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Hedwig Baur (geborene Robertson) * 1894
Ebertallee 16 (Altona, Groß Flottbek)
Freitod am 19.1.1944 Hamburg
Hedwig Baur, geb. Robertson, geb. 12.8.1894, Suizid am 19.1.1944
Hedwig Baur war die Tochter des Hamburger Kaufmanns Henry Nathanael Robertson und seiner Frau Emily Robertson, geborene Simmonds. Sie wuchs in einer typischen Hamburger Familie des gehobenen Bürgertums in einer Villa der Jahrhundertwende in Harvestehude auf. Ihre Großmutter, Estella Jesurun, stammte aus Spanien, ihr Großvater Coleman Simmonds aus England.
1917 heiratete sie den nichtjüdischen Gerhard Heinrich Baur. Das Ehepaar lebte mit dem Sohn Gerhard-Henry, geboren 1918, und der 1921 geborenen Tochter zunächst in Osnabrück, wo Hedwig Baurs Ehemann Direktor der Dresdner Bank war. Später zog die Familie nach Berlin.
1931 kehrte Hedwig Baur mit ihrer Tochter Emily Sophie zurück Richtung Heimatstadt. Sie zog in die unmittelbar benachbarte, damals noch eigenständige Stadt Altona in den Stadtteil Groß Flottbek, Ebertallee 16. 1930 ließ sich das Ehepaar einvernehmlich scheiden. Der Sohn blieb bei seinem Vater in Berlin.
Im Jahr 1931 starb Hedwig Baurs Vater. Er vererbte seiner Tochter ein kleines Vermögen, das ihr erlaubte, ihren gutbürgerlichen Lebensstil weiter aufrecht zu erhalten. Hedwig Baurs Enkeltochter Gabriele Bröcker schließt aus den überlieferten Erzählungen und Familienfotos, dass ihre Großmutter wohl eine "elegante und gut aussehende Dame" gewesen sei. Als eine der ersten Frauen in Hamburg soll sie den Führerschein gemacht haben. Zur Erlangung der Fahrberechtigung gehörte es, im Overall anzutreten um kleinere Reparaturen am Auto selbst auszuführen.
Im März 1939 mussten Mutter und Tochter ihre Wohnung in der Horst-Wessel-Allee, wie die Ebertallee jetzt hieß, räumen. Vielleicht hatten sich Mitbewohner, wie es häufig geschah, darauf berufen, dass es "arischen" Mietern nicht zuzumuten war, mit Juden in einem Haus zu wohnen. Dass Hedwig Baur – wie ihre Mutter und Tochter – getauft war und der evangelischen Kirchengemeinde Groß Flottbek angehörte, half ihr nicht. Sie zog mit ihrer Tochter Emily nach Hamburg zu ihrer Mutter in das Haus Heimhuderstraße 80, eine klassische dreistöckige Stuckvilla, die sich im Besitz der Familie befand. Die 18-jährige Emily Sophie Baur zog dann offenbar bald aus. Als "Halbjüdin" war es ihr verwehrt gewesen, das Abitur zu machen, sie hatte zwischenzeitlich eine Ausbildung in Stenographie und Schreibmaschine beim Lette-Verein absolviert und sich zur Metallographin ausbilden lassen.
Sie arbeitete dann für einige Jahre bei Blohm & Voss. Ihre Tochter Gabriele Bröcker berichtet, dass sie dort "Schikanen von ihren ‚arischen’ Kollegen erdulden musste, aber auch einen reizenden, seine schützende Hand über sie haltenden, väterlichen Chef in ihrer Abteilung hatte, der Schlimmeres verhinderte". Ab Oktober 1939 war sie in der Parkstraße 2 gemeldet und ab April 1940 in Berlin, wo sie ihren krebskranken Vater betreute, der im November 1941 in der Charité starb.
Die antisemitischen Maßnahmen gegen die Familie spitzten sich zwischenzeitlich zu. 1939 stellte die Devisen- und Vermögensverwaltungsstelle des Oberfinanzpräsidenten Hedwig Baurs Vermögen unter Sicherungsanordnung. Ihr verblieb nur eine begrenzte Summe für den Lebensunterhalt.
Am 19. Juli 1942 wurde ihre Schwester Margaret Herwig nach Theresienstadt deportiert. Im März 1943 beging ihre Mutter Emily Robertson Suizid, um ihrer Deportation zu entgehen. Laut Gabriele Bröcker hatte ihr ein Bekannter der Familie, der offenbar Einblick in die Deportationslisten hatte, den Tag des Abtransports vorher mitgeteilt.
Fast ein Jahr später erhielt auch Hedwig Baur den Deportationsbefehl an die Adresse Heimhuderstraße 80. Ihrer jüdischen Herkunft wegen sollte sie am 19. Januar 1944 nach Theresienstadt deportiert werden. Doch ein handschriftlicher Vermerk neben ihrem Namen in der Deportationsliste der Gestapo hielt fest: "nicht erschienen (krank)".
Hedwig Baur nahm sich an diesem 19. Januar das Leben. Wie ihre Mutter wählte sie diesen verzweifelten Ausweg, um der Verschleppung an einen ihr unbekannten Ort zu entgehen, wo sie mit Gewalt, Zwangsarbeit und Tod rechnen musste. Sie war noch nicht 50 Jahre alt.
Ihr Sohn Gerhard Heinrich Baur, der in Berlin Ingenieurwissenschaften studierte, erschien am folgenden Tag bei der Polizei und legte die Todesbescheinigung seiner Mutter vor. Er gab zu Protokoll, dass er am 19. Januar ein Telegramm aus Hamburg mit der Nachricht bekommen hatte, dass seine Mutter im Sterben liege. Er sei dann sofort zu ihr gefahren. Eine halbe Stunde nach seiner Ankunft sei sie in ihrer Wohnung gestorben, sie hatte sich mit Veronal vergiftet. "Meine Mutter hat am 18.1.44 eine Aufforderung bekommen, sie solle sich zur Evakuierung stellen. Dieses wird meine Mutter wohl nicht mehr haben ertragen können. Aus diesem Grunde hat sie die Tat wohl begangen. Eine fremde Person hat keine Schuld."
Hedwig Baurs Leichnam wurde ins Hafenkrankenhaus transportiert.
Ihre Schwester Margaret kam 1944 in Theresienstadt ums Leben. Ihr Bruder Hans Robert wurde als "Halbjude" nach Frankreich zwangsverschleppt, konnte aber freikommen und überlebte. Auch die Kinder von Hedwig Baur überlebten als "Halbjuden" die Nazi-Zeit.
Der Sohn wanderte in den 1950er Jahren nach Kanada aus, die Tochter lebte verheiratet mit dem Hamburger Kinderarzt Dr. Werner Lohse und der 1951 geborenen Tochter Gabriele bis 1966 in dem Haus Heimhuderstraße 80, von wo sie dann nach Rönneburg umzogen, da Dr. Lohse eine Praxis in Harburg zugeteilt bekommen hatte. Emily Lohse widmete sich zeitlebens der Aquarell-Malerei. Die letzten sechs Jahre ihres Lebens verbrachte sie in Düren (Rheinland) in der Nähe ihrer Tochter, wo sie im Jahre 2000 starb.
© Birgit Gewehr
Quellen: 2 (R 1940/509); 3; 4; Ausstellung Melanchthongemeinde; StaH 332-8 Meldewesen, A 50/1 (= 741-4 Fotoarchiv, K 387); StaH 351-11 Amt für Wiedergutmachung, 16079 (Erbengemeinschaft Baur, Hedwig); StaH 331-5 Polizeibehörde – Unnatürliche Sterbefälle, 1944/ 255 (Baur, Hedwig); StaH 214-1 Gerichtsvollzieherwesen, 133 (Hedwig Sara Baur); Informationen von Gabriele Bröcker, geb. Lohse, Kerpen-Buir (Rheinland), Oktober 2007.