945 schrieb sie, dass sie mit schweren körperlichen Schädigungen aus Theresienstadt zurückgekommen sei. Der Familienüberlieferung nach konnte sie nach ihrer Rückkehr wieder sehen.

Sie verstarb am 27. Oktober 1945 im Alter von 74 Jahren im Israelitischen Krankenhaus in der Schäferkampsallee. Laut Sterbeurkunde starb sie an einer Agranulozytose, dem Fehlen von Granulozyten im Blut. Diese Erkrankung vermindert die Fähigkeit zur Infektabwehr. Sie wird unter anderem durch Mangelernährung ausgelöst.

Emma Weiland wurde auf dem Friedhof Stellingen im Reihen-Grab II Abteilung D N-336 beigesetzt. Das Grab existiert heute nicht mehr.

Emma Weiland hat heute Nachkommen in der fünften Generation.

Emma Weilands Onkel, Marcus Ruben Cohn war ebenfalls Händler. Sein Sohn Leopold Cohn (siehe www.stolpersteine-hamburg.de) – ihr Cousin – gründete einen erfolgreichen Großhandel mit Getreide und Futtermitteln, gelangte zu beachtlichem wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erfolg und wurde Vorstandsmitglied der Getreidebörse. Im November 1938 wurde seine Firma zwangsliquidiert. Er und seine Frau Gertrud wurden am 6. Dezember 1941 nach Riga-Jungfernhof deportiert, wo sie ermordet wurden. Die Hamburger Handelskammer erinnert mit einem Stolperstein am Adolphsplatz 1 an ihn.
Seine Nachkommen leben heute in New York.

Stand: August 2023
© Katrin Holtsteger

Quellen: Dokumente aus dem Privatbesitz der Familie; StaH, Amt f. Wiedergutmachung, 351-11_1831; 351-11_1833; Jüdische Gemeinden, 522-1/ Hochdeutschen Israelitengemeinde in Altona: Verzeichnis der israelitischen Einwohner in Altona mit Index (1860), 158, S. 8. Geburts-, Heirats- und Sterberegister 1866 – 1874, 222 c, S. 40; Geburtenregister 224 a; https://www.ancestry.de/ div.; https://collections.arolsen-archives.org/archive/5128303/?p=1&s=weiland,emma&doc_id=5128303;http://www.dasjuedischehamburg.de; https://www.hk24.de/share/flipping-book/4188630/index.html#page/12; http://hup.sub.uni-hamburg.de/volltexte/2008/25/pdf/HamburgUP_HHF03_Lange.pdf; https://www.ik-h.de/ueber-uns/geschichte; https://www.israeliten-luebeck.de/de/juden-von-fackenburg/; https://juedische-geschichte-online.net/thema/familie-und-alltag; http://www.jüdischer-friedhof-altona.de/datenbank.html; https://www.statistik-des-holocaust.de.

druckansicht  / Seitenanfang