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Gertrude Grünfeld (geborene Horwitz) * 1898
Harburger Rathausstraße 45 (Harburg, Harburg)
HIER WOHNTE
GERTRUDE
GRÜNFELD
GEB. HORWITZ
JG. 1898
DEPORTIERT 1942
ERMORDET IN
PIASKI
Weitere Stolpersteine in Harburger Rathausstraße 45:
Johanna Horwitz, Kurt Horwitz, Elfriede Horwitz
Gertrud Grünfeld, geb. Horwitz, geb. am 10.12.1898 in Harburg, deportiert am 25.3.1942 von Mainz nach Piaski, ermordet
Stadtteil Harburg-Altstadt, Harburger Rathausstraße 45
Gertrud Horwitz erblickte drei Jahre nach der Eröffnung des neuen Harburger Rathauses als Kind ihrer jüdischen Eltern Adolf und Johanna Horwitz, geb. Bachenheimer (siehe: www.stolpersteine-hamburg.de), das Licht der Welt. Im Zuge der raschen Industrialisierung der Stadt und der damit verbundenen rasanten Ausdehnung des Siedlungsgebiets war hier das inzwischen dritte städtische Zentrum der Stadt im Laufe ihrer langen Geschichte entstanden. Hier verbrachte Gertrud Horwitz ihre Kindheit und Jugend. Sie war 17 Jahre alt, als ihr Vater starb und auf dem Jüdischen Friedhof am Schwarzenberg beigesetzt wurde. Über ihre Schulzeit und eine eventuelle Ausbildung wissen wir nichts.
Nach dem Ersten Weltkrieg heiratete Gertrud Horwitz den vier Jahre älteren jüdischen Lederhändler Arthur Grünfeld aus Briesen in Brandenburg. Im Ersten Weltkrieg hatte er in den Reihen des kaiserlichen Heeres für sein deutsches Vaterland gekämpft, und war er für seinen Einsatz mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse ausgezeichnet worden. Außerdem besaß er das silberne Verwundetenabzeichen.
Das junge Ehepaar fand ein neues Zuhause in Flacht bei Limburg an der Lahn. Dort kamen auch die Kinder Ernst (*6.11.1922) und Edith (*21.12.1929) zur Welt. Zwischen christlichen und jüdischen Bürgern des Dorfes existierten gute nachbarliche Beziehungen. Die jüdische Minderheit war anerkannt und engagierte sich ihrerseits auch wie die christliche Mehrheit der Ortsbevölkerung für das politische und kulturelle Wohl der Dorfgemeinschaft. Arthur Grünfeld gehörte dem Gemeinderat an, und eine andere jüdische Dorfbewohnerin war lange Schriftführerin des Elternrats der Dorfschule. Viele christliche und jüdische Dorfbewohner waren als Gäste im Garten der Familie Grünfeld, die ein Radiogerät besaß, jederzeit willkommen, wenn große Sportereignisse im Rundfunk übertragen wurden.
Dieses friedliche Zusammenleben endete 1933, als Adolf Hitler Reichskanzler wurde. Damals wohnten noch 28 Juden und Jüdinnen in dem Dorf, viele jüngere waren inzwischen in eine der umliegenden Städte in der Hoffnung abgewandert waren. Als am 1. April 1933 die Nationalsozialisten im ganzen Reich einen Boykott jüdischer Geschäfte arrangierten, standen auch in Flacht SA-Männer vor jüdischen Läden `auf Posten´, um die Kundschaft vom Zugang abzuhalten. Später hingen in allen Geschäften und Gaststätten Schilder mit der Aufschrift "Juden unerwünscht".
Dennoch war die NSDAP-Ortsgruppe mit dem Verhalten vieler Dorfbewohnerinnen und Dorfbewohner in dieser Hinsicht nicht zufrieden. Sie bemängelte, dass einige offenbar kein Problem damit hatten "sich zum Führer zu bekennen und sich gleichzeitig schützend vor einen Juden zu stellen".
1935 wurde Beamten und Angestellten der Gemeindeverwaltung der private und geschäftliche Verkehr mit Juden unter Androhung ihrer sofortigen Entlassung aus dem Dienst untersagt. Jüdische Bewerber wurden bei der Vergabe öffentlicher Aufträge nicht mehr berücksichtigt. Darüber hinaus hatten "deutsche Volksgenossinnen und Volksgenossen" mit erheblichen Benachteiligungen zu rechnen, wenn sie weiterhin privat und geschäftlich mit Juden verkehrten.
In diesem Jahr wurde Arthur Grünfeld "wegen unglaublich beleidigender Äußerungen gegen den Gauleiter Streicher" angezeigt und öffentlich gemaßregelt. Das anschließende Verfahren gegen ihn stellte die Staatsanwaltschaft später ein, weil "§ 1 des Gesetzes gegen heimtückische Angriffe auf Staat und Partei" im vorliegenden Falle nicht herangezogen werden konnte.
Als jüdische Kinder die Dorfschule nicht mehr besuchen durften, sahen Arthur und Gertrud Grünfeld sich gezwungen, ihre achtjährige Tochter Edith im April 1938 dem Internat der Jüdischen Bezirksschule in Bad Nauheim anzuvertrauen. Die Frage, warum sie diese Einrichtung 18 Monate später wieder verließ, konnte bisher nicht geklärt werden.
Am 9. November 1938 trieben auch in Flacht nationalsozialistische Schlägertrupps ihr Unwesen. Die Innenräume und das Mobiliar der Synagoge wurden zerstört. Auch die Torarollen und Gebetbücher blieben nicht unversehrt. Sie wurden nach draußen geschleppt und auf der Straße verbrannt. Die männlichen jüdischen Einwohner mussten "aus Sicherheitsgründen" mehrere Tage und Nächte unter polizeilicher Aufsicht im Rathaus verbringen.
Am Ende des Jahres waren nur noch 13 Juden polizeilich in Flacht gemeldet. Und auch sie verließen ihre vertraute Heimat in den folgenden Wochen, um den täglichen Anfeindungen zu entgehen. Doch wohin sollten sie fliehen? Die Fluchtwege ins Ausland wurden immer weniger. Viele waren froh, wenn sie wenigstens in irgendeiner größeren Stadt noch ein `Dach über dem Kopf´ fanden. Für die vier Personen der Familie Grünfeld war die Rheinstraße 79 in Mainz die letzte Station vor ihrer Deportation am 25. März 1942. Ihr Transport führte über Darmstadt nach Piaski im besetzten Polen.
Zwei Tage später erreichte der Transport sein Ziel. In dieser polnischen Kleinstadt in der Nähe Lublins hatten die deutschen Besatzungsbehörden im Frühjahr 1940 ein erstes, verhältnismäßig kleines, offenes Getto errichtet. Durch ständigen Zuzug von
polnischen Juden, die aus anderen Orten vertrieben wurden, stieg die Zahl der Bewohnerinnen und Bewohner jedoch schneller als erwartet, so dass die deutschen Besatzer im September 1940 das Gebiet absperrten und mit Stacheldraht umzäunten. Die Lebensbedingungen wurden immer unerträglicher. Am schlimmsten war die fehlende Wasserversorgung. Das Trinkwasser musste aus anderen Stadtteilen herangeschafft werden.
Als im Frühjahr 1942 beschlossen wurde, auch mehr als 4.000 deutsche Juden in das Getto Piaski zu deportieren, bedeutete diese Entscheidung das Todesurteil für 3.000 polnische Juden, die im März 1942 aus diesem Getto nach Belzec verfrachtet und dort umgehend ermordet wurden, In die frei gewordenen Behausungen zogen deutsche Juden ein. Eine Frau, die später auch diesen Weg antreten musste, beschrieb dieses mörderische Geschehen in einem Brief an ihre Tochter, wie folgt: "Wir stehen noch stark unter dem Eindruck der letzten Tage. Es ist wüst leer. Die 1.500 aus Mainz, Worms und Darmstadt sind in die Wohnungen der Verreisten gekommen. Sie haben keinen Pfennig Geld! Man erzählt, viele seien unterwegs gestorben …"
Auch für die Juden aus dem Reichsgebiet und aus dem `Protektorat Böhmen und Mähren´ wurde das Getto Piaski bald zu einer Durchgangsstation auf dem Weg in den Untergang. Am 22. Juni 1942 begann ihr Abtransport in das Vernichtungslager Sobibor. Im Februar 1943 wurde das Getto Piaski aufgelöst, nachdem die letzten Bewohnerinnen und Bewohner die Reise in den Tod angetreten hatten.
Auch für Gertrud, Arthur, Ernst und Edith Grünfeld war Piaski die letzte Station ihres Lebensweges. Zu den Opfern des nationalsozialistischen Völkermords an den Juden gehört ebenfalls Arthur Grünfelds Sohn Hans aus seiner ersten Ehe mit Toni Grünfeld, geb. Arfeld. Ihre Namen sind auf dem Gedenkstein zu lesen, der 1963 auf dem Jüdischen Friedhof in Flacht enthüllt wurde und an die jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger erinnert, die den Holocaust nicht überlebten und nirgendwo begraben wurden.
Stolpersteine erinnern auch an Gertrud Grünfelds Mutter Johanna Horwitz und an ihre Geschwister Elfriede, Hugo und Kurt Horwitz (siehe: www.stolpersteine-hamburg.de).
Stand: April 2019
© Klaus Möller
Quellen: Gedenkbuch. Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933–1945, Bundesarchiv (Hrsg.), Koblenz 2006; Yad Vashem. The Central Database of Shoa Victims´ Names: www.yadvashem.org; Gedenkbuch. Hamburger Jüdische Opfer des Nationalsozialismus, Hamburg 1995; Harburger Opfer des Nationalsozialismus, Bezirksamt Harburg (Hrsg.), Hamburg-Harburg 2002, Alfred Gottwald, Diana Schulle, Die `Judentransporte aus dem Deutschen Reich 1941–1945, Wiesbaden 2005, Harburger Adressbücher; Eberhard Kändler, Gil Hüttenmeister, Der jüdische Friedhof in Harburg, Hamburg 2004; Wilhelm Kuhlmann, Die Juden in Flacht und Niederneisen. Von den Anfängen bis zum Untergang, Flacht und Niederneisen 1999; https://www.holocaust-erinnerungsmal-badnauheim.com, eingesehen am 16.11.2017; http//www.alemannia-judaica.de/flacht_synagoge.de, eingesehen am 17.11.2017; Staatsarchiv Hamburg StaHH 332-5, 12913 Standesämter.