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Dr. Ernst Jacobson * 1887

Bei der Friedenseiche 6 (Altona, Altona-Altstadt)

1942 Auschwitz

Weitere Stolpersteine in Bei der Friedenseiche 6:
Else Jacobson, Ruth Jacobson

Else Jacobson, geb. Storch, geb. am 14.3.1891, deportiert nach Auschwitz am 11.7.1942, dort ermordet
Ernst Jacobson, geb. am 27.2.1887, mehrfach inhaftiert, deportiert nach Auschwitz am 10.12.1942, ermordet
Ruth Jacobson, geb. am 16.5.1923, deportiert nach Auschwitz am 11.7.1942, dort ermordet

Bei der Friedenseiche 6

In einem Interview der Shoah-Foundation schilderte Marianne Bohm-Jacobson 1997 die Geschichte ihrer jüdischen Familie, die in der Altonaer Altstadt am Platz "Bei der Friedenseiche" gelebt hatte, wo der Vater eine Arztpraxis führte. Ihre Eltern Ernst und Else Jacobson und ihre Schwester Ruth wurden 1942 in Auschwitz ermordet. Sie selbst überlebte in der Schweiz.

Geboren wurde Ernst Jacobson am 27. Februar 1887 in Lüneburg, wo seine Eltern, der Kaufmann Arnold Jacobson und seine Frau Clara, geborene Heinemann, in der Großen Bäckerstraße 33 wohnten. Bis 1907 besuchte er das Gymnasium Johanneum in Lüneburg und studierte anschließend Medizin an den Universitäten München, Freiburg, Berlin und München, wo er 1912 das Staatsexamen bestand. Nach seiner Approbation 1913 hatte er eine Assistentenstelle im Kinderkrankenhaus Altona inne. Während des Ersten Weltkrieges diente er als Oberarzt an der Mazedonischen Front.

1920 zog Ernst Jacobson nach Hamburg, wo er Else Storch, genannt Elsie, heiratete. Die gebürtige Hamburgerin war am 14. März 1891 als Tochter des Arztes Jonas Alexander Storch und seiner Frau Fanny, geb. Phillip, zur Welt gekommen. Sie hatte einen drei Jahre älteren Bruder namens Alexander. Familie Storch lebte in der Paulinenstraße 10 in Hamburg.

Ernst Jacobson vertrat zunächst seinen Schwiegervater, solange der noch nicht aus dem Krieg zurückgekehrt war, in dessen Arztpraxis in der Paulinenstraße, wo das Ehepaar Jacobson auch wohnte. 1920 eröffnete er eine eigene Praxis in der Altonaer Lessingstraße, bis er sich 1922 als praktischer Arzt und Kinderarzt mit einer speziellen Lizenz als Geburtshelfer mit einer Praxis Bei der Friedenseiche 6 zwischen Lornsenplatz und Allee (heute Max-Brauer-Allee) niederließ.

Das Ehepaar Jacobson bekam zwei Töchter, die am 25. Dezember 1921 geborene Marianne und die am 16. Mai 1923 geborene Ruth. Ab März 1926 wohnte die Familie auch in dem Eckhaus Bei der Friedenseiche 6, das heute unter Denkmalschutz steht.

Marianne Bohm-Jacobson erinnerte sich: "Unser Haus war ein großes historisches Wohnhaus. […] Es war ein Mietshaus, nicht unser Haus, wir wohnten dort im ersten Stock, wo wir unsere Praxis in der Wohnung hatten. An der Decke waren historische Malereien vom Kaiser, General Moltke usw. Es war sehr groß. […] Wir hatten eine vollständige koschere Küche, meine Schwester und ich hatten ein Zimmer, dann hatten wir ein Esszimmer, ein sehr großes Wohnzimmer, Schlafzimmer und Ankleidezimmer meiner Eltern, dann das Büro meines Vaters, das Wartezimmer und den Behandlungsraum. Wir hatten zwei Zimmer für die beiden Hausangestellten, die im Haus lebten."

Verwandte von Else Jacobson lebten in Altona und im benachbarten Hamburg; in der Nähe wohnte ihre Tante Dora Lehmann mit ihrem Mann Philipp und zwei unverheirateten Töchtern. "Es war vor 1933 Sitte in der Familie, dass wir uns jeden Samstagabend im Haus meiner Großeltern trafen, und jeder, der nur irgendwie konnte, kam. Ich war noch klein, aber ich erinnere mich daran, wie wunderbar das war, es war ein wirklich starkes Gefühl von Familie und Zusammensein. Meine Großmutter starb 1932, mein Großvater 1934, das Haus wurde verkauft. Wir feierten die jüdischen Feste, Rosch ha-Schana [Neujahrsfest] und Jom Kippur und auf einfache Art Sukkot. Hinten am Schlafzimmer meiner Eltern hatten wir eine große Veranda, einen Balkon mit Mobiliar und allem, und dort hatten wir eine Sukka [Laubhütte]. Aber nach 1933 konnte man das nicht mehr machen, aus Furcht, denn die Leute von unten starrten immer hoch. Wir gingen dann zur Sukka in der Synagoge der Hochdeutschen Israelitischen Gemeinde in Altona. Das war eine sehr alte Synagoge, da gab es noch Einschusslöcher vom dänisch-preußischen Krieg von 1866. Die Synagoge war sehr schön, sehr beeindruckend. Es war zu der Zeit nicht üblich, dass Frauen und Kinder in die Synagoge gingen, und mein Vater war nicht sehr religiös. Als ich klein war, ging ich am Samstag hin. Später nicht mehr, aber die hohen Feiertage hielt ich immer ein, wenn es möglich war. Zuhause feierten wir Jom Kippur und Pessach. Pessach feierten wir so lange wie möglich im Haus meines Großvaters. Es gab ein großes Essen und ich durfte aufbleiben. Später haben wir Pessach in unserer Wohnung gefeiert. Aber wir hatten zu große Angst, die Tür zu öffnen für den Propheten Elia. Meine Mutter sagte, wir können das Fenster öffnen. Das war ein Zugeständnis an die Angst, so viele Dinge waren schon bei Pessach passiert. Bei Jom Kippur konnte meine Mutter nicht fasten; sie war nach meiner Erinnerung die meiste Zeit ihres Lebens ein sehr kranker Mensch. Ich war zwölf und fastete einen halben Tag. Und dann hatten wir ein großes Mittagessen, sehr beeindruckend, sehr traditionell."

Die Familie wagte die Tür nicht zu öffnen, weil der Lornsenplatz Zentrum nationalsozialistischer Aktivitäten in Altona war, hier hingen die ersten Hakenkreuzfahnen aus den Fenstern. Nach 1933 kamen immer weniger Patienten in die Praxis von Ernst Jacobson. "Mein Vater hatte viele Patienten, die Wohlfahrtsunterstützung bekamen, [...] die Nazis drohten diesen Patienten, wenn sie weiterhin zu jüdischen Ärzten gingen, würde ihnen die Wohlfahrtsunterstützung gestrichen. Dann verlor mein Vater die Zulassung zu den Krankenkassen. Die meisten seiner Patienten kamen über die Kassen. Er verlor seine vielen Eisenbahner-Patienten, die waren in einer speziellen Krankenkasse und mein Vater behandelte viele von ihnen. Er hatte wenige jüdische Patienten; die meisten Juden gingen zu orthodoxen Ärzten und mein Vater war nicht so orthodox, deswegen war er nicht so beliebt."

Schon vor der nationalsozialistischen Machtübernahme wurde Marianne Bohm-Jacobsen als Jüdin in der Schule diskriminiert. "Ich ging vier Jahre zur jüdischen Gemeindeschule [an der Palmaille]. Dann ging ich aufs Gymnasium [Mädchengymnasium Allee in Altona]; meine Eltern wollten, dass ich humanistische Wissenschaften lernte, Latein und Griechisch. Von 1932 bis 1933 war ich dort. Das war schon sehr erschütternd. Niemand sprach mit mir. Das war schon 1932 so. Hitler war noch nicht an der Macht, aber unsere Klassenlehrerin trat schon in BDM-Uniform auf und sagte, sie wolle, dass jede in der Klasse Mitglied im Bund Deutscher Mädchen würde. Das sagte sie auch zu mir. Ihr war überhaupt nicht klar, dass ich jüdisch war und dass das ein riesiges Aufsehen verursachen würde. Ich war sehr isoliert. Ich durfte zum Mittagessen nach Hause gehen; das war gut, sonst wär ich ganz einsam auf dem Schulhof gewesen. 1933, als Hitler an die Macht kam, wurde der Direktor unserer Schule gefeuert, weil er es ablehnte, die Nazi-Fahne zu hissen. Ab diesem Tag gab es nur noch ein halbjüdisches Mädchen in meiner Klasse, das protestantisch aufgewachsen war, und ein anderes jüdisches Mädchen, das Abitur machen wollte und zur jüdischen Jungenschule wechselte; sie konnte es nicht mehr ertragen. Es war schlimm. Ich gehörte zu einer jüdischen Jugendgruppe, der Esra [orthodoxer Jugendwanderbund], und meine Jugendleiterin Rosi Kahn überzeugte meine Eltern, dass es besser war, wenn ich selber vom Gymnasium abging, bevor ich rausgeschmissen oder etwas passieren würde, und meine Eltern folgten ihrem Rat. Erst ging ich auf eine jüdische Mädchenschule in Hamburg, die frühere Löwenbergschule, das war nicht schlecht. Aber dann mussten die älteren Schülerinnen wie ich zu einer anderen Schule wechseln [Israelitische Töchterschule Karolinenstraße], die lag in einer sehr schlimmen Umgebung, nah beim Schlachthaus, der Geruch war schrecklich. Der Schulweg dauerte über eine Stunde, die Schule war schlecht geheizt, es war immer kalt, ich war immer krank zu der Zeit. Der Unterricht war gut, aber es war sehr orthodox, und je älter ich wurde, desto weniger orthodox war ich. Es war so altmodisch, man musste auch sonntags zur Schule gehen, mit dem Buch in der Hand, da wussten dann alle Leute, aha, die ist jüdisch. Die Klasse streikte."

Ihre Schwester Ruth hatte im Anschluss an die jüdische Grundschule an der Palmaille erst die jüdische Mädchenschule an der Johnsallee besucht und wechselte dann ebenfalls auf die Israelitische Töchterschule an der Karolinenstraße.

Wie viele jüdische Jugendliche sah Marianne schon als junges Mädchen den einzigen Ausweg in der Emigration. Der Bruder ihrer Mutter, Alfred Storch, war schon 1933 in die Schweiz ausgewandert, nachdem er als Oberarzt der Universitäts-Nervenklinik Gießen entlassen worden war. "Meine Eltern wollten uns von allem abschotten, deswegen war es schwer für mich darüber zu sprechen. Meine Schwester war zu jung, um das zu begreifen. Ich versuchte, meine Eltern davon zu überzeugen, Deutschland zu verlassen. Sie lehnten das ab und dachten, ein Kind habe nicht das Recht, sowas zu sagen. Außerdem war es sehr schwierig für sie. Mein Vater schrieb einem Onkel in den Vereinigten Staaten, damit er ihm ein Affidavit besorgte. Der war Multimillionär und lebte in Chicago. Er lehnte ab. Auch ein anderer reicher Onkel wollte nicht behelligt werden. Meine Mutter war krank, sie konnte nicht arbeiten, auch wir Kinder nicht. Mein Vater sagte, er würde in den USA sofort sein Doktorexamen machen und dann als Arzt arbeiten. Mein Vater war aus der Mittelschicht; wir waren nicht wohlhabend, aber es ging uns gut. Aber für ein ,Kapitalistenzertifikat‘ für Palästina [Voraussetzung für die Einwanderung war der Besitz von 1000 Pfund Sterling] brauchte man viel mehr Geld, als wir flüssig hatten. Und in einem Kibbuz arbeiten – das konnte meine Mutter nicht, und wir auch nicht. Mein Vater saß in der Falle; er hoffte, die Armee würde Hitler absetzen, solche Illusionen hatte er, die nie wahr wurden. Unser Leben änderte sich dramatisch. Viele aus der Familie emigrierten, einige nach Palästina, andere, die ein Affidavit hatten, in die Vereinigten Staaten. Andere standen auf der Liste und waren weg.

Es gab viel weniger Kontakte in der Familie; man zog sich auf sich selbst zurück.

Nach 1936 änderte sich vieles. Unsere Hausangestellte, Fräulein Emmy, musste uns verlassen. Meine Mutter war in einem schrecklichen Zustand. Ihre Krankheit äußerte sich auch mental. Sie kam überhaupt nicht mehr mit dem Leben zurecht. Mein Vater versuchte klar zu kommen. Aber dann ging der Praxisbetrieb zurück.

Der lange Schulweg machte mich auch krank, es war eine sehr bedrückte Stimmung zu Hause, die uns Kinder belastete. Einmal hatte ich ein Erlebnis. Ich wollte Garn in einem Geschäft kaufen, draußen waren Nazis postiert, und sagten: ‚Juden dürfen hier nicht kaufen.‘ Ich ging trotzdem rein und sagte, ich wolle Garn kaufen. Der Mann sagte: ‚Es tut mir leid, ich kann dir nichts verkaufen, bitte geh wieder.‘ Ich weinte den ganzen Nachhauseweg."

Marianne litt unter der Ausgrenzung, ihr Gesundheitszustand verschlechterte sich. Im April 1937 wurde sie auf ein Schweizer Internat umgeschult, um das Abitur zu machen. Im Urlaub fuhr sie nach Hause. "Sommer 1938. Die Dinge waren unmöglich geworden. Meine Eltern hatten das Klavier verkauft, ich hatte immer Klavierstunden gehabt, sie brauchten das Geld. Die Praxis meines Vaters war am Ende. Meine Tante in den USA wollte ihm über die OAS, eine Organisation in den USA, die jüdischen Ärzten half sich erneut niederlassen, ein Affidavit besorgen, sodass er in den USA wieder einen Doktortitel machen konnte. Mein Vater lernte Englisch, was ihm sehr schwer fiel. Es gab keine Familienkontakte mehr außer zu meiner Tante Dora Lehmann; sie war die einzige. Aber auch sie konnte ich nur noch selten besuchen.

Als ich das letzte Mal in Deutschland war, war mir, als zöge sich langsam eine Schlinge um meinen Hals zu. Ich erstickte fast in dieser Atmosphäre. Als ich […] meine Sachen packte, nahm ich eine Handvoll Fotos aus dem Schrank meines Vaters heraus und steckte sie in meinen Koffer. Ich war davon überzeugt, meine Familie das letzte Mal zu sehen. Meine Schwester half mir zu packen und weinte und weinte. Plötzlich marschierten draußen die Nazis vorbei und sangen: ‚Wenn Judenblut vom Messer spritzt, dann geht es uns doppelt so gut.‘ Ich umarmte meine Schwester und versuchte sie zu ermutigen; ich sagte zu ihr, du wirst mit einem der Kindertransporte nach England kommen, du musst versuchen, hier rauszukommen und positiv denken. Es war schrecklich. Bevor mein Zug fuhr, nahm ich Abschied von meiner Mutter. Meine Mutter lag auf dem Sofa, sie hatte schreckliche Ischias-Schmerzen. Sie zog den Ring meiner Großmutter von ihrem Finger und gab ihn mir. Sie sagte zu mir auf Hebräisch: "Gott ist mit mir und ich bin ohne Furcht." Wir weinten beide nicht.

Mein Vater und meine Schwester gingen mit mir zum Altonaer Bahnhof. […] Meinem Vater wurde nicht erlaubt, die Bahnsteigsperre zu passieren und auf den Bahnsteig mitzukommen. Mein Vater und meine Schwester fuhren mit dem Auto nach Hamburg; noch hatte mein Vater ein Auto. Aber er durfte nicht auf den Bahnsteig. Meine Schwester lief mit dem abfahrenden Zug mit und winkte, solange sie mich sehen konnte, und ich winkte zurück."

Marianne überquerte die Schweizer Grenze am 1. September 1938. Sie war 16 Jahre alt und hoffte, im Ausland wieder mit ihrer Familie zusammen zu kommen. "Meine Familie beabsichtigte, auszuwandern und sich mit mir in Amerika oder England wiederzuvereinigen."

Ruth war inzwischen von der Schule abgegangen. Das Abitur blieb ihr verwehrt, Lehrstellen gab es für junge Menschen jüdischer Herkunft nicht mehr. Schließlich nahm sie an Kursen im Schneidern und Entwerfen von Kleidern teil, die das jüdische Mädchen-Waisenhaus Paulinenstift anbot.

"Am 1. Oktober [1938] wurde mein Vater verhaftet. Das war eine schlimme Erfahrung. Meine Mutter war zusammengebrochen, meine Schwester geschlagen worden von der Gestapo. […] Martha Lehmann, die Tochter meiner Tante, die emigrieren konnte, erzählte mir später: ‚Sie haben alles zerschlagen in der Wohnung, alles Porzellan, das China, das Meißener, die kostbare Schallplattensammlung meines Vaters.‘ Sie schlugen meine Schwester, die nicht gegen meinen Vater aussagen wollte. Sie beschuldigten ihn, Patientinnen vergewaltigt zu haben, die übliche Lüge."

Gestapo-Beamte misshandelten Ruth beim Verhör, als Folge litt sie an einer Lähmung der rechten Hand.

Ihr Onkel, der in der Schweiz lebte, informierte Marianne schließlich über das Schicksal ihres Vaters. Er hatte eine Postkarte mit verschlüsselten Andeutungen erhalten: "Meine Tante, die Schwägerin meines Vaters, schrieb an meinen Onkel: ‚Ernst ist dort, wo Henry war‘. Das bedeutete, er war im Konzentrationslager oder im Gefängnis." Niemand aus der Familie wusste, wo genau er sich aufhielt.

Ernst Jacobson war wegen "Rassenschande" denunziert worden. Die Hamburger Staatsanwaltschaft erhob Anklage, weil er angeblich zu fünf verheirateten "arischen" Frauen Beziehungen aufgenommen habe. Außereheliche Beziehungen zwischen jüdischen und nichtjüdischen Partnern waren nach dem "Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre", einem der Nürnberger Gesetze, verboten. Das Gericht kam zu dem Schluss, Ernst Jacobson habe als Arzt oder als Arbeitgeber Verhältnisse mit Patientinnen, mit einer Hausangestellten und mit einer Hauslehrerin gehabt. Wie es in den Akten hieß, gefährde er "als Gewohnheitsverbrecher" deutsche Ehen. Am 5. Juli 1939 wurde er wegen "Rassenschande" zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt und am 7. Oktober 1939 vom Untersuchungsgefängnis Fuhlsbüttel in die Strafanstalt Hamburg-Fuhlsbüttel überstellt. Seine Gefangenenakte weist aus, dass seine Haftzeit bis zum 14. Dezember 1953 dauern sollte. Am 20. Oktober 1939 wurde er ins Zuchthaus Bremen-Oslebshausen verlegt, kam jedoch sieben Monate später, am 25. Mai 1940, zurück nach Fuhlsbüttel.

Das Vermögen der Familie war beschlagnahmt worden. Marianne musste das Internat verlassen, weil ihre Mutter das Schulgeld nicht länger aufbringen konnte. Sie kam zunächst in einer streng katholischen Klosterschule unter, weigerte sich jedoch zu konvertieren. Nach einem Zusammenbruch wurde sie eine Weile von einer protestantischen Familie in Basel gepflegt, bis sie in einem Mädchenheim untergebracht wurde. Die Ausreise nach England mit einem Visum als Hausangestellte gelang nicht. Nach Kriegsbeginn wurde das Heim in ein Interniertenlager für deutsche Flüchtlinge umgewandelt.

Der Baseler Polizeichef, laut Marianne Bohm-Jacobson ein "Nazi", drohte ihr mit einer Abschiebung nach Deutschland, falls sie den Antrag für ein Affidavit für ihre Mutter in der Schweiz nicht zurücknahm. Da ihre Mutter Deutschland ohnehin nicht mehr legal verlassen konnte, zog Marianne den Antrag zurück. Schuldgefühle verfolgten sie ihr Leben lang.

Erst 1941 las sie beim Durchstöbern alter Zeitungen im "Hamburger Fremdenblatt", dass ihr Vater zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt worden war. Mit Hilfe des Internationalen Roten Kreuzes gelang es ihr, einmal im Monat mit ihm in Korrespondenz zu treten.

Ihre Schwester Ruth arbeitete seit 1941 im jüdischen Kindergarten. Sie und ihre Mutter hatten zunächst in Hamburg, Beim Andreasbrunnen 3, gewohnt und waren dann in verschiedenen "Judenhäusern" im Grindelviertel einquartiert, in der Rothenbaumchaussee 27, in der Werderstraße 43 und im Papendamm 3; zuletzt wohnten sie im "Judenhaus" Rutschbahn 25 a. Von dort schrieb Else Jacobson am 9. Juli 1942 einen letzten Brief an Marianne:

"Mein inniggeliebtes Kind, heute war ich sehr glücklich mit dem lieben schönen Brief von Dir, den ich an Vati weitersende. Wie wird er sich freuen, auch mit dem Bild! Dies sind nun Abschiedszeilen von Ruth und mir, morgen geht es fort, und dann kommt wohl eine Zeit, wo nur unsere Gedanken sich treffen, aber sie sind auf immer so innig verbunden, da kann es keine Trennung geben. Was soll ich dir sagen, geliebtes Kind, was du nicht schon weißt. Möge der Vater im Himmel, der für uns alle sorgt, dich schützen und dir beistehen, Dir und uns allen. Die Hoffnung auf ein gutes Wiedersehen wird uns nicht verlassen und uns trösten bei allem. Ich weiß, daß gute Menschen sich um dich kümmern und auch wir sind nicht verlassen. Vor allem musst du regelmäßig alle sechs Wochen an Vati schreiben, merke dir jedesmal das Datum! Vati wird dir ja auch antworten.
Meine Liebe begleitet dich auf allen Wegen, wir beide umarmen dich und küssen dich. Leb wohl und – auf Wiedersehen! Deine Mutti und Ruth."

An die Adresse Rutschbahn 25 a erhielten Else und Ruth Jacobson den Deportationsbefehl für den 11. Juli 1942. Auf der Kultussteuerkarte von Ernst Jacobson wurde der verschleiernde Vermerk eingetragen: "Ehefrau und Kind am 11.7.42 abgewandert". Das Ziel des Transportes war Auschwitz. Im Dezember 1942 wurde Else Jacobson dort ermordet. Auch Ruth Jacobson, zum Zeitpunkt der Deportation 19 Jahre alt, kehrte nie zurück.

Am 6. Dezember 1942 erhielt Marianne den letzten, sehr beunruhigten Brief ihres Vaters. Er habe nichts mehr gehört von Mutter und Schwester. Schon im August 1942 hatte er über den jüdischen "Rechtskonsulenten" Hugo Möller versucht, den Verbleib seiner Frau und Tochter Ruth zu ermitteln. Er hatte ihn auch gebeten, ihm mit Hilfe der Jüdischen Gemeinde eine Bibelübersetzung zukommen zu lassen.

Mariannes Briefe an ihn kamen bald als unzustellbar zurück. Am 10. Dezember 1942 wurde er wie andere jüdische Häftlinge nach einer Anordnung, "Mischlinge" und Juden aus Haftanstalten und Konzentrationslagern im "Altreich" ins Vernichtungslager Auschwitz zu verlegen, deportiert. In Auschwitz wurde Ernst Jacobson ermordet.

Marianne wanderte 1946 nach New York aus. Erst später erfuhr sie, dass ihre Familienangehörigen umgebracht worden waren. Ihren Zeitzeugenbericht schloss sie 1997 mit den Worten: "Vergessen Sie niemals die sechs Millionen. Das kann jederzeit wieder passieren. Aus kleinen Dingen heraus. Hitler hatte zu Beginn nur eine kleine Gruppe von Leuten und sehen Sie, was passiert ist. Neonazismus und Antisemitismus sind die Samen."

1998 hob der Deutsche Bundestag alle Urteile wegen "Rassenschande" auf.

Stand September 2015

© Birgit Gewehr

Quellen: 1; 4; 8; StaH 213-11 Staatsanwaltschaft, Landgericht – Strafsachen, 782/40; StaH 351-11 Amt für Wiedergutmachung, 10242 (Dr. Storch, Alfred), 44868 (Böhm, Marianne, geb. Jacobson); StaH 242-1 II Gefängnisverwaltung II, Ablieferung 13 (Strafhaftzeiten); AB Altona 1929, 1937; Lehberger, Reiner/ Randt, Ursula, "Aus Kindern werden Briefe", S. 52; USC Shoah Foundation Institute, Visual History Archive, Interview Nr. 38048, Marianne Bohm-Jacobson, Kaguna Hills, USA, 9.11.1997, Übersetzung von der Autorin.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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