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Dora Loschinski (geborene Sacharewitz verw. Berlin) * 1892

Mörkenstraße 4 vormals Hausnummer 3 (Altona, Altona-Altstadt)

1941 Minsk
ermordet

Weitere Stolpersteine in Mörkenstraße 4 vormals Hausnummer 3:
Kurt Berlin, Georg Loschinski

Kurt Berlin, geb. am 12.7.1920, deportiert am 8.11.1941 nach Minsk, ermordet
Dora Loschinski, geb. Sacharewitz, verw. Berlin, geb. am 11.9.1892, deportiert am 8.11.1941 nach Minsk, ermordet
Georg Loschinski, geb. am 2.4.1891, deportiert am 8.11.1941 nach Minsk, ermordet

Mörkenstraße 4 (Mörkenstraße 3)

Deborah, genannt Dora, Sacharewitz wurde am 11. September 1892 in Liepaja (dt. Libau) im heutigen Lettland in der Nähe von Riga als Tochter von Michael und Anna Sacharewitz geboren. Das jüdische Ehepaar hatte noch eine Tochter namens Fenia, später Fanny genannt.

Um 1905 floh Anna Sacharewitz mit ihren Töchtern vor den ersten revolutionären Aufständen aus Witebsk, Weißrussland, nach Deutschland. Ihr Mann Michael Sacharewitz, der in Witebsk eine Fabrik besaß, blieb. Er soll sich, wie Cornelia von Schröders, Urenkelin von Anna Sachare-witz, aus der Familienüberlieferung berichtete, später in Odessa das Leben genommen haben.

Anna Sacharewitz lebte mit ihren Töchtern in Düsseldorf, wo sie Klavierunterricht gab. In Düsseldorf lernte Fenia den Medizinstudenten Georg Martin Hosse kennen, den sie später heiratete. Er war nichtjüdisch; sie konvertierte zum protestantischen Glauben.

Dora schloss den Bund der Ehe mit dem Hamburger Siegfried Berlin, geboren am 10. Oktober 1884. Das Ehepaar bekam zwei Kinder. Am 24. Juni 1918 kam die Tochter Malchen zur Welt, am 12. Juli 1920 der Sohn Kurt.

Die jüdische Familie Berlin besaß ein Haus in der Grindelallee 132 am Rotherbaum in Eimsbüttel, wo schon Siegfried Berlins Großvater ein Kolonialwarengeschäft betrieben hatte. Seit den 1920er Jahren führte Siegfried Berlin dort einen Goldschmiedebetrieb. Seit 1919 war er Vorsteher der Synagogengemeinde.

Familie Berlin blickte auf eine verzweigte Familiengeschichte zurück. Ururgroßvater von Siegfried Berlin war der Rabbiner Lase Berlin. Der Rabbiner und Genealoge Eduard Duckesz verfasste eine "Familiengeschichte des Rabbi Lase Berlin in Hamburg". Ihr zufolge war Siegfried Berlin eines von sechs Kindern von Meir Berlin, einem Urenkel von Rabbi Lase Berlin, und seiner Ehefrau Malchen, geb. Holländer. Siegfrieds ältester Bruder Ivan verunglückte 1901. Sein zweitältester Bruder Alexander, geboren 1878, erwarb in Lübeck die Lotteriekonzession und machte sich in Hamburg mit dem Lotteriegeschäft selbstständig; sein Kontor war in der Grindelallee 132. Er und seine Frau Frieda, geborene Heyn, hatten einen Sohn namens Erwin Isaak. Siegfrieds Bruder Eduard, ein Steinhauer, betrieb in Fuhlsbüttel in der Nähe des Jüdischen Friedhofs eine Grabmalwerkstatt, die in den Jahren 1938/1939 liquidiert wurde. Eduard Berlin und seine Frau Fanny, geb. Meyer, hatten drei Kinder: Ernst, Olga und Herbert. Siegfrieds Schwester Frieda, verheiratet mit dem Kaufmann Martin Neuhaus, wohnte mit ihren drei Kindern ebenfalls im Haus Grindelallee 132. Siegfrieds jüngste Schwester Minna war verheiratet mit Richard Meyer, der in Altona in der Großen Bergstraße 182 a ein Wollwarengeschäft betrieb; die Familie wohnte nebenan im Haus 182.

Eduard Duckesz schrieb über Siegfried Berlin: "Er war ein Juwelier, ein zärtlicher Sohn, ein guter Bruder, ein herzensguter Mensch. Doch infolge eines tragischen Unglücksfalls fand er in den besten Jahren im Alter von 37 Jahren am 1. Rausch Haschono Tag 1920 [Rosh Hashana, jüdisches Neujahrsfest im Frühherbst] seinen Tod." Sein Todestag war (laut Sterbeurkunde) der 12. September 1920, einen Monat vor seinem 36. Geburtstag. Seine Schwester Minna und ihr Mann Richard Meyer nahmen die zweijährige Malchen als Pflegekind auf.

Kurt Berlin, beim Tod seines Vaters zwei Monate alt, blieb bei seiner Mutter. Dora Berlin heiratete erneut. Ihr zweiter Ehemann, der Kaufmann Georg Loschinski, geboren am 2. April 1891, stammte aus dem Kreis Hohensalza in der ehemals preußischen Provinz Posen, die seit dem Ende des Ersten Weltkrieges unter dem Namen Inowrazlaw zu Polen gehörte. Georg Loschinski stammte aus einer jüdischen Familie, seine Eltern waren Elias und Rosa Loschinski, geb. Lewin. Nach Aufenthalten in Gelsenkirchen und Münster war er 1925 nach Hamburg, in die Quickbornstraße 32, gezogen.

1933 zog das Ehepaar Loschinski mit Kurt in den dritten Stock der Mörkenstraße 3 in Altona. Georg Loschinski war Geschäftsführer der Firma Hermann F. Piening GmbH, einer Fisch-Großhandlung in der Großen Elbstraße 141. Von 1937 bis 1939 wohnte die Familie in der Norderstraße 2, angrenzend an die Mörkenstraße. Zuletzt war Georg Loschinski als "Einkäufer" tätig. Laut Eintrag in seiner Kultussteuerkarte war er ab 1938 erwerbslos.

Zu der Zeit verdiente der inzwischen achtzehnjährige Kurt Berlin seinen Lebensunterhalt als Musiker, er spielte Akkordeon.

Als jüdischer Gewerbetreibender zur Aufgabe des Geschäfts gezwungen, musste Richard Meyer seine Firma "Woll-Meyer" Anfang 1939 schließen. 1940 zog er mit seiner Frau und der Pflegetochter Malchen in das Haus Grindelallee 134.

Als die Verfolgungsmaßnahmen gegen die jüdische Bevölkerung zunahmen, bemühten sich auch Angehörige der Familie Berlin auszuwandern. Kurts Schwester Malchen hoffte mit Hilfe ihres Freundes, der bereits emigriert war, ausreisen zu können. Kurts Cousin Ivan Ernst Berlin, im Juli 1939 nach Shanghai emigriert, beantragte vergeblich bei den zuständigen Behörden eine Einreisegenehmigung für Malchen Berlin und ihre Pflegemutter Minna Meyer. Die Auswanderungspläne schlugen fehl. Mit dem zweiten Großtransport aus Hamburg, der 986 Juden und Jüdinnen umfasste, wurden mehrere Angehörige der Familien Berlin und Loschinski in das Getto Minsk in der Hauptstadt des deutsch besetzten Weißrussland deportiert. Die Namen von Georg und Dora Loschinski und Kurt Berlin waren auf der Liste für diese "Evakuierung" nach Minsk am 8. November 1941 aufgeführt. Ihr letzter Wohnort war Werderstraße 65 in Harvestehude bei Wolff. Ebenfalls in diesem Transport befanden sich Kurts Cousin Erwin Berlin und seine Frau Ilse, die sich zusammen mit der Tochter Hildegard freiwillig für den Transport nach Minsk gemeldet hatte, sowie Kurts Tante Frieda Neuhaus, geb. Berlin, ihr Mann Martin Neuhaus und die Tochter Ilse mit dem Ehemann Wolf Cohen.

Niemand von ihnen kehrte zurück. Diejenigen, die Hunger, Kälte und Infektionskrankheiten im Getto Minsk überlebt hatten, wurden bei einer der Massenerschießungen im Getto 1943 ermordet.

Minna Meyer wurde zusammen mit Kurts Schwester Malchen am 6. Dezember 1941 nach Riga deportiert. Mit ihnen mussten Kurts Tante Fanny Berlin, geb. Meyer, und deren Tochter Olga Wolf, geb. Berlin, mit dem zweijährigen Sohn Dan die Fahrt in den Tod antreten. Minna und Malchen Berlin wurden im Oktober 1944 ins KZ Stutthof bei Danzig weiterdeportiert, wo sie ums Leben kamen.

Anna Sacharewitz, Dora Loschinskis Mutter, die in die Niederlande emigriert war, wurde am 4. Dezember 1942 aus dem Sammellager Westerbork nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.

In der Grindelallee 134, der Wrangelstraße 17, am Eppendorfer Baum 10 und in der Gneisenaustraße 10 liegen Stolpersteine für die Verwandten von Kurt Berlin.

Stand September 2015

© Birgit Gewehr

Quellen: 1; 2 (R 1940/358 Malchen Berlin); 4; 5; 8; StaH 5221 Jüdische Gemeinden, 992 e 2 Band 2 (Deportationsliste Minsk, 8.11.1941); StaH 351-11 Amt für Wiedergutmachung, 6912 (Meyer, Minna), 5704 (Meyer, Richard) und 31590 (Berlin, Erwin Isaak); StaH 332-5 Standesämter, 8061 (Eintrag Nr. 370, Berlin); Duckesz, Familiengeschichte; Auskunft von Johann-Hinrich Möller, Stolperstein-Initiative Hamburg, zu Familie Berlin aus Gesprächen von Hinne Möller mit Ursula Hosse, Kusine von Kurt Berlin, Februar 2006, aus der Korrespondenz im August 2006, aus dem Briefwechsel der Familie Berlin (1939–1941) im Bestand Margarethe und Susan Berlin, San Rafael CA, USA; Korrespondenz mit Cornelia von Schöders, Urenkelin von Anna Sacharewitz, Juni 2014; Johann-Hinrich Möller, Biographie von Malchen Berlin, in: www.stolpersteine-Hamburg.de/de, Zugriff 11.8.2014; Susanne Lohmeyer, Biographien für Erwin, Ilse und Hildegard Berlin, in: Lohmeyer, Stolpersteine, S. 90 f. und S. 78 f.; Biographien für Frieda, Ilse, Hildegard, Kurt, Malchen, Erwin und Fanny Berlin befinden sich auf www.Stolpersteine-Hamburg.de.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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