Namen, Orte und Biografien suchen


Bereits verlegte Stolpersteine


zurück zur Auswahlliste

Porträt Walter Herz
Walter Herz
© UKE, Akte Friedrichsberg

Walter Herz * 1899

Rothenbaumchaussee 101/103 (Eimsbüttel, Rotherbaum)


HIER WOHNTE
WALTER HERZ
JG. 1899
EINGEWIESEN 1940
HEILANSTALT LANGENHORN
"VERLEGT" 23.9.1940
LANDES-PFLEGEANSTALT
BRANDENBURG
ERMORDET 23.9.1940
AKTION T4

Weitere Stolpersteine in Rothenbaumchaussee 101/103:
Bertha (Berta) Herz

Berta Herz, geb. am 26.10.1900 in Hamburg, ermordet am 23.9.1940 in der Tötungsanstalt Brandenburg an der Havel
Walter Herz, geb. am 19.5.1899 in Hamburg, ermordet am 23.9.1940 in der Tötungsanstalt Brandenburg an der Havel

Stolpersteine Hamburg-Rotherbaum, Rothenbaumchaussee 101/103

Am 8. Dezember 1925 erschien der Steward Walter Herz auf der Polizeiwache Dammtorstraße 10 in der Hamburger Neustadt und bat ausdrücklich darum, sich von Professor Dr. Max Nonne im Hinblick darauf, ob er "auf der Sternwarte fähig sein werde, Astronomie zu studieren, auf seinen Geisteszustand hin beobachten" zu lassen. Ein weiterer Grund sei, dass seine Angehörigen ihn "in die Irrenanstalt" bringen wollten. Er willigte ein, sich im Hafenkrankenhaus aufnehmen zu lassen, die Mutter, bei der er gemeldet war, wurde benachrichtigt. Walter Herz vertraute dem renommierten Neurologen Max Nonne aufgrund früherer Untersuchungen. Was Walter Herz nicht wusste: Nonne vertrat bereits Anfang der 1920er Jahre extreme rassehygienische und sozialdarwinistische Standpunkte.

Walter Herz war am 19. Mai 1899 in eine aufstrebende Kaufmannsfamilie hineingeboren worden. Die Familien- und Geschäftsgeschichte begann 1895 mit der Gründung eines Uhren- und Goldwarenlagers in der Amelungstraße 13/14 in der Hamburger Neustadt durch seinen Onkel Neumann Nathan. Dieser war am 11. November 1871 als Sohn eines Schneiders in Hamburg geboren worden. Das Einkommen seines Vaters Gerson Nathan aus Rendsburg reichte aus, um 1887 mit seiner Familie in Hamburg eingebürgert zu werden. Zur Familie Neumann Nathan gehörten seine Ehefrau Recha, geborene Joseph, die älteste Tochter Helene, geboren am 1. Dezember 1870, der ein Jahr jüngere Bruder Neumann und zwei weitere Brüder, Julius, geboren am 25. September 1873, und Marcus, geboren am 14. Februar 1877.

Als erstes der Kinder heiratete Helene Nathan am 24. Januar 1895 den gleichaltrigen Tapezier und Dekorateur Henry Herz, geboren am 13. Juli 1870 in Hamburg. Sein Vater, Sander Levy Herz, führte ein Dekorations- und Möbelgeschäft in der Hermannstraße 27 in der Altstadt. Die Familie Herz, zu der die Mutter Selde, geborene Wolffsohn, und die Schwestern Auguste, Jenni, Sophie und Franziska gehörten, wohnte in Harvestehude in der Eichenallee 3.

Bis zu ihrer Heirat hatte Helene Herz in der Hamburger Neustadt gewohnt. Die jungen Eheleute bezogen zunächst eine Wohnung im 2. Durchschnitt 10 im Grindelviertel, wo noch vor Jahresende, am 17. November 1895, ihr erstes Kind, Herta, zur Welt kam. Zwei Jahre später, sie waren in eine bessere Wohnung im Durchschnitt 11 gezogen, wurde am 25. November 1897 ihr zweites Kind geboren, Manfred. Ihm folgten am 19. Mai 1899 Walter und schließlich, am 26. Oktober 1900, Berta.

Zwei Jahre nach seiner Schwester heiratete Neumann Nathan jr. die Tochter eines Schriftsetzers, Helene (Lenchen) Gumpel, die am 13. Oktober 1898 ihr erstes Kind zur Welt brachte, den Sohn Max, der jedoch nur neun Monate alt wurde. Am 11. Juli 1900 wurde ihr zweites Kind, Lilly, geboren. Lilly blieb das einzige Kind, so dass Neumann Nathan jr. ohne leiblichen Nachfolger für sein Geschäft blieb.

Die Großeltern Recha und Gerson Nathan starben 1903 bzw. 1910, so dass sie den Werdegang ihrer Enkelkinder nicht mehr erlebten. Herta, Manfred und Berta Herz schlossen ihre Schulzeit erfolgreich ab. Manfred Herz erhielt eine handwerkliche Ausbildung als Tischler, Herta und Berta wurden Kontoristinnen. Demgegenüber war Walters Schul- und Ausbildungszeit voller Wechsel. Er besuchte die Talmud Tora Realschule Kohlhöfen 19 und machte deren Umzug in den Neubau Grindelhof 30 mit, verließ aber die Schule nach sieben Unterrichtsjahren. Seine Schulzeit beendete er in Albert Silberbergs "Israelitische[r] Erziehungsanstalt" in Ahlem bei Hannover. Danach begann er eine kaufmännische Lehre, die er jedoch nach drei Monaten abbrach. Nach mehreren Stellen als Bote versuchte er sich in einer Schusterlehre, die er ebenfalls nicht beendete. Am 8. Oktober 1917 wurde er zum Heer eingezogen, jedoch nach drei Monaten wieder entlassen. Nach einer kurzen Zeit als Bote bei der Werft Blohm & Voss in Hamburg fuhr er als Steward zur See, wechselte in Mexiko das Schiff und die Tätigkeit. Er kehrte 1923 als Trimmer (Heizer) nach Hamburg zurück. Inzwischen war die Ehe seines Onkels Neumann Nathan geschieden und im Jahr 1922 auch die seiner Eltern. Seine Mutter Helene Herz hatte 1919 die Geschäftsführung einer Sommerpension in Niendorf an der Ostsee übernommen, die sie später ihrem Schwiegersohn Hans Fabian (siehe dort) übergab. Herta, die älteste Schwester, hatte den Kaufmann Hans Fabian, geboren am 20. Juni 1893 in Berlin, im März 1921 geheiratet. Er litt schon damals an vereinzelt auftretenden epileptischen Anfällen, die sich später verstärkten. Henry Herz, Walters Vater, ging eine zweite Ehe ein und spielte, wie die gesamte väterliche Familie, offenbar keine bedeutende Rolle mehr für seinen Sohn.

Neumann Nathan nahm seinen Neffen Manfred Herz in seiner Firma Auf, zeitweilig auch Walter. Nach kurzer Zeit schied Walter wieder aus, und Manfred führte das Geschäft durch die Inflationszeit hindurch.

Walter Herz fuhr wieder zur See. Die Reise ging nach Kalifornien, wo er erkrankte. Die Chronologie seiner Tätigkeiten und Krankenhausaufenthalte sowie der diplomatischen Hilfen, die er in Anspruch nahm, lässt sich nicht genau rekonstruieren. In San Franzisco wurde er zunächst "in eine Irrenanstalt eingesperrt", wie er später sagte, dann in ein Krankenhaus verlegt, aus dem er gesund genug entlassen wurde, um die Heimreise anzutreten. Im Oktober 1924 kam er in Bremen an und fuhr gleich weiter nach Berlin, um einem Regierungsrat Davidsen im Auswärtigen Amt über "bestimmte Vorkommnisse" auf der Überfahrt zu berichten und um Aufnahme in die Berliner Universitätsklinik "wegen Nervenzerrüttung" zu bitten. Danach fuhr er wieder nach Südamerika, wo er sich in Buenos Aires als Küchenjunge und Tellerwäscher, aber auch als Reporter mühsam durchschlug und wieder in ein Krankenhaus eingeliefert wurde. Auf der Rückreise mit dem Dampfschiff "Antonio Delfino" im Februar 1925 hielt er in einem Brief die "Vorkommnisse" beider Reisen fest. Dabei handelte es sich um "merkwürdige astronomische Beobachtungen": "Da ich während der Heimreise auf dem Dampfer, von Buenos Aires bis hinter Rio des Janeiro, derart von einer unsichtbaren Gewalt gezogen wurde des Nachts, mich ans Oberdeck begeben musste und mich unter die Sterne gelegt hatte. Solange keine Tropensonne schien, [habe] ich mich vollkommen unter der Macht der himmlischen Gestirne befunden, und wovon ich heute noch nicht von dem Einfluss der Sonne, Mond und Sterne frei bin." Diese Erfahrung sei der hauptsächliche Grund, weshalb er sich auf der Polizeiwache gemeldet habe. Zudem sei der schwarze Bart des "Judenkochs" Mendel, seines Nachbarn im Zwischendeck, an einem Morgen plötzlich grau gewesen. Mendel habe ihm gesagt, er habe so schwerwiegende Prophezeiungen gemacht, dass ihm vor Schreck der Bart ergraut sei. Er, Walter Herz, habe den Kapitän gefragt, ob er sich von einem Astronomen beobachten lassen solle, damit, "falls ich in der Lage sein sollte, Sterne deuten zu können, [...] es mein höchster Wunsch [ist], mich der Regierung zur Verfügung zu stellen". Er habe seine Beobachtungen auch fotographisch dokumentiert und benannte diplomatisches Personal als Zeugen. Die Berichte enthalten Assoziationen an die jüdischen Erzählungen vom Traumdeuter Joseph und dessen Aufstieg zum obersten Verwalter Ägyptens.

Walter Herz blieb im Dezember 1925 drei Tage im Hamburger Hafenkrankenhaus. Von dort wurde er mit der Diagnose "manischer Erregungszustand eines Schizophrenen" in die Staatskrankenanstalt Friedrichsberg überwiesen. In der fremden Umgebung erschien Walter Herz vieles zunächst verdächtig. Gleichwohl wirkte er auf den aufnehmenden Arzt erfreut und redete ununterbrochen, "mal zornig, mal heiter". Der Arzt bescheinigte ihm Selbstüberschätzung und Illusionen und änderte die Diagnose in Imbezillität und Pfropfhebephrenie, d. h. Schwachsinn mittleren Grades, auf den sich eine Schizophrenie "aufgepfropft" habe. Die körperliche Untersuchung ergab keinerlei krankhaften Befund, außer dass am linken Fuß die zweite Zehe fehlte; sie war 1917 amputiert worden. Walter Herz war 173 cm groß und wog 55,5 kg, war also ein hagerer Mann. Bis zu seiner Entlassung fünf Monate später nahm er 15 Pfund zu.

Berta Herz hatte nach Angaben ihres Bruders Walter mit siebzehn Jahren erstmals leichte epileptische Anfälle. Bis 1925 arbeitete sie als kaufmännische Angestellte, wurde dann jedoch erwerbsunfähig und erhielt eine monatliche Rente von 39 RM. Sie wohnte im Schlüterweg 3, der später in Rothenbaumchaussee 101/103, umbenannt wurde, wo auch Walter gemeldet war. Berta war schon einmal vor ihrem Bruder in der Staatskrankenanstalt Friedrichsberg aufgenommen, aber wieder nach Hause entlassen worden. Walter Herz wurde im April 1926 in die Staatskrankenanstalt Langenhorn verlegt. Bei der Aufnahme dort machte er durch seine Lebendigkeit einen positiven Eindruck auf den Arzt, als er ausführlich und selbstkritisch sein bisheriges Leben schilderte. Die Folgerung daraus fasste dieser dann so zusammen: "[Der] Patient hat die seiner Rasse eigene geistige Beweglichkeit und sprudelt alles in unermüdlichem Tempo hervor; anscheinend ist er von seiner Wichtigkeit sehr überzeugt und sieht sein Hiersein als vorübergehend und nur zwecks ‚Feststellung seines Geisteszustandes’ an."

Finanziell unterstützt wurden Berta und Walter zunächst von Manfred Herz, dem Neumann Nathan inzwischen seine Firma überlassen und die dieser erfolgreich konsolidiert hatte.

Lilly Nathan (siehe www.stolpersteine-hamburg.de) hatte nach der Scheidung ihrer Eltern Neumann und Lenchen bei ihrer Mutter gewohnt. Sie konnte nie selbstständig leben. Ihrer Mutter gegenüber verhielt sie sich zunehmend aggressiv, weshalb sie 1926 in einer psychiatrischen Privatklinik in
Ülsby untergebracht wurde.

Für die Begleichung der Kosten standen offenbar genügend familiäre Mittel zur Verfügung, anders als bei Walter Herz, für dessen Unterbringung die Hamburger Sozialverwaltung aufkam. In Langenhorn wurde er in der Buchbinderei beschäftigt. Gegenüber seinen Mitpatienten benahm er sich zunehmend herausfordernd, was zu Reibereien führte. Um weitere Konflikte zu vermeiden, nahm er seine Mahlzeiten allein im Wachsaal ein. Ein Vorfall am 3. Mai 1926 änderte seine Haltung gegenüber dem Personal nachhaltig: Seine Mutter hatte Stadturlaub für ihn erbeten, der ihm jedoch mit einer ihn kränkenden Begründung abgeschlagen wurde. Daraufhin verweigerte er zunächst die Arbeit. Als er sie wieder aufnahm, wurde er so ausfallend gegenüber dem Oberarzt, dass er zur Isolation in den Wachsaal geschickt wurde. Ähnliche Vorfälle wiederholten sich, Walter Herz verbrachte viel Zeit im Wachsaal oder ans Bett gebunden.

Er schrieb gern viele Briefe, von denen die Anstaltsleitung etliche zurückhielt. In einem Brief an seine Mutter drückte er die Hoffnung aus, "recht bald von dem auf mir lastenden Schwachsinn geheilt" zu werden. "So G‘tt will." 1927 wandte er sich an das Gesundheitsamt mit der Bitte, einen Arzt zu schicken, der seine Intelligenz prüfen möge. Das geschah zwar nicht, aber Intelligenztests in der Anstalt selbst ergaben, dass er nicht eindeutig als "schwachsinnig" zu bezeichnen sei. Eine Zeitlang spielte Hypnose eine große Rolle für ihn, als Hypnotiseur wie als Hypnotisiertem. Die Klärung, ob er zum Astronomen oder Astrologen tauge, beschäftigte ihn hin und wieder, blieb schließlich unentschieden. Über einige Jahre hinweg belastete ihn die Frage nach seiner geschlechtlichen Identität schwer. Seine Übergriffe auf Mitpatienten wurden mit den damals üblichen Mitteln von Dauerbädern und Wachsaalaufenthalten geahndet, aber ihm wurde auch bei seinen Phantasien und Wünschen zugehört, z. B., warum er gern ein achtjähriges Mädchen wäre. "Ich müsste doch dann erst die Erziehung eines jungen Mädchens durchmachen." Nach solchen Gesprächen wurde Walter Herz ruhiger und äußerte erst einmal keine Wahnideen mehr. Zu anderen Zeiten betonte er, dass er Jude sei, machte kleine Witze darüber, zeichnete Davidsterne auf Briefränder.

Walter Herz’ Mutter Helene, seine Schwester Berta und weitere Verwandte besuchten ihn. Sein Onkel Marcus Nathan versorgte ihn aus seinem Herrenbekleidungsgeschäft. Er war zugleich Walter Herz’ Vermögenspfleger. Wenn Walter orthopädische Schuhe benötigte, erhielt er sie von seiner Familie, die auch Geld für die Tageszeitung und zu seiner freien Verfügung brachte. Er brauchte wenig, da er weder rauchte noch Süßes liebte.

Häufig wechselte er die Tätigkeiten, so entsprach Sandtransport mit der Schubkarre nicht seinen Ansprüchen und war ihm körperlich zu anstrengend, aber die Weberei stellte ihn zunächst einmal zufrieden.

Helene Herz hatte sich inzwischen der Kirche Christi Wissenschafter zugewandt und 1927 die Jüdische Gemeinde verlassen. Als sich die geistig-seelischen Erkrankungen ihrer Kinder Walter und Berta sowie ihres Schwiegersohnes Hans Fabian verschlimmerten, fand Helene Herz Unterstützung bei "Ausübern" der Christlichen Wissenschaft, bei Männern und Frauen, die nach der Lehre von Mary Baker Eddy heilten. Helene litt auch unter dem Tod ihrer Brüder Neumann und Julius 1932 und 1933, hinzu kam die allgemeine Bedrohung, die mit der Machtübergabe an Hitler einsetzte.

Die Chronologie der folgenden Ereignisse ist widersprüchlich. Am 7. Oktober 1936 wurde Berta Herz erneut in der Staatskrankenanstalt Friedrichsberg aufgenommen, nach einer anderen Quelle kam sie bereits am 3. November 1935 in die Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn. Über ihre Erkrankung sind keine Einzelheiten bekannt.

Zur Entlastung der Anstalt Langenhorn wurde Walter Herz am 21. September 1938 in die Heilanstalt Strecknitz bei Lübeck verlegt. Als körperlich und neurologisch gesunder Patient konnte er in der Landwirtschaft arbeiten. Wieder wurde seine Intelligenz geprüft, wieder war kein "Schwachsinn" nachweisbar, aber "eine hochgradige Urteilsschwäche wegen Zerfahrenheit und Größenideen". Er trug Ärzten und Pflegern immer wieder in sehr höflicher Form seine Wünsche vor, wirkte dabei sehr aufdringlich, was ihn als "Querulanten" abstempelte. Mit seinen Mitpatienten kam es häufig zu Konflikten, die mit seiner Isolierung geahndet wurden.

Manfred Herz plante 1938, nach Palästina auszuwandern und seinen Bruder mitzunehmen, auf eigene Kosten und auf die Gefahr hin, ihn auch dort in Anstaltspflege geben zu müssen. Seitens der Hamburger Fürsorgebehörde und der Strecknitzer Anstalt stand dem nichts im Wege. Ob Walter Herz davon überhaupt wusste, ist nicht bekannt, auch nicht, woran die Auswanderung scheiterte.

Im Frühjahr/Sommer 1940 plante die "Euthanasie"-Zentrale in Berlin, Tiergartenstraße 4, eine Sonderaktion gegen Juden in öffentlichen und privaten Heil- und Pflegeanstalten. Sie ließ die in den Anstalten lebenden jüdischen Menschen erfassen und in staatlichen sogenannten Sammelanstalten zusammenziehen. Die Heil- und Pflegeanstalt Hamburg-Langenhorn wurde zur norddeutschen Sammelanstalt bestimmt. Alle Einrichtungen in Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg wurden angewiesen, die in ihren Anstalten lebenden Juden bis zum 18. September 1940 dorthin zu verlegen.

Als Walter Herz am 16. September 1940 mit einem Sammeltransport von Strecknitz dort ankam, traf er seinen Schwager Hans Fabian und seine Schwester Berta wieder. Seine ebenfalls kranke Cousine Lilly Nathan blieb in der Privatklinik in Uelsby von dieser Sammelaktion verschont.

Am 23. September wurden Berta und Walter Herz sowie deren Schwager Hans Fabian mit weiteren 133 Patientinnen und Patienten aus norddeutschen Anstalten nach Brandenburg an der Havel transportiert. Der Transport erreichte die märkische Stadt noch an demselben Tag. In dem zur Gasmordanstalt umgebauten Teil des ehemaligen Zuchthauses trieb man die Menschen umgehend in die Gaskammer und ermordete sie mit Kohlenmonoxyd. Nur Ilse Herta Zachmann entkam zunächst diesem Schicksal (siehe dort).

Auf dem Geburtsregistereintrag von Berta Herz wurde notiert, dass das Standesamt Chelm II ihren Tod am 30. Januar 1941 unter der Nummer 329/1941 registriert hat, auf dem von Walter Herz wurde notiert, dass das Standesamt Chelm II seinen Tod am 8.Dezember 1940 unter der Nummer 573/1940 registriert hat. Die in Brandenburg Ermordeten waren jedoch nie in Chelm (polnisch) oder Cholm (deutsch), einer Stadt östlich von Lublin. Die dort früher existierende polnische Heilanstalt bestand nicht mehr, nachdem SS-Einheiten am 12. Januar 1940 fast alle Patienten ermordet hatten. Auch gab es in Chelm kein deutsches Standesamt. Dessen Erfindung und die Verwendung späterer als der tatsächlichen Sterbedaten dienten dazu, die Mordaktion zu verschleiern und zugleich entsprechend länger Verpflegungskosten einfordern zu können.

Die Angehörigen wurden ebenso wenig wie die Langenhorner Anstaltsleitung über das tatsächliche Schicksal ihrer Verwandten informiert. Helene Herz konsultierte noch einmal ihren Heiler Bruno Kempe "wegen ihrer kranken Kinder", wie es im Ermittlungsprotokoll der Gestapo gegen ihn heißt. Bruno Kempe war wegen seiner fortgesetzten Tätigkeit als Ausüber der Kirche Christi Wissenschafter denunziert worden. Da es sich bei Helene Herz um eine "Volljüdin" handelte, wog das Vergehen besonders schwer. Sie erfuhr nie, dass ihre Kinder Walter und Berta sowie Hans Fabian zu dem Zeitpunkt nicht mehr lebten.

Lilly Nathan blieb bis zum Sommer 1942 in Ülsby und wurde von dort am 19. Juli 1942 über Kiel in das Getto von Theresienstadt deportiert, wo vier Tage zuvor ihre Tante Helene Herz eingetroffen war. Helene Herz überlebte nur die nächsten beiden Monate, Lilly fast ein Jahr. Beide starben im Getto. Für Lilli Nathan liegt ein Stolpersteine in Hamburg-Horn, Washingtonallee 50.

Manfred Herz und Herta Fabian wurden am 6. Dezember 1941 nach Riga deportiert. Sie kamen im Holocaust ums Leben. Für Manfred Herz liegt ein Stolperstein in Hamburg-Eilbek, Wandsbeker Chaussee 62, für Herta Fabian in Hamburg-Harvestehude, Parkallee 2. An Berta und Walter Herz erinnern Stolpersteine in Hamburg-Rotherbaum, Rothenbaumchaussee 101/103.

Stand: November 2017
© Hildegard Thevs

Quellen: 1; 2; 4; 5; 6; 7; 9; AB; StaH 133-1 III Staatsarchiv III, 3171-2/4 NR.A. 4, Liste psychisch kranker jüdischer Patientinnen und Patienten der psychiatrischen Anstalt Langenhorn, die aufgrund nationalsozialistischer "Euthanasie"-Maßnahmen ermordet wurden, zusammengestellt von Peter von Rönn, Hamburg (Projektgruppe zur Erforschung des Schicksals psychisch Kranker in Langenhorn); 314-15 Oberfinanzpräsident) R 1941/53; 213-11 Staatsanwaltschaft Landgericht 1080/44; 232-5 Amtsgericht Hamburg, Vormundschaftswesen, 429; 332-5, 1009 Nr. 368/1933, 1904 Geburtsregister Nr. 857/1877, 2846 Heiratsregister Nr. 49/1895, 3043 Heiratsregister Nr. 755/1905, 6670 Heiratsregister Nr. 290/1928, 9112 Geburtsregister Nr. 2055/1895 Herta Herz, 9134 Geburtsregister Nr. 2359/1897 Manfred Herz, 13088 Geburtsregister Nr. 1068/1899 Walter Herz, 13277 Geburtsregister Nr. 2547/1900 Berta Herz, 13404 Geburtsregister Nr. 1946/1900 Lilly Nathan; 351-11 Amt für Wiedergutmachung 1645, 3292, 11088, 20158, 39776, 352-8/7 Staatskrankenanstalt Langenhorn Abl. 1/1995 Aufnahme-/Abgangsbuch Langenhorn 26.8.1939 bis 27.1.1941, Abl. 1 Walter Herz 16190; UKE/IGEM, Archiv, Patienten-Karteikarte Berta Herz der Staatskrankenanstalt Friedrichsberg; UKE/IGEM, Archiv, Patientenakte Berta Herz der Staatskrankenanstalt Friedrichsberg; Privatpflegeheim Ülsby, Archiv, Patientenakte Lilly Nathan. Klee, Ernst, "Euthanasie" im NS-Staat. Die Vernichtung lebensunwerten Lebens, Frankfurt a. M. 2009. Wunder, Michael/Genkel, Ingrid/Jenner, Harald, Auf dieser schiefen Ebene gibt es kein Halten mehr. Die Alsterdorfer Anstalten im Nationalsozialismus, Stuttgart 2016. Wille, Ingo, Stolpersteine in Hamburg-Eilbek, Hamburg 2012 (Biographie Manfred, Rosalie, Ruth und Herbert Herz sowie Bruno Kempe) (siehe auch www.stolpersteine-hamburg.de). Persönliche Mitteilungen von Karla Malapert, 2008 bis 2014.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

druckansicht  / Seitenanfang