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Charlotte Haas 1934 als Gast auf der Hochzeit von Ilse Haas (Ausschnitt)
Charlotte Haas, 1934
© Privat

Charlotte Haas (geborene Fürst) * 1908

Isestraße 125 (Eimsbüttel, Harvestehude)

1941 Minsk
ermordet

Weitere Stolpersteine in Isestraße 125:
Pauline Fürst, Ellen Haas

Ellen Marlene Josefa Haas, geb. 16.8.1933, am 18.11.1941 deportiert nach Minsk
Charlotte Johanna Haas, geb. Fürst, geb. 29.8.1908, am 18.11.1941 deportiert nach Minsk

Ellen Marlene Josefa Haas lebte mit ihren Eltern Charlotte (Lotte) Johanna Haas und Harry Haas in der Isestraße 125. Charlotte war das einzige Kind von Josef und Pauline (Paula) Fürst, geborene Flaschner. Sie war gebürtige Hamburgerin und soll eine sehr schöne Frau gewesen sein.

Harry Haas wurde am 7.9.1891 in Borken (Westfalen) geboren und hatte sieben Geschwister. Die Familie Haas gehörte zu den Wohlhabenden in Borken. Moses Haas, der Vater von Harry Haas, hatte zusammen mit seinem Bruder Jonas Haas eine Holzfurnierfabrik gegründet. Sie waren damit so erfolgreich, dass sie Zweigstellen in Paris und Hamburg errichten konnten.

Harry Haas wurde schon frühzeitig nach Hamburg geschickt, um die Firma Haas und Cie. in Hamburg zu führen. Das Geschäft befand sich in der Billstraße 158. Harry Haas wohnte zu­nächst in der Rothenbaumchaussee 195. Am 22. Januar 1932 gaben sich Charlotte und Harry im Standesamt St. Pauli das Ja-Wort.

Von ihrer Tochter Ellen gibt es ein Zeugnis: Sie besuchte seit Ostern 1940 bis zu ihrer Deportation die Talmud Tora Schule im Grindelhof. Vorher ging sie zur Privatschule Lehmann. In Fleiß, Betragen und Aufmerksamkeit hatte sie im ersten Halbjahr eine Eins, in Ordnung eine Zwei. Im zweiten Halbjahr erhielt sie in Ordnung und Aufmerksamkeit eine Eins, in Betragen eine Zwei und in Fleiß eine Drei. Sie war eine gute Schülerin und hatte hauptsächlich Zweien und Dreien im Zeugnis, außer in Turnen und Hebräisch. Da hatte sie eine Fünf.

Während der Pogromnacht 9./10. November 1938 wurden das Haus der Familie Haas und das Geschäft in Borken zerstört. Ob das Geschäft in Hamburg beschädigt wurde, lässt sich nicht sagen. Kurz darauf musste Familie Haas sowohl in Borken als auch in Hamburg das Geschäft an "Arier" zwangsweise verkaufen. Auch das Gartengrundstück, das Harry Haas in Borken noch besaß, musste er verkaufen.

Daraufhin beschloss die Familie, nach London auszuwandern. Harry Haas wollte dort als Kaufmann im Holzfach weiterarbeiten. Seit dem 20. März 1939 soll sich Harry Haas bereits in Holland befunden haben (Reuver, Flüchtlingslager). Auf der Borkener Internetseite ist vermerkt, dass zunächst nur die männlichen Familienangehörigen aus Deutschland flohen, da sie nicht damit rechneten, dass den Frauen und Kindern ein Leid angetan würde.

Nach der Auswanderung von Harry blieb Charlotte vorerst mit Tochter und Mutter in Hamburg. Im April 1939 stellte Charlotte einen Ausreiseantrag. In einem Brief an den Oberfinanzpräsidenten vom 19. April 1939 teilte sie mit, dass sie einen Teil ihrer Wohnungseinrichtung bereits verkauft und eine kleinere Wohnung gemietet habe. Sie bat um die Freigabe des Umzugsgutes, welches sich in einem Lager der Transport-Firma Wiese befand. Zu diesem Zeitpunkt wohnte Charlotte bereits zur Untermiete mit ihrer Tochter in der Hagedornstraße 49 bei Konrad. Sie durfte bestimmte Sachen wegen eines möglichen Weiterverkaufs im Ausland nicht mitnehmen. (Der Zollfahndungsbericht vom 3.5.1939: "Absage der Gegenstände: Schreibmaschine, Radio, Konserven, Wein, Möbel sowie Garderobe und Wäsche wegen möglichem Wiederverkauf im Ausland. Wein und Konserven in Massen eingekauft. Nicht genehmigt Verdacht eines günstigen Vermögenstransfers".) Für die genehmigten Sachen sollte eine zusätzliche Zollabgabe (Dego-Abgabe) bezahlt werden.

Anscheinend hatten Charlotte und Ellen die Genehmigung zur Auswanderung. Ihre Sachen waren bereits gepackt, und sie bewohnten in Hamburg nur noch eine Übergangswohnung.

Aber etwas hinderte sie an einer Ausreise: Ich vermute, dass Charlottes Mutter Paula Fürst krank war und sie sich um sie kümmern musste (sie war ja ihr einziges Kind). In Paula Fürsts Akten findet sich ein Antrag auf die Zahlung einer Erholungsreise vom 16. Juli 1940 (Paula Fürsts Geld war eingezogen worden und ihr wurde davon ein monatlicher Betrag bewilligt, 300 RM. Eine Erhöhung auf 500 RM war am 27. Oktober 1939 abgelehnt worden, also musste sie um alle zusätzlichen Zahlungen einzeln bitten).

Möglich ist auch, dass Charlotte gehofft hatte, ihr Mann werde in London schon alles vorbereiten, aber anscheinend wurde er länger als erwartet in den Niederlanden im Flüchtlingslager festgehalten.

Charlotte und Ellen Haas gelang die Ausreise nicht mehr. Am 18. November 1941 wurden sie zusammen mit Paula Fürst nach Minsk in den Tod geschickt. Ellen war zu diesem Zeitpunkt acht Jahre, ihre Mutter 33 und ihre Oma 57 Jahre alt.

Auch die meisten Familienmitglieder aus Borken kamen in Lagern ums Leben.

Harry Haas gelang es später doch noch, nach London zu ziehen. Aus ungeklärten Gründen kehrte er 1948 nach Hamburg zurück. Hier verstarb er am 25. Mai 1948 um 10.40 Uhr morgens, auf dem Weg ins Krankenhaus. Sein Cousin Erich war zum Todeszeitpunkt bei ihm.

Diese Biographie hat Lea Lührig, die 11-jährige Tochter einer der Autorinnen, mit ein bisschen Unterstützung ihrer Mutter, geschrieben.

© Lea Lührig

Quellen: 1; 4; 8; StaH, 522-1 Jüd. Gemeinden, 992 e 2, Bd.3; 314-15 OFP: R1938/2967 (Paula Fürst), F 851 (Haas), Fvg 8996 (Haas); 332-5 1283 u. 337 (1948); www.gegen-vergessen-borken.de; Frank Bajohr, "Arisierung" in Hamburg, Die Verdrängung der jüdischen Unternehmer 1933–1945, Hamburg 1997.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Recherche und Quellen.

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